von Torsten Schwanke
Soll ich nun reden von diesem geheimnisvollen Geschehen?
Darf ich schreiben von Dingen, die nie ein Mund noch verraten?
Soll ich das Unaussprechliche künden mit menschlicher Stimme?
Wer ist Attis, der Gallus? Wer ist die göttliche Mutter?
Welch ein Brauch ist ihr Ritus? Und was ist das heil'ge Entsühnen?
Warum ward es zuerst den Römern von alters gegeben?
Phrygisch war es von Herkunft, von Griechen sodann übernommen,
nicht von jeglichen Griechen, nein, von Athenern, die einstens
schwer sich versündigt am Heiligen, irrend in frevelnder Ahnung.
Denn man erzählt, sie hätten den Gallus verspottet, verjagt ihn,
weil er den neuen Kult mit Inbrunst den Menschen verkündet.
Nicht erkannten sie, welche Göttin er pries mit Eifer und Demut,
Deo war es, die sie anbeten, und Rhea, Demeter,
jene Herrinnen heiligen Seins und der mächtigen Kräfte.
Da ward Zorn der Göttin entfacht, und Buße folgte dem Zorne.
Denn die Priesterin, die des pythischen Gottes Weissagung deute,
gab den Griechen Gebot, den Zorn der Mutter zu ehren.
Also ward Metroum errichtet, zur Stätte heiliger Schriften,
wo die Athener bewahrten das Wort und Gesetz ihrer Ahnen.
Dann ergriffen die Römer den Kult nach griechischer Weise,
denn das delphische Orakel befahl, die Göttin zu holen
aus dem phrygischen Land, als Helferin wider die Feinde,
wider Karthagos Macht, die römisches Blut einst begehrte.
So entsandten sie Boten hinfort zu den Herrschern von Pergam,
dass sie die heilige Statue empfingen, das Bildnis der Göttin,
das von Phrygern verehrt als heiligstes Kleinod bewahret.
Als sie das Heiligtum fingen und bargen in ehrenden Händen,
legten sie es an Bord des breiten, mächtigen Schiffes,
das auf des Meeres Rücken die Wellen sicher zerteilte.
Über die Ägäis fuhr es, durch Ionische Fluten,
um Sizilien schiffend, bis an etruskische Strände,
endlich des Tibers Mündung berührend mit göttlicher Fracht.
Da erhob sich das Volk mit Senat, aus der Stadt sich ergießend,
strömten Priester herbei, in ehrwürdigen Gewändern,
um die Ankunft zu feiern der göttlichen, heiligen Mutter.
Doch ein Wunder geschah: Als wäre es nicht ein Bild nur,
sondern von göttlichem Leben erfüllt, mit Willen und Wesen,
stand das Schiff in der Strömung, bewegungslos mitten im Flusse.
Ziehen wollten sie's vorwärts, doch ließ es nicht locker vom Wasser,
drängen mochten sie's weiter, doch ward es nimmer gehoben.
Jede erdenkliche Kunst ward erprobt – doch nichts mocht’ es rühren.
Da erhob sich Verdacht auf Claudia, jene, die rein war,
priesterlicher Geburt, doch schwer ward sie klagend beschimpft nun...
Denn das war der Name des edlen Mädchens, das leider
Nicht unberührt und rein für die Göttin bewahret geblieben.
Deshalb sagten sie alle, die Göttin sei zornig geworden,
Habe in Wut ihr Urteil gesprochen und Zeichen gegeben.
Denn bis dahin erschien das Wunder den Menschen als göttlich.
Jetzt erst füllte sie Scham bei dem bloßen Gedanken an Übles,
So weit war sie entfernt von jeglicher schamlosen Sünde.
Doch als sie sah, wie die Anklage stärker und lauter
Wuchs und die Menge begann, an das Schlechte zu glauben,
Löste sie mutig den Gürtel und band ihn fest an den Schiffsbug,
Trat dann zur Seite und rief mit erhabener Stimme:
„Göttliche Mutter, wenn ich dir rein bin, folge mir weiter!“
Kaum war das Wort ihr entfahren, da setzte das Schiff sich in Bewegung,
Nicht nur schwamm es dahin, sondern zog sich mit eigener Kraft fort.
Zwei Dinge, so scheint es, hat an jenem Tage die Göttin
Roms Volk gezeigt: dass die Gabe aus Phrygiens Land ungeheuren
Wert wohl besaß, nicht geschaffen von sterblichen Händen,
Sondern ein göttliches Werk, beseelt von himmlischer Machtkraft.
Dieses, so sage ich, lehrte die Göttin die römischen Männer.
Doch auch dies: dass im Volke kein Guter noch Schlechter verborgen
Bleiben kann, denn ihr Blick erkennt alle, die treuen wie schlechten.
Doch nun weiter: Der Krieg, den Römer führten mit Karthago,
Wendete günstig sich bald, und so im dritten Gefecht dann
Standen nur noch die Mauern der Stadt im brennenden Kampfe.
Diese Geschichte erzähl ich, auch wenn manche sie lächer-
lich und unwürdig erachten für einen Weisen und Denker.
Doch sei's drum, denn da sie in Büchern der Alten geschrieben
Und in Rom auf Erz von den Göttern bewahrt ward, so bleibe
Auch mir nichts als sie niederzulegen in treuem Berichte.
Wohl mir ist’s, dass manch einer klüger sich dünkt und darüber
Lächelt mit spöttischem Sinn, sie ein Märchen der Greise zu nennen.
Doch mir gilt mehr der Glaube der Städte als all die Verstandheit
Dessen, der scharf doch nur sieht, was nie von Nutzen ihm wäre.
Oftmals ward mir gesagt, dass Porphyrios über das Thema,
Das ich gezwungen zu nennen in heiliger Zeit dieser Weihen,
Schrieb eine philosophische Schrift – doch las ich sie nimmer,
Weiß darum nicht, ob sie sich mit meinen Gedanken vertrüge.
