LUCRETIA


VON TORSTEN SCHWANKE



ERSTER GESANG


I


Ardea war eine Stadt der Rutuler, reich und erhaben,

Herrschte mit prächtigem Glanz in jener Zeit und den Landen.

Dieses entfachte den Krieg, denn der römische König begehrte

Nicht nur Reichtum für sich, erschöpft durch Prunk seiner Werke,

Die er mit mächtiger Hand zum Ruhme des Staates errichtete,

Sondern zugleich mit Beute die Menge zu stillen gedachte,

Welche, erzürnt durch Taten des Hochmuts gegen den Herrscher,

Fühlte sich doppelt gekränkt, dass er sie mit Frondienst belaste,

Lange gefangen hielt in der Arbeit, die Sklaven geziemte.


So unternahm man den Sturm auf Ardeas ragende Mauern,

Doch als dies misslang, umschlossen die Römer den Ort nun,

Belagerten ihn und hofften, mit Langmut den Feind zu ermüden.

Dort in dem Lager verweilten sie träge, da keiner

Heftig den Kampf trieb, sondern der Krieg sich langsam hinzog.

Müßig wandelte so die Jugend der führenden Männer,

Fanden beim Weine und Mahl sich oft zu spielender Kurzweil.


Einstmals saßen sie so in den Zelten des Sextus Tarquin,

Dort war Collatinus auch, des Egérius’ Sprössling.

Bald entbrannte das Wort über Frauen, und jeder erhob sich,

Lobte die seine mit glühendem Mund, voll brennender Eifersucht.

Collatin rief da: „Warum noch schwärmen in Worten?

Lasst uns reiten und schauen, was wahr ist, was nur Gerede!

Schnell, wenn Jugend uns treibt, so sattelt hurtig die Rosse!

Sicher soll jeder erkennen, was seinen Augen begegnet,

Wenn er als Herr der Frau ungerufen zur Kammer hineintritt.“


Heiße vom Weine gestärkt, so stiegen sie auf und ritten,

Spornten die Rosse und eilten in Nächten dunklem Umschweif

Hin bis Rom, und von dort zur Stätte von Collatia.

Dort, in nächtlicher Stund, erblickten sie Lucretia,

Anders als jene Frauen des Hofs, die prunkend beim Mahle

Sorglos scherzten mit Freundinnen, Lieder und Spiele genießend.

Lucretia aber, obwohl schon Mitternacht graute,

Sorgte mit emsiger Hand für das Werk des Spinnens und Webens,

Saß bei flackerndem Licht umringt von dienenden Mägden.


Ihr fiel ehrenvoll nun der Preis der waltenden Tugend.

Freundlich hieß sie die Männer willkommen, und Collatin,

Siegreich über die Seinen, lud sie zum gastlichen Mahle.

Dort entbrannte das Herz des Sextus in sündigem Begehren,

Nicht nur Schönheit der Frau, auch ihre Tugend erregte

Seinen verworfenen Sinn, zu stürzen die keusche Lucretia.

Doch in jener Nacht zerstreute sich heiter die Runde,

Kehrten die Männer zurück ins Lager des römischen Heeres.



II


Wenige Tage vergingen; da nahm sich Sextus Tarquinius,

Ohne dass Collatinus es wusste, den einen Begleiter,

Ging dann nach Collatia hin. Dort wurde begrüßt er gar freundlich,

Denn es verdächtigte niemand den Zweck, den er heimlich gehegt hat.

Nach dem Mahle sodann ward ihm bereitet die Kammer

Eines Gastes. Doch brennend vor Gier und getrieben von Leidenschaft

Wartete er, bis alles in sicherer Stille versunken,

Bis ihm schien, dass jeglicher schlafe. Da fasste das Schwert er,

Schritt zu der Ruhenden hin und drückte die Linke mit Macht auf

Ihre Brust, dann sprach er: „Sei still, Lucretia, höre!

Sextus Tarquinius bin ich! Das Schwert ist hier in meiner Rechten.

Rührst du dich oder erhebst deine Stimme, so stirbst du sogleich hier!“

Starr vor Entsetzen sank sie in todesängstliches Schweigen.

Nirgends war ihr Hilfe zu hoffen, nur drohte der grausame Ausgang.

Doch nun begann Tarquinius zu flehen, zu werben,

Drohung mit Bitten vermischt, ein jedes Mittel ergriff er,

Jede List, die das Herz der Frau zur Nachgiebigkeit wandle.

Da sie doch weder von Todesfurcht noch Drohung sich beugen

Lassen wollte, begann er mit schändlicher List sie zu schrecken:

Stirbst du, so werde ich meinen Knecht hier töten, den Leichnam

Nackt an deine Seite dann legen, damit man verkünde,

Schändlichen Ehebruch hättest du selbst mit dem Niedrigsten getrieben!“

Grauen erfüllte ihr Herz bei solch entsetzlicher Drohung,

Und mit Gewalt ward nun ihre keusche Entschlossenheit nieder-

Gerungen vom übermächtigen Drang des siegreichen Frevlers.

Als er sich siegreich wähnte und prahlte der Schändung der Ehre,

Floh er davon. Doch Lucretia weinte im tiefsten Ergrimmen,

Sandte den Boten nach Rom zum Vater, zum Manne in Ardea,

Bat sie, mit treuesten Freunden zu eilen – denn Schreckliches sei ihr

Widerfahren. Spurius Lucretius kam mit dem Sohn des

Volesus, Publius Valerius; und Collatinus

Kam mit Brutus, dem klugen Genossen, den er zufällig

Eben getroffen auf Romfahrt, da eilte der Bote bereits her.

Trauernd fanden sie sie in der Kammer. Da brachen die Tränen

Schnell aus ihren Augen hervor beim Anblick der Freunde.

Und Collatinus sprach: „O sage, Lucretia, ist alles

Wohl?“ Doch sie seufzte tief: „Wie könnte das Wohl mir ergangen

Sein? Denn was bleibt einer Frau, die jegliche Ehre verloren?

Fremder Gewalt fiel ich zum Opfer, Collatinus – höre!

Doch nur mein Leib ward entehrt, mein Herz blieb schuldlos,

Wie auch der Tod nun mein lautester Zeuge sein werde.

Doch ich beschwöre euch hier: Nehmt Rache am Frevler!

Sextus Tarquinius war’s, der mit Schande mich zwang und mit Waffen

Schändete nicht nur mich – nein, auch sich selbst, wenn ihr Menschen

Seid und ihm Recht widerfahrt für solch entsetzliche Tat nun.“

Alle gelobten den Schwur, sich zu rächen am feigen Verbrecher,

Trösteten sie, dass nicht sie, sondern nur er die Schuld trüge.

Nur der Wille versündigt, der Körper allein ist nicht schuldig.“

Doch sie entgegnete ernst: „Mag sein, dass mein Geist unbefleckt ist,

Doch nicht ich will als Beispiel für eine Geschändete leben.“

Dann aus dem Kleid zog sie heimlich das Messer, das scharf war,

Stieß es tief in die Brust, sank nieder und starb in der Wunde.

Schreie des Jammers erhoben der Vater, der Gatte, die Freunde.



III


Brutus, während die anderen in Trauer versunken, erhob sich,

Zog das Messer hervor aus Lucretias blutender Wunde,

Hielt es hoch und rief mit donnernder Stimme zum Himmel:

Durch dies Blut, das rein war, bis Königs Willkür es schändete,

Schwör ich feierlich heut, und ich nehme die Götter zu Zeugen:

Lucius Tarquinius samt seiner ruchlosen Gattin,

Samt den Söhnen verfolg ich mit Schwert und mit Feuer, mit Waffengewalt,

Und ich dulde nie mehr einen König in Rom an der Spitze!“

Sprach’s und reichte das Messer sodann dem Collatinus weiter,

Dann zu Lucretius hin und Valerius, beide betroffen,

Staunend, woher dieser Geist in der Brust des Brutus entflammte.

Doch sie schwuren wie er, wie es sein Gebot ihnen auferlegt,

Trauer verzehrte der Zorn, und als Brutus sie weiter entfachte,

Folgten sie mutig ihm nach in den Kampf wider Tarquins Gewalt.


Schnell ward Lucretias Leichnam hinaus in die Straßen getragen,

Dort auf dem Markt aufgebahrt, wo das Volk sich drängend versammelte.

Denn das wundersame Geschehnis zog alle in Bann,

Und die abscheuliche Tat des Tyrannen entfachte den Zorn.

Jeder beklagte sich laut über Tarquins schändliche Frevel,

Jeder erinnerte sich an den Zwang, den er selbst schon erlitten.

Nicht nur Tränen umflossen des trauernden Vaters Gesicht,

Nein, es war Brutus selbst, der sie alle zum Handeln ermahnte,

Schelte den weinenden Schmerz, forderte Männer zur Tat auf,

Dass sie das Schwert nun ergriffen als Römer und Söhne der Freiheit!

Kühn erhoben die Jüngeren Waffen und boten sich an,

Andere folgten dem Beispiel, bereit für den blutigen Aufstand.


Lucretius eilte sodann, um Collatia sicher zu halten,

Ordnung zu wahren, damit keine Kunde nach draußen gedränge.

Doch der Rest des Heeres gerüstet zum Kampf und entschlossen,

Folgte dem Brutus nach Rom, wo Furcht und Verwirrung erwachten.

Waffen blitzen im Licht, doch als man die Anführer sah,

Fasste die Menge Vertrauen und spürte die Wende der Zeiten.

Bald versammelte sich das empörte Volk auf dem Forum,

Jeder erzählte die Tat, und der Groll in der Stadt war gewaltig,

Nichts war geringer in Rom als der Zorn, den Collatia kannte.

Über die Straßen hinweg strömten Männer herbei in die Menge,

Kaum erreichten sie dort die Tribüne, begann schon der Ruf,

Brutus zu hören, den Mann, der nun gegen die Könige sprach.


Nicht mit gespieltem Verstand, wie er ihn stets trug vor Zeiten,

Nein, mit loderndem Zorn erhob er sich nun in der Mitte,

Redete von der Gewalt und der Lust des schändlichen Sextus,

Von der Verzweiflungstat, die Lucretia in den Tod trieb,

Von dem bekümmerten Vater, der mehr als den Tod der Geliebten

Deren entehrte Unschuld beweinte, das Opfer der Willkür.

Dann erinnerte Brutus an Tarquins schändliche Taten,

Wie er das Volk unterjochte, in Gräben und Sümpfe verbannt,

Wie er die römischen Männer, die Helden in blutigen Schlachten,

Niederwarf und zum Werk an den Steinen und Straßen verdammte.

Sprach von dem mördrischen Fall des gerechten Königs Servius,

Wie seine Tochter den Wagen lenkte über den Leichnam,

Und zu den Göttern rief er, dass sie dies Verbrechen bestrafen.


Diese Worte durchbrannten das Herz der versammelten Menge,

Alle empfanden den Schmerz und den unbändigen Zorn in der Brust.

Hass erfüllte das Volk, und das Königtum ward abgeschafft.

Tarquinius floh samt Frau und seinen verhassten Söhnen.

Brutus aber versammelte Jünglinge, rüstete Waffen,

Zog zum Lager nach Ardea, wo Tarquin seinen Befehlen

Truppen entgegengesandt, doch Rom schon verloren gehabt.

Lucretius ließ er in Rom, der Stadt nun Herrschaft zu geben,

Denn er war, noch vom König einst, zum Präfekten ernannt.


Während in Rom nun der Umsturz geschah, floh Tullia hastig,

Stürmte verwirrt aus dem Haus, wo die Furien tobend ihr folgten,

Fluchte und rief den Zorn aller Götter auf Männer und Frauen,

Rächend das Unrecht, das blutig das Ende der Könige schuf.




ZWEITER GESANG


I


Lucretia, des Lucretius' Tochter, Gemahlin des edlen

Collatinus, ward von Tarquinius' sündigem Sohne

Schändlich entehrt, doch nur aus Furcht vor drohender Nachred'

Gab sie nach, da jener, mit Mord ihr Leben bedrohlich,

Sklavenleib und Schmach ihr Bett zu schänden verhieß.

Rief darauf den Vater herbei, den trauernden Gatten,

Sprach von der Tat und bat um Rache für erlittene Schande.

Als sie sich nun selbst des Lebens berauben will, flehen

Vater und Mann, sie soll sich hüten vor solchem Entschluss.


Tu dir nichts an, Lucretia! Du brachtest gewichtige Zeichen,

Reinen Beweis, dass du nie deinem Ehegelübde entsagtest.

Zwang ward dir angetan, nicht willig warst du gefügig.

Welche Strafe verdient, wer solch ein Unrecht beklaget?

Schweigen hättest du können, doch suchst du lautere Wahrheit.


Dein Lebenswandel schützt dich! Nie sah man dich in Vergehen,

Immer bewahrtest du Tugend in Hallen des Hauses verborgen.

Weißt du nicht mehr, wie wir, gemeinsam mit jenem Verbrecher,

Kamen und fanden dich still, mit Wolle und Spindel befasst?

Keine Erwartung an Gäste, an Ehemann, keine Erregung,

Und doch pries man dich rein und frei von sündiger Lust.


Rache wird dir! Die Tarquinier büßen die ruchlosen Taten.

Freuend wirst du seh’n, wie schuldig die Sippe zerfällt.

Warum suchst du den Tod, da du dich doch unschuldig weißt?

Leben sollst du und Rache an jenem Verbrecher erleben!

Töte dich nicht, dein Mann wär' Witwer, dein Vater beraubt,

Kinder verlören die Mutter, und alle in Trauer versänken.


Nicht dein Wille ward fleckig, nur deine Hülle beschmutzt.

Keiner zweifelt daran, dass du nicht den Frevel gewollt hast.

Jener war mächtig, bewaffnet, entschlossen zu Mord oder Lust.

Hätt' er gewollt, er hätt' eine andere schmeichelnd verführt,

Doch dein keusches Gemüt blieb ewig unnahbar für Sünde.

Nur mit Gewalt nahm er dir, was nie dein Herz ihm gewähret.


Vater und Gatte verzeih’n dir, warum verdammst du dich selbst?

Jene, die lieben, bewahren dein Ansehn, und du willst es stürzen?

Tod zu suchen, bedeutet, als Schuldige selbst sich bestrafen.

Sei nicht blind in Verzweiflung, erwarte die Rache in Frieden!

Jener wird fallen, und du wirst Zeugin des gerechten Urteils.

Niemals ist unschuldig, wer sich wie ein Sünder bestraft.



II


Wehrt nicht, ehrwürdiger Vater, und du, mein Geliebter, mir ab,

Dass ich sterben muss, einst warst du teurer als strahlendes Licht mir.

So lang ich es nicht tue, wird niemals der Zweifel erlöschen,

Ob ich Schmach vor dem Tod wohl wählen würde. Wer glaubt,

Dass ein Sklave, vom Mord bedroht, mich zur Furcht je gezwungen?

Oder dass Schande, ein Sklavenbett, mich mehr als der Tod schreckte?

Wenn nicht Mut und die Kraft des Todes mein Zeugnis erschaffen?

Mir bleibt das schändliche Mal, das leuchtend wie Narrheit erscheinen wird:

Lukretia lebte, wo keusch zu sterben besser gewesen!

Seht ihr es nicht, dass ihr nicht Leben, doch Nachrede rettet?


Denkt an das Wort, das ihr gabt, das Leid und die Gräuel des Unrechts.

Heilt die Betten der Ehe von Schande, bringt Frieden zurück.

Sorgt, dass Rache, gerecht und stark, die Nächte beschützt,

Damit Frauen in Sicherheit ruhen vor frevelnden Händen.

Wenn ihr zögert, wird die Lust enthemmter umhergehn,

Römerinnen bedrängt, bei Fernsein der Männer und Nähe.

Welches Weib wird sicher sein, wenn Lukretia brach?


Gatte, ach, wie wirst du, von Gedanken belastet, mich halten,

Wenn dir dämmert, nicht deine Frau, doch Tarquinius’ Hure

Liegt in den Armen? Vater, kannst du mich Tochter noch nennen,

Da, erzogen in Reinheit, ich dies Unglück erduldete?

Unglückselig ich bin! Kann ich die Kinder erblicken,

Wenn ein Ehebrecher meinen Schoß erniedrigte? Ach,

Trug in meinen Leib unheilvollen Samen hinein,

Sollte ich warten, bis eine Frucht des Ehebruchs wüchse?


Zeigt mir nicht des Lebens Glanz, einst hielt ich es rein,

Nun zerstört in einer Nacht voll Qual und Unglück.

Nicht ein Gast war’s, ein Feind trat in mein Haus.

Meine Reinheit bot mich dem Frevel, ach, als Opfer dar.

Nicht Keuschheit wollte der Frevler, doch meinen Ruhm,

Nun, da nichts bleibt, was soll ich, befleckt, noch bewahren?

Mich Schande, in Bordellen versteckt? Oder gar frei,

Mich jedem zur Schande darbieten? Schändlich der Gedanke!


Oh, kann Seele und Leib noch eins sein, beide so schändlich?

Wird, glaubt ihr, die Lust von Schande nicht regiert?

Vater, verschone mich doch, mein Gatte, auch ihr Götter,

Gnade mir, ich gesteh’, mein Herz konnte nicht trauern allein.

Selbst der Leib, der nicht gehorchte, gab Lüste zurück,

Doch solch Lust muss durch Schwert gerächt werden, gerecht.

Römer, das ist eure Sache, wenn Geist noch in euch wohnt,

Rächt das Verbrechen, die Venus’ Macht, die zu groß ist.

Löscht dies Bild aus, den Frevel, den Schandfleck, die Pein.

Lasst mich sterben, bevor das Verderben mich ganz verschlingt!


Alle sollen es wissen: Nur Schmach, nicht Tod fürchtet’ ich je.

Kann ich’s nicht bezeugen, mein Blut sei der Eid meiner Worte.

Ihr, Richter Minos und Rhadamanth, ihr sollt es sehen:

Hier ist die makellose Seele, rein durch den Tod.

Du, mein irdischer Leib, der zum Frevel Anlass bot,

Gib der Seele Raum und lass das Blut fließen,

Dass dies der Anfang sei der Freiheit Roms,

Einstürzend der Stolz der Tyrannen, der Verrat des Königs.

Lebt wohl, mein Vater, mein Gatte, die Freunde des Hauses!

Vergesst nicht die Rache, die ihr mir gelobt habt.

Keine Römerin soll je denken, dass Unkeuschheit lebt.

Amen.




DRITTER GESANG


Vor dem belagerten Ardea, ordnend die Reihen der Krieger,

Trugen auf trügerischem Fluge die Schwingen des falschen Begehrens

Tarquin hinweg aus dem Lager, verließ er das römische Heere,

Trug nach Collatium hin das lichtlose Feuer der Gier ihm,

Das in verborgener Glut sich schlich und lauerte, drängend,

Einen Gürtel zu schlingen aus Flammen um schimmernde Hüften

Collatins schöner Geliebter, Lucretia, Keusche, genannt sie.

Glückselig erscheint ihr Name, doch unglückselig das Schicksal,

Denn es entfachte den Brand in des Fürsten gierigem Busen.

Hätt' Collatin sie nicht töricht gepriesen mit Worten des Lobes,

Ihre erhabene Schönheit in roten und schimmernden Farben,

Ihre Gestalt, die triumphierte, ein Stern in irdischen Himmeln,

Hätt' er geschwiegen von ihr, verborgen das lichte Geheimnis,

Wär' ihr strahlendes Bild nicht niedergefallen in Schande.


Denn in der nächtlichen Stunde, als Tarquin im Zelte noch weilte,

Pries er mit freudigem Mund den Schatz, den das Glück ihm geschenket,

Welch ein unschätzbarer Reichtum in seiner Geliebten erstrahle,

Welch ein Besitz ihn erhebe, den Göttern gleich an Erhabenheit!

Hoch rühmte er seine Freude, als wäre sie königlicher Würde,

Könige setzten für Ruhm ihr Reich und ihr Erbe entgegen,

Doch solch eine unvergleichliche Frau war nie einem Könige eigen.

Glückseligkeit – doch ein Schatten! Besitz ist vergänglich und schwindet,

Wie der perlende Tau, der im Strahl der Sonne zerrinnet,

Ehre vergeht, und Schönheit verglimmt in den Händen des Halters,

Lose gefesselt im Netz der vergänglichen Welt und des Schadens.


Schönheit selbst ist die Stimme, die wortlos redet zum Auge,

Reizt den Blick des Mannes und weckt in den Herzen Verlangen,

Was bedarf es der Rede? Die Lust ist entfacht in den Sinnen,

Ach, und Collatin selbst ward Urheber des frevelnden Wahnes!

Warum stellte er dar, was besser verborgen geblieben?

Warum rühmte er laut, was besser im Dunkeln geruhet?

Neidisch loderte Tarquin, den königlichen Gedanken

Drängte die stolze Versuchung, zu rauben, was andre begehren,

Denn was gemeiner Besitz ist, dem steht kein Königsrecht offen.


Plötzlich ergriff ihn der Wahn, und übereilte Begierde

Trieb ihn mit rastlosem Schritt, verzehrend in innerer Gluten,

Ehr’ und Pflicht, seine Freunde, den Staat, all dies ward vergessen,

Eilenden Fußes verließ er das Lager und stürmte nach vorne,

Seine lohende Glut zu stillen in schändlichem Streben.

Oh, übereilte Begierde, die reuige Kälte gebiert dir!

Immer noch weht dein heißer Hauch, und niemals eraltert dein Feuer!


Als nun Collatium ihm erschien, ein falscher Gebieter,

Ward er empfangen mit Ehren von jener römischen Dame.

Schönheit und Tugend in ihr bestritten den herrlichen Wettstreit,

Welche von beiden wohl mehr zu bewundern verdiente:

Tugend erschien, und Schönheit begann errötend zu leuchten,

Doch wenn die Schönheit erstrahlte, so glänzte die Tugend noch heller,

Weiß wie der silberne Mond in der dunklen, sternvollen Nachtzeit.


Schönheit jedoch, im Strahlen des Lichtes von Venus beflügelt,

Stand in dem leuchtenden Feld, um den Anspruch der Tugend zu streiten.

Goldenes Licht umspielte die silbernen Wangen der Reinen,

Gab ihr das Schild der Unschuld zum Schutz in der drohenden Stunde.

Rot und Weiß, die Farben der Reinheit, wechselten Zeichen,

Rot war das Feuer der Schönheit, doch Weiß war die Tugend, die schützte,

Und in der Glut des Errötens bewies sie des Kampfes Entschlossenheit.


Diese stillen Gefechte von Lilien und Rosen im Antlitz,

Sah der Verräter und sog mit gierigen Blicken die Zeichen,

Doch in der Schlacht zwischen beiden ward keiner besiegt noch gewichen,

Denn mit verräterischem Sinn ergab er sich kampflos der Beute,

Nicht durch den Sieg ihrer Schönheit, nicht durch den Glanz ihrer Tugend,

Nein – durch den trügerisch schweigenden Blick seines eigenen Wahnes!


Nunmehr dachte er finster, dass Worte des törichten Gatten

Ihm nur den Schlüssel gereicht, das Schloss mit Gewalt zu zerbrechen.

Hoch zu loben war Torheit, denn sie entfacht' in dem Zuhörer Gierde,

Weit übermaß sein prahlendes Rühmen die wahre Erscheinung,

Doch was Schönheit entfacht, vermag nicht mehr Worte zu binden!


Darum das Lob, das Collatin ihr voll Ehre gegeben,

Zauberte Tarquin dahin, er sann in mutigem Zweifel,

Staunend im Innern mit stillen, verwunderten Augen.

Diese irdische Heilige, die von dem Teufel verehret,

Ahnet nur wenig von ihm, dem tückischen, falschen Verehrer;

Denn was in Unschuld wandelt, das denkt nicht lüstern an Böses.

Vögel erschrecken nicht dort, wo kein heimlicher Jäger

Dunkel verborgen im Dickicht lauert mit tückischer List.

Also erwidert sie freundlich und sicher die wärmsten Bekundung,

Dankt ihm mit herzlicher Art, als ihrem fürstlichen Gaste,

Dessen verborgene Krankheit kein äußerer Schaden verrät.

Denn er umkleidet sich klug mit seinem glänzenden Anstand,

Hüllt in die Flechten der Macht die niederträchtige Sünde.

Nichts an ihm scheinet verkehrt, nichts mahnt an tückische Absicht,

Doch in dem Leuchten des Augs verbirgt sich übermaß Staunen;

Keiner vermag zu erfüllen, was all das Schauen begehrt.

Also beschloss er sein Tun mit brennendem inneren Wahne,

Denn was zu viel ist an Macht, das will noch immer viel mehr.


Aber sie, die noch nie mit fremden Augen verglichen,

Sah nicht das falsche Begehr in seinen tückischen Blicken,

Kannte die doppelten Zeichen der listigen Schmeichler nicht,

Las nicht die tückischen Lettern, die sich im Glas ihrer Seele

Spiegelten hell und verbargen die dunkle Absicht des Mannes.

Niemals berührte sie Lockung, die in Geheimnissen lauerte,

Fürchtete keinen Betrug und keine räuberischen Haken.


Er aber rühmte mit List die Tugend der reinen Gemahlin,

Sang ihrem Manne das Lob, das in Italiens Fluren

Er sich im blutigen Kampf mit heldischem Mut errungen.

Häufig gepriesen erscholl Collatins ritterlich Name,

Herrlich gemacht durch den Ruhm der eroberten Feinde,

Deren besiegte Gewalt sich neigte vor seinem Gebote.

Freudig erhebt sie die Hand und preist ihn stumm mit dem Himmel,

Danket dem Helden und segnet still sein ritterlich Werk.

Fern jedoch war er vom Ziel, das ihn mit Listen erfüllte,

Ging mit Entschuldigungen ein, warum er hier weilte,

Strahlend und heiter, als sei kein finsterer Schatten verborgen.

Doch wenn die traurige Nacht, die Mutter des Furcht und Entsetzens,

Dunkel das Antlitz der Welt mit schwarzem Schattentuch decket,

Wenn in gewölbtem Gefängnis gefangen der Tag sich verdunkelt,

Dann wird Tarquin erwacht sein heimliches Werk zu beginnen.


Müdigkeit heuchelnd erlischt er den Glanz seines Blickes,

Lässt sich geleiten zum Bett, als fordre die Reise viel Ruhe.

Nach dem Mahle jedoch, als lange der Abend verstrichen,

Befragte er fleißig das Tun der tugendsamen Lucretia,

Lauernd, bis alle im Hause vom Schlafe bezwungen.

Nun schon kämpfen die Glieder mit bleierner Müdigkeit schwerlich,

Jeder im Hause, der ruht, erhebt ein leises Gebet,

Betet um Schutz vor den Dieben und Sorgen der wachsenden Furcht.

Doch ein Erwachter allein, Tarquin, er wendet sich ruhelos,

Grübelt und ringt mit den vielen Gefahren des sündigen Willens.

Denn ihn begehrt die Begier, und doch das Zaudern ermahnt ihn;

Schwache Gedanken gebieten Verzicht, doch lodernd die Gier.

Immer erlangt nur der, der wagt, was keiner sich wünscht;

Selbst wenn Verzweiflung die Hoffnung verspottet,

Greift doch der Mensch nach dem Schatz, der den Tod als Gefährten gebiert.


Diese Versuchung nun hält ihn gefangen, er wankt zwischen

Ehre und Lust, doch neigt er sich tief der verderblichen Gier.

Wo bleibt Wahrheit, wenn er sich selbst nicht zu trauen vermag?

Wie kann er denken, dass Fremde je ihm Gerechtigkeit wahren,

Wenn er selbst untreu betrügt, sich selbst mit Schande beladet?


Nun schon hat tiefe Nacht die Schatten über das Haus gelegt,

Sterbliche Augen sind nun geschlossen in träumendem Schlummer,

Kein heller Stern erhellt den dunklen Gewölben der Stunde,

Kein Laut erklingt als der Ruf der schaurigen Vögel der Nacht.

Nun ist die Stunde gekommen für Raub und Mord und Verderben,

Wo Unschuld schweigt und die Sünde in düstere Werke erwacht.


Plötzlich springt er aus seinem Bett, wirft hastig den Mantel

Schwer auf den Arm, von Begehren und Furcht wild umhergeworfen.

Eines bestärkt ihn im Wunsch, doch das andere flüstert ihm Mahnung,

Aber der Ehre Gewicht schwindet dahin vor der Glut seiner Lüste.

Oft schon betete er, sich zurückzuziehen von seinem Verlangen,

Doch immer siegte die Lust, die seine Gedanken betörte.


Leise schlägt er den Stahl auf den kalten Stein seiner Kammer,

Bis sich ein Funke erhebt und lodernd entzündet die Fackel.

Hell erleuchtet nun flackert das Licht in seinem Geiste,

Gleich einem Stern, der am Himmel erscheint und lockt mit Gefahren.

Und zu der Flamme spricht er mit unheilvoll brennender Stimme:


Wie aus kaltem Gestein ich das lodernde Feuer erzwungen,

Also zwing' ich mein Recht auf Lucretias zitterndes Herz nun. –

Dennoch erbeb' ich vor Angst, und der Frevel erscheint mir gefährlich,

Tief im Innern ergründe ich, was für ein Leid er gebären mag.

Schaudernd wäge ich ab, doch verhöhne die zitternden Zweifel,

Blicke verächtlich empor und erhasche die schändliche Lust mir.

Unrecht herrscht in mir, und ich schüttle die Fesseln der Tugend:

Schöne Fackel, verlösche dein Licht und leih' es nicht jener,

Die mit strahlendem Glanz dich übertrifft in der Reinheit!

Sterbet, Gedanken der Sünde, bevor ihr die Göttliche schändet,

Dass nicht euer Makel den Tempel der Tugend beflecke!

Reinen Weihrauch nur darf man dem reinlichen Schrein darbringen,

Möge die Menschheit die ruchlose Tat mit Abscheu erblicken!

Unschuld blühet so weiß wie der Schnee auf den blühenden Feldern,

Doch mein Frevel wird Schmach auf die glänzende Ritterschaft häufen.

Oh, welch Schande für mich, für mein Haus, für die rühmlichen Ahnen!

Oh, welch gottlose Tat, in der alle Verbrechen vereinet!

Soll ein Streiter, der edlen Gedankens sein Banner erhebt, nun

Sklave sein von der törichten Lust, von der weichen Begierde?

Echte Tapferkeit ehrt die Gerechtigkeit, achtet die Reinheit;

Doch mein Frevel verhöhnt mich selbst, er entstellt mein Antlitz.

Sterben mag ich – doch bleibt meine Schande am Leben für immer,

Trotz meines Todes spricht man die Schmach aus mit flüsternder Stimme.

Selbst mein goldenes Wappen wird Makel der Schande nicht tilgen,

Und die Nachwelt wird meinen verderblichen Namen verfluchen.

Ja, mein Blut wird sie schmähen, mein Sohn wird verwerfen den Vater,

Und in bitterem Groll sich vom Schatten der Ahnen entfernen.


Was gewinne ich denn, wenn ich nehme, was töricht mich reizt nun?

Nur ein flüchtiger Traum, ein Atem, ein Hauch meiner Lust nur!

Wer verkauft die Unendlichkeit gegen vergängliche Freuden?

Oder wer kauft ein einziges Lächeln mit endlosem Jammer?

Wird ein Narr eine Rebe zerstören für eine süße Beere?

Oder wird sich ein Bettler erheben, um Kron' und Szepter zu greifen,

Nur um elend gefällt zu werden vom Arm der Gerechtigkeit?

Wenn Collatin meine ruchlose Absicht in Träumen erahnt,

Wird er nicht aufschrei'n und eilend die Freveltat hindern?

Wird er nicht lodern vor Zorn und wütend die Rache beschwören?

Jene Schmach, die das Antlitz der Ehe mit Schande umflort,

Jene Untat, die Tugend vernichtet, die Sünde bewahrt,

Jene Bürde, die ewig auf mir als Verdammnis nun lastet!


O, welch Wort kann die Tat, die so finster ist, reinlich entschuld'gen?

Wird die Zunge nicht stocken, die Stimme nicht zittern vor Angst?

Wird nicht bebend der Leib und erblasst mein Antlitz erstarren?

Wird das falsche Herz nicht bluten, gequält von der Schuld?

Furcht ist groß, doch die Schuld übersteigt sie in schrecklicher Größe.

Denn die Angst kann nicht kämpfen, nicht fliehen, nur kläglich vergehn.

Hätt' Collatin meinen Vater erschlagen, den Sohn mir entrissen,

Oder feindlich mein Leben umstellt mit Verrat und mit Tücke,

Wäre mein Zorn gerecht, doch was ist mein Grund für die Sünde?

Ist er nicht mein Verwandter, mein Freund, mein Bruder im Blute?

Schande bleibt mir allein, und die Tat ist zu schauderhaft böse.

Wenn bekannt sie wird, wird man sie hassen mit rechtem Entsetzen.


Spreche ich sie mit Liebe, so wird sie mich hassen mit Recht.

Sie ist rein, und sie kann nicht dem Willen der Sünde erliegen.

Zwingt mein Wille sie nieder, so wird ihre Tugend mich fluchen!

Ach, ich weiß, dass die Sünde mich reißt aus der Ordnung der Welt.

Doch der hitzige Wille erstickt mir die Stimmen der Tugend.

Schon verliert meine Seele die letzte Vernunft aus dem Blicke,

Denn die Sünde vergiftet den Geist mit verderblichem Wahne.

Nur ein einziger Schritt – und es schwinden mir Tugend und Friede!

Ach, doch wie freundlich bot sie mir eben noch lächelnd die Hand dar,

Ach, und wie forschte ihr suchender Blick nach der Kunde des Krieges,

Bebend aus Furcht, dass ihr Gatte gefallen im blutigen Kampfe!

Oh, wie schreckte ihr Blick vor der Angst, und wie glühte ihr Antlitz!


Zuerst rot wie Rosen, die wir auf den Rasen legen,

Dann weiß wie der Rasen, der die Rosen aufnahm.

Und wie ihre Hand in meiner Hand verschlossen ist,

Zwang es mich, mit ihrer treuen Angst zu zittern!

Was sie traurig mich schlug, und dann schneller bewegte,

Bis zum Wohlergehen ihres Mannes hörte sie es;

Wohin sie lächelte mit so süßem Beifall,

Das hätte Narziss gesehen, wie sie da stand,

Selbstliebe hätte ihn nie in der Flut ertränkt.

Warum jage ich dann nach Schminke oder Ausreden?

Alle Redner sind stumm, wenn die Schönheit bittet;

Armer Ärger hat bei schlechtem Missbrauch nur Reue;

Liebe gedeiht nicht im Herzen, das die Schatten fürchtet:

Zuneigung ist mein Hauptmann, und er führt;

Und wenn sein knallrotes Banner gezeigt wird,

Der Feigling kämpft und wird nicht bestürzt sein.

Dann, kindliche Angst, hinweg! debattiere, stirb!

Respekt und Vernunft, wartet auf das faltige Alter!

Mein Herz wird niemals meinen Augen kontern:

Traurige Pause und tiefe Rücksicht nimm auf den Weisen;

Mein Teil ist die Jugend und schlägt diese von der Bühne:

Ich wünsche, mein Pilot ist die Schönheit, mein Preis.

Wer fürchtet denn, dort zu versinken, wo ein solcher Schatz liegt?

So wie Mais durch Unkraut überwachsen ist,

So die wachsame Angst

Ist fast von unwiderstehlicher Lust erstickt!

Weg, er stiehlt mit offenem Ohr

Voller widerlicher Hoffnung und voll liebevollem Misstrauen;

Beide, die als Diener der Ungerechten dienen,

So kreuzen sie ihn mit ihrer entgegengesetzten Überzeugung,

Da schwört er jetzt eine Liga und jetzt eine Invasion.

In seinem Gedanken sitzt ihr himmlisches Bild,

Und in dem gleichen Sitz sitzt Collatin:

Dieses Auge, das sie ansieht, verwirrt seinen Verstand.

Dieses Auge, das sie als Göttin sieht,

Zu einer Ansicht, die so falsch ist, neigt er sich nicht;

Aber mit einem reinen Appell sucht das Herz,

Was einst verdorben war, nimmt den schlechteren Teil.

Und darin hören seine unterwürfigen Kräfte auf,

Der, geschmeichelt von der Show ihres Anführers,

Füllt seine Geilheit, wenn die Minuten die Stunden füllen;

Und wie ihr Hauptmann, so wächst ihr Stolz,

Sklavischen Tribut zu zahlen, wie man schuldet.

Durch das widerwärtige Verlangen,

Das so wahnsinnig geführt wurde,

Der römische Herr marschiert zu Lucretias Bett.

Die Schlösser zwischen ihrer Kammer und seinem Willen,

Jedes von ihm erzwungen, zieht sich zurück;

Aber als sie sich öffnen, bewerten sie alle seine Krankheit.

Was den schleichenden Dieb dazu bringt, etwas zu beachten:

Die Schwelle rastet die Tür ein, um ihn hören zu lassen;

Nachtwandernde Ratten schreien, ihn dort zu sehen;

Sie erschrecken ihn, dennoch verfolgt er seine Angst.

Da jedes unwillige Portal ihm den Weg freigibt,

Durch kleine Öffnungen und Winkel des Ortes

Der Wind kämpft mit seiner Fackel, damit er bleiben kann,

Und bläst ihm den Rauch ins Gesicht,

In diesem Fall sein Verhalten zu löschen;

Aber sein heißes Herz, das die Sehnsucht begehrt, versengt,

Bläst einen anderen Wind, der die Fackel abfeuert,

Und erleuchtet durch das Licht, dass er ausspioniert

Lucretias Handschuh, in dem ihre Nadel haftet:

Er nimmt ihn von den Binsen, wo er liegt,

Und dabei greift er die Nadel mit dem Finger;

Als wer wollte sagen: Dieser Handschuh für mutwillige Tricks

Ist nicht versichert; kehre um in Eile;

Du siehst, dass die Ornamente unserer Herrin keusch sind.

Aber all diese armen Verbote konnten ihn nicht aufhalten;

Er konstruiert im schlimmsten Sinne ihre Ablehnung:

Die Türen, der Wind, der Handschuh, die ihn verzögert haben,

Er nimmt sie als versehentliche Dinge der Prüfung an;

Oder als die Grenzen, die die stündliche Wahl stoppen,

Der mit einem langanhaltenden Mord seinen Kurs nimmt,

Bis zu jeder Minute zahlt die Stunde seine Schulden.

So also, sagte er, diese können die Zeit besuchen,

Wie kleine Fröste, die irgendwann den Frühling bedrohen,

Um dem Lenz eine freudigere Stimmung hinzuzufügen,

Und geben den gefangenen Vögeln mehr Grund zum Singen.

Schmerz bezahlt das Einkommen jedes kostbaren Dings;

Riesige Felsen, starke Winde, starke Piraten und Sand

Der Kaufmann fürchtet, bevor er zu Hause reich ist.

Nun ist er an die Kammertür gekommen,

Die schließt ihn vom Himmel seines Denkens ab,

Welche mit einem nachgebenden Riegel und nicht mehr

Hatte ihn von dem gesegneten Ding gesucht.

So ward von ihm Unfruchtbarkeit gewirkt,

Dass für seine Beute zu beten er beginnt,

Als ob der Himmel seine Sünde tragen sollte.

Aber inmitten seines unfruchtbaren Gebets

Die ewige Macht bat er, den Vatergott der Götter,

Dass seine üblen Gedanken seine Schöne durchziehen könnten,

Und sie würde zur vollen Stunde günstig sein,

Sogar da fängt er an: Ja, er muss sie entjungfern.


Die Mächte, zu denen ich fleh, sie hassen die schreckliche Wahrheit.

Wie könnten sie dann mir helfen, die Tat nun dennoch zu tun?

Eros und Glück sind Götter mir, Führer durch irrende Pfade!

Rückgegeben wird mein Wille mit letzter Lösung der Not:

Träume allein sind Gedanken, bis ihre Früchte sich zeigen;

Sünde, die schwärzeste, strahlt, wird sie von Gnade befreit.

Vor der Liebe verglüht die Angst, ihr eisiger Frost ist zerronnen,

Und das Auge des Himmels verlischt in der nebligen Nacht,

Die nun schamvoll verhüllt, was einst der Freude gefolgt ist.


Also sprach er und riss mit schuldiger Hand auf den Riegel,

Knieend, doch fordernd zugleich, weit sich die Türe ihm bot.

Schnell noch schlief die Taube, dass Eule sie schnappe mit List nun,

So wird Böses mit Bösem gesucht, Verräter Verrat.

Sieht jemand lauernd die Schlange, so meidet er weise die Pfade;

Doch sie ruhete sanft, ahnte nichts von drohender Schuld.


Drin in der Kammer schlich er sich fort, wo das Lager noch rein war,

Schleiernd das Bett, doch gierig irrt sein rollendes Aug.

Verrat lockt sein Herz, und finstere Lust ihm beflügelt,

Bald ist das Wort schon vollbracht, Wolken umhüllen den Mond.

Seht, wie die feurige Sonne aus Nebel hervorbricht und blendet,

Gleich so blendet sein Blick, zieht doch der Vorhang ihn an.

Ob es ihr Leuchten ist, das ihn so blendet und reizt nun,

Oder die Schande, die er heimlich sich selbst schon gesteht?

Ach, blind bleibt sein Blick, und doch in dunklem Verlies nun gefangen!

O wär’ er hier doch erloschen, eh’ er dies Unheil vollbringt!


Collatin hätte geruht noch an Lucretias Seite,

Reinen Bettes bewahrt, unberührt von flüsternder Schuld.

Doch er muss diese heilige Bande zerbrechen in Frevel,

Lucretia denkt mit Graun, dass sie nun opfern sich muss:

Geben muss sie die Freude, das Leben, die Ehre der Welt.


Ihre Lilienhand ruht sanft an rosiger Wange,

Kopf auf dem Kissen gebettet, das einst Liebende kennt.

Wütend erscheint es gespalten, der Hauch hebt schwellende Wogen,

Zwischen den Hügeln dort liegt, still, ihr friedlicher Kopf.

Wie ein erhabnes Denkmal ruht sie im schlafenden Frieden,

Staunend bewundert von Augen, die unheilig sind.


Außerhalb des Bettes lag ihre schimmernde Hand noch,

Leicht auf der grünen Decke, gleich einem strahlenden Stern.

Wie ein Gänseblümlein, das frische Tauperlen zieren,

Zeigt sie sich strahlend und sanft, in der Unschuld bewahrt.

Augen, von Schlummer bedeckt, gleich goldenen Blüten geschlosssen,

Warten in Dunkel geborgen, zu schmücken den Tag.


Haare umspielen den Atem, wie feines Flattern von Fäden,

O ihr bescheidenen Locken, von tückischer Hand nun ersehnt!

Leben und Tod hier verwoben, im sanften Schlummer vereint,

Ob sich bekriegen sie müssen, ob eines im andern vergeht?


Brüste, wie Elfenbein mit sanften Adern durchzogen,

Welten, die Tarquin erblickt und von Begierde verzehrt.

Diese Welten der Tugend erregen in ihm neue Gier nun,

So, wie ein Löwe, der Beute in stärkstem Hunger verschlingt.


Schweigend steht Tarquin da, vom Schlummer gelockt und betäubt noch,

Dennoch erwacht in ihm wilder, unbändiger Drang.

Herz, wie ein Schlachtfeld tobend, Alarm in brennenden Pulsen,

Drängt ihn zum Frevel, der nun schon unwiderruflich sich naht.

Hand gleitet langsam hinab, auf marmorweißer Gestalt nun,

Wo er die Unschuld berührt, die ihm gehörig nicht ist.


Brennt sein Blick wie Fackeln, ihr Schlummer verlischt in der Angst schon,

Doch ihre Tränen vergehen, denn Schreie erstarren in Nacht.

Fürchtet, Lucretia, fürchtet euch nicht, doch der Frevel ist nahe!

Still noch läuft nun die Zeit, doch sie vergeht ohne Trost.


Stelle sie dir als Eine in finsterer Nacht nun vor,

Die aus trostlosem Schlaf durch schreckliche Bilder erwachet,

Glaubend, ein grausiges Schreckgespenst erscheine den Augen,

Dessen furchtbarer Blick ihr jegliches Glied nun erschüttert.

Schauerlich ist dies Graun! Doch sie, vom Schlafe gerissen,

Schaut mit zitterndem Blick, ob wirklich der Schrecken ihr naht.

In tausend Ängsten gefangen, verwirrt und bebend wie Vögel,

Die ein Jäger getötet, doch noch zu zucken vermögen.

Wagt sie es nicht hinzusehen – doch blinzelnd erblickt sie

Immer veränderte Fratzen, verzerrt und grässlich dem Auge:

Solche Schattengebilde gebiert des erschreckten Gehirnes

Wahn, das ergrimmt, weil Licht den Augen entfliehet,

Dunkel gebärend, noch dunklere Schrecken beschwörend.


Seine Hand, sie ruht noch bebend auf ihrer Brust,

Ein ungestümer Widder, die elfenbeinerne Mauer

Einzuschlagen mit Wucht und die zitternde Beute zu fällen.

Mag sie im Innersten spüren den Mord an der keuschen Burg,

Sterbend, erwachend zugleich in unendlicher Qual,

Schlägt sie die bebende Hand an den Leib in wilder Verzweiflung.

Dies entflammt ihn zu größerer Wut, zu geringerem Mitleid,

Drängt ihn, die Feste zu stürmen, die süße Stadt zu betreten.

Erst, wie ein Kriegsruf, beginnt ihre Zunge zu flehen,

Redet zum herzlosen Feind in banger und flehender Klage.

Doch er steht über ihr, mit gierigem Blick auf ihr Antlitz,

Sieht das erschreckte Kinn, das bleiche und bebende Antlitz.


Falsch ist dein Klagen,“ spricht er, „die Farbe deines Gesichts,

Das selbst dem Zorn noch die Lilie bleich erscheinen lässt,

Rötet die Rose der Scham in errötender Glut,

Möge sie flehen und Liebesgeschichten mir singen.

Denn diese Farbe verrät mir die noch unbesiegte Burg,

Zeigt mir den Einlass – dein Fehler! Denn deine Augen

Boten mich selbst dir an, sie verrieten dein Sein mir.

Darum schelte mich nicht, es fesselt mich einzig dein Blick,

Der mich gefangen nahm in dieser nächtlichen Stunde.

Willst du mit Klugheit mich mahnen, so bleibt mein Wille doch fest,

Denn was mein Land erfreut, will meine Herrschaft bezwingen.

Dich suchte ich mit Macht, denn dein Leib ist meine Beute.


Seh ich doch, welche Dornen die blühende Rose bewachen,

Weiß ich, dass Schätze mit stählernem Riegel gesichert,

Doch was vermag das Gesetz, wenn der Wille es bricht?

Taub ist der Wunsch, er hört nicht auf Mahnung und Klugheit.

Nur hat das Auge für Schönheit ein wachendes Sehen,

Schreibt auf das, was es schaut, Gesetz und unwiderrufliches Urteil.

Lange schon rang ich in mir, ob Scham oder Ruhm mir gebühre,

Doch kein Gedanke vermag das Verlangen zu dämpfen.

Wohl folget Reue der Tat, wohl folget Verachtung und Schmach,

Doch ich vollende mein Werk und nehme willig die Schande!“


So sprach er und riss sein römisches Schwert in die Höhe,

Wie ein Falke sich hebt in den glühenden Lüften des Morgens,

Dessen geschwungene Schwingen das Opfer verdunkelnd umfangen,

Dessen gebogener Schnabel, sobald er trifft, tödlich reißt.

Unter dem Schatten der Flügel liegt Lucretia reglos,

Bebend wie Tauben, wenn Falkenglocken sie mahnen zu fliehen.

Lucretia,“ spricht er, „diese Nacht will ich dich genießen.

Wehrst du dich, so nimmt rohe Gewalt den siegreichen Weg.

Denn in dem Lager, wo jetzt du in Keuschheit verweilest,

Muss ich dich brechen und stürzen mit gnadenlosem Verlangen.


Tust du es nicht, so töte ich jenen Sklaven daneben,

Leg ihn in deine Arme und schwöre mit blutiger Lüge,

Er fiel durch meine Hand, als ich mit dir mich vereinte.

So wird dein Ehemann stets mit Schmach nun beflecket,

All deine Lieben versinken in namenlosem Kummer.

Sein, ihr und dein ist dann alle Ehre verloren,

Denn in der Zukunft wird man dich mit Schande besingen.

Doch fügst du dich mir, dann bleib ich dein heimlicher Freund,

Ohne dass irgendwer je von der Schmach ein Wort spricht.

Denn ein geringes Vergehen dient oft einem edleren Zwecke,

Und mit weiser Politik wird Unrecht oft zugedeckt.“


Hier hielt er inne und blickte mit grausamer Miene,

Stand über ihr mit der Kälte des lauernden Jägers…


Während sie das Bild der tugendreinen Frömmigkeit zeiget,

Gleich einem schneeigen Haupt in der Krallen Last der Beschwerden,

Bittend in wilder Öd’, wo kein Gesetz mehr gebietet,

Gegen das grausame Tier, das kein sanftes Recht je erkannte,

Noch einem Willen gehorcht als nur dem schändlichen Triebe.

Aber wenn Wolken, düster verhüllt, die Erde bedrohen,

Flüchten im dunstigen Grau die ragenden Gipfel der Berge;

Tief aus der schwarzen Gebärerin Schoß entsteiget ein Lüftchen,

Welches den pechigen Dunst von dem Antlitz der Himmel vertreibet,

Hemmt mit sanfter Gewalt der Wolke fallende Schrecken.

Also auch eilte sein Gruß, doch stockte ihr flehendes Reden,

Und der trauernde Pluto erbebte, wenn Orpheus sang.

Doch die verhasste Katze, die Nacht bewacht, sie verharrt so,

Hält in der klammernden Tatze die schwache, bebende Maus;

Deren verzweifeltes Fleh’n nur die dumme Gier noch erregt ihr,

Gleich einem gähnenden Schlund, der mit Verschlingen nicht endet.

Höret das Ohr ihr Gebet, doch taub bleibt das hartherzige Inn’re,

Denn auch Tränen erweichen nicht Lust, ob Regen den Stein schürft.

Fest auf sein gnadenlos furchtbares Antlitz richtet sie traurig

Blick und Seufzer zugleich, die ihr Beredtheit noch zieren.

Oft schon bricht sie ihr Wort, die Klage stockt in der Kehle,

Zweimal hebt sie sie an, sobald sie wagen will, sprechen.

Heilig beschwört sie ihn nun bei dem allmächtigen Schöpfer,

Rittertum, Ehre, der süßen Freundschaft bindenden Eiden,

Bei ihrer Tränen Gewalt, bei der Liebe des eigenen Gatten,

Beim Gesetz, das der Mensch und die Welt in Einklang verbindet,

Himmel und Erde zugleich, die Schöpferkraft beider durchflehend,

Dass er das fremde Gemach mit Ehren verlasse und weiche,

Nicht mit Frevel entlohne der Gastfreundschaft heil’ge Gewährung.

Nicht wirft Schmutz jener Brunnen, aus dem du labend getrunken,

Nicht zerstöre, was nicht zu wandeln ist, heilig und hehr schon!

Brach ein Jäger den Bogen, um eine Hirschkuh zu schlagen?

Schone mich, denn mein Gatte ist dir ein Freund und ein Bruder!

Mächtig bist du – um deiner Ehre willen, verschone!

Schwach bin ich – drum umso mehr sei deiner Größe bewusst dir!

Nie schienst du falsch – betrüge mich nun mit List nicht und Trugbild!

Seufzer wirbeln wie Stürme, um dich zur Gnade zu rühren:

Hat je ein Mann mit Weiberklagen gelitten, so höre,

Wie aus Schluchzen und Stöhnen ein aufgewühlter Ozean wird,

Brandend an felsige Küsten, die stur in der Flut widerstehen,

Doch mit stetigem Schlag noch der Stein von Wasser verzehret.

Bist du härter als Fels? Dann bleibe doch taub und unnachgiebig!

Oh, bist du menschlich, so schmelze in Gnade mit tränengetränkter

Demut und Milde, die selbst ein eisernes Tor noch erschließt!

War es Tarquins Gestalt, die ich dich verehren geheißen?

Nahmst du sein Antlitz nur an, um ihn mit Schande zu zeichnen?

Wehe, mit allen Heeren des Himmels klage ich wider,

Denn du hast Schande gebracht und jenen fürstlichen Namen

Frevelhaft tief in das Unrecht und Schmach und Schande gerissen!

Bist du noch jener, der du erscheinst? Und wenn du derselbe,

Bist du nicht dennoch ein anderer, fremd dem göttlichen Vorbild?

Könige herrschen wie Götter – doch schändest du deine Geburt schon!

Wie wird’s enden? Wenn schon dein Frühling in Lastern erblühet,

Welche Frucht wird erst dann aus deinem Alter entsprossen?

Solltest du töricht im Wünschen sein, in der Krone bist du’s nicht minder!

Oh, erinnere dich, dass selbst ein Knecht kann verderben

Dort, wo der König wankt, denn Majestät ist kein Schatten.

Dich wird fürchten nur, wer durch Schrecken zur Knechtschaft gezwungen;

Doch die Beglückten allein gebären Liebe dem Herrscher.

Wirst du nun dulden, dass deinem Befehl nur Furcht sich ergebe,

Darin die eigene Schuld nur den Spiegel vor Augen dir hält?

Wahrlich, in Lehm ist keine Vergehung verborgen, doch ewig

Lebt die Untat des Fürsten im Glanz seines Namens verzeichnet.

Fürsten sind Spiegel, in denen das Volk seine Tugenden übet,

Schule, aus der es sich lehrt, und ein Buch, aus dem es sich bildet.

Willst du nun sein, wo die schändliche Lust sich zur Weisheit erhebt?

Soll aus dir man das Unrecht lernen, das keiner entschuldigt?

Willst du ein Spiegel sein, in dem man Wahrheit nicht findet,

Sondern nur Laster, die Ehre als frevelnden Schmutz noch besudeln?

Nein! Ein Tadel sei dir, der den Ruhm in den Staub nur herunterzieht,

Schlechter denn all sein Lob, das dir mit Unsterblichkeit lohnet!


Hast du geboten? Von dem, der es selber dir auftrug,

Wirst du zum Rebell aus reinem, erhabenen Willen?

Zücke dein Schwert nicht, Missetat hütend mit Frevel,

Denn es ward dir gegeben, zu strafen, was sterben muss.

Wie erfüllst du, o Fürst, dein heiliges Amt und Gebieten,

Wenn durch deines Tuns Verderben die Sünde nun spricht?

Lernen sie frevelnd zu handeln, da du ihren Weg geleitet?

Denke, wie schrecklich es wäre, ein Schauspiel des Grauens zu sehn,

Darin du selbst dein Verbrechen in anderen widererkennst.

Selten erscheinen die Fehler der Menschen am Tag;

Eigenes Unrecht erdrückt sie oft, dass es vergehe.

Doch für den Bruder erschien’ diese Schuld wohl todeswürdig.

O, wie hüllt Schande den Frevler in übles Gewand,

Wenn seine Augen bezeugen, was seine Taten erschufen!

Höre mich an! Ich flehe dich an mit Händen voll Redlichkeit:

Lass nicht Begierde dich locken, die dich mit Aussatz befleckt!

Klage ich nicht um den Sturz der verbannten Majestät?

Lass ihn zurückkehren und schmeichlerisch Denken entfliehen:

Denn sein wahrer Respekt wird falsches Verlangen gefangen,

Und den trügenden Nebel vertreibt er aus deinem Gesicht,

Dass du erkennst, wer du bist, und mein Erbarmen erfährst.

Hast du's getan? Er sprach’s: Meine zügellose Begierde

Wendet nicht um, nein, strömt nur mit wütender Flut!

Bald erlöschen die kleinen Lichter, die großen erglühen,

Wogen mit Winden der Wut, die Ströme verschlingend,

Und die kleinen Gewässer, die täglich ihre Schuld tilgen,

Stürzen mit Eile ins salzige Meer und verschmelzen,

Doch nicht ändert ihr Strom die Natur des gewaltigen Meeres.

O du“, sprach sie, „bist selber ein Meer, ein König des Blutes,

Und doch wirft eine schwarze Flut ihre Schande hinein:

Lust, die entehrt, die betrügt und das Leben verfinstert.

Wenn du dein edles Geblüt mit Sünden verderben lässt,

Hörst du dein Meer bald brodeln im Bauch einer schmutzigen Pfütze,

Doch niemals wird eine Pfütze den mächtigen Ozean trüben!

Soll denn der Sklave König sein und du sein Knecht?

Soll der Edle sich neigen, und niedere Wesen erheben?

Du bist ihr reines Leben, doch sie sind deine Schande!

Sie selbst sind ein Greuel, und du in deiner Verblendung nicht minder!

Niedriges soll sich dem Höheren niemals gleichstellen.

Biegt sich die Zeder zum Fuß eines dürftigen Buschs?

Nein, doch vergehen die Sträucher an ihrer gewaltigen Wurzel!“

Lass deine Gedanken nicht länger als Knechte herrschen!

Schweig“, ruft er, „ich höre dich nicht! Blick nicht zum Himmel!

Gib meiner Liebe nach, oder erzwungener Hass

Wird dich mit wilder Gewalt anstelle der Zärtlichkeit fassen!

Denkst du, du kannst dem Lager entfliehn, das ich nun bereite?

Nein, du bist mein, und der Himmel bezeuge mein grausames Werk!“

Also sprach er, und trat mit dem Fuß auf das flackernde Licht,

Denn zwischen Gier und dem Glanze der Tugend ist ewiger Krieg.

Schande liebt dunkle Verborgenheit, nährt sich vom Schatten,

Wenn kein Zeuge mehr lebt, da waltet ihr grausames Recht.

Sieh, wie der Wolf seine Beute gepackt hält, und das Lamm klagt,

Bis es im Flaum seines Felles die eigene Stimme erstickt,

Und das Schreien verschlingt in der Beuge der bebenden Lippen.

Denn in das Leinen der Nacht hüllt er ihren Protest,

Und ihr Erbarmen wird stumm in den eisernen Händen des Frevlers.

Oh, welch Schmach, dass die Lust sich auf Keuschheit bettet,

Dort, wo ein reines Gewand mit Tränen sich selber bestreut!

Ihre bittere Klage erklingt mit bebender Stimme,

Doch was sie verlor, war teurer als sterbliches Leben,

Und was er gewann, wird ihm zum Verderben gereichen.

Zwang macht Streit, und Schmerz wächst aus Freude der Gier,

Heiße Begierde verwandelt sich schnell in erkaltende Schande.

Raubt man die Reinheit, so bleibt nur das Raubtier in Not,

Denn Lust, der Dieb, wird ärmer als vor der Tat.

Sieh, wie der satte Jagdhund, getrieben von unmäß'gem Fraß,

Nicht mehr der Fährte folgt, noch mit Flügeln des Falken sich hebt.

So erging es Tarquin in dieser verderblichen Nacht:

Sein Genuss war gewaltig, doch kehrte sich bald ihm zum Fluch.

Oh, sündiger Hochmut, der bodenlos tiefer sich wühlt,

Kann in dunkler Verborgenheit Untat ersinnen!

Gieriger Trunkner, erbrich deine Tat, erkenne dein Elend!

Doch solange die Lust sich im Stolze erhebt, wird kein Ruf

Sie zügeln noch binden, bis endlich Erschöpfung sie raubt.

Dann erst, wenn die glühende Hitze verraucht ist,

Bleibt nur ein fahles Gesicht, ein müder Blick,

Ein Körper voll Schwäche, ein Elend, das sich verzehrt,

Und der Frevler erkennt sein Verderben zu spät.

So ergeht es dem Herrn von Rom, dem sündigen Jäger,

Der seiner Gier nun trotzt und klagend sich selber verflucht.

Denn nun sieht er sich selbst durch Zeiten hinweg entehrt,

Sein heiliger Tempel der Seele entstellt und geschändet.

Und aus den Trümmern erwachen Legionen der Sorge,

Um die entehrte Prinzessin um Mitleid flehend zu fragen.


Sie spricht: „Mit frevelndem Aufstand haben die Knechte,

Gegen mich aufbegehrt, die geweihten Mauern zerstöret,

Und durch schuldig' Verbrechen den Tod sich selber erkauft,

Fielen vom ewigen Sein in des Schmerzes finstere Knechtschaft.

Doch, was auch Vorurteil zwingt, mein Wissen konnte nicht hindern,

Was ihr Wille begann – und nun schleicht jener im Dunkel,

Raubend, doch selbst ein Gefangener, der den Gewinn nun verlieret.

Trägt er die Wunde, die niemals heilt, und die Narbe, die bleibet,

Schmerzlicher noch als zuvor, da er größere Leiden empfindet.

Sie nun trägt die entbrannte Last der zurückgelass’nen Begierde,

Und des schuldbelasteten Geistes zermürbende Bürde.

Traurig entweicht er nun, wie ein diebischer Hund in der Gasse;

Keuchend liegt sie da wie ein hilfloses, müdes Lamm.

Finster er runzelt die Stirn und haßt sich selbst für die Sünde,

Und sie verzweifelt, die Nägel ins zarte Fleisch sich verkrallend.

Schwach nun flieht er dahin, von ängstlicher Reue getrieben,

Sie aber bleibt zurück und ruft in der schrecklichen Nacht.

Rennend verwünscht er selbst die verflogene, hassenswerte Freude,

Er verläßt den Ort als ein schwer gezeichneter Sünder,

Sie aber bleibt in trostlos hoffnungslosem Verhängnis.

Eilend erhofft er das Licht des erwachenden Morgens,

Sie aber betet, dass nie ein Tag ihr erscheine:

Denn der Tag,“ spricht sie, „reißt jeglichen Nachtschatten auf,

Und mein Aug' hat niemals gelernt, mit listiger Stirne

Schuld zu verhüllen und Sünde dem Blicke zu stehlen.

Doch was nützt es? Sie sehen es alle, so wie ich es erblicke,

Denn kein Blick kann blind für die Schande sein, die mich trifft.

Darum würde ich ewig im Dunkel verborgen verbleiben,

Dass meine Schuld mir nicht lauter ins Antlitz schreit.

Denn sie wächst mit der Klage und ätzt sich tief in mein Antlitz,

Gleich dem Wasser, das Eisen zernagt, in unendlicher Pein.“


Hier nun fleht sie um Ruhe, um Schlaf, um ewige Nacht,

Bittet, dass ihre Augen für immer geblendet verbleiben.

Weckt sich selbst durch den Schlag auf die bebende Brust,

Dass das Herz doch entfliehe und reinere Stätte sich suche.

Hadernd und keuchend entströmt ihr der Trotz gegen jene

Unsichtbare Nacht, die Verbrechen und Schmach nur verbirgt:

O du trügerische Nacht, du Bild und Spiegel der Hölle!

Düsteres Register, das Schande und Unheil bewahrt!

Dunkles Theater der Morde, der Sünde verborgene Bühne!

Chaos der heimlichen Lüste, Verräterin heimlicher Schmach!

Kranke Gebärerin Schuld, die alle Sünde umhüllet,

Blinde verschlagene Hure, die finstere Lust stets umfängt!

Dunkler, verderblicher Hafen der tückischen Unzucht,

Grimmiges Tor in den Tod, in bodenlose Verzweiflung!

Flüsternde Dienerin, die dem Mörder den Dolch in die Hand legt,

Hassvolle, nebelumhüllte und giftige, düstere Nacht!

Da du mein sündiges Leid mit wissender Dunkelheit decktest,

Reize nun deinen Nebel zum Kampf mit dem östlichen Licht!

Halte den flüchtigen Tag mit deinem Schleier gefangen,

Oder, wenn du erlaubst, dass er zur Höhe sich schwingt,

So umwinde sein goldenes Haupt mit giftigen Wolken,

Dass sein leuchtender Atem sich selbst an der Fäulnis ersticke.

Lass ihn vergehen, eh’ er den Zenit je erreicht,

Dass sein reiner Glanz vor deiner Finsternis flieht.

Lass deinen nebligen Odem sich fester um Mittag verdichten,

Dass er ihr leuchtendes Licht ersticke und Ewigkeit dämme!


War Tarquin nicht Nacht? War er nicht das Kind dieser Schatten?

Hätte er nicht vor der silbernen Königin Angst?

Doch mit verderbter Begierde entehrte er glänzende Schönheit,

Die in deinem Busen, o Nacht, sich verborgen geglaubt.

Hätte ich Mitschuldige doch, die mein Elend empfänden!

Denn gemeinsam erträgt man Schmerzen mit leichterer Bürde.

Doch ich sitze allein in stummer, trostloser Klage,

Hauche mit tränenbenetzter Stimme mein Weh,

Und umkränze mit salzigen Strömen mein Angesicht.

Schluchzend durchwühle ich meine Trauer mit Stöhnen,

Und meine Arme vergehn in umarmungsloser Leere.


O Nacht, du Ofen der Übel, voll pesthauchendem Rauch,

Lass nicht den neidischen Tag mein entstelltes Gesicht nun erblicken!

Lass mich verborgen in deinem dunklen Mantel der Schande!

Denn wer gefallen in Schmach, der sucht das Dunkel als Heim!

Bleibe, o düstere Nacht, in endloser Stille gefangen,

Dass alle Sünden, die unter dir wurzelten, dort auch vergeh’n!

Mache nicht Platz für den tagverkündenden Morgen!


Bald wird leuchten das Licht, und es glänzt mein Wesen auf meiner Stirne,

Süße Geschichte des Keuschheitsverfalls, ihr tragisches Ende, 

Bruch des heiligen Eides, den gnadenlos Tarquin besudelte. 

Ja, der Unwissende selbst, der die Schriftgelehrten nicht kennet, 

Nennt doch William die Sünde, die schreckliche Übertretung, 

Nennt mein Antlitz dazu, das im Schatten der Schande nun stehet. 


Selbst die Amme erzählt, um ihr weinendes Kind zu beschwicht’gen, 

Meine Geschichte und ängstigt den Säugling mit Tarquins Verbrechen. 

Redner schmücken die Rede mit Williams schrecklicher Kunde, 

Knüpfen an Tarquins Untat die meine, die schmerzliche Schande. 

Sänger, die Feste begeh’n, sie stimmen die Klage der Ehre, 

Singen die Kunde von mir, und die Hörer verstummen betroffen. 


Wie mich Tarquin entehrt, ich, Collatin, bleibe verfluchet. 

Doch soll rein noch mein Name verbleiben, so klar wie zuvor, 

Unbefleckt soll die Liebe mir sein, die ich ihm stets bewahrt hab. 

Wenn auch ein Thema für Streit man sucht in den dunklen Geschichten, 

Wurzeln von anderm Geäst bereits in der Tiefe verfaulen, 

Bleibe doch klar mein Wesen und unverschuldet mein Urteil, 

Denn vor Tarquinens Tat war Collatin stets meine Seele. 


O du unsichtbare Schmach, die wie eine Wunde verborgen, 

O du schändlicher Makel, der leise die Ehre durchdringet! 

Vorwurf prangt nun auf Collatins Antlitz, von Ferne schon lesbar, 

Selbst in Frieden verwundet, nicht aber im Kampfe gefallen. 

Ach, wie viele ertragen in Stille die Schläge der Schande, 

Wissen um ihre Pein, doch nicht um die Hand, die sie führte! 


Wenn nun, Collatin, deine Ehre in mir dir verborgen, 

So ist sie durch räuber’schen Frevel mir gänzlich entrissen. 

Meine Ehre ist fort, und ich, wie die drohnenhafte Biene, 

Habe nichts mehr von all meiner süßen, duftenden Fülle. 

Alles entriss mir die Diebeshand, die mich gewaltsam beraubte. 

In das schwache Gehäus, das mich einst wohl sicher bewahrte, 

Drang eine Wespe hinein und sog meinen reinlichen Honig. 


Doch bin ich schuldig, da ich dem Feinde den Einlass gewährte, 

Ihn aus Rücksicht nicht wies, da er kam aus Collatins Namen. 

Wie hätt’ ich ihn hassen gekonnt, wo ich Liebe bewahrte? 

Ach, doch Schande bedeckt mich, die Schande, die mir nun verbleibet! 

Süße Tugend, du Opfer der Bosheit! O teuflischer Frevler, 

Der sich lüstern bemächtiget dessen, was heilig erachtet! 


Warum frisst sich der Wurm in die jungfräuliche Knospe? 

Warum schlüpfet der Kuckuck in fremde, unschuldige Nester? 

Warum speit die gemeine, die schleimige Kröte ihr Gift aus? 

Warum lauern Tyrannen in Herzen, die sanft und ergeben? 

Warum bricht der erhabene König den Kodex der Ehre? 

Ach, kein Wesen ist rein, dass es niemals Makel behaftet! 


Reichtum quält den Alten, der Gold in seinen Kammern bewahret, 

Plagend mit Krämpfen, mit Gicht und mit Pein, die sein Alter erschüttert. 

Selten erblickt er den Schatz, den er hütet mit sorgender Seele, 

Doch er sitzet wie Tantalus da, in peinigender Nähe, 

Sehet das Gut, doch es nützt ihm nichts, als wäre es Trugbild. 

Freude bringt es ihm nicht, nur Kummer und nie Genesung. 


Haben tut er es nur, doch er kann es nicht nutzen mit Freude, 

Und er lässt es dem Sohn, der es achtlos fortwirft zum Leichtsinn. 

All sein Werk wird verkannt, und die Jugend verprasst es mit Gier. 

Was uns lockte mit Süße, vergeht uns in ekelnder Stunde, 

Kaum dass wir’s nennen als unser, so flieht es im Wandel der Zeit. 

Sanfte Blüte umschlingen die distelgeschmückten Gewächse, 

Zwischen dem Wohllaut der Vögel zischt die gemeine Elster, 

Wo die Tugend erblüht, da lauert das übelste Laster. 


Wir besitz’n nichts Gutes, das einzig uns reinlich gehöret, 

Denn die Zeit, sie enteignet, was Liebe in Reinheit umschlinget. 

O du tückische Stunde, Gelegenheit voller Verruchtheit, 

Die du Sünde ermöglichst, wo Wahrheit allein noch bestehen sollt! 

Wölfe stellst du den Lämmern zur Seite, dass sie vergehen, 

Zeiten erschaffst du, in denen das Böse gedeiht und erstarket. 


Du bist Richter, Gesetz, du bist Wille, du bist auch das Unrecht, 

Sündige Kämmerlein birgst du und webst dunkle Geschicke. 

Selbst der Vestalin Herz bringst du listig zur Übertretung, 

Flamme zerstörst du, wenn Mäßigung langsam vergehet in Wärme, 

Stichst durch Ehrlichkeit hindurch, bis nichts als ein Trugbild verbleibet. 


O verfluchte Gelegenheit, welch grausame Tücke du hegest, 

Gibst dem Verräter die Hand und versiegelst die dunkelste Stunde! 

Du verdunkelst den Ruhm, du verjagst das glorreiche Loblied, 

Schande allein bleibt zurück, wenn dein Wirken sich offen enthüllet. 

Was mit süßlichem Glanze verführte, wird bitterer Wermut, 

Was im Dunkeln geschah, wird im Lichte zur Schmach ausgebreitet. 

Goldene Worte verblassen und werden zu lärmendem Hohne, 

Glanzvolle Namen ertrinken im wankenden Ruf der Verdammnis. 


Warum suchst du, Gelegenheit, so viele mit flehender Stimme, 

Doch erscheinst du dem Bettler nie, wenn er mit Sehnsucht dich rufet? 

Wann wirst du retten das Herz, das im Elend sich mühsam verzehret? 

Wann wirst du mildern den Schmerz, der die Kranken bedrücket mit Pein? 

Ach, den Elenden, Blinden und Lahmen erscheinst du vergebens, 

Doch den ruchlosen Dieben gewährst du die schändlichste Stunde. 


Sterbend der Kranke, indes der Arzt in Schlummer versinket,

Hungernd die Waise, indes der Tyrann an Tafeln sich mästet,

Weinend die Witwe, indes die Gerechtigkeit schwelget,

Turnend der Rat, indes die Seuche verderblich sich brütet.

Keine Minute gewährt die Zeit der barmherz'gen Erbarmung:

Zorn und Neid, Verrat und verheerende Mordesgewalt,

Lauern verborgen in finstrer Stund', als ob sie Vasallen.

Wahrheit und Tugend, so sie sich nahen an dich,

Hindern sie Kreuze zu tausenden, fern von der Hilfe.

Gold erkauft sich die Hand, doch Sünde bezahlet mitnichten,

Kömmt sie doch gratis zu dir – und du bist willig zu hören,

Alles, was ruchlos verführt, und was die Finsternis flüstert.

Ach, Collatin, er wäre mir nah, wie Tarquin gekommen,

Hieltest du nicht ihn zurück in des Schicksales Dunkel.


Schuldig bist du des Raubs, des Mordes, der Meineid und Knechtschaft,

Schuldig der Falschheit, des Frevels, des tückischen Eidbruchs,

Schuldig des Treubruchs, des Bluts, des verruchten entweihten Begehrens,

Schuldig an Sünden vergangener Zeit und der kommenden Zeiten,

Schuldig von Anbeginn bis hin zum Ende der Tage.

Zeit, Gefährtin der Nacht, mit heimlicher Hast und mit List,

Bote des Kummers, geheimer Bewahrer verderblicher Sorgen,

Lügnerischer Gesell der trügerischen Freuden der Jugend,

Stille Bekümmerin, Fessel der Tugend, Träger der Schuld.

Alles ernährst du und tötest zugleich, was unter dir lebet.

Hör mich an, du grausame, säumende, endlose Zeit!

Werde zum Schuldigen nun durch mein so schreckliches Unrecht!

Warum gewährst du dem Frevler Gelegenheit, dass er

Jene geraubten Stunden verprasst, die du mir gegeben,

Raubet mein Glück und mich zum endlosen Elend verdammet?


Zeit! Dein Amt ist es, Feinde zu strafen mit rechter Vergeltung,

Täuschung zu sichten und Wahrheit im Licht zu enthüllen,

Siegel des Alters auf alles zu prägen, das wanket und schwindet,

Morgen zu wecken und Nacht mit friedlicher Decke zu schützen.

Täusche den Falschen, bis ihm sein Frevel gerechte Buße,

Stürze mit deinen Stunden die prunkvollen Bauten der Mächtigen,

Schwärze mit Staub ihre goldenen Türme und speise

Würmer mit Denkmälern, die von Hochmut zeugen,

Schleife den Stahl und raube dem Marmor die ewige Stärke,

Drehe das Rad von Fortuna und kehre zum Staube zurück.

Töchter gebären, die Töchter gebären, und Kinder zu Männern

Wachsen und altern, der Löwe wird zahm, das Einhorn gebändigt,

Tiger erliegen dem Schwert, der Schnitter erntet den Schnitter,

Quellen versiegen und Eichen zerfallen im Lauf deiner Tage.


Doch warum wanderst du rastlos, wenn du nicht umkehrst,

Buße zu leisten für all das Unrecht, das du verhießest?

Eine verweilte Minute in einem endlosen Alter

Könnte Erlösung gewähren, doch du verweigerst die Gnade.

Ach, nur eine verlorene Stunde zurück, und der Sturm,

Der mich nun peinigt, er wäre durch dich abgewendet!

Unaufhaltsamer Mangel an Ewigkeit, wende dein Auge,

Wanke Tarquin in seinem verderblichen Fliehen!

Schleudre den Fluch über ihn, dass ihm sein Frevel erscheine,

Lasse den Schatten sich neigen auf seine verderblichen Blicke,

Lasse das Grauen ihn stürzen in jede denkbare Hölle.

Lasst ihm die Stunden in Jammer verstreichen, in peinigender Reue,

Möge die Nacht ihm erscheinen in tausenden Schreckensgesichtern,

Steinige Herzen ihm gnadenlos wüten, härter als Steine!

Frauen, so milde, sie sollen zu Tigern ihm werden,

Jede Minute vergeh'n in Kummer und rastlosem Wahn,

Bis seine Zeit, die er raubte, ihm selbst zur Geißel gerate,

Jede Sekunde im Klagen vergehe – oh Zeit, sei sein Fluch!


Der Böse ist’s, der aus königlichem Hause gekommen,

Hoffnung beschämend durch tatenentstellte Verkommenheit.

Mächtig der Mann, doch mächtiger ist das Geschehen,

Das ihn zu Ehre erhebt oder niederstürzt in den Hass.

Größeren Staaten drohet der größte der Schanden.

Wolkenverhangen verbirgt sich der silberne Mond,

Kleine Gestirne verbergen ihr Licht, wenn sie aufblitzen.

Krähen durchwaten das Moor, doch fliegen sie unerkannt,

Schwärze bedeckt schon Schwärze, im Schmutze gewaschen.

Doch der schneeweiße Schwan, wenn er einmal beflecket,

Trägt auf dem silbernen Flaum die Makel der Schande.


Arme Bräutigame gleich sind sehlosen Nächten,

Könige strahlen in Ruhm wie leuchtender Tag.

Mücken entgehen dem Blick, doch Adler erheben

Frech sich zum Himmel und trotzen blendendem Licht.

Fort mit den hohlen Worten, ihr Knechte der Torheit!

Unnützes Flüstern, ihr schwächlichen Richter der Schwäche!

Treibt eure Spiele in Schulen, wo Kinder noch kämpfen,

Streitet in Sälen, wo Müßiggang Debatten gebiert,

Tretet als Richter vor zitternde Kunden, ihr Feigen –

Mir doch erschlafft keine Hand, mein Recht ist vergangen!

Sinnlos bebt mein Herz in zitternder Furcht,

Tarquin und finstere Nacht – mir schaudert umsonst.

Nimmer erlangt meine Klage verlorenes Recht,

Worte wie Rauch verwehn in der wirbelnden Luft.

Eines nur bleibt, um mir selbst noch Gutes zu tun:

Tropfen um Tropfen zu lösen mein schuldiges Blut.


Zitterst, o Hand, vor dem schrecklichen Ratschluss?

Ehre dich selbst und erlöse mich jetzt von der Schmach!

Sterb’ ich, so lebt doch die Ehre durch dich; doch wenn ich lebe,

Bleibst du befleckt mit der Schande, die mich überkam.

Konntest du nicht deine Herrin in Treue bewahren,

Nicht einmal wüten, den frevelnden Feind zu zerkratzen?

Töte mich, töt’ auch dich, weil sie sich wehrlos ergab! –


Also sprach sie und reckte sich auf von der niedergetretenen Lagerstatt,

Eifrig ein Werkzeug des Todes suchend im Hause.

Doch nicht fand sie das Mordinstrument,

Das die entseelte Luft aus Lungen vertreibt.

Wie der Ätna in Rauch sich hüllt und verflüchtigt,

Wie sich der Dampf eines Kanonenschusses verzehrt,

So auch verstrich ihr qualvolles Seufzen im Leeren.

Vergebens,“ sprach sie, „so leb’ ich und suche vergebens,

Glücklich zu enden ein unglückseliges Dasein.

Tarquin, der Falke, mag töten – doch gleiche ich nun

Jenem, der furchtlos das schreckliche Messer ergreift.“

Treue erfordert den Mut – und mutig will ich nun sein,

Denn was ist Treue, wenn Schande mein Haupt überwallt?


Weh mir, für das ich einst leben wollte, das ist nun fort!

Drum sei der Tod mir das ehrenvoll einzige Ziel.

Eines gewährt mir der letzte, verhängnisvolle Entschluss:

Dass ich die Schande in Ehren begrabe mit Ruhm.

Besser ein sterbendes Herz als lebenslange Verzweiflung,

Besser ein Leichnam, als Schmach zu erdulden im Haus.

Nein, Collatin, du sollst nicht wissend und leidend

An dem befleckten Vermächtnis der Treue verzweifeln.

Nie soll der Bastard, der aus dieser Schmach sich entsprungen,

Einst sich erheben und frech mit dem Vater sich rühmen,

Noch dich verspotten mit schleichendem Blick hinter Mauern.

Dein ist die Ehre, und die wird nicht Gold je erkaufen,

Sondern sie flieht vor dem Tor, das unwürdig sie schließt.


Ich bin gebunden dem Los, das über mir waltet,

Und meine Schuld will ich nie mit Lügen verstecken.

Frevel bemale ich nicht mit kunstvoll redendem Wort,

Noch will ich Wahrheit in glatten Entschuldigungen binden.

Alles erzähle mein Mund, was grausam geschah,

Augen sollen es weinen in strömenden Fluten.

Wie eine sprudelnde Quelle aus felsigem Grunde

Laut ihre Wasser ergießt ins sehnende Tal,

So soll mein Jammer mit reiner Stimme erklingen. –


Philomele, die klagende Nachtigall, endete also

Ihren Gesang und sank in den dunklen Verlust.

Und mit bedrückendem Fluch zog in die Hölle die Nacht,

Bis in der Ferne der Morgen errötend erstand,

Strahlen verheißend für all die hungrigen Blicke,

Die sich nach wärmendem Lichte des Tages gesehnt.

Aber die dunkle Lucretia, sie fürchtet das Morgenrot,

Will sich der glühenden Lampe der Sonne verbergen,

Sucht noch das Kloster der Nacht, denn der Tag wird zum Richter.

Schatten entfliehen, die Lichter entlarven die Wahrheit,

Und durch das Fenster blickt nun das wachsame Auge:

Warum erhebst du dich, Sonne, und blickst in mein Elend?

Warum verlachst du mich, scheuche mich nicht aus dem Dunkel!

Dunkel sei meine Stirn, nicht brandmarke dein Feuer mein Antlitz,

Denn des Tages Werk ist nicht, was die Nacht hat getan.“ –


Also versank sie im Schmerz, in alles verschlingender Trauer,

Denn wahre Klage, sie liebt und verwundet zugleich,

Wie ein zorniges Kind, das trostlos ins Leere hineinruft.


Nicht des Säuglings Kummer, doch alte Leiden sie tragen;

Einer wird davon zahm, doch der andere wild und zerrissen,

Wie ein Schwimmer, der stürzt, der unsicher gleitet ins Wasser,

Viel zu viel Arbeit versinkt aus Mangel an kühnem Vermögen.

Tief in Sorgen versenkt, wie in Meeresfluten gebadet,

Führt sie Disput mit dem Blick auf jegliche Dinge der Erde,

Und mit sich selbst, denn all ihr Leid ist vergleichbar mit allem.

Nichts gibt Trost, doch immer erneuert die Glut ihr Verlangen;

Eines verzieht sich, doch naht ein anderes schnell in den Reihen.

Dumm wird Trauer, wenn Worte ihr fehlen, erstarrt in der Stille;

Doch wenn sie wächst, ist ihr Mund von plapperndem Wahnsinn durchdrungen.


Selbst der Vögel Gesang, der mit Freude den Morgen verkündet,

Treibt sie in Wahn, ihr Lied ist ein Stachel tief in der Seele.

Freudiger Klang gebiert in der Trauer doch grimmige Wut nur;

Schatten fliehen, wo Licht sich regt in lächelnder Wonne.

Leid gesellt sich zum Leid, um sich tränenschwer zu vereinen:

Denn nur der Trauernde fühlt sich im Kummer gelinder.

Mitten im Meer noch ein Sterben zu fühlen, verdoppelt das Sterben;

Tiefen verschlingt eine Tiefe, die Zehnfach gierigen Rachen.

Wenn schon Salben die Wunden verschlimmern, was lindert noch Schmerzen?

Größtes Weh klagt am meisten darüber, was Gutes es brächte.

Sanft gleitet der Strom, doch verbirgt er tödliche Tiefe;

Ufer umfließen den Strom, der niemals zu Rasten gerufen.

O du grenzenlos Leid, das kein Sterblicher bändigt, kein König!


Spottet, ihr Vögel, doch bleibt in eurer gefiederten Schale;

Taub sind Ohren, die nur noch das Echo der Schmerzen umfangen.

Nichts bleibt ruhig, wo Zwietracht im Innersten wühlt und sich windet;

Keine Freude erwächst aus der Stätte, die Wunden nur heget.

Daher flieht, ihr, mit euren harmonischen, lichten Gesängen!

Klage gehört zum Verzweifelten, wenn die Zeit nur noch weinet.

Komm, o Philomele, Gesang der schmerzenden Seufzer!

Flechte dein Lied in die wirren und trostlosen Locken des Hauptes;

Tränenspendend, wie Erde den Tau einer Wolke begierig,

Werd ich klagen mit dir und mit Schluchzen des Elends mich tragen.

Widerhall soll mein Stöhnen ertönen von Tarquins Verbrechen;

Wie du klagst um Tereus, werd ich um meine Schmach trauern.


Dorn an deiner Brust sei mein Messer, das tiefer noch schneidet,

Hingewandt meinem Herzen, um meine Qualen zu bändigen.

Soll mein Auge darauf sich senken und sterbend verglimmen,

Wie ein Stern, der verglüht in der schwärzlichen Weite der Himmel.

Wie auf Instrumenten die Saiten in Einklang erklingen,

Soll unser Herz in der Klage der tiefsten Verzückung ertrinken.

Daher, armer Gesang, bleibst du schweigend verborgen am Tage,

Dass du nicht siehst, was das Auge verdunkelt im Schatten.

Wehe dem Ort, der von Hitze gepeinigt, doch frostlos geblieben!

Weinen wir dort, wo die Klage der Wesen in Harmonie klingt.

Weil der Mensch das Tier untersucht, soll das Tier uns belehren,

Sorgsam hörend auf Weisen, die klüger als Worte erscheinen.


Wie das Hirschlein im Dickicht von Pfeilen und Jägern getrieben,

Wählt sie wirr ihre Flucht und verfängt sich im Labyrinth eigener Angst.

Kampf mit sich selbst, zu leben oder zu sterben? Was wäre wohl besser?

Lebt sie, so schämt sie sich; stirbt sie, so schuldet sie Tod ihrem Feind.

"Mich zu töten", so spricht sie, "was wäre mein Sieg?"

Doch ihr Leib ist entweiht, und ihre Seele zerbrochen.

Besser die, die nur hälfte verloren, als jene, die ganz untergehen.

Gleich der Mutter, die eines der Kinder dem Tod überlassen,

Doch nicht grausam genug ist, das zweite zu stoßen ins Dunkel.


Seele und Leib, wer war mir der liebste? Wer war mir der teurere?

Einer war rein, doch der andre von Göttlichem Glanze durchdrungen.

Einst war beider Bestimmung der Himmel und Collatins Treue;

Nun ist die Rinde gespalten, der Baum schon entlaubt und verdürret.

So wird die Seele beraubt ihrer stillen, geweihten Gemächer,

Die einst ein Tempel des Lichts und der lauteren Tugend gewesen.

Nun ist entheiligt das Heiligtum, niedergerissen die Mauern,

Von dem Feind entblößt und geschändet in schrecklicher Schmach.

Daher sei es kein Frevel, wenn durch meine eigenen Hände

Hier ich ein Tor mir bereite, durch das meine Seele entweichet.

Doch noch sterb ich nicht, bis Collatin hört, was geschehen,

Dass er mit Trauer in Rache den Frevel bestrafe.


Tarquin vermache ich Blut, das er frevelnd entweiht hat;

Und wie es ihm ziemt, wird es Zeugnis in meinem Vermächtnis.

Ehre vermach ich dem Stahl, der mich ehrlos geschändet,

Denn wahre Ehre beraubt nur den Frevler des Lebens.

Aus der Asche der Schande erhebt sich mein reinerer Ruhm;

Tod tötet die Schmach, und mein Name bleibt ewig unbefleckt.

Liebster Gemahl, dem mein Herz und mein Juwel ich gegeben,

Welches Vermächtnis bleibt mir, das ich dir hinterlasse?

Treue und Mut, dass du Rache mir schwörest an jenem,

Der mich bezwungen und mich um mein Leben gebracht hat.

Wie Tarquin gesühnt werden muss, lies du es in mir:

Freundin war ich dir einst, nun sterb ich als Feindin;

Und mein Tod sei der Stachel, der Rache entfacht!

Dies ist mein Wille, dies meine kürzeste Letzte Verfügung.


Meine Seele und Leib, sie ragen zum Himmel und Boden;

Nimmst du, o Mann, mein Vorsatz an und mein Streben?

Meine Ehre, sie sei das Messer, das Wunden mir schneidet,

Meine Schande die seine, der meinen Ruhm mir verwirrte.

Und mein ganzer Gewinn, den das Leben auszahlte, sei nun

Bei den Lebenden, jenen, die keine Schande mir denken.


Du, Collatin, du sollst diesen Willen bewahren;

Wie doch, ach, habe ich übersehn, dass du es erblickest!

Meines Blutes Verrat soll Krankheit und Schande ihm bringen,

Mein Leben ein Frevel, doch wird mein gerechtes Ende

Bald mich befreien und lösen von allem Geschick.

Ohnmächtig, ohnmächtig – doch leise sag ich: So sei es!

Gib meiner Hand nun nach – meine Hand wird siegen im Sterben.

Sterben wirst du – wir beide – und dennoch Sieger verbleiben.


Diese Verschwörung des Todes, als sie betrübt dort ruhte,

Dunkel die Perle wischend aus strahlenden Augen.

Heiser rief sie ihr Mägdelein, bebend von Kummer,

Dessen Gehorsam ihr treu war, lieblich und eilig;

Denn des Gebundenseins Fessel treibt doch Gedanken zum Fliegen.

Dicht an der Magd nun ruht Lucretias leidende Wange,

Wie wenn im Winter der Schnee schmilzt unter der Sonne.

Sanft ihr Morgengruß kam, doch langsam die Zunge,

Zeugend von Bescheidenheit, rein wie ein Spiegel der Ehre.

Aber ihr Blick, betrübt, er fragt ohne zu fragen,

Warum der Herrin Antlitz sich hüllte in Trauer,

Warum der leuchtenden Augen Strahlen sich trübten,

Warum der Wangen Zier in Wehmut versank.

Doch wie die Erde weint, wenn die Sonne sich neiget,

Jede Blume glänzt dann feucht wie ein trauerndes Auge.


Also die Magd, durch Tränen des Mitleids genetzt,

Zitternd ihr Blick von Tropfen gedrängt und kreisend,

Gleich den zwei Sonnen, die jetzt in des Schmerzes Ozean tauchen.

Eine hübsche Zeit stand so das schöne Gespann,

Wie von Elfenbein ringsum fließende Korallen.

Eine weint schön – die andere reicht ihr die Hand,

Doch ohne Grund als nur um Gemeinschaft zu sein.

Wird doch kein Tropfen vergossen, den nicht ein Herz erahnt.

Männer sind Marmor, doch Frauen nur wachsweiche Blüten,

Nehmend Gestalt nach fremder Gewalten Griff.

Formt sie Gewalt, Betrug oder schicksalhafte List,

Bleibt doch der Abdruck, und nimmer vergehen die Wunden.


Nicht das Wachs ist schuld, wenn ein Teufelsbild eingeprägt,

Nicht das Schwert, wenn es fällt durch die Hand eines Feindes.

Sanft ist ihr Wesen, gleich einer liebreichen Wiese,

Öffnend den Pfad für des Lebens kleinste Geschöpfe.

Männer dagegen sind Wächter in harten Gefilden,

Deren Schlaf trügt, doch stets ein Splitter hindurchblickt.

Wenn Männer in Marmor die Frevel kühner verstecken,

Steht das Gesicht einer Frau als ein offenes Buch.


Niemand klagt an die Blume, wenn Winter sie tötet,

Doch nicht vergessen kann man den frostigen Mörder.

Nicht verschlungen, doch das, was verschlingt, ist das Böse.

O, lasst nimmer die Schuld der bedrängten Frauen!

Herren des Hochmuts, selbst schuldig, machen die Schwachen

Träger der Schande, die nicht ihnen gebührt.

Lucretia, in solcher Not und von solcher Gefahr umfangen,

Zittert und weiß, dass Tod und Schande sie jagen.

Ihr Ende, es würde den Gatten schändlich entehrn,

Und in der Furcht vor solchem Verderben erbebt sie.

Denn wer entweiht nicht den Leib, der tot schon darniederliegt?

Doch mit geduldiger Stimme erhebt sie sich endlich,

Blickt zu der Magd, die bebend die Tränen vergießt.


Mein Mädchen“, spricht sie, „was bringt dich zum Weinen?

Weshalb gießt du Tropfen, die schwerer noch machen mein Herz?“

Wenn Tränen mir halfen, so weinte ich selber mir Rettung,

Doch sage mir, wann Tarquin verließ diese Stätte?“

Da stockte sie, atmete tief auf und seufzte.

Frau“, sprach die Magd, „noch ehe ich aufstand, entwich er,

Was mir Schuld gibt, dass ich so trägen Gehorsam bewies.“


Noch eh der Morgen erwacht’, da regte mein Leib sich im Dunkel,

Stand ich sodann, doch Tarquin war längst schon nimmer zu finden.

Aber, o Herrin, so sei mir vergönnt, dies kühne Begehren:

Darf ich erfahren, was euch in so tiefe Schwermut versenket? –


Schweig und verharre!“ so sprach Lucretia: „Soll es gesprochen,

Wird es nicht minder, je öfter die Stimme die Schande bezeuget.

Mehr noch, als Worte es fassen, bedrängt mich innerste Pein nun,

Und dieser Qualen Gewicht mag schlimmer als höllische Glut sein,

Wenn sie gefühlt wird und doch nicht Macht zum Beklagen gegeben.

Eile nun, bringe mir Tinte und Feder samt Pergament hier!

Doch nicht umsonst sei die Arbeit, denn hier schon liegt mein Entschluss.“


Was soll ich schreiben? Ein Diener von meinem Gemahle bittet,

Dass du