ANTI-LUTHER


POEM


VON TORSTEN SCHWANKE



Bekanntlich lehnt der Protestantismus 

Die Heiligenverehrung ab. 

Aus den reformierten Kirchen wurden 

Die Statuen der Heiligen und Märtyrer, 


Der Kirchenlehrer und der Apostel, 

Ja, sogar der Gottesmutter entfernt. 

Unter dem Motto „sola scriptura“ 

Hat ohnehin nur Geltung, 


Was in der Heiligen Schrift steht, 

Womit man gleich rund 1500 Jahre

Kirchengeschichte und theologische Tradition, 

Konzilsbeschlüsse und Dogmatik ausklammert. 


Wenn eine Person dagegen 

Für den „evangelischen“ Christen 

Die Rolle eines Kirchenlehrers 

Und eines Vorbilds im Glauben 


Und damit gewissermaßen eines Heiligen

Angenommen hat, dann ist es die Gestalt 

Des Martin Luther. So wird Luther 

Standesgemäß nicht etwa, wie zum Beispiel 


2009 der Völkerapostel Paulus,

Bloß mit einem bescheidenen Gedenkjahr 

Gewürdigt. Nein, eine ganze Lutherdekade 

Muss her, denn „Ein Ereignis, 


Das thematisch und strukturell so komplex ist, 

Wie das 500-jährige Reformationsjubiläum, 

Will gut vorbereitet sein und bedarf 

Einer entsprechenden Vorlaufzeit. 


Zur angemessenen Vorbereitung und Hinführung 

Auf das Jubiläumsjahr 2017

Wurde deshalb die Lutherdekade 

Ins Leben gerufen. Die Lutherdekade 


Lädt von 2008 bis 2017 

Mit vielfältigen Veranstaltungen 

Und Reiseangeboten zur Spurensuche 

An Originalschauplätzen der Reformation ein. 


Landesweit widmen sich Ausstellungen, 

Konzerte und andere kulturelle Veranstaltungen 

Den verschiedenen Aspekten der Reformation. 

Historische Stadtfeste, Sommertheater 


Und Festivals hingegen zeigen, 

Dass die Lutherdekade ein Grund zum Feiern ist.“ 

Tatsächlich schildert die protestantische 

Hagiographie Luther als Jahrtausendfigur 


Von fast übermenschlicher Größe. 

Sein Berufungserlebnis 

Während eines Gewitters, 

Das asketische Mönchsleben, 


Die steile Karriere als Theologieprofessor, 

Der es wagte, Rom und dem Papsttum zu trotzen, 

Der ikonographische Thesenanschlag 

Zu Wittenberg, die Verbrennung 


Der Bannandrohungsbulle, die Reichsacht 

Durch das Wormser Edikt, die Flucht 

Auf die Wartburg, wo er dem Teufel trotzte 

Und die Bibel ins Deutsche übersetzte, 


Was „die Entwicklung der deutschen Sprache“ 

Maßgeblich beeinflusste, Heirat, Vaterfreuden 

Und Bildersturm. Über allem schwebend 

Als geradezu prophetisches Motto sein 


Hier stehe ich, ich kann nicht anders“: 

Heroisch und ungebrochen, prinzipientreu 

Und nur Gott und seinem Gewissen verpflichtet, 

Ein wahrhaft deutscher Held.


Doch war er das wirklich? 

War seine Ausgangsmotivation allein 

Die Suche nach der Wahrheit, 

Die Sehnsucht nach einem gnädigen Gott, 


Die auch Papst Benedikt XVI. 

Ihm zugute hielt? Können auch wir als Katholiken 

Von Luther lernen, wie es Kardinal 

Walter Kasper forderte? Kann er uns also 


Als „Lehrer im Glauben“ dienen, 

Wie auch Kardinal Karl Lehmann behauptete? 

War seine Reformation tatsächlich 

Ein Segen für die Kirche in Deutschland 


Und der Welt? Kurzum: Gibt es 

Einen guten Grund, ihn zu feiern, 

Nicht nur ein Jahr, 

Sondern eine ganze Dekade lang?


Kein Zweifel: Jede pauschale Dämonisierung 

Luthers und des Protestantismus 

Würde den fruchtbaren ökumenischen Dialog stören, 

Den die katholische Kirche seit Jahrzehnten 


Mit den Protestanten führt, 

Und wäre schon daher auch kirchenpolitisch 

Unerwünscht. Ohne Frage 

Hat die Christenheit Martin Luther 


Wichtige Impulse zu verdanken, 

Schon weil seine Reformation 

Auslöser der Gegenreformation, 

Jener segensreichen Selbstreinigung 


Der Kirche war. Auch die Liturgie 

In der Volkssprache, die Verbreitung 

Der Heiligen Schrift beim Volk

Und eine ganze Tradition christlicher Lieder


Gehen auf Impulse Martin Luthers zurück.

Aber eben auch eine Radikalisierung 

Des christlichen Antijudaismus, des Hexenwahns, 

Die anfangs ungewollte Kirchenspaltung, 


Die Bauernkriege, die Spaltung Deutschlands 

Bis hin zum Dreißigjährigen Krieg, 

Eine Entsakramentalisierung 

Seiner Gemeinschaften, ein Schnitt 


Durch die Nabelschnur der Tradition, 

Eine anachronistische Theologie und dann, 

Nach der Entsorgung der Exegese 

Durch die Kirchenväter als Folge 


Des „sola scriptura“-Wahns, als Nachwirkung 

Die historisch-kritische Exegese 

Und damit die Verstümmelung der Heiligen Schrift 

Im Prokrustes-Bett des Rationalismus: 


Alles, was vom Wirken Gottes 

In der Geschichte zeugt, wird dabei bestritten, 

Es bleibt nur eine Zeitgeist-konforme 

Gutmenschen-Ethik


Und der König des Universums wird 

Zum gescheiterten Wanderprediger degradiert. 

Wie wenig der Protestantismus dabei 

Die Herzen seiner Gläubigen erreichte, 


Das zeigt die Entwicklung 

Nach einem halben Jahrhundert

Kommunistischer Herrschaft in Osteuropa. 

Dort, wo die Menschen 


Vor der Machtergreifung der Kommunisten 

Orthodox oder katholisch waren, 

Fanden sie nach dem Fall der roten Diktaturen 

Wieder in Massen zum Glauben zurück, 


Finden wir heute die strahlenden Beispiele 

Erneuerter Frömmigkeit: in Polen und Ungarn, 

In Russland und der Slowakei.

Dort, wo die Menschen zuvor protestantisch waren, 


In der DDR wie in Tschechien, 

Ließ man sich mühelos zum Atheisten umschulen 

Und ist dies noch heute. Auch die heutige 

Misere der Evangelisch-lutherischen Gemeinschaft 


In Deutschland zeugt nicht gerade vom Segen

Gottes. Wo eine Frau Käßmann Zeitgeist-konforme 

Gutmenschen-Parolen als Theologie verkauft, 

Eine Frau Göring-Eckart aus grünen evangelische 


Und aus evangelischen grüne Parolen fabriziert 

Und wo eine rheinische Landeskirche 

Die Homo-„Ehe“ propagiert und praktiziert, 

Glänzt der Heilige Geist durch Abwesenheit.


Nun mahnt uns der Herr im Matthäus-Evangelium, 

Achtsam zu sein und keinen falschen Propheten 

Auf den Leim zu gehen. Von „falschen Propheten, 

Die in Schafskleidern zu euch kommen, 


Inwendig aber reißende Wölfe sind“, 

Ist da die Rede und vom Rat des Herrn: 

An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen.“ 

Dabei ist selbst die Berufung auf Ihn 


Kein Kriterium: „Nicht jeder, der zu mir sagt: 

Herr, Herr! wird in das Himmelreich kommen, 

Sondern wer den Willen meines Vaters tut, 

Der im Himmel ist.“ Und so sind wir als Christen


Aufgerufen, unkritischen Personenkult 

Auch von Menschen, die sich selbst 

Wie Glaubenslehrer gerieren, zu vermeiden. 

Die Kirche tut gut daran, selbst noch so fromme


Menschen vor einer Verehrung zunächst 

Gründlich zu untersuchen, 

In einem Heiligsprechungsprozess, 

Der in der Regel viele Jahre, oft Jahrzehnte 


Oder gar Jahrhunderte dauert. 

Darum muss auch vor einer Quasi-Kanonisierung 

Martin Luthers zum „Lehrer im Glauben“

Dringend gewarnt werden. 


Zunächst einmal muss auch seine Lebensführung 

Und muss sein Gesamtwerk 

Einer gründlichen Prüfung unterzogen werden.

Dabei gab es vor der Reform 


Des Heiligsprechungsverfahrens 

Durch Papst Johannes Paul II.

Den Promotor Fidei, umgangssprachlich 

Advocatus diaboli“ genannt, 


Dessen Aufgabe es war, kritische Einwände 

Gegen die Kanonisierung einer Person 

Zu sammeln und vorzutragen.

Diese Aufgabe möchte ich 


In Sachen Luther übernehmen. 

Dabei befürworte ich ausdrücklich 

Jeden ökumenischen Dialog. 

Die Frage ist nur, ob eine Würdigung 


Der Person Luthers dabei der richtige Weg ist 

Oder ob es sinnvoller wäre, Luther 

Als Hindernis gemeinsam zu überwinden. 

Dabei spricht einiges dafür, dass Luthers Leben 


Der eigentliche Schlüssel zum Verständnis 

Seiner Lehren und Schriften ist.

Wer also war Dr. Martin Luther 

Und wie wurde er zum Reformator?


Wenn wir dem wahren Luther 

Auf den Grund gehen wollen, 

Müssen wir seine Biographie kritisch lesen, 

Denn vieles, was heute als gegeben gilt, 


Ist tatsächlich das Produkt 

Lutherischer Selbststilisierung 

Und protestantischer Legendenbildung. 

Selbst in seinem knappsten Selbstzeugnis 


Finden wir Halbwahrheiten, 

Wenn er von sich sagte:

Ich bekenne, dass ich Sohn eines Bauern bin, 

Bin dennoch Doktor der Heiligen Schrift, 


Des Papstes Feind.“ 

Denn einen solch steilen sozialen Aufstieg, 

Wie er ihn hier behauptet, 

Hat er dann doch nicht hingelegt. 


Luthers Vater stammte zwar 

Aus einer bäuerlichen Familie, 

Hatte es aber im Kupferbergbau 

Als Mineneigner und Hüttenteilhaber 


Zu einem nicht unbeachtlichen 

Vermögen gebracht und war Ratsherr 

Seiner Heimatstadt Eisleben.

Allerdings waren seine Großeltern noch Bauern, 


Sodass man seinen Vater wohl 

Als sozialen Aufsteiger, 

Praktisch als Neureichen bezeichnen kann, 

Der alles daran setzte, seine neu erworbene 


Soziale Stellung zu festigen 

Und seinen Söhnen eine gute Ausbildung 

Zu ermöglichen. Der Familienname 

Wird in den zeitgenössischen Chroniken 


Als Lotter oder Luder wiedergegeben, 

Was erklärt, weshalb Martin Luther 

Sich ab 1512 für eine ganz neue

Schreibweise entschied, 


Die er auf Herzog Leutheri II. 

Und das griechische Wort „eleutherios“

(„der Freie“) zurückführte.

Denn als „Luder“ galt im Mittelalter 


Zunächst ein totes Tier, 

Das etwa in der Falknerei zum Anlocken 

Von Raubvögeln verwendet wurde. 

Daraus entstand der Begriff 

dem Teufel sein Luder“, 


Der für jede Form der Verführung 

Zur Wollust stand. Verständlich also, 

Dass Luther seinen Gegnern keine solche 

Steilvorlage liefern wollte. 


Eine Ironie der Geschichte übrigens, 

Dass er gerade auf jenen Heiligen getauft wurde, 

Dessen Mantelteilung wir 

Als Tat der Nächstenliebe feiern, 


Wo er doch gerechte Werke

Jeder Art später als unchristlich ablehnte 

Und eben deshalb das unteilbare Gewand 

Christi teilte, die Kirche spaltete.


Anlass heftiger Kontroversen war die Frage, 

Was Hans Luder, Luthers Vater also, 

Veranlasst hat, das väterliche Erbe in Möhra 

Zu verlassen und nach Eisleben zu gehen. 


Luther-Hagiografen behaupten, 

Nach dem Thüringer Erbrecht sei der Hof 

Der Eltern nicht an den ältesten, also an Hans Luder, 

Sondern an den jüngsten Sohn gefallen. 


Dabei gibt es keinerlei zeitgenössischen 

Juristischen Quellen, die eine solche Annahme 

Rechtfertigen. Luthers Vater war Bauer 

Und Erbe des väterlichen Hofes. 


Hans Luder hatte vielmehr

im Jährzorn einen Bauern, 

Der ihm im Grase hütete, 

Mit seinem eigenen Pferdezaum erschlagen“ 


Und sei daher bei Nacht und Nebel, 

Alles Hab und Gut zurücklassend, 

Nach Eisleben geflohen. Dieses Ereignis 

Könnte auch Luthers Kindheit überschattet haben. 


Denn obwohl sein Vater sich redlich bemühte 

Und es ihm auch gelang, in der neuen Heimat 

Ein angesehener Bürger zu werden, 

Könnte dieses Trauma doch die Stimmung 


Im Elternhaus überschattet haben. 

So erinnerte sich der spätere Reformator 

An einen Vers, den er immer wieder 

Aus dem Mund der Eltern vernommen hatte: 


Mir und dir ist keiner hold, 

Das ist unser beider Schuld.“ 

Unbestritten auch von Luther selbst 

Sind der Jähzorn und die Brutalität 


Beider Eltern. So berichtete er 

In einer 1532 gehaltenen Tischrede: 

Meine Eltern haben mich in strengster

Ordnung gehalten, bis zur Verschüchterung. 


Meine Mutter stäupte mich 

Um einer einzigen Nuss willen 

Bis zum Blutvergießen, mein Vater 

Stäupte mich einmal so sehr, 


Dass ich vor ihm floh und dass ihm bange war, 

Bis er mich wieder zu sich gewöhnt hatte.“ 

Er sei sogar in ein Kloster geflohen, 

Um sich vor den brutalen Eltern zu verstecken, 


Die sein „allzu erschrockenes Gemüt“ 

Nicht verstanden hätten. 

Jedenfalls brachte Luthers Vater es 

Zu bürgerlichem Wohlstand; 


Bei seinem Tod hinterließ er

Jedenfalls ein Vermögen von 1250 Gulden, 

Den Wert zweier großer Bauernhöfe. 

Natürlich galt seine besondere Aufmerksamkeit 


Dem Ältesten seiner neun Kinder, 

Das wohl am 10. November 1483 geboren 

Und am nächsten Tag 


Auf den Namen Martin getauft wurde. 

Der sollte nämlich Jura studieren 

Und Wirtschaftsanwalt werden, 

Nachdem er 1505 an der Universität Erfurt 


Das Grundstudium mit dem Magister artium 

Abgeschlossen hatte. 

Doch dann kam alles ganz anders.

Als Student galt Luther als trinkfest und rauflustig, 


Mit Religion hatte er wenig im Sinn. 

Auch sein Elternhaus war nicht sonderlich gläubig, 

Eher schon abergläubisch; 

Als Luthers Mutter


Eine neugeborene Tochter verlor, glaubte sie, 

Die Nachbarin habe diese verflucht. 

Als die Frau bald darauf erschlagen wurde, 

Frohlockte sie: endlich 


Habe der Teufel die Hexe geholt!

Auch die Geschichte von Luthers Bekehrung 

Belegt eher seinen Aberglauben 

Als seinen Glauben – 


Wenn sie sich denn überhaupt so zugetragen hat.

Danach war der 2. Juli 1505 die Wende 

In Luthers Leben. Auf der Rückreise 

Von einem Besuch bei seinen Eltern, 


So heißt es, sei er kurz vor Erfurt 

Von einem schweren Gewitter

überrascht worden. Als in seiner Nähe 

Ein Blitz einschlug, habe er die Mutter Mariens 


Und Patronin der Bergleute angefleht: 

Hilf, heilige Anna, ich will Mönch werden!“ 

Sehr zum Verdruss des Vaters habe er 

Dieses Gelübde zwei Wochen später eingelöst 


Und sei in das Erfurter 

Augustinerkloster eingetreten. 

Doch ist das wirklich plausibel? 

Reicht ein einfaches Gewitter aus, 


Um zu einer religiösen Berufung zu finden? 

Selbst Luther-Hagiografen räumen ein: 

Es mag nicht nur das Gewitter gewesen sein. 

Die ganze Lebensphase ist nicht einfach.“ 


Wie gesagt war Luther ein eher 

Lebenslustiger Student. 

Er selbst gestand 1505 in einem Brief

An seinen damaligen Beichtvater Braun: 


Durch Völlerei und Trunkenheit gehindert, 

Dürfte ich bisher sehr wenig Gutes 

Geschrieben oder gelesen haben, 

Da ich bei den Menschen angesiedelt, 


Mit den Menschen herumgewirbelt habe“. 

Wenn er ganz Erfurt einmal 

Ein Hurhauß und Birhauß“ nannte, 

Meinte er damit nicht nur die anderen. 


Sein Kommilitone und späterer Gegner 

H. Emser hielt ihm vor: 

Was meinst du wohl, dass mir 

Von deinen eigenen Schandtaten 


Zu Ohren gekommen ist?“

Dungersheim, Professor in Leipzig 

Und ein weiterer späterer Luther-Gegner, 

Klagte ihn an: „Also hott dich


Deyn buben leben verblendet 

Dastu selber nicht weyst was du lallst.“ 

Er sei „in büberey (Hurerei und Sauferei) gar ersuffen“, 

Habe sogar eine Geliebte 


Und uneheliche Kinder gehabt, 

Wobei es sich natürlich 

Um üble Nachrede handeln kann. 

Doch seinem späteren Mitarbeiter 


Melanchthon gegenüber gestand Luther, 

Dass er „ein großer, schwerer,

Schändlicher Sünder“ gewesen sei, 

Der seine „Jugend auch verdammlich zugebracht 


Und verloren habe“: Mit Wollust, 

Zorn, Hass und Neid, 

Die er nie überwinden konnte. 

Doch nicht die Reue über ein wildes Studentenleben, 


Das damals durchaus nicht unüblich war,

Könnte ihn ins Kloster getrieben haben, 

Sondern vielmehr die Angst vor Strafverfolgung, 

Wie ein Psychologe 


In seiner Studie zu Luther aufzeigt, 

Nach nicht weniger als einem ungewollten Totschlag. 

Schon 1503 gibt es Hinweise auf ein Duell 

Des schnell aufbrausenden Luther. 


Später behauptete dieser, er habe sich 

Auf dem Weg von Erfurt nach Mansfeld 

Mit der Spitze seines Degens 

Durch einen unglücklichen Zufall 


Die Schlagader seines Unterschenkels verletzt“ 

Und dabei einen schweren Blutverlust erlitten,

Was freilich praktisch unmöglich war, 

Da der Degen stets in einer harten Lederscheide steckte. 


So deutet man diese Erklärung 

Als reine Nutzlüge, wie sie damals 

Gerne benutzt wurde, um die Folgen 

Eines den Studenten strikt verbotenen Duells 


Zu erklären. Sein siegreicher Kontrahent 

War wahrscheinlich sein Studienfreund 

Konrad Wigant, der kurz darauf 

Die Universität verlassen musste, 


Ohne einen akademischen Grad 

Erworben zu haben.

Luther dagegen musste nur seine bisherige 

Unterkunft, die komfortable Studentenbude


Himmelspforte“, verlassen 

Und wurde gerade noch 

Von der „Georgen-Bude“ 

Für arme Studenten aufgenommen.


Zwei Jahre später kam es zu einem 

Noch tragischeren Vorfall. 

Im Anschluss an das Magisterexamen, 

An dem auch Luther teilnahm, 


Starb einer der 17 Kandidaten, 

Hieronymus Buntz, angeblich 

An einer Rippenfellentzündung. 

Der Tod des Freundes und Kommilitonen 


Muss Luther geradezu erschüttert haben; 

Noch Jahrzehnte später, 

In seinen „Tischgesprächen“, berichtete er davon, 

Wie Buntz an „Stichen“ zugrunde ging, 


Was seine Zuhörer als Hinweis 

Auf einen gewaltsamen Tod verstanden. 

Man hält das für kein Missverständnis, 

Sondern ein spätes Eingeständnis, 


Dass Buntz bei einem Streit 

Mit dem aufbrausenden Luther von diesem 

Selbst versehentlich mit einem Messer 

Tödlich verletzt worden war. 


Was auf den ersten Blick verwegen klingt, 

Gewinnt Plausibilität durch eine Reihe 

Von weiteren Hinweisen. Tatsächlich 

Hatte die Erfurter Universität 


Am 3. Juli 1503 auf ihre Gerichtsbarkeit verzichtet 

Und sich dem Erfurter Generalgericht unterstellt, 

Das ein geistliches war. Es konnte als Strafe 

Auch die zeitweilige oder dauerhafte Einsperrung 


In ein Kloster verhängen. Wie auch immer 

Ein Prozess ausgegangen wäre – 

Mit dem Duell war Luther eidbrüchig, 

Denn als Bakkalaureus hatte er zwar das Recht, 


Einen Degen zu tragen,

Musste aber schwören, diesen nie zu benutzen – 

Und damit exkommuniziert, zudem wäre er

Der Universität verwiesen worden. 


Es lässt sich denken, wie der jähzornige Vater 

Darauf reagiert hätte. Zudem stand auf Duelle 

Zur Prävention solcher die Todesstrafe. 

So war Luthers Flucht ins Kloster der einzige Ausweg, 


Zumal die Mönche als Beichtväter 

Die Möglichkeit hatten, ihn zumindest 

Durch Auflegung einer schweren Buße 

Vom Makel der Exkommunikation zu befreien. 


Offenbar war dieser Umstand 

Im akademischen Millieu

Nicht ganz verborgen geblieben. 

So warf Dungersheim, als Professor in Leipzig 


Auch über das Erfurter Universitätsgeschehen 

Gut informiert, Luther vor, 

Seine „Ungeschicklichkeit“ habe ihn 

Bis an die Pforte des Augustinerklosters 


Zu Erfurt geleitet.“ Für diese Deutung spricht

Auch Luthers eigenes Eingeständnis 

Aus dem Jahre 1532: 

Nach einem einzigartigen Ratschluss Gottes 


Bin ich zum Mönch gemacht worden, 

Damit sie mich nicht gefangennehmen. 

Andernfalls wäre ich nämlich sehr leicht 

Gefasst worden. So aber konnten sie es nicht, 


Weil sich der ganze Orden meiner annahm.“ 

Auch Luther-Worte wie 

Sie wollten mir ans Krägeli“ 

Und „ich bin ein Mönchlein widerwillen“ 


Weisen darauf hin. Ähnlich in einer Predigt 

Von 1523, in der er über seine Motive 

Beim Eintritt in das Kloster sprach – 

Vom Gewitter war da keine Rede mehr: 


Denn ich hab nicht lust dazu von hertzen,

Sondern byn dazu gezwungen und muß es thun, 

Angesehen die helle, straff oder schand...“ 

Oder 1529, als er in einer Predigt zugab 


Ein grosser bub et homicida fui“, 

Also ein Spitzbub und Mörder gewesen zu sein. 

So ungeheuerlich die Schlussfolgerung 

Auch klingen mag, sie erweist sich doch 


Als der einzig logische Schlüssel 

Zur Erklärung von Luthers Lebensmisere – 

Dem Schritt ins Kloster 

Ohne eine echte Berufung 


Und ohne jede Befähigung zum Mönchtum, 

Und die verzweifelte Suche 

Nach einem gnädigen Gott, 

Der nicht auf unsere Taten und Werke, 


Ob nun gut oder sündhaft, schaut. 

Dabei ließen ihn die Mitbrüder offenbar spüren, 

Dass er keiner von ihnen war. 

Glauben wir seinen eigenen Schilderungen, 


So wurde er regelrecht schikaniert. 

Man zwang ihn, niederste Arbeiten zu verrichten, 

Und hinderte ihn daran, 

Sich wissenschaftlichen Studien zu widmen - 


Eine Demütigung, die vielleicht 

Als narzisstische Kränkung gewertet werden kann 

Und zu Luthers späterem Hass 

Auf die Kirche führte. 


Seinem Arzt zufolge war Luther 

Zunächst Hausknecht des Klosters. Wörtlich:

Weil er nun am neulichsten unter den brudern 

Ins Closter gekommen war, 


Legete man Ihme die aller verächtlichste 

Und schwerste buerde auf, die er 

Durch tagliche Arbeit im auskeren

Und ausfegen verrichten muste 


Und sonsten des hausknechten zu thun 

Und zu verrichten. Man bedenke, 

dass auch die „Weimarer Ausgabe“ 

Ausgerechnet mit Luthers


Kirchengeschichtlicher Abhandlung 

Tractatulus Doctoris Martini Luttherii, 

De his qui ad Ecclesias confugiunt“ beginnt, 

Die 1517 anonym und 1520 


Unter Luthers Namen veröffentlicht wurde 

Und zu Luthers frühesten wissenschaftlichen 

Arbeiten überhaupt gehört. Sie handelt 

Vom Kirchen- und Klosterasyl. 


Luther wörtlich darin:

Zwei Dinge hat ein in die Kirche Fliehender 

Hauptsächlich zu vergegenwärtigen: 

1. Daß er mit Gewalt nicht herausgeholt werden darf;


2. Daß er wegen eines Deliktes nicht mehr

Zum Tode oder zu einer anderen Körperstrafe 

Bzw. Körpermisshandlung verurteilt werden darf...“

Luther selbst fühlte sich von der Mehrheit 


Der Mitbrüder geradezu gehasst. 

Er sei „gezwungen worden zu betteln, 

Käse zu schlagen 

Und die Latrinen zu reinigen.“ 


Gemischt mit Luthers Egomanie, 

Seinem Narzissmus, seinem cholerischen 

Temperament und seiner

Manisch-depressiven Erkrankung, 


Wird dieses Trauma der Demütigung 

Zum Funken, der zur Explosion führt.

Luthers Vater, der seinen Sohn gut kannte, 

Ahnte, dass es bei Luthers Klostereintritt 


Nicht mit rechten Dingen zuging. 

Gott geb, dass es nicht ein Betrug 

Und teuflisch Gespenst sey“,

Ermahnte er ihn. Luther, 


Der zudem die Abneigung des Vaters 

Gegen Mönche kannte, fühlte sich ertappt. 

Du trafst mich wieder so geschickt und passend, 

Dass ich in meinem ganzen Leben 


Von einem Menschen kaum 

Ein Wort gehört habe, 

Das kräftiger in mir geklungen 

Und fester gehaftet hat“, erwiderte er.


Ich ward ja nicht gern und willig Mönch, 

Sondern als ich mit Schrecken 

Und Angst des Todes eilend umgeben, 

Gelobte ich Gott gedrungen und gezwungen 


Gelübde“, gestand Luther später. 

Immer wieder plagten ihn 

Schwere Schuldgefühle. 

Ich war sehr fromm im Kloster,


Doch immer traurig, weil ich meinte, 

Gott wäre mir nicht gnädig, 

Satan hat mich in Verzweiflung gebracht; 

Ich wusste nicht, ob ein Gott wäre, 


Ich verleugnete Gott ganz und gar“, 

Schilderte er seine große Seins- und Lebenskrise. 

Er glaubte, er sei vom Teufel besessen. 

Bei seiner Primiz stockte er mitten im Messkanon, 


Rannte vom Altar weg 

Und schrie entsetzt: „Ich bin kein Besessener!“ 

Ein anderes Mal packte ihn bei einer

Fronleichnamsprozession


Hinter seinem Ordensoberen 

Und Beichtvater Johann von Staupitz

Die nackte Angst. „Ich muss Gott zürnen, 

Ihn hassen; ich war Christus so feind, dass, 


Wenn ich sein Gemälde oder Bildnis sah, 

Wie er am Kreuze hing, so erschrak ich darüber 

Und schlug die Augen nieder 

Und hätte lieber den Teufel gesehen“, 


Räumte er später ein. Auf Luthers Ausruf 

O meine Sünde, Sünde, Sünde“! 

Erwiderte sein Beichtvater: 

Nicht Gott zürnt dir – Du zürnst Gott!“ 


Später verhöhnte er 

Seinen damaligen Glaubensweg: 

Ich wollte lieber, dass ich wäre 

Ein Hurenwirt oder Räuber gewesen, 


Denn dass ich Christus fünfzehn Jahre lang 

Mit Messelesen so geopfert und gelästert habe!“ – 

Er hatte die Schuldgefühle verdrängt, 

Aus seiner Furcht vor Christus 


War ein Hass auf das Messopfer geworden, 

Das er nie würdig hatte feiern können. 

Seinen mönchischen Pflichten kam er 

Immer weniger nach,


Während er jetzt Theologie studierte, 

Dann 1511 nach einer Romreise 

Nach Wittenberg versetzt wurde. 

Im Oktober 1512 promovierte Luther 


Zum Doktor der Theologie, 

Hielt jetzt Vorlesungen und wurde zudem 

Distriktvikar seines Ordens. 

Selten bleibt mir Zeit, 


Die Horen zu vollenden 

Und zu zelebrieren, außerdem 

Kommen Versuchungen mit dem Fleisch, 

Der Welt und dem Teufel“, schrieb er 1516. 


Sein Brevier nahm er oft wochenlang 

Nicht zur Hand. Als er seinen Freund 

Spalatin, Hofprediger des Kurfürsten 

Friedrich, besuchte,


Verliebte er sich spontan in die Tochter 

Von dessen Haushälterin. 

O Spalatin, du kannst nicht glauben, 

Wie mir dies schöne Mägdelein im Herzen liegt. 


Ich will nicht ersterben, 

Bis ich so viel anricht, dass ich auch 

Ein schön Megtiken freien darf.“

In diese Zeit der Überforderung, 


Der inneren Krise und Zerrissenheit, 

Irgendwann zwischen 1511 und 1515, 

Fällt Luthers „Turmerlebnis“, 

Die Geburtsstunde seiner Theologie.


Ausgerechnet beim nächtlichen Stuhlgang - 

super cloacam“ auf dem Turm, 

Wie er selber später schrieb – was brisant ist, 

Weil die „Kloake“ damals als Tummelplatz 


Von Geistern, Teufeln und Dämonen galt – 

Fand er seine ganz eigene Antwort 

Auf seine Frage nach dem „gnädigen Gott“ 

In Form seiner Rechtfertigungslehre. 


Mit Luthers Worten: Der „Glaube macht, 

Dass unser Dreck vor Gott nicht stinkt.“ 

Für den Christen bedeutete das, 

Wie er 1521 an Melanchthon schrieb: 


Sei ein Sünder und sündige kräftig, 

Aber vertraue noch kräftiger 

Und freue dich in Christus, 

Der der Sieger ist über Sünde, Tod und Welt. 


Wir müssen sündigen, solange wir hier sind. 

Es genügt, dass wir durch den Reichtum 

Der Herrlichkeit Gottes das Lamm, 

Das die Sünde der Welt trägt, anerkannt haben; 


Von ihm wird uns die Sünde nicht fortreißen, 

Auch wenn wir tausend- und abertausendmal 

An einem Tag huren oder töten.“ 

Das ist, fürwahr, „die bequemste Religion der Welt“! 


Denn wer nach Luthers Lehre lebt, 

Der braucht weder Gottes- noch Nächstenliebe, 

Weder Reue noch Buße für seine Sünden, 

Am allerwenigsten aber braucht er Werke 


Der Barmherzigkeit zu verrichten, 

Er wird ohnehin und ganz ohne eigenes Zutun – 

Sola fide, durch den Glauben allein - erlöst. 

Den freien Willen des Menschen, 


Der ihn zwischen Gut und Böse 

Unterscheiden lässt, stellt Luther dabei 

Ebenso infrage wie die Verantwortung 

Des Einzelnen für seine Entscheidung 


Und deren Folgen. Gott ist bei ihm 

Nicht die Liebe, sondern „das Böse 

Und das Gute“ in einer Person.

Gott, so Luther, tut das Böse, 


Um das Gute zu erreichen. 

Er sündigt durch den Menschen, 

Der keinen freien Willen hat, 

Sondern dem alles vorbestimmt ist von Gott. 


Daher ist der Mensch auch schuldlos 

Und braucht weder das Beichtsakrament 

Noch die Heiligenverehrung, 

Da er ja keinen Fürsprecher mehr braucht. 


Damit hat sich Luther 

Einen Gott geschaffen, 

Der ihn von der Verantwortung 

Für seine Bluttat befreit 


Und seine Sündenschuld 

Nicht mehr verurteilen kann – 

Ja der sogar den Totschlag des Freundes 

Und Kommilitonen gewollt hat. 


Gott hat mein Schicksal nicht nur 

Vorhergesehen, sondern auch 

Vorherbestimmt“, war Luthers Fazit

Auf dem Toilettenstuhl des Klosterturmes. 


Damit war jede Sünde erlaubt, 

Alles Gute aber überflüssig. 

Willst Du nicht gegen das Evangelium fehlen, 

So hüte dich vor guten Werken.

Die Heilige Schrift verbietet, 

Gute Werke zu tun.“ 


Sie seien sogar „Todsünden“. 

Das war Luthers „Evangelische Freiheit“!

Natürlich wusste Luther, dass er 

Mit einer solchen Lehre noch nicht 


An die Öffentlichkeit gehen konnte. 

So ist in Luthers nächstem Schritt 

Eher ein Versuch zu vermuten, 

Einen Skandal als Vorwand zu nehmen, 


Um sich selbst der Öffentlichkeit 

Als Retter und Reformator

Uu präsentieren und

Sympathiepunkte zu erwerben. 


So gesehen war das, was vor 500 Jahren 

In Wittenberg geschah, 

Eine gigantische Popaganda-Aktion. 

Doch sie fiel kleiner aus, 


Als es der protestantische Luther-Mythos

Behauptet. Denn der Thesenanschlag 

Von Wittenberg, der 2017 

Mit einem ganzen „Lutherjahr“ gefeiert wird, 


Diese Ur-Ikone des Protestantismus, 

Hat nach Meinung einer Reihe

Renommierter Historiker 

Nie stattgefunden!


Diese Erkenntnis verdanken wir 

Einem Kirchenhistoriker, 

Der dreierlei nachwies:

1. Es gibt nicht einen einzigen


Zeitgenössischen Bericht, 

Der den angeblich so spektakulären

Und vielbeachteten Thesenanschlag 

Auch nur andeutungsweise erwähnt;


2. Nicht einmal Luther selbst,

Der in seinen umfangreichen Tischgesprächen 

Jeden Aspekt seines Lebens durchkaut, 

Erwähnte je ein solches Ereignis;


3. Erst Melanchthon, dem wir

Eine Reihe protestantischer Mythen verdanken, 

Hat den Thesenanschlag erwähnt, 

Wohl basierend auf der in Wittenberg 


Üblichen akademischen Praxis,

Die Kirchentüren als „schwarzes Brett“ 

Zu benutzen; dann allerdings wäre 

Der Hausmeister der Universität 


Für den Anschlag zuständig gewesen, 

Nicht Dr. Luther.

Natürlich war die Ablasspraxis 

Im Deutschland des 16. Jahrhunderts 


Kritikwürdig. Albrecht von Brandenburg, 

Der schon als 23jähriger zum Erzbischof 

Von Magdeburg und Administrator 

Von Halberstadt ernannt worden war, 


Wollte zwei Jahre später auch noch

Erzbischof und Kurfürst von Mainz werden, 

Ohne auf eines seiner bisherigen Bistümer

Verzichten zu müssen. 


Um die notwendigen Gelder zu bezahlen, 

Hatte er sich von den Fuggern 

29.000 rheinische Gulden geliehen, 

Die er in Absprache mit der römischen Kurie 


Durch den Verkauf von Ablassbriefen 

Erwirtschaften wollte, bei dem 

Die Hälfte der Einnahmen nach Rom ging, 

Die andere Hälfte aber vom zuständigen Bischof


Einbehalten werden konnte. Mit dem Verkauf 

Wurde der rührige Dominikanermönch

Johannes Tetzel beauftragt, dessen Verkaufstalent 

Größer als seine seelsorgerische Sorgfalt war. 


Einer der ersten Gegner der Verkaufsaktion 

War Luthers Landesherr Friedrich der Weise, 

Der die Wallfahrt zu seiner mit Reliquien 

Und Ablässen reich ausgestatteten


Allerheiligenkirche in Wittenberg gefährdet sah. 

Luther ging also auf „Nummer sicher“ 

Und sprach „pro domo“, als er ausgerechnet 

Mit einer Kritik an dem fragwürdigen Ablass-Handel


an die Öffentlichkeit“ ging.

Das geschah aber eben nicht 

Mit einem Thesenanschlag, sondern 

Mit einem Brief an Erzbischof Albrecht, 


Der an Unterwürfigkeit kaum zu überbieten ist. 

Er befindet sich heute im Reichsarchiv 

Zu Stockholm und ist 

Auf den 31. Oktober 1517 datiert. 


Auch hier wird der vermeintliche Thesenanschlag 

Mit keinem Wort erwähnt. Stattdessen 

Bittet Luther den Erzbischof, 

Seine Instruktion an die Ablassprediger, 


Insbesondere Tetzel, zu revidieren, 

Da sie irreführend sei. 

Ein zweites Schreiben ging an den Bischof 

Von Brandenburg. Beiden Briefen


Legte Luther seine Thesen bei, die damals 

Nur handschriftlich existierten. 

In einem Brief an Papst Leo X. vom Mai 1518 

Versichert Luther, er habe bis dahin nur


Privatim einige hohe Würdenträger 

Der Kirche ermahnt“. Erst als er 

Auf das Schreiben an Albrecht 

Keine Antwort bekam, ließ er 


Seine Thesen in gedruckter Form erscheinen, 

Die sich daraufhin in rasender Geschwindigkeit 

Verbreiteten; er hatte den Nerv 

Der Zeit getroffen.


Dabei ist auffallend, dass Luthers Kritik 

Am Ablasshandel allein 

Auf kirchlicher Theologie 

Und Kirchenrecht basierte; 


Seine neuen Erkenntnisse 

Spielten noch keine Rolle, 

Im Gegenteil, er schreibt: 

Die Werke der Gottesfurcht und der Liebe 


Sind unendlich wertvoller 

Als die Ablässe.“ In seinen Thesen aber 

Verhöhnt er den Papst, 

Wenn es in These 82 heißt: 


Warum befreit der Papst nicht aus Liebe 

Alle Seelen aus dem Fegefeuer, 

so er doch des vergänglichen Geldes willen 

viele daraus erlösen kann.“ 


Dem AblaSSprediger Tetzel schrieb er dagegen:

Er solle sich unbekümmert lassen, 

Denn die Sache sei von seinetwegen 

Nicht angefangen, sondern das Kind 


Habe viel einen anderen Vater.“ 

Zuvor hatte er erklärt: „Wo er nur einen

Fürsten wusste, der ihm den Rücken deckte, 

Wollte er dem Papst, den Bischöfen und Pfaffen


Ein rechtes Spiel anrichten.“ 

Es war also alles eine Inszenierung, 

Ein abgekartetes Spiel. 

Es ging ihm nie allein um den Ablasshandel. 


Aber mit dieser berechtigten Kritik 

Konnte er nicht nur seinen Landesherrn, 

Friedrich den Weisen, auf seine Seite bringen, 

Sondern auch einen großen Teil des Volkes. 


Von einem Tag auf den anderen 

War er berühmt – und galt als

Gerechter Kämpfer 

Gegen einen Missbrauch des Ablasses. 


Mehr noch, er gab sich als Volkstribun, 

Schaute dem Volk aufs Maul“ 

Und nutzte geschickt den historisch bedingten

Antirömischen Affekt“, 


Der östlich des Rheins seit den Zeiten 

Hermanns des Cheruskers gepflegt worden war 

Und seit dem Investiturstreit 

Auch einen großen Teil des Adels erfasst hatte. 


Der Mönch wurde zum Demagogen 

Und Erzvater aller Revolutionen nach ihm.

Unablässig hetzte er zum Kriege gegen Rom, 

Gegen den Papst, gegen die Katholiken. 


Dem Kaiser riet er, den Kirchenstaat einzuziehen, 

Den Fürsten und Magistraten, 

Die Kirche ihrer Güter zu berauben, 

Den unzufriedenen Geistlichen, 


Mönchen und Nonnen stellte er 

Den Hochzeitshimmel in Aussicht, 

Allen die evangelische Freiheit.“ 

Für Aufsehen sorgte dabei speziell 


Luthers anmaßende, selbstherrliche 

Und vulgäre Sprache.

Den gelehrten Dominikaner Hostraten, 

Der es wagte, ihn zu kritisieren, 


Bezeichnete Luther 

In seinem Antwortschreiben 

Als „unsinnigen, blutdürstigen Mörder“, 

Die Universitäten von Löwen und Paris, 


Die sich gegen ihn erklärten, 

Als „Tölpelschule, höllische Grundsuppe,

Verdammte Teufelssynagoge, Mutter alles Irrtums, 

Das rechte Hintertor der Hölle“, 


Ihre Professoren als „verfluchte Rangen, 

Grobe Säue, Ketzer und Götzen.“ 

Englands König Heinrich VIII., 

Damals noch rechtgläubig, 


Weil er die sieben Sakramente 

Gegen Luther verteidigte, 

Als „gekrönten Esel, verruchten Schurken, 

Auswurf der Schweine und Esel,


Gotteslästerer, freches Königsmaul, 

tollen Heinrich“ und vieles andere mehr.

Diese Unflätigkeiten ließ Luther drucken; 

Sie führten dazu, dass man sich 


In den Wirts- und Hurenhäusern Deutschlands 

Auf die Schenkel schlug und 

Den „unverschämten Martin“ 

Als „Mann des Volkes“ feierte.


Natürlich blieb des Luthers tolles Treiben 

nicht ohne Folgen. Im Frühjahr 1518 

musste er sich vor dem Kapitel 

seines Ordens verantworten, 


im Sommer wurde der Ketzerprozess 

gegen ihn eingeleitet, im Herbst 

verhörte ihn Kardinal Cajetan in Augsburg. 

Luther, der unter manisch-depressiven 


Stimmungsschwankungen litt, 

bekam es mir der Angst zu tun, 

sah sich bereits auf dem Scheiterhaufen: 

Ach, was für eine Schande 


werde ich meinen lieben Eltern sein. 

Am Ende appellierte er an ein Konzil, 

was er freilich ein Jahr später, 

auf einem Disput in Leipzig, wieder zurücknahm: 


Auch Konzilien können irren! 

Der anwesende Kardinal Cajetan war entsetzt: 

Das bedeutet eine neue Kirche bauen.

Von Reformabsichten war schon jetzt 


nichts mehr zu hören.

Und wie reagierte die Kirche? 

Papst Leo X. bot Luthers Landesherrn 

Friedrich von Sachsen an, einen Kandidaten 


seiner Wahl zum Kardinal zu erheben. 

Das hätte sogar Luther sein können. 

Als Friedrich darauf nicht einging, 

blieb nur noch die Bannandrohungsbulle 


vom Sommer 1520, die Luther 

mit dem endgültigen Bruch 

mit Rom erwiderte. Öffentlich

verbrannte er nicht nur die Bulle, 


sondern gleich alle gottlosen Bücher 

der päpstlichen Gesetzgebung 

und der scholastischen Theologie, 

darunter das gesamte Kirchenrecht 


und die Werke Thomas von Aquins 

sowie jene aller erklärten Luthergegner. 

Dann, nach der Bücherverbrennung, 

verfasste er die Schrift Vom Papsttum zu Rom, 


in der er den Papst zum Antichristen, 

die Kirche zur Teufelshure erklärte. 

In seiner Adelsschrift verhieß

Luther den Landesherren und Adligen, 


die ihm folgten, eine ganz eigene Form 

der evangelischen Freiheit – nämlich 

die Aneignung der Kirchengüter. 

Es war eine bequeme Form, 


sich jeder Gängelei durch geistliche Herren 

zu entledigen, denen er die finanzielle

Ausbeutung Deutschlands unterstellte, 

und das eigene Vermögen beträchtlich zu vergrößern. 


Die Schrift erreichte für damalige Verhältnisse 

exorbitante fünfzehn Auflagen

noch im selben Jahr, allein die Startauflage 

betrug 4000 Exemplare. 


In seiner zweiten Kampfschrift, 

Über das babylonische Gefängnis der Kirche, 

reduzierte er die Siebenzahl der Sakramente 

kurzerhand auf zwei: Nur noch Taufe 


und Abendmahl wurden geduldet, 

die Ehe dagegen sei ein weltlich Ding. 

Am 3. Januar 1521 traf dann die endgültige 

Bannbulle aus Rom ein. 


Die Stimmung zu diesem Zeitpunkt 

schildert der Nuntius Aleander 

in seinem Bericht nach Rom: 

Ganz Deutschland ist in hellem Aufruhr. 


Für neun Zehntel ist das Feldgeschrei Luther, 

für die übrigen, falls ihnen Luther gleichgültig ist, 

wenigstens Tod der Römischen Kurie, 

und jedermann verlangt nach einem Konzil. 


Statt den Ketzer nach Rom zu überstellen, 

entschied Kaiser Karl V., ihn auf dem Reichstag 

zu Worms zu verhören. Wäre damals noch 

eine Reform, eine Einigung mit Rom möglich gewesen? 


Wir wollen die höchste Nachsicht üben 

um unseren Luther zur Einkehr 

in sich selbst zu bewegen, schrieb Leo X. 

In seiner Bannbulle. Doch dazu fehlte Luther 


die Bereitschaft. Der Würfel ist gefallen, 

ich will mich in Ewigkeit nicht mehr versöhnen. 

Das Wort Gottes ist ein Schwert, ist ein Krieg, 

ist Zerstörung, ist Ärgernis, ist Verderben, ist Gift. 


Wenn wir Diebe mit dem Strang, Mörder 

mit dem Schwerte, Ketzer mit dem Feuer bestrafen, 

warum greifen wir nicht vielmehr mit allen Waffen 

diese Kardinäle, diese Päpste 


und das ganze römische Geschwärme an 

und waschen unsere Hände in ihrem Blute?

Er fühlte sich stark, denn er wusste 

seinen Landesherrn, dessen Verbündete, 


aber auch die Bauern vom Bundschuh 

und die Raubritter auf seiner Seite, 

die Luther als Legitimation brauchten, 

um die Kirchengüter an sich zu reißen; 


im Gegenzug waren sie bereit, ihm Schutz

und Geleit zu geben; auch der Kaiser hatte ihm 

ausdrücklich freies Geleit zugesagt. 

Von 100 Rittern begleitet, traf er am 16. April 1521 


in Worms ein, wo ihn 2000 Schaulustige

euphorisch begrüßten – wie damals 

bei Jesu Einzug in Jerusalem, schwärmt 

die protestantische Hagiographie: 


Luther ist der Volksheld der Epoche. 

Jetzt steht ein fundamentaler Wendepunkt 

der Kirchengeschichte bevor, zugleich 

ein Wendepunkt der Weltgeschichte.


Mitnichten, wie Historiker längst einräumen. 

Der heroische Auftritt vor dem Kaiser 

und den Fürsten des Reiches, Luthers 

Hier stehe ich, ich kann nicht anders, 


ein fester Bestandteil lutherischer Ikonografie, 

ist ein weiterer Mythos. Er hat diese Worte 

nie gesagt, wie selbst seine evangelischen 

Hagiographen längst einräumen müssen: 


Ein Irrtum über Luther. 

Den Anwesenden erscheint Luther 

bei seinem Auftritt vor dem Reichstag 

am 17. April eher schüchtern, unsicher, ängstlich. 


Die Situation scheint ihn denn auch 

überfordert zu haben. Auf das Ansinnen, 

er solle seine Schriften widerrufen,

bittet er um Aufschub, den man ihm gewährt. 


Erst am nächsten Tag, nachdem er sich nachts 

noch einmal der Rückendeckung seiner Anhänger 

versicherte, hielt er eine längere Ansprache. 

Den scharfen Ton seiner Streitkräften 


bittet er zu entschuldigen,

berief sich aber auf sein Gewissen 

und die Heilige Schrift 

und schloss mit den Worten: 


Gott helfe mir, Amen. Thomas Münzer 

warf ihm später vor: Er habe es dem deutschen Adel,

dem er das Maul mit Honig bestrichen, 

zu verdanken, dass er zu Worms festgestanden, 


denn der Adel wähnte nicht anders, 

als du würdest mit deinen Predigten 

Geschenke geben - Klöster und Stifte! 

So du zu Worms hättest gewankt, 


wärst du vom Adel eher erstochen worden 

als freigegeben, das weiß doch ein jeder.

Der Kaiser hielt sein Wort; erst im Mai 

wurde über Luther die kaiserliche Acht verhängt. 


Da war er von seinen Anhängern, 

im Rittergewand als „Junker Jörg“, 

längst in Sicherheit gebracht worden: 

auf die Wartburg. Glauben wir 


der protestantischen Lutherlegende,

übersetzte er dort als Erster die Bibel 

in die deutsche Sprache und widerstand 

mutig dem Teufel, den er 


mit einem Tintenfass vertrieb; noch heute 

wird Touristen der regelmäßig erneuerte 

Tintenfleck gezeigt. Tatsächlich durchlebte Luther 

in der Wartburg eine schwere Depression. 


Von schweren Anfechtungen und Verzweiflung 

schreibt er, vom Ringen mit dem Teufel. 

Ein Poltergeist soll ihm 

und einer nächtlichen Besucherin – 


der verheirateten Frau 

des Burgkommandanten von Berlepsch, 

die in Luthers Kammer übernachtete – 

den Schlaf geraubt haben. 


Da hat‘s die ganze Nacht 

ein solch Gerumpel gehabt, 

dass sie meinte, da seien tausend Teufel drin, 

erinnerte sich Luther später. 


Am Ende flüchtete er sich wohl 

vor seinen Depressionen in die Arbeit – 

und machte sich ans Übersetzen. 

Doch das war keineswegs ein Novum. 


Lange vor Luthers Übersetzung 

waren bereits 14 vollständige

hochdeutsche Bibelausgaben erschienen, 

von denen Luther nachweisbar drei 


als Quelle benutzte. Freilich bemühten

sich deren Übersetzer um eine möglichst genaue, 

werkgetreue Übersetzung, während

Luther ziemlich frei übersetzte. 


Das ist die Stärke seiner wortgewaltigen 

und sprachprägenden Übersetzung, 

aber auch ihre große Schwäche. 

So räumen selbst Protestanten ein: 


An hundert Stellen ist der Sinn des Originals 

nicht getroffen, keine andere

sei vom Urtext so sehr abgeirrt, 

sei die ungenaueste aller Übersetzungen, 


über 3000 Stellen bedürfen der Berichtigung. 

Falsch ist die Behauptung protestantischer 

Hagiographen, Luther habe 

statt der lateinischen Vulgata 


die griechischen Urtexte übersetzt; 

tatsächlich ist seine Abhängigkeit 

von der Vulgata offenkundig. 

Zudem übersetzte er auf der Wartburg


lediglich das Neue Testament, 

das Alte Testament folgte anschließend 

als Gemeinschaftswerk eines ganzen 

Wittenberger Übersetzerteams 


unter Leitung des gelehrten Melanchthon. 

Zudem fiel die Reihenfolge der Bücher 

in Luthers Neuem Testament

seiner Theologie zum Opfer: 


Den Jakobusbrief verwarf er 

als eine recht stroherne Epistel

und setzte ihn fast ans Ende, weil der Apostel 

und Herrenbruder nicht lutherisch dachte. 


Bei ihm steht So ist auch der Glaube 

für sich allein tot, wenn er nicht 

Werke vorzuweisen hat. 

Ähnlich ging er mit dem Hebräerbrief um. 


Der Römerbrief des Paulus rückt 

an die erste Stelle der apostolischen Briefe, 

denn Luther führte ihn als Bestätigung 

seiner Lehre an, was ihm jedoch nur 


durch einen Taschenspielertrick gelang. 

Steht im Original „dass der Mensch 

durch den Glauben ohne Gesetzeswerke 

gerechtfertigt wird“, was sich ausdrücklich 


auf die Vorschriften des Judentums bezieht, 

wurde bei Luther daraus, „dass der Mensch 

gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, 

allein durch den Glauben.“ Das Wörtchen


allein“ ist eine rein lutherische Hinzufügung, 

weshalb ihm Kritiker zurecht 

Bibel- und Urkundenfälschung“ vorwarfen. 

Noch ärger war Luthers Verfälschung 


des Lukasevangeliums. Wo der Engel 

Maria als „voll der Gnaden“ begrüßt, 

las man bei Luther bloß „Du Holdselige“, 

so als würde er seine Liebste begrüßen. 


Wo redet der deutsche Mann so: 

Du bist voll Gnaden?

Er muss denken an ein Fass voll Bier 

oder Beutel voll Geldes,


darum hab ich’s verdeutscht, 

begründete er seine eigenmächtige 

Interpretation. Ihm schwebte sogar vor, 

es bei einem banalen 


Gott grüße dich, du liebe Maria

zu belassen. Dabei steht im griechischen 

Originaltext „Chaîre kecharitomene“, 

was wörtlich „Freu Dich, Du Gnadenvolle“ bedeutet. 


Damit ist ihr Wesen ausgesprochen, 

der ihr von Gott gegebene Name. 

Sie ist voll der Gnade, sowohl der geschaffenen 

als auch der ungeschaffenen Gnade,


denn der Herr ist mit dir, und zwar bereits 

vor der Inkarnation. Aber das hätte Luthers 

geistlich-theologischen Horizont gesprengt.

Während sich Luther noch auf der Wartburg 


versteckt hielt, wagten seine Anhänger 

vom Bundschuh den Aufstand. 

Jetzt hatten sie endlich eine Legitimation, 

glaubten, für das Evangelium 


und den rechten Glauben gegen 

eine dekadente, korrupte Kirche, 

ja gegen den Antichristen selbst zu kämpfen. 

Die evangelische Freiheit, 


von der Luther predigte,

erschien ihnen als Verheißung 

auf ein selbstbestimmtes Leben. 

Bestärkt wurden sie durch die Schriften, 


die Luther auf der Wartburg verfasste 

und in der er gegen die Kirche, 

das Mönchtum und die Priester hetzte. 

Auch sie wurden gedruckt 


und wie ein Lauffeuer 

im Reich verbreitet. Darin hieß es etwa: 

Bevor man die Türken vertilgen will, 

sollte man über den Papst herfallen 


und Kardinäle, Erzbischöfe, Bischöfe und Äbte 

im Rhein ertränken. Die Klostergelübde 

seien wider die Gebote Gottes, 

die Möncherei ein Aufruhr gegen Christus,



weshalb alle Klöster vertilgt, abgetan, 

ausgewurzelt werden müssen mit Feuer, 

Schwefel und Pech wie Sodom und Gomorra. 

Die Messen sind bloß auf Fressen und Saufen angelegt.


Ein Messpfaffe verdiene leiblichen Tod 

und Strafe wie ein öffentlicher Schänder 

und Lästerer. Mit Phrasen wie 

Für die Christen gibt es kein Gesetz 


und unter den Christen

soll keine Obrigkeit sein, 

goss Luther in seiner Schrift 

Von weltlicher Obrigkeit ins Feuer 


und wirkte wie ein Anarchist.

Der Bauernkrieg von 1525 forderte 

über 120.000 Todesopfer, 

über 1000 Klöster und Burgen


lagen danach in Schutt und Asche, 

dazu Hunderte von Dörfern. 

Dem Bauernstand war danach für Jahrhunderte 

das Rückgrat gebrochen, Hunderttausende 


fielen in die Leibeigenschaft. 

Daran hatte der Reformator 

keinen unbeträchtlichen Anteil. 

Luther hat ganz Deutschland 


in solche Raserei gestürzt, 

dass man es schon für Ruhe und Sicherheit

nehmen muss, wenn man nicht augenblicklich 

umkommt, schrieb Zasius, ein angesehener


Jurist, der zunächst ein Anhänger 

des Reformators war. Doch statt 

die Verantwortung für die Katastrophe 

zu übernehmen, wechselte dieser mittendrin 


die Fronten. Noch Anfang Mai 1525, 

in seiner Ermahnung für den Frieden, 

hetzte er die Bauern gegen die katholischen Fürsten, 

blinden Bischöfe, tollen Pfaffen und Mönche, 


nur den protestantischen Fürsten

sollten sie gehorchen. 

Doch kaum zeichnete sich die Niederlage 

der Bauern gegen Ende Mai ab, 


genauer gesagt: am 30. Mai 1525, 

veröffentlichte er die Schrift 

Wider die räuberischen und mörderischen Bauern, 

in der er die Fürsten zum Massaker 


an den Bauern aufrief: Die höchste Zeit ist’s, 

dass sie erwürget werden, wie die tollen Hunde. 

Darum soll zuschmeißen, würgen und stechen, 

heimlich und öffentlich, wer da kann, 


und gedenken, dass es nichts giftigeres, 

teuflischeres sein kann, 

denn ein aufrührerischer Mensch, 

daher dreinschlagen, solange 


sich eine Ader regen kann. 

Jetzt ist eine Zeit des Schwertes, 

des Zornes und nicht der Gnade 

und welcher Bauer erschlagen wird, 


der ist mit Leib und Seele verloren 

und ewig des Teufels. 

Ein Fürst kann jetzt mit Blutvergießen 

den Himmel leichter verdienen 


denn andere mit Beten. Darum, liebe Herren, 

steche, schlage und würge sie, wer da kann. 

Bleibst du darüber tot, wohl dir, 

seligeren Tod kannst du nimmer bekommen. 


Später bemühte Luther den Herrgott 

zur Legitimation seines Aufrufs zum Massaker: 

Ich, Martin Luther, habe im Aufruhr 

alle Bauern erschlagen, all ihr Blut 


ist auf meinem Hals; aber ich weise 

auf unseren Herrn und Gott, der hat mir 

das zu reden befohlen. 

Viel wahrscheinlicher ist, dass er die Abkehr 


der ihm wohlgesonnenen Fürsten fürchtete, 

weil er sich zunächst mit den Falschen 

verbündet hatte. Was folgte, 

war eine der verhängnisvollsten Entwicklungen 


der lutherischen Glaubensgemeinschaft, 

die Geburtsstunde ihrer blinden Obrigkeitshörigkeit 

bis hin zum Staatskirchentum 

und preußisch-protestantischen Kadavergehorsam. 


Mit beinahe stupider Beharrlichkeit 

wiederholt Luther wieder und wieder, 

dass man der Obrigkeit Gehorsam schuldig sei – 

in allen Fragen außer in Glaubensdingen; 


gemeint war natürlich die mittelalterliche, 

feudale Ständeordnung. Ausdrücklich

befürwortete Luther die Wiedereinführung 

der Leibeigenschaft, meinte, der gemeine Mann


muss mit Bürden beladen sein, 

sonst wird er zu mutwillig,

und verhöhnte die ohnmächtigen, groben Bauern, 

ja postulierte: Es wäre vonnöten, 


dass ein solch wild ungezogenes Volk, 

als die Deutschen sind, noch weniger Freiheit hätte 

als es hat. Tyrannenmord, wie ihn 

die katholische Kirche mit Berufung 


auf Augustinus legitimiert,

verbot Luther: Es ist besser, 

dass ihnen die Tyrannen hundert Mal 

Unrecht tun, als dass sie den Tyrannen 


einmal Unrecht tun. Demokratie lehnte er ab: 

Der Pöbel hat und weiß kein Maß, 

in einem jeglichen stecken mehr 

als fünf Tyrannen, erklärte Luther. 


So wurden die Protestanten zu den treuesten 

Untertanen deutscher Obrigkeitsstaaten, 

ob im Kaiserreich oder unter Adolf Hitler.

Mit dem Volk hatte Wendehals Luther 


es sich fortan verdorben. Als Doktor Lügner,

Doktor Ludibrii bezeichnete ihn 

der Bauernführer Thomas Münzer. 

Luther musste um sein Leben fürchten 


und wagte es 1530 nicht einmal, 

seinen sterbenden Vater zu besuchen. 

Er selbst bekannte: Das Volk hält uns 

für Aufrührer, erklärt: zur Zeit 


des Papsttums sei es nicht so böse gewesen, 

mit der neuen Lehre sei alles Unglück gekommen. 

Doch er brauchte das Volk nicht mehr, 

seit ihn immer mehr Fürsten unterstützten. 


Aus der Volkskirche sollte 1555 

mit dem Augsburger Religionsfrieden 

eine Obrigkeitskirche werden. 

Cuius regio, eius religio“ lautete fortan das Motto. 


Der Landesherr wählte den für ihn 

günstigeren Glauben aus, das Volk 

hatte ihm zu folgen. Wer sich

Kirchengüter angeeignet hatte, 


musste Luther und seine Lehre pflegen, 

um sie behalten zu können. 

Ohne geschehenen reichen Raub der Kirchengüter 

wäre kein Dorf lutherisch geblieben, 


stellte später der katholische Politiker, 

Priester und Publizist Paul Majunke fest. 

Der protestantische Fürst wurde zum neuen 

Regionalpapst“, aus der evangelischen Freiheit 


eine evangelische Knechtschaft. 

Auch Luther wurde reich entlohnt: 

Sein Landesherr schenkte ihm sein ehemaliges 

Kloster zu Wittenberg mit allen Einkünften 


aus Gärten, Fischweihern und Brauereien. 

Wie ein Fürst residierte er fortan, 

umgeben von einem regelrechten Hofstaat 

von Studenten, Freunden und Trinkgenossen. 


Hatte er schon im Dezember 1524 

seine Augustinerkutte abgelegt, 

war es nun an der Zeit, jener Begierde 

zu frönen, die ihn ein Leben lang verfolgt hatte: 


Der Wollust. Ich brenne durch das große Feuer 

meines ungezähmten Fleisches. Ich sollte brünstig sein 

im Geist und bin doch brünstig im Fleisch, 

hatte er auf der Wartburg 


dem Schlosshauptmann von Berlepsch anvertraut. 

In seiner Schrift gegen das Mönchtum 

wetterte er gegen den Zölibat, 

die Lebensweise des Herrn: 


Das ehelos Leben habe nur 

falsche Heiligkeit genährt.

So wenig ich Berge wegwälzen, 

mit den Vögeln fliegen, neue Sterne schaffen, 


mir die Nase abbeißen kann, so wenig 

kann ich die Unzucht lassen, schrieb er 1520, 

Narren sind’s, die sich mit Beten, Fasten 

und anderen Kasteiungen wider die böse Lust wehren, 


denn diesen Versuchungen ist leicht abzuhelfen, 

wenn nur Männer und Weiber vorhanden sind.

Ohnehin würde eine öffentliche Hure eher errettet 

als ein Heiliger. Was ein Mann ist,


muss ein Weib haben, stellte er in einer Predigt fest. 

Auch ein Weibsbild ist nicht dazu geschaffen, 

Jungfrau zu bleiben, sondern Kinder zu tragen, 

ergänzte er in Von der Freiheit eines Christenmenschen. 


Die Folge war, dass im ganzen Land 

Mönche und Nonnen ihre Gelübde brachen 

und aus den Klöstern ausbrachen. 

Trotzdem waren auch Luthers Anhänger schockiert, 


als er im Juni 1525, also unmittelbar 

nach dem Gemetzel an den Bauern, 

seine Vermählung bekanntgab. Seine Braut 

war eine ehemalige Nonne, die zuvor 


mit elf anderen am Ostersamstag 1523 

aus dem Zisterzienserinnenkloster Marienthron 

entführt worden war; man hatte sie und die anderen 

zu Luther nach Wittenberg gebracht. 


Dort wurden elf der gottgeweihten Jungfrauen 

unter die Haube gebracht. Luther hatte sich 

zunächst in eine von ihnen verliebt, 

die aber nichts von ihm wissen wollte, 


während die 26jährige Katharina von Bora 

dem 41jährigen Avancen machte. 

Man heiratete in einer schlichten Zeremonie, 

die Hochzeitsnacht wurde nach damaliger Sitte 


von Zeugen überwacht, 

was den lutherischen Stadtpfarrer 

Johannes Bugenhagen zu Tränen rührte. 

Später gab Luther freimütig zu: 


Meine Frau habe ich niemals geliebt; 

ich hielt sie für hochmütig (was sie ja auch ist).

Aber er hatte einen guten Rat 

für jeden Ehemann parat: 


Weigert sich dein Weib, 

so halte dich an die Magd. 

Sein engster Mitarbeiter Melanchthon 

schrieb damals an Camerarius: 


Am 13. Juni heiratete Luther unerwartet.

Du wirst erstaunt sein, dass er 

in dieser unheilvollen Zeit nicht mitleidet, 

sondern ein umso lockeres Leben führt 


und seinen Ruf verschlechtert. 

Er ist ein äußerst flatterhafter Mann 

und die entlaufenen Nonnen,

die mit aller List Netze ausstellten, 


haben ihn umgarnt, ich hoffe, 

dass die Ehe ihn anständiger machen wird 

und er von der Unanständigkeit ablassen werde, 

derentwegen wir ihn oft tadeln mussten.


Tatsächlich hat sich Luther 

in den letzten 21 Jahren seines Lebens 

nicht verändert; im Gegenteil – 

was er selbst und seine Zeitgenossen 


uns überliefern, muss ihn als geradezu

verlottert erscheinen lassen. 

Schon in besseren Zeiten hieß es, 

dass sich der Doktor höchstens 


zweimal in der Woche rasierte. 

Als Katharina von Bora das erste Mal 

in sein Haus kam, klagte sie anschließend, 

es stank die Schlafkammer des Herrn Doktor 


wie eine Hundehütte. Das seit einem Jahr 

nicht erneuerte Bettstroh faulte vor sich hin.

Das geistliche Leben war zu diesem Zeitpunkt 

fast erkaltet. Herr Doktor, woher kommt es,


dass wir im Papsttum so warm, eifrig 

und oft gebetet haben, 

während nun unser Gebet ohne alle Wärme ist, 

ja wir selten beten, fragte ihn seine Frau einmal. 


Seine Antwort, während einer der Tischreden: 

Ich, Luther, kann nicht beten, 

ich muß darbey auch fluchen; 

soll ich sagen: geheiliget werde dein Name, 


muß ich darbey sagen: verflucht und verdambt,

verstöhrt müsse werden das Papsttum. 

Auch das Ave Maria veranlaßte ihn 

zu einer Perversion, gezielt auf Papst Paul III.: 


Ave Rabbi, heilige Jungfrau St. Paula, 

Papst voll Ungnaden Gottes, 

der Teufel ist mit dir, 

verflucht seyestu unter allen Menschen, 


verflucht sey die Frucht deines Reichs: 

Kardinäle, Pfaffen, Münch und Nonnen.

Sein Hass auf den Papst hatte sich 

in einen Wahn verwandelt. 


Seine Schrift Wider das Papsttum zu Rom, 

vom Teufel gestiftet 

setzte dem die Krone auf. 

Selbst sein geliebter Kurfürst war empört, 


meinte, Luther habe kein Maß. 

Der aber erwog allen Ernstes die Grabinschrift: 

Pestis eram vivus, moriens ero mors tua, papa.“ 

Als Lebender war ich deine Pest, Papst, 


als Toter werde ich dein Tod sein!“

Selbst in seinem Testament ermahnte er 

seine Anhänger: Eines vergeßt nie: 

den Haß gegen den Papst. 


Dabei hatte der deutschstämmige Papst 

Hadrian VI. bereits 1523 Abbitte geleistet, 

was auch als Versöhnungsangebot 

an Luther gedacht war 


und vom Nuntius in Deutschland 

vor den versammelten Reichsständen 

verlesen wurde: Wir wissen, 

dass auch bei dem Heiligen Stuhl


schon seit Jahren Verabscheuungswürdiges 

vorgekommen ist. Viele Missbräuche 

in geistlichen Dingen, Übertretungen der Gebote, 

das dies alles sich zum Ärgeren verkehrt ist.


Deshalb sollst du in Unserem Namen 

versprechen, dass wir allen Fleiß anwenden wollen,

damit zuerst der römische Hof, von welcher 

vielleicht alle diese Übel ihren Anfang genommen, 


gebessert werde. Sein Nachfolger, Paul III., 

hatte bereits 1537 zu einem Konzil nach Mantua 

und ab 1542 zum Konzil nach Trient geladen, 

das bewusst als Konzilsort nahe der Grenze 


zum Heiligen Römischen Reich gewählt wurde, 

und war damit Luthers ursprünglicher 

Forderung nachgekommen. 

Doch der Reformator hatte nie ernsthaft 


an eine Kirchenreform gedacht; 

er wollte den Umsturz, das Ende 

des Papsttums selbst, und so

antwortete er auf die Konzilsankündigung nur so: 


Man soll den Papst, die Kardinäle 

und alles Gesindel seiner Abgötterei 

und päpstlichen Heiligkeit nehmen und ihnen, 

als Gotteslästerern, die Zungen hinten am Hals 


herausreißen und der Reihe nach 

an den Galgen annageln, danach ließe man sie 

ein Concilium oder wie sie wollen halten 

am Galgen oder in der Hölle unter den Teufeln.


Im Mittelpunkt seines geradezu pathologischen Hasses 

auf die Kirche und den Papst 

stand sein Hass auf das heilige Messopfer, 

das er als „Gräuel“ bezeichnete. 


Wenn es mir gelingt, die Messe abzuschaffen, 

dann glaube ich den Papst gänzlich besiegt zu haben. 

Auf die Messe wie auf einen Felsen 

stützt sich ja das ganze Papsttum 


mit seinen Klöstern, Bistümern,

Kollegien, Altären, Diensten und Lehren.

Fällt der sakrilegische und fluchwürdige

Messgebrauch, dann muss alles stürzen. 


Durch mich hat Christus begonnen, 

den Gräuel, der am heiligen Ort steht, zu enthüllen.

In seinem Hass auf das Messopfer 

kannte er keinen Kompromiss 


und sah darin ein unüberwindbares Hindernis 

für jede Versöhnung mit Rom.

So werde ich mich auch mit Gottes Hülfe 

eher lassen zu Asche machen, 


ehe ich einen Messeknecht mit seinem Werk 

lasse meinem Heilande Jesu Christo gleich 

oder hoher sein. Also sind und bleiben wir 

ewiglich geschieden und widereinander, 


schrieb er in den Schmalkaldischen Artikeln, 

dem großen Glaubensmanifest des Protestantismus 

als Antwort auf die päpstlichen Reformbestrebungen 

und das angekündigte Konzil, 


in dem er konstatierte: Dass die Messe im Papsttum 

der größte und schrecklichste Gräuel sein muss,

vor allen päpstlichen Abgöttereien der höchste, 

ein gefährlich Ding ist, ohne Gottes Willen


erdichtet und erfunden, ja, ein Drachenschwanz, 

der viel Ungeziefer und Geschmeiß

mancherlei Abgötterei gezeugt habe 

und zu dem der Teufel den Papst geritten hat.


Er duldete nur ein Abendmahl, 

das keinen Opfercharakter hatte 

und dessen Zelebrant natürlich

kein geweihter Priester sein durfte. 


Umso absurder die heutige Forderung 

nach einer „Eucharistischen Gastfreundschaft“ 

zwischen Katholiken und Protestanten 

bei so völlig unterschiedlicher, ja unversöhnlicher


Sakramentenlehre. Worin hat dieser 

abgrundtiefe Hass auf das Messopfer 

seinen Ursprung? Wahrscheinlich

erwuchs er aus dem ursprünglichen Gefühl, 


als unwürdig, da ohne Berufung, 

geweihter Priester sündhaft zu handeln. 

So werden seine Schuldgefühle, 

wird seine Psychologie zum Schlüssel 


für seine Theologie, da Psychologen 

bei ihm eine manisch-depressive

Erkrankung diagnostizierten. 

Die depressiven Gefühlszustände Luthers 


wechseln ab mit überfrohem, drogenartigen 

Glücksgefühl, prophetischem Sendungsbewusstsein 

und einem nicht mehr zu übersteigenden Selbstwertgefühl, 

der rein immanente, ichverhaftete


und erfahrungsunabhängige Glaube Luthers 

ist Zeichen einer schweren Krankheit 

und wird tragischerweise zum Ausgangspunkt 

folgenschwerer Irrtümer in Theologie und Philosophie.


Seine Theologie bleibt ohne diese Berücksichtigung 

ein Buch mit vielen Siegeln.

Luthers pathologische Selbstüberschätzung 

lässt sich festmachen an Aussagen wie dieser:


Ich kann Freund und Feind nur sagen: 

Nimm gläubig an, was Christus durch mich 

zu dir spricht; denn ich irre nicht, soviel ich weiß.

Christus redet durch mich. 


Er sah sich selbst in einer Reihe mit den Aposteln, 

wähnte sich einen zweiten Paulus, 

rühmte sich schon 1522, als er an seinen Landesherrn, 

den Kurfürsten von Sachsen, schrieb, 


dass ich das Evangelium nicht von Menschen, 

sondern allein vom Himmel 

durch unsern Herrn Jesum Christum habe, 

dass ich mich denn wohl hätte mögen – 


wie ich denn hinfort tun will – 

einen Knecht und Evangelisten rühmen 

und schreiben. Doch anders als Paulus 

empfing er sein Evangelium 


weder in einer Christusvision 

noch vom Heiligen Geist, er betete im Gegenteil: 

Herr, verschone mich mit Visionen, 

denn ich habe an der Schrift genug. 


Der einzige, mit dem er Umgang pflegte, 

war ausgerechnet der Teufel.

In Luthers Schriften wird der Teufel 

über 9000 Mal zitiert und Luther 


räumt freimütig ein, dass er 

Teufelserscheinungen hatte. 

Der Teufel kann mich so ängstigen, 

dass mir im Schlaf der Schweiß ausbricht. 


Aber ich kümmere mich nicht um Träume 

oder Vorzeichen. Ich wollte auch nicht, 

dass ein Engel zu mir käme. Ich würde ihm 

jetzt doch nicht glauben, gestand er 


in den späten 1520er Jahren. Der Teufel schläft 

viel näher bei mir denn meine Käthe, 

erklärte der Verheiratete später. 

Wir sind des Teufels Gefangene, 


als unseres Fürsten und Gottes, 

dass wir tun müssen, was er will und uns eingibt, 

wird er wörtlich in seinen Tischreden zitiert. 

In seiner Schrift Von der Winkelmesse 


und Pfaffenweihe legt er sogar dar, 

wie der Teufel ihm den Widersinn 

des Messopfers erklärte: Ich bin

einmal zu Mitternacht aufgewacht, 


da fing der Teufel mit mir in meinem Herzen 

eine solche Disputation an 

(wie er mir denn gar manche Nacht bitter 

und sauer genug machen kann).


Dabei konfrontierte der Teufel Luther 

mit seinem eigenen Unglauben: Du weißt, 

dass du nicht recht an Christum geglaubt hast 

und bist des Glaubens halben so gut 


wie ein Türke gewesen… Diesen dunklen Visionen 

versuchte Luther wohl speziell 

durch Alkoholkonsum zu entkommen. 

Offen gab er zu: Ich zeche auch. 


Es soll mir aber nicht jedermann nachtun,

denn es arbeitet auch nicht jeder so hart wie ich. 

Sein Motto lautete: Die Böhmen fressen,

die Wenden stehlen, die Deutschen saufen getrost.


Seiner Käthe schrieb er: Ich fresse wie ein Böhme 

und saufe wie ein Deutscher, das sei Gott gedankt. 

Amen. Dass ich bisweilen einen guten Trunk tue, 

gab er freimütig zu und so empfahl er auch 


in einem Brief: Zuweilen muss man reichlicher trinken, 

spielen, scherzen, ja auch eine Sünde tun 

aus Hass und Verachtung gegen den Teufel, 

wir werden sonst besiegt, wenn wir 


allzu ängstlich Sorge tragen nie zu sündigen. 

Zeitgenossen berichten von wilden Trinkereien 

und Völlereien, die der nicht selten 

volltrunkene Luther freimütig eingestand: 


Wir essen uns zu tot, wir trinken uns zu tot, 

wir schlafen uns zu tot, wir furzen 

und scheißen uns zu tot, 

heißt es in einer seiner Tischreden. 


Noch zwei Tage vor seinem Tod 

nannte er sich einen feisten Doktor.

Die letzten Jahre Luthers freilich 

scheinen auch den Reformator desillusioniert zu haben.


Immer häufiger wurden seine schweren Depressionen, 

immer seltener die euphorischen Momente. 

Er sah sein Werk und es war nicht gut. 

Wo er sola fide gepredigt hatte, 


war das Volk verwildert; er hatte es gelehrt, 

dass man tausend Mal sündigen konnte 

und doch nur durch den Glauben 

in den Himmel käme. 


Luther in einem Brief 

an Fürst Georg von Anhalt:

Aus dieser Lehre wird die Welt 

nur je länger, je ärger. 


Unsere Evangelischen werden

siebenmal ärger denn sie zuvor gewesen: 

denn nachdem wir das Evangelium gelehrt haben,

so stehlen, lügen, trügen, fressen und saufen wir 


und treiben allerlei Laster. 

Wir leben in Sodom und Babylon, 

alles wird täglich schlimmer. 

Wer wollte angefangen haben zu predigen, 


wenn wir zuvor gewusst hätten, 

dass so viel Unglück, Rotterei, Ärgernis, Undank

und Bosheit darauf folgen sollte.

Als seine Käthe einmal vom Himmel schwärmte,


erwiderte Luther melancholisch: 

Aber ich fürchte, nicht für uns. 

Könne man sich nicht vom Abwege umwenden, 

fragte die ehemalige Ordensfrau. 


Es ist zu spät, erwiderte Luther 

mit schwerem Herzen. 

Ich bin schwach, ich kann nicht mehr, 

beendete er seine letzte Vorlesung, 


lieber Vater, spann mich aus, 

ich hab mich in der argen Welt müde gezogen.

Ich bin alt, abgelebt,

träge, müde, kalt und nun gar einäugig, 


vertraute er einem Freund an. 

Dreimal musste er aus Wittenberg fliehen, 

nur weg aus diesem Sodom, wie er schrieb. 

Nur der Wunsch des Kurfürsten hinderte ihn daran, 


diesem Wunsch nachzugeben.

Mit vielen seiner engsten Vertrauten 

und Mitstreiter hatte er sich zerstritten. 

Sie litten unter seiner notorischen Rechthaberei, 


seiner Verbissenheit, seiner Radikalität 

und seiner Neigung zu Wutausbrüchen 

und sogar körperlicher Gewalt, 

über die auch Melanchthon klagte. 


Der schmächtige, hochgebildete 

und blitzgescheite Kraichgauer war praktisch 

die Gegenthese zu dem lauten, bulligen, 

trotzigen Reformator und hatte schon 


bei den Schmalkaldischen Artikeln 

Bedenken angemeldet: Um des Friedens 

und gemeinsamer Einheit willen 

wäre er sogar bereit gewesen, 


die Superiorität (des Papstes) über die Bischöfe, 

also das Petrusamt, anzukennen, 

wie er neben seiner Unterschrift anmerkte. 

Luther muss das wie ein Verrat erschienen sein.


Immer extremer wurden seine Hasstiraden. 

Schon 1526 hatte er gegen Frauen gewettert,

die der Volksglauben für Hexen hielt, 

und gefordert: Die Zauberinnen sollen getötet werden,


weil sie Diebe sind, Ehebrecher, Räuber, Mörder. 

Sie schaden mannigfaltig. 

Also sollen sie getötet werden, 

nicht allein weil sie schaden, sondern auch, 


weil sie Umgang mit dem Satan haben.

Infolgedessen wurden seit dem 16. Jahrhundert 

in den protestantischen Teilen Deutschlands 

mehr Frauen auf die Scheiterhaufen gestellt 


als in der gesamten katholischen Welt. 

Auch für den Lebensschutz disqualifizierte sich Luther, 

als er allen Ernstes in seinen Tischreden forderte, 

sogenannte Wechselbälger – behinderte Kinder, 


die man für Teufelsgeschöpfe hielt – 

zu ersäufen, denn sie seien bloß 

ein seelenloses Stück Fleisch. 

Am übelsten aber hetzte er gegen die Juden, 


die er zu Anfang seines Wirkens

noch zum Protestantismus bekehren wollte. 

In seiner verhängnisvollsten Schrift, 

Von den Juden und ihren Lügen, 


schrieb er wörtlich: Pfui euch hier, pfui euch dort, 

und wo ihr seid, ihr verdammten Juden! 

Wenn du einen Juden siehst, magst du 

mit gutem Gewissen ein Kreuz vor dich schlagen 


und frei sicher sprechen: Da geht 

ein leibhaftiger Teufel! 

Darum wisse, dass du nächst dem Teufel 

keinen bitteren, giftigeren Feind hast 


als einen rechten Juden. Sie glauben 

närrische Lügen und statt in das schöne 

Angesicht des göttlichen Wortes,

gucken sie dem Teufel ins schwarze, 


finstere Hinterlügenloch 

und müssen seinen Stank anbeten. 

Sie sind giftige, hämische Schlangen, 

Meuchelmörder und Teufelskinder. 


Mein treuer Rat ist, wie droben gesagt, ernstlich: 

dass man ihre Synagogen mit Feuer verbrenne

und, wer kann, Schwefel und Pech hinzufüge; 

wer auch höllisch Feuer zuwerfen könnte,


wäre auch gut. Darum soll der Juden Maul 

nicht wert gehalten werden, 

sondern mit Saudreck soll man auf sie werfen. 

Verbrenne ihre Synagogen und gehe mit ihnen 


nach aller Unbarmherzigkeit um. 

Will das nichts helfen, so müssen wir sie 

wie die tollen Hunde hinausjagen. 

Wenn mir Gott keinen anderen Messias geben wollte, 


als wie die Juden begehren, 

so wollte ich lieber eine Sau 

als ein Mensch sein. 

Die Schrift diente vier Jahrhunderte später 


den Nazis als Steilvorlage 

für ihren Antisemitismus.

Vor allem aber spiegelt das Buch wieder, 

in welch desolater seelischer Verfassung 


sich Luther in seinen letzten Jahren 

befunden haben muss. Bei allen lichten Momenten, 

bei den noch so klugen Abhandlungen 

und anrührenden Kirchenliedern, die er uns schenkte; 


sie dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, 

dass der Reformator sich zeitweise 

auch als Hassprediger betätigte. 

Eines seiner letzten Pamphlete, 


Vom Schem Hamphoras und vom Geschlecht Christi, 

setzte die Juden gar mit dem Teufel gleich 

(„Es sind junge Teufel, zur Hölle verdammt). 

Dabei ist Luthers vor Geifer triefende, 


obszöne Sprache kaum mehr zu überbieten.

Wieder plagten ihn Teufelserscheinungen, 

belehrte ihn der Leibhaftige: 

Du bist ein Ketzer und des Teufels Apostel, 


während er nach Eisleben reiste, 

um einen Streit in der Mansfelder

Grafenfamilie zu schlichten. 

Wenn ich wieder von Eisleben komme, 


dann will ich mich in einen Sarg legen 

und den Würmern einen feisten Doktor 

zum Schmause geben, 

ich bin der Welt müde, schrieb er nach Wittenberg. 


Und gestand: „Ich werde nicht lange mehr leben. 

Wenn mich der Papst oder meine Widersacher 

in ihre Hände bekämen 

und mir schon vieles Leides antun wollten, 


so bin ich zu schwach; ich stürbe bald 

in ihren Händen. Das ist die Angst, die ihn quälte. 

Und wieder ging es ihm um die Juden. 

Nur drei Tage vor seinem Tod forderte Luther 


bei einer Predigt in Eisleben 

die Vertreibung des Auserwählten Volkes. 

Nach seiner Rückkehr wolle er sich ganz 

dieser Aufgabe widmen. 


Über Luthers Tod gibt es 

die unterschiedlichsten Darstellungen. 

Völlig unhaltbar ist die von

protestantischen Hagiographen 


verbreitete Behauptung, er sei langsam 

und friedlich im Kreis seiner Freunde entschlafen 

und habe noch eine letzte, 

erbauliche Predigt gehalten. 


Es ist nur eine von vier unterschiedlichen

Versionen seiner letzten Worte, 

die einander ausschließen und schon daher 

der Apologetik zuzurechnen sind. 


Ihm sollte ein seliger Tod angedichtet werden, 

als Beweis für die letztgültige Verlässlichkeit 

des neuen evangelischen Glaubens. 

Ein Theologe ist sicher, dass eine Angina Pectoris 


die Todesursache des 62jährigen war, 

während andere einen Schlaganfall vermuten. 

Mir aber wird bange wie nie zuvor in der Brust, 

eine Compression des Herzens 


und gleichsam Erstickungsnot, soll Luther 

am Nachmittag zuvor geklagt haben. 

Michael Coelius, der Wittenbergische Stadtpfarrer, 


sah sich jedenfalls bereits bei Luthers

Bestattung genötigt, auf die längst kursierenden 

Gerüchte über die Umstände seines Todes

einzugehen. Schon fänden sich, so Coelius, 


bereitan leute, die durch den bösen geist

getrieben ausbringen sollen 

als hab man ihn im Bette tod gefunden. 

Dabei sei er keineswegs plötzlich verstorben, 


sondern ein ganzes jar hat er immer gestorben, 

das ist mit gedanken vom tod umgangen…

Schließlich verfassten Luthers Anhänger 

einen offiziellen Bericht, der von allen Kanzeln 


protestantischer Kirchen verlesen werden sollte, 

um die vielen anderslautenden Gerüchte 

im Keim zu ersticken. 

Das gelang jedoch nicht; 


seit 1548 wurden diverse echte 

oder vermeintliche Zeugenberichte

auch von gelehrten Autoren zitiert. 

Der erste, den der Humanist Johannes Cochläus


publizierte, soll von einem gewissen Mansfelder 

Bürger stammen. Danach habe Luther 

am Abend des 17. Februars noch ausgiebig getafelt 

und dabei, wie üblich, bis zu sechs Liter


süßen Weines getrunken. Anschließend 

habe man ihn, weil er sich nicht gut fühlte, 

auf sein Zimmer gebracht. Gegen Mitternacht 

seien zunächst zwei Ärzte 


und später auch der lokale Apotheker 

gerufen worden, die sich vergeblich 

um die Wiederbelebung des offenbar 

gerade Verstorbenen bemühten. 


Krampfartige Verzerrungen des Gesichtes 

hätten auf einen Schlaganfall hingedeutet, 

auch ein Erstickungskatarrh wurde vermutet. 

Auf dem Transport nach Wittenberg 


habe die aufgeblähte Leiche 

üble Ausdünstungen abgesondert. 

Diese Version klingt plausibel, 

hat aber das Manko, dass weder die Quelle 


noch die vermeintlichen Zeugen 

namentlich überliefert sind. Anders ist es 

bei einer dritten Version, die wir 1592 

in dem Werk „De signis Ecclesiae“ 


des Oratorianerpaters Thomas Bosius finden.

Ihre Quelle ist ein direkter Augenzeuge – 

kein geringerer als Ambrosius Ruthfeld, 

der Erzieher von Luthers Kindern, 


der ihn nachweisbar auf dieser letzten Reise begleitete, 

später aber zum katholischen Glauben zurückkehrte 

und Zeugnis ablegte. Ruthfeld behauptete laut Bosius, 

Luther habe sich in der fraglichen Nacht 


das Leben genommen. 

Neben seinem Bette hängend und elend erwürgt 

habe man ihn in den frühen Morgenstunden 

aufgefunden und daraufhin beschlossen, 


unter den Leuten auszubreiten,

mein Herr Martin sei eines plötzlichen Todes gestorben.

Es ist heute unmöglich, die Frage 

nach Luthers Todesursache endgültig zu klären. 


Gut möglich, dass es doch ein Schlaganfall war, 

den Ruthfeld lediglich falsch interpretierte,

denkbar aber auch, dass man einen solchen vorgab, 

um vom tragischen Selbstmord 


des Manisch-Depressiven abzulenken.

Was aber bleibt ist ein düsteres Bild.

Vielleicht wäre die evangelische Kirche 

in Deutschland gut beraten, 


wenn sie die von ihr propagierte 

Entmythologisierung der Evangelien 

zunächst einmal durch eine

Entmythologisierung ihres Lutherbildes 


ersetzen würde. Vielleicht wäre gerade das 

der sinnvollste Beitrag zur Ökumene. 

Denn da Gott auch auf ungeraden Linien 

gerade schreibt, hat die tragische Gestalt 


des Dr. Martin Luther ganz sicher ihren Sinn 

und Zweck in der göttlichen Vorsehung. 

Ohne ihn hätte es nie ein Konzil von Trient gegeben, 

das zu einer wirklich segensreichen Reform 


der Kirche geführt hat, ohne ihn wäre 

die Kirchenmusik in Deutschland 

nicht zu so großen Ehren gekommen, 

Dank ihm wurde der Blick der Christenheit 


verstärkt auf das Evangelium, 

auf die heilige Schrift gelenkt. 

Macht das alles Luther zum Lehrer des Glaubens? 

Bestimmt nicht. Aber zu einem Suchenden 


und Irrenden, der am Ende bewies, 

dass keine Macht der Welt den Felsen Petri, 

das Papsttum, überwinden kann. 

Mit Luther begann nicht, wie er es sich erhoffte, 


das Ende des Papsttums, nein, 

mit ihm begann sein eigentlicher Aufstieg, 

seine Reinigung und Heiligung. 

Und so hatte Luther, der so gerne Jurist werden wollte, 


doch eine Aufgabe im Göttlichen Plan. 

Er war der wahre Advocatus diaboli, 

der durch den Irrweg seiner Lehre 

die Kirche zu einer Abwehrreaktion trieb, 


die sich am Ende als notwendige Kurskorrektur 

auf dem Weg zu ihrer Heiligung erwies.

Möge das Luther-Jubiläum 

zu einer kritischen Auseinandersetzung 


mit dem gescheiterten Reformator 

und seiner Lehre führen. Denn ist Luther 

einmal überwunden, steht auch 

den Protestanten der Weg in die Einheit offen.