Doch wer er auch sei, ob Gallus, ob Attis, ich weiß wohl,
Dass er die schöpferische Natur als Geist in sich trage,
Der aus Höhen die Formen hinab in die Materie leitet.
Denn wahrlich, die Formen der Dinge sind nicht in den Dingen,
Doch in den höchsten Ursachen findet sich nicht die geringste,
Und was da fehlt, das bindet sich an den Geist, um zu werden.
Viele sind Götter des Seins, doch einer, der dritte der Schöpfer,
Hält in sich selbst die getrennten Ideen der Dinge gefangen,
Die sich in Materie kleiden und durch die Kette der Ursachen
Tief sich erstrecken bis hin zu der Welt, die sterblich uns scheinet.
Er ist es, Attis genannt, den suchend wir preisen.
Doch lasst mich deutlich noch trennen, was ich in Worten verberge.
Seiend ist die Materie, seiend sind auch ihre Gestalten,
Doch wenn nichts Höheres wäre, sie ewig zusammen zu führen,
Dann wäre nichts als Zufall und blinde Bewegung geblieben.
„Aber“, so ruft ein Schüler des Aristoteles klug aus,
„Sieh, es gibt eine Ursache doch, die zyklische Wesenheit!“
Ach, wie irrt Aristoteles hier, und Theophrast mit ihm taumelt,
Denn als er ahnte den Geist, der über dem Stoffe sich regt,
Blieb er zu kurz in Gedanken und fragte nicht weiter nach Urgrund.
Wohl mag einer ergründen, wie sich die zyklische Wesenheit
Unkörperlich trägt die Ursachen der stofflichen Formen.
Sieht man nicht überall Dinge aus festen Gesetzen geboren?
Was ist maskulin, was feminin, wenn nicht ein Prinzip schon
Vorher bestand und die Ordnung dem Wandel der Form schon verlieh?
Lasst uns mit reinem Blick und erhobener Seele erkennen,
Wie der Geist ein Bildnis des Schöpfers in sich bewahret
Und wie die Formen, die sichtbar, zuerst im Unsichtbaren wohnen.
Denn kein Ding in der Welt kann sich denken, das nicht als Idee
Vorher geformt im Geiste der ewigen Ordnung bestünde.
Tatsächlich ist es genau aus diesem Grunde, dass Aristoteles
Selber es nannte, ein Zeichen, das diesen erhabenen,
Edlen, gedankenvollen Gott Attis dem Sonnengott ähne,
Welcher der Seele den „Ort der Formen“ gewiesen. Jedoch sprach
Jener, dass dort die Formen nicht wirklich, nur potenziell sei’n.
Denn eine Seele, die eng mit der wandelnden Materie nah steht,
Kann nicht anders, als Formen in bloßer Möglichkeit halten.
Jene hingegen, die frei und getrennt von der Stoffwelt bestehn muss,
Muss in sich tragend enthalten die Konzepte in Wirklichkeit, nicht bloß
In der Möglichkeit. Lasst uns dies nun erklären, indem wir
Platon befragen und jenes Beispiel aus dem Sophistes
Nehmen, das er, wenn auch anders gemeint, doch gebrauchte,
Denn die Behauptung bedarf keiner Beweise durch Schlüsse,
Sondern allein durch Ehrfurcht und schauendes Denken verstanden.
Denn es betrifft die Ursachen, die ersten, und jene, die folgen,
Jene, die nah dem ersten Prinzip stehn, wenn wahrlich wir Attis
Auch als Gott anerkennen. Doch wie nun steht die Beweisform?
Platon erzählt: Wenn einer als Künstler bestrebt ist, mit Treue
Alles genau zu kopieren, was einstens als Urbild bestand hat,
Wird es beschwerlich und kaum zu vollenden, der Mühe nur würdig.
Doch wenn er lediglich scheinhaft die Dinge im Spiegel uns zeige,
Dann ist es leicht und gefällig und angenehm anzusehen.
Denn hebt einer den Spiegel empor und dreht ihn behende,
Finden sich alle Gestalten darauf in Reflexion wieder.
Nehmen wir dies als das Gleichnis für das, was Aristoteles
Selber den „Ort der Formen“ als Möglichkeit bloßlich benannte.
Formen jedoch, so sicher sie sind, sie bestehen im ersten,
Ehe sie jemals als Möglichkeit ruh’n in der Seele.
Wo denn also, wenn wirklich die Seele, wie Aristoteles glaubte,
Formen als Möglichkeit trägt, wo also sind sie als erstes?
Sind sie in stofflichen Dingen? Nein, denn die Formen in ihnen
Sind nur die niedrigsten, letzten und wandelnden Schatten der Wahrheit.
Bleibt uns nur, nach den wahren, immateriellen Ursachen
Höherer Ordnung zu suchen, die jenseits der Stoffwelt bestehen.
Seelen sind ihnen verbunden, in ihnen verwurzelt und stammen
Daher, dass sie die Begriffe der Formen von jenen empfangen,
Wie auch Spiegel das Bild von den Dingen im Außen empfangen.
Dann aber gießt die Natur in die Stoffwelt hinein diese Formen,
Formt aus dem Geistigen Leib und aus Geist Materie werden.
Wissen wir doch, dass Natur der Erzeuger der Körper der Welt ist,
Weltumspannend in allem, was lebt und beständig sich wandelt.
Doch ist Natur ohne Bild und Gedanken, die Seele hingegen
Trägt das lebendige Bild und erkennt in sich selbst ihre Ordnung.
Wenn nun die Form in der Seele als reinere Wahrheit besteht schon,
Warum sollten wir nicht die Natur ihr untergeordnet denken?
Seele erkennt die Form in sich selbst, als geistiges Urbild,
Deutet das Wesen der Dinge und fasst es im wahren Begriffnis.
Wer nun verweigert, dass Formen in Stoff sich gestalten und wirken,
Doch anerkennt, dass Natur sie als Möglichkeit trotzdem enthalte,
Warum verweigert er dann, dass die Seele dies höher besitze?
Denn wenn die Form in der Seele wie auch in Natur nur als Keim ruht,
Aber nicht wirklich besteht in der Tat, wo gründen wir Ordnung?
Wo denn hängt sich die ewige Kette der Schöpfung und Zeiten?
Wie soll das Weltall bestehen, wenn nichts sich in Wahrheit begründet?
Denn Substanz ist geformt und zugleich mit der Stoffwelt verwoben,
Niemals getrennt in der Wirklichkeit selbst, doch für unser Erkennen
Müssen die Formen vorangehen, ranghöher, wesenhafter.
Also ward eine Ursache jenen Gestalten gegeben,
Welche die Form aus dem Ursprunge schöpft und der Welt sie verleihet.
Diese führt uns hinab zu dem dritten, dem schaffenden Urgrund,
Der nicht nur Herr der sichtbaren Form, sondern selber des Äthers
Fünfter Substanz der Gebieter und Vater des geistigen Wesens.
Von diesem scheiden wir Attis, der sich in die Stoffwelt herabsenkt,
Glaube verkündet ihn göttlich als Schöpfer der zeugenden Mächte.
Mythen erzählen, dass er als Kind an den Ufern des Stromes
Gallus geboren und nahe dem rauschenden Wasser erzogen,
Aufwuchs wie eine Blume, genährt von der Mutter der Götter.
Diese vertraute ihm alles und setzte die Sternenkrone
Glänzend ihm auf sein Haupt, dass er leuchte in himmlischem Glanze.
Denn wenn der Himmel als Krone des Attis das Haupt ihm umschließt,
Muss dann nicht Gallus der Strom als die Milchstraße gedeutet?
Denn es wird gesagt, die Substanz, die stets der Verwandlung
Unterworfen, verbinde sich tief mit der kreisenden Sphäre.
Nur so weit, wie die Mutter der Götter den herrlichen Attis,
Jenen gerechten Gott, der den strahlenden Sonnenlicht gleichkommt,
Tanzen und springen lässt in heiliger freudiger Feier.
Doch als er weiterging und zur untersten Region hinabstieg,
Lehrt uns der Mythos: Er kam in die Höhle, vermählte die Nymphe.
Diese jedoch ist nicht Materie selbst, sondern das Feuchte,
Welches der Urstoff ist, der vor aller Materie herrschet.
Heraklit selber spricht: "Es ist Tod für die Seele, zu nässen."
So wird gesagt, dass Gallus, der Gott von gedanklicher Klarheit,
Zwischen der Form, die in stofflicher Hülle gefangen,
Und der Ursache steht, die sich oberhalb dessen befindet,
Nicht als ein Mann, der ein Weib sich nimmt, sondern als Wesen,
Welches sich selber vereint mit der ordnenden Kraft des Kosmos.
Wer ist dann jene Mutter der Götter? Sie ist die Quelle
Aller erschaffenden Götter, die sichtbar das Dasein begleiten.
Sie ist die Mutter und Gattin zugleich des gewaltigen Zeus auch,
Neben dem Schöpfer erhob sie sich, ewig erhaben,
Hält in den Händen das Leben und jede erzeugende Ursache.
Leicht bringt alles sie zur Vollendung, was je ward geboren,
Ohne die Schmerzen der Müh und allein durch die Macht ihres Willens.
Rein und jungfräulich thront sie an Zeusens erhabener Seite,
Wahrlich die Mutter der Götter, die Quelle der schaffenden Götter.
Jene, die Vorbedacht heißt, ist entzückt von dem leuchtenden Attis,
Nicht nur die Formen, die stofflich erscheinen, verehren sie willig,
Sondern auch deren Ursachen streben nach ihrem Gebote.
So wird gesagt, dass die Vorsehung selber, die alles bewahret,
Sich mit der Ursache eint, die zur Schöpfung der Dinge berufen.
Und sie begehrte, dass diese sich kehre zur intellekten Welt hin,
Nicht sich verirre in niederer Strebung, in flüchtiger Bindung.
Denn nur so bleibt die Ursach' erhalten, die alles erschaffet,
Und nicht versinkt in das Chaos, das unter der Materie lieget.
Attis, der mächtige Schöpfer, erkannte, dass stets die Erhebung
Höhere Kraft gebiert als das Sinken in niedere Formen.
Denn die Substanz, die im Himmel verbunden mit Göttern,
Bleibt mehr göttlich als jene, die irdischer Finsternis huldigt.
Nicht jedoch meinen wir, dass die reine Seele erliegen
Könnte dem Stoffe, wie Herakles, als er entsandt ward
Hin zur Erde, doch später zur Einheit des Vaters erhoben.
So zeigt der Mythos: Wer aufwärts strebt, gewinnt an der Stärke,
Doch wer hinunter sinkt, verliert an der heiligen Klarheit.
So sprach die Mutter der Götter zu Attis: "Bleibe mir eigen,
Folge nicht niedriger Lust und verlasse mich niemals, o Jüngling!"
Doch er verhörte ihr Wort, stieg tiefer hinunter zur Schwelle,
Ging an die Grenze des Stoffes und dämmerte fast in das Dunkel.
Doch als sein Lauf unaufhaltsam ward und nicht mehr gehemmet,
Kam der gewaltige Helios selbst und mahnte zur Einkehr,
Teilend den Thron mit der Mutter, erschuf er mit ihr alle Dinge.
Nichts kann geschehen, das nicht durch die weise Vorsehung lenket.
Und er gebot dem Löwen, die Wahrheit der Dinge zu künden.
Wer aber ist dieser Löwe? Es heißt, er brenne in Flammen.
Er ist die Kraft, die dem Feurigen Wesen und Ursprung verleihert,
Eifersüchtig auf Attis, der in die Nymphe gesunken.
Jene, die ich euch nannte, als Feuchte der Wesen verstanden.
So spricht der Mythos, der Löwe gehorcht der göttlichen Vorsehung,
Dient der erhabenen Mutter, die stets die Geschicke bewahret.
So wird gesagt, dass die Wahrheit zuletzt die Enthüllung gebäret,
Und durch die Macht der Erkenntnis ward Attis zur Ordnung gezwungen.
Was ist die Kastration des Jünglings? Es ist die Bezähmung
Jener unendlichen Flucht, die ins Formlose stets sich verlieren.
Denn nun war Schranke gesetzt und die ungebundene Wilde
Form ward durch das walten der schöpferischen Vorsicht gefesselt.
Ohne den Wahnsinn des Attis, der tiefer und tiefer gesunken,
Wäre die Grenze nicht dort, wo sie nunmehr zum Ende gekommen.
So ward es mächtig bezeugt, dass das Höhere stets uns erhebet
Und nicht das Niedere, das sich in wankender Schwachheit verliert.
Um die fünfte Substanz zu schauen, die nimmer sich wandelt,
Jenseits leuchtet ihr Reich, im Bereich des silbernen Mondes,
Wo die sterbliche Welt, die gebieret und wieder vergehet,
An die göttliche grenzt, die ewig bleibt in dem Wandel.
Sieh, in jenem Gefild, wo ihr Licht die Lüfte durchstrahlet,
Gibt es Wandlung und Kraft, die von äußeren Mächten ergriffen.
Also mag es nicht falsch sein, zu meinen, dass Attis ein Halbgott,
Ja, für alles ein Gott ist, entsprungen dem dritten der Schöpfer.
Denn nach seiner Entmannung, als Opfer der Mutter der Götter,
Kehrt er aufwärts zurück, dorthin, wo sein Ursprung gewesen.
Ob er neiget zur Erde, von Stoffen des Wandels umfangen,
Bleibt er dennoch der Führer von allen göttlichen Stämmen.
Halbgott nennt ihn der Mythos, um Unterschied zu verkünden,
Zwischen ihm und den Ewigen, denen kein Wechsel befohlen.
Drei Corybanten erscheinen, von göttlicher Mutter gesandt ihm,
Höhere Wesen sie sind, die nächst den Himmlischen stehen.
Attis herrschet auch über die Löwen, das feurige Wesen,
Jene, die aus dem Feuer die Hitze als Kraft sich erwählten.
Sie erregen das All und bewahren den wandelnden Kosmos,
Sind die treibende Glut, die allem Werden gebietet.
Attis schlingt eine Krone von Himmelslauf um sein Antlitz,
Doch vom Lichte der Höh’ stürzt nieder sein Leib in die Erde.
Also klagt ihn der Mythos, sein Fliehen, Verhüllen, Versinken,
Als er stieg in die Höhle, verborgen dem Auge der Sterblichen.
Denn zur Zeit, wenn das Jahr sich neigt zur Gleichung des Tages,
Wird gefällt ein geheiligter Baum, da die Sonne sich wendet.
Trommeln dröhnen darauf, und dann am dritten der Tage
Wird dem Götter-Gallus sein heiliges Glied abgehauen.
Nach der Tat folgt das Fest, die heilige Hilaria feiert,
Doch das blutige Werk, es endet den endlosen Kreislauf.
Wenn die Bahn des Helios klar an den Grenzen sich scheidet,
Dann erweist sich das Recht, denn Unrecht kennt keine Begrenzung.
Damals fällt jener Baum, und es folgen geheime Mysterien,
Manches heilig bewahrt, doch anderes offen verkündet.
Denn das Schneiden des Stamms ist Zeichen des sterblichen Lebens,
Dass der Tugend gereift als Opfer der Götter gereichet.
Und der Baum, er erwächst aus der Erde, doch strebet nach oben,
Schattenspendend und schön, mit Früchten gesegnet von Leben.
Also ruft uns das Opfer, die niedergestiegen vom Himmel,
Daß wir sammeln die Frucht, die Tugend und frommes Bestreben,
Und hinauf uns erheben zur Mutter des göttlichen Ursprungs.
Nach der schmerzlichen Tat ruft schallend die Trompete Attis,
Ruft uns alle zurück, die einst aus den Himmeln gefallen.
Und sobald seine Bahn, durch Kasteiung beendet, beschlossen,
Zeigt er uns das Gesetz, das ewige Maß des Erschaff’nen.
Darum folget das Fest mit Jubel und fröhlichem Reigen,
Denn was höher beglückt als Seelen, die Grenzen entfliehen,
Und zu göttlichen Höhen erhoben, dem Sturme entrinnen?
Attis selbst ist ein solches, und göttliche Mutter gewähret,
Dass er wendet sich um und dem Wandel der Zeit sich entziehet.
Sie gebot ihm, die schrankenlose Fahrt zu beschneiden,
Und ihm setzte sie Maß, um wieder zu göttlicher Ordnung
Zurückzukehren und ewig in Klarheit zu weilen.
Doch es soll mir ja niemand annehmen, daß ich so denke,
Daß dies jemals geschah, als ob die Götter nicht wüßten,
Was sie selber vollbringen und was sie künftig begehren,
Oder gar, daß sie irren und ihre Fehler bericht'gen.
Unsere Ahnen jedoch, sie suchten stets zu erkennen
Ursprung und Wesen der Dinge, geführt von göttlicher Leitung
Oder auch aus sich selbst – doch besser spräch' ich es anders:
Daß sie unter den Göttern Hand und Weisung sie suchten.
Als sie dann dies erkannt, umhüllten sie weise Bedeutungen
Kunstvoll in Rätseln und Mythen, verborgen in Widersprüchen,
Daß durch Paradoxon wir auf die Fabeln nicht bauen,
Sondern im Schein der Gestalten die Wahrheit zu finden uns mühten.
Nun, ich denke, die Menge versteht durch sinnlose Märchen,
Die nur Zeichen enthüllen, doch nicht Vernunft ihnen schenken.
Doch wer Weisheit besitzt, kann Wahrheit über die Götter
Nutzen, sofern er sie sucht im Lichte göttlicher Führung,
Und wenn Rätsel ihn mahnen, die Deutung dahinter zu spüren,
Muß er mit eigenem Forschen das Ziel und den Gipfel erreichen.
Denn nicht Demut allein, nicht blindes Vertrauen in andere
Darf ihn leiten – nur selbst soll er denken und selber erkennen.
Was nun weiter? Ich fasse zusammen, was Menschen erkannten:
Daß das fünfte Prinzip, das Wesen des reinen Äthers,
Nicht nur Gedanken ergreift, auch sichtbar ist es in Körpern,
Unberührt von der Welt, und göttlich, hoch und erhaben.
Darum dachten sie wohl, daß, wie jene Substanz ungeteilt ist,
Auch die Götter getrennt von wandelbaren Geschicken.
Doch wenn durch jene Substanz die sichtbaren Götter entstanden,
Und von Ewigkeit her mit ihnen die schöpfrische Materie,
Durch sie gewirkt, durch ihre göttliche Mitte gestaltet,
Dann ist es göttlicher Wille, daß alles von oben geregelt,
Von Zeus selbst, dem erhab'nen, der über den Göttern gebietet.
Denn durch ihn sind geordnet und besser gemacht, was im Chaos
Tot und leer und verfallen, das Abfall war und die Reste,
Daß zuletzt durch den Sinn, der aus Göttern fließt, das Geschaffne
Endlich vollendet erscheint und zum Göttlichen kehre.
Attis nun, von dem ich rede, der hoch seine Tiara
Trägt mit prächtigen Zeichen, erfüllt die Rolle der Götter,
So wie wir es erkennen in dieser sichtbaren Ordnung.
Rein und unbefleckt ist alles in ihm, gleich der Milchstraß’.
Doch sobald, von Begierde getrieben, er sich ihr vermählte,
Ward aus dieser Verbindung die stoffliche Welt erst geboren.
So bedeutet der Abstieg Attis’ ins dunkle Gemäuer
Seine Vermählung mit dem Stoff, doch nicht wider die Götter,
Noch gegen den Willen der hehren Göttermutter Cybele.
Denn in Höhen verweilen die Götter, fern unsrer Erden,
Und sie wollen nicht selbst in die Tiefen der Welt sich begeben,
Sondern daß, wer hienieden lebt, zu den Höhen sich schwinge.
Nicht im Zorn war Cybele, da Attis sich selbst überließ,
Nicht, weil er fiel, doch weil er herabstieg aus lichteren Reichen.
Denn ein Gott, der sich selbst an das Niedere bindet, verachtet
Seine erhabene Kraft und betrübt, die ihn schufen.
Doch sobald seine Wand’rung, sein endloser Abstieg geendet,
Und das Chaos der Welt durch den ewigen Zyklus gezähmt ward,
Wo der Helios thront und in vollkommener Ordnung
Tag und Nacht in den Grenzen der Kreisläufe lenkt,
Dann geleitet die Göttin den Attis hinauf in die Höhen,
Oder vielmehr: sie hält ihn als ewigen Gast an ihrer Seite.
Und es geschah niemals zuvor, dass jetzt es geschehen,
Doch auf ewig bleibt Attis der Diener, der Wagen der Mutter;
Ewiglich sehnt er sich glühend nach zeugender Schöpfung,
Schneidet auf ewig die Bahnen hindurch durch Ursachenkräfte,
Deren Grenzen bestimmt, doch unendlich sein wogender Antrieb.
Also erzählt es der Mythos: Geführt aus der Erde hinauf nun,
Hebt er erneut sein Szepter, regiert mit uralter Gewalt doch,
Nicht dass je er es verlor oder jetzt es im Sturz ihm entrissen,
Sondern es sagt nur der Mythos: Er verlor das Vereinen
Mit dem, was wandelbar ist und stets der Leidenschaft unterliegt.
Doch mag wohl auch die folgende Frage der Klärung sich lohnen:
Zwei sind der Gleichstand des Tags, doch ehren die Menschen
Mehr das Zeichen des Steinbocks als Krebs in dem Lauf der Gestirne.
Wahrlich, die Ursache scheint wohl offenkundig zu sein hier:
Denn nach dem Frühjahrszeichen beginnt sich die Sonne zu heben,
Und da die Tage nun wachsen, erscheint dies den Menschen gefällig.
Denn abgesehen davon, dass das Licht stets Götter begleite,
Glauben wir auch, dass die Strahlen erhebend die Seelen befreiend,
Gleich den Wesen, die drängen, sich zu erlösen vom Kreislauf.
Klar erkennbar: Die Sonne erhebt mit lebendiger Wärme
Alles hervor aus der Erde, erweckt es zum Wachsen und Leben,
Hebt, wie ich glaube, das Körperliche bis hin zur Höhe,
Trennt es zur Zartheit der Wesen, zum Leichten, das sinken geneigt ist.
Dieses Sichtbare zeigt uns die Macht der Unsichtbaren Kräfte.
Wenn denn die Sonnenhitze das Körperliche verwandelt,
Wie sollte dann nicht ihr Licht die seligen Seelen erheben,
Durch den Hauch der unsichtbaren, reinen Substanz der erhabnen,
Die in den Strahlen verborgen sich ewiglich wirkend entfaltet?
Sicherlich naht dieses Licht dem Gotte der Höhe und jenen,
Die sich sehnend empor zu steigen verlangen in Reinheit.
Mehr noch: Es steigert sich hier die Kraft des himmlischen Scheines,
Denn wenn Helios tritt in das Zeichen des Steinbocks, so nimmt nun
Länger als Nacht sich der Tag, das Licht mit der Dauer sich dehnt aus.
Denn es ist gezeigt, dass das Licht die Wesen erhebet
Sichtbar wie unsichtbar wirkt es mit kräftigem Strahle,
Wodurch unzählige Seelen entrissen dem Sinnenbereich sind,
Geleitet vom hellsten der Sinne, fast selbst wie die Sonne.
Denn wenn das Auge das Licht der himmlischen Feuer erblicket,
Scheint es nicht nur willkommen und nützlich dem Leben der Menschen,
Sondern es führt uns zur Weisheit, wie einst es der weise
Platon in Hymnen besang und die Kraft des Lichtes erhob hoch.
Und wenn gar die heiligen Mysterien leise ich rühre,
Wo der chaldäische Seher den Gott der sieben der Strahlen
Sang in heiliger Glut, den Gott, der die Seelen erhebet,
Sollt' ich wohl sprechen, was schwer zu begreifen der Menge,
Doch den geheiligten Weisen bekannt ist aus tiefer Erfahrung.
Darum, zu diesem Thema will schweigen mein Wort nun.
Ich aber sage, dass nicht die Alten in Torheit die Riten
Setzten, doch stets im Einklang mit gründlicher, wahrhafter Vernunft sie.
Zeuge ist, dass die Göttin die Gleichung des Jahres erwählte
Als ihr Gebiet und die heiligsten Weihen der Demeter feierte,
Sobald die Sonne in Waage ihr leuchtendes Zeichen erblicket.
Wahrlich, denn wenn die Götter sich scheiden, müssen wir weihen,
Dass nicht finstere Kräfte uns schaden und dunkel umfangen.
Drum auch die Athener verehren Demeter in Zeiten,
Zweifach im Jahr, die Geheimnisse feiern sie stetig,
Kleinere erst, in dem Steinbock, die größeren dann in dem Krebse.
Dieses geschieht aus den Gründen, die ich zuvor schon verkündet.
Denn ich denke, dies heiße die Großen und Kleinen Mysterien,
Weil wenn der Gott sich entfernt, das heil'ge Gedächtnis erneuert
Werden muss; wenn er nähert, beginnen die Weihen aufs Neue.
Dann nur ein wenig darauf folgt reinigend heilig das Opfer,
Ehe der Gott in die Tiefe der Antipoden hinabsinkt.
Ebenso ist es dem Feste der Mutter vergleichbar,
Wo die Geschlechter der Schöpfung zur Reinheit entrissen sich zeigen.
Denn es leben in Keuschheit die, die den Mysterien folgen,
Frei von Begierde ihr Leben, ein Hierophant sie geleitet,
Der sich nicht anmaßt, weiter zu schreiten ins Unbegrenzte,
Sondern nur bleibt in dem Seienden, fest in dem Einen,
Unverändert, in Reinheit gewahrt, unbefleckt und unendlich.
Mehr sei nicht gesagt zu diesem heiligen Thema.
Nun bleibt einzig zu sprechen, wie es geziemet, vom heiligen
Ritus und auch der Reinigung selbst, auf dass ich entlehne,
was mir dienlich erscheint im Argument, das ich führe.
Wahrlich, ein jeder erachtet das Folgende lächerlich, höret:
Heiliges Recht gestattet den Männern, das Fleisch zu genießen,
aber es mahnt sie, Körner zu meiden, wie auch die Früchte.
Diese, so sagen sie, leben doch nicht, doch das Fleisch war beseelt einst.
Sind nicht Früchte viel reiner als Fleisch, das blutig und roh ist,
und in mannigfaltiger Weise das Auge, das Ohr gar beleidigt?
Doch, was wichtiger scheint: Wer Früchte verzehrt, der verletzt nicht;
Fleisch aber fordert das Opfer, die blutige Schlachtung der Tiere,
die von Natur aus Schmerzen empfinden, in Qualen vergehn sie.
So, ja, sprechen gar oft die Weisesten über die Vorschrift.
Doch auch Gläubige selbst verspotten Gebote der Weisen:
Pflanzen, die aufwärts wachsen, darf man zu Speisen bereiten,
Wurzeln jedoch, wie Rüben zum Beispiel, sind ihnen verboten.
Feigen sind rein, doch Äpfel und Granatäpfel nicht mehr.
Oftmals hörte ich Männer im Flüsterton Zweifel erheben,
auch ich sprach in der Jugend noch Ähnliches, doch nun erscheinet
mir allein unter Menschen der Dank an die Götter als heilig.
Ja, ich danke der Göttin, der Mutter, mehr als den andern;
allein sie ließ mich nicht irre geh’n in finsterer Dunkel.
Erst, so war’s, hat sie mich vom Leib befreit durch ihr Walten,
später sodann mit Vernunft mich geleitet zur Wahrheit,
die als Quelle vor unsern Seelen besteht in der Klarheit.
Ja, ich erhielt Überzeugung, die, obgleich nicht vollkommen,
doch dem Wissen der Götter in heiliger Wahrheit sich neiget.
Doch nun stockt meine Stimme, ich kreise im Reden umher nur.
Freilich vermag ich zu nennen die Gründe, warum es verboten,
solche Nahrung zu essen, die heiliges Recht uns verwehret.
Dies will ich tun, doch zuvor sei geboten, gewisse
Regeln zu klären, die stets als Maß für das Urteil zu gelten.
Zuerst aber sei dir ins Wort zurück ins Gedächtnis
gerufen, was ich sprach über Kastration und den Ritus:
Attis, der Urgrund, der Gott, der die Materie schuf einst,
stieg in die Tiefen hinab, von der Sonne bewegt in den Bahnen,
bis er die Grenzen erreichte, die Tag und die Nacht auszugleichen.
Dieses, so lehrt es die Weisheit, bedeutet Beherrschung
des Unbegrenzten, nur durch den Ruf und die Wiederkehr Attis
wird sie geführt zu den göttlich erhobenen Ursachen heilig.
Also das Ende des Ritus der Reinigung ist uns bereitet:
Aufstieg der Seele, das höchste Ziel, das wir begehren.
Darum denn ist es verboten, die Früchte zu essen,
die nach unten in Tiefen der Erde wachsen verborgen.
Denn die Erde ist niedrig und letztes Gefilde des Bösen.
Platon lehrt es: Verbannt ward das Böse von göttlichen Wesen,
unsere Erde beherbergt es nun in Schatten und Dunkel.
Götter in Orakeln oft uns mahnen zur Flucht aufwärts.
Also der Gott, der Leben uns gibt, der wacht in der Vorseh’n,
mahnt uns, nicht zu nähren den Leib mit unterirdischer Speise,
sondern die Augen zu heben zum Himmel, ja, noch weit darüber.
Freilich, gewisse Früchte der Erde genießt man als Nahrung,
solche in Hülsen gewachsen, die aufrecht stehn in den Lüften.
Nicht mit der Erde verwurzelt sind sie, vielmehr wie der Efeu,
der sich am Baume emporrankt, oder die Rebe am Stamme.
Also verbietet das Recht gewisse Samen und Pflanzen,
erlaubt jedoch Obst und Gemüse, die hoch sich erheben,
nicht aber jene, die kriechen auf Erden, dunkel und niedrig.
Ebenso Rüben: ihr Teil, der nach unten gewendet,
bleibt uns verwehrt, denn er neiget sich unterirdischen Kräften.
Jener jedoch, der sich hebt in die Lüfte, ist reinlich.
Alles, was aufwärts wächst, ist erlaubt uns in Speisen;
Wurzeln jedoch, die genährt sind vom Erdreich, meide der Weise.
Selbst wenn Bäume es tragen, erlaubt es uns nicht, zu zerstören,
Äpfel zu pflücken und roh zu verzehren – denn heilig und golden
sind sie, Symbole verborgener, mystischer göttlicher Lohnung.
Würdig vielmehr, in Ehrfurcht verehrt als Urbilder göttlich!
Granatäpfel jedoch sind verboten, weil sie der düsteren
Unterwelt nahen, und Datteln – vielleicht, weil in Phrygiens
Land sie nicht wachsen, wo einst die Verordnung begründet gewesen.
Meine Vermutung jedoch ist vielmehr: Da heilig der Sonne
dieser Baum, und beständig bestehend, verbietet man, dass wir
ihn für den Leib in den heiligen Opfern genießen.
Weiterhin ist uns jeglicher Fisch zum Verzehr untersaget,
ebenso jenen Ägyptern wie auch uns selber zur Regel.
Denn es bestehen fürwahr zwei Gründe, warum wir die Speise
Fisch meiden sollten, besonders im heiligen Opfer.
Einer besagt: Was den Göttern nicht dargebracht wird als Gabe,
dürfen wir nicht uns selber zum irdischen Mahle bereiten.
Zwar wird jemand wohl fragen: „Doch opfern nicht Römer und Griechen
Hunde der Hekate, Pferde dem Mars und gar manches Getier noch?“
Ja, gewiss! Doch bei höchsten Gelagen, wo Götter sich nieder-
lassen, den Tisch mit uns teilen – dort wird niemals ein Fisch dargebracht sein.
Nicht wie das Rind und das Schaf, die wir pflegen, hegen und mehren,
halten wir Fisch, er entzieht sich den Menschen im tiefesten Wasser.
Zweiter Grund, der mir noch bedeutender scheint als der erste:
Fische entweichen in tiefste Gefilde des Meeres, der Erde,
näher der Unterwelt sind sie als jegliche Pflanze und Frucht schon.
Wer nun aber hinauf sich erhebt und die Lüfte durchmisst gar,
wer zu den Gipfeln des Himmels empor sich schwingen begehret,
muss sich reinigen frei von den Speisen der Tiefen der Erde,
Richten den Blick nur empor und nach oben die Sehnsucht erheben.
Daher erlaubt man den Vogel zum Mahle, sofern er nicht heilig,
ebenso Tiere der Erde, doch meide das Schwein als Nahrung!
Denn sein Fleisch ist grob und befleckt, seine Art ist der Erd' nur verwoben.
Nicht kann es jemals den Himmel erblicken, nicht strebt es nach oben,
drum hat man es wohl den Göttern der dunklen Gefilde geweihet.
Das sind Gebote, die heilig erlassen, von göttlicher Stimme,
die wir begreifen und teilen mit jenen, die Götter erkennen.
Und auf die Frage, was wohl zu essen erlaubt sei, sage
ich nur dies eine: Das göttliche Recht erlaubt uns nicht allen
jegliche Speise zu nehmen, doch es bedenket die Kräfte
menschlicher Art und gestattet uns vieles, wie ich schon sagte.
Nicht, dass es nötig wäre, wir müssten jegliche Nahrung
essen – denn wohl wär’ dies nicht bequem –, doch sollen wir achten,
was uns zuerst nach den Kräften geziemet, dann, was in Menge
leicht zu erhalten ist, drittens dem Willen des Menschen gehorchen.
Doch in der heiligen Zeiten Zeremoniensollen
wir unsre Wünsche bezwingen, damit wir höher gelangen,
weiter als menschliche Kraft uns führt, und eifrig in Demut
folgen des Himmels Geboten mit Herz und willigem Geiste.
Denn für die Rettung der Seele ist’s heilsamer, Achtung
mehr ihr zu schenken als nur dem sterblichen, irdischen Leibe.
Dennoch geschieht es dabei, dass selbst der Körper verborgen
teilhat an herrlichem Segen und wunderbar Nutzen gewinnet.
Denn wenn die Seele sich gänzlich den göttlichen Wesen ergießt und
ihre Geschicke vertraut den erhabenen, heiligen Mächten,
wenn sie den Riten folgt, die göttlichen Ordnungen achtet,
wenn dann nichts mehr sie hemmt, kein Zweifel, keine Befangenheit,
weil ja doch alles in Göttern ruht und von ihnen durchdrungen,
weil ja doch alles aus ihnen besteht und mit ihnen erfüllet,
dann, ja dann erleuchtet das göttliche Licht unsre Seelen.
Jene nun, voll himmlischer Kraft, durchströmen mit heil’gem
Atem den Leib, ihm Stärke verleihend, und so wird gespendet
dem ganzen Körper Gesundheit, gestärkt durch göttliche Gnade.
Denn ich glaube, dass keiner von Asklepios’ Söhnen es leugnet,
dass nicht die meisten Gebrechen, ja, dass nicht alle Beschwerden
ihren Ursprung finden im Wirrsal und Störung des Atems.
Viele Ärzte behaupten, die schlimmsten Leiden der Menschen
rührten von dorther, und auch die schwerlich zu heilenden Übel.
Zeugnis geben darüber die Orakel der Götter, sie lehren,
dass durch Reinigung nicht nur die Seele geläutert,
sondern der Körper gestärkt und bewahret wird vor Verfall.
Denn die Götter ermahnen die Frommen und heiligen Männer,
ihre „sterbliche Hülle“, den Leib, zu wahren und hüten.
Doch was bleibt mir noch zu verkünden? O siehe, es wurde
mir gewährt, diesen Hymnus zu singen, und das in der Dauer
einer einzigen Nacht, ohn’ Vorbereitung und Studium!
Ja, nicht einmal hatte ich’s vor, zu reden, bevor ich verlangte
nach diesen Tafeln, um meine Gedanken in Worte zu fassen.
Möge die Göttin bezeugen, dass Wahres ich hiermit verkünde!
Aber, wie ich schon sagte, soll ich nicht ferner die Göttin
preisen, in heiliger Eintracht mit Pallas Athene vereint und
Dionysos dem Hohen? Denn auch ihr Fest ward gegründet
von des Gesetzes Hand in ehrwürdiger Weihe.
Seh’ ich nicht Athenes verwandte Kraft in der Mutter
aller Götter, ihr Wesen vereint in der göttlichen Vorsicht?
Ist nicht Dionysos, der große, der schöpferisch wirkende Gott,
aus Zeus hervorgegangen und ihm verdankt seine Mächte?
Alles Sichtbare regelt er, lenkt und regieret die Schöpfung
dieser vergänglichen Welt, die teilbar ward durch sein Walten.
Doch mit diesen Göttern verehren wir auch den Hermes,
Hermes Epaphroditos, der jenen Fackeln entzündet,
welche der klugen Attis Gedanken den Weg erhellen.
Oh, wer hätte ein Herz so dumpf und träge des Geistes,
dass er nicht wüsste: Durch Hermes und Aphrodite zusammen
wird all dies Wesen erzeugt, ja, alle geschaffenen Dinge?
Und ist nicht Logos Attis, der ehedem in Verblendung
lebte, nun weise durch Läuterung und heilige Kasteiung?
Ja, in Wahnsinn schalt er die Materie und floh die Geburt doch,
ward er nicht weise, als er die Erde schmückte mit Anmut,
welche kein Menschenwerk und kein sterblicher Künstler erschüfe?
Doch wie end’ ich mein Lied? Mit Lobpreis, mit Hymnen der Göttin,
der Allgroßen, Hohen, der Mutter, der himmlischen Herrscherin selbst!
O Mutter der Götter und Menschen, du Hüterin Reichtums,
Thronende hoch beim Zeus, du Quelle verstandener Mächte,
Die mit dem rostlosen Stoff der begreifbaren Götter
Wandeln auf ewig den Pfad, der weise von dir ist gewiesen;
Alle bewahren durch dich das Gemeinsame aller der Dinge,
Dir sie verdanken, was ihnen gegeben, damit sie es spenden.
Göttin des Lebens, der Kunst, der Vorsicht, Schöpferin Seelen,
Du, die den großen Dionysos liebt von den Höhen,
Attis gerettet, als er ausgesetzt in der Wiege,
Ihn zurückgeführt, als er sank in der Nymphe Verborgenes.
Alles, was gut ist, gibst du den treuen, gläubigen Menschen,
Füllst mit dem Geist der Vernunft die waltende Welt uns.
Gib du den Menschen das Glück und das höchste Gut der Erkenntnis,
Daß sie die Götter erfassen in wahrer, heiliger Schauung!
Roms Volk aber gewähre, daß sie, von Makel gereinigt,
Segensreich leben und führen ihr Reich durch Jahrtausende!
Und für mich, o Göttin, gewähre als Frucht meiner Andacht,
Daß ich die Wahrheit erkenne in göttlichen Lehren und Weisen,
Führe mich sicher zur Weihe der hohen Theurgie!
Alles, was ich in der Welt und im Heere beginne,
Segne mit Tugend und Glück und lenke das Ende
Leidlos, glorreich und licht mit hoffender Seele,
Dich und die Götter zu schauen auf seligem Pfade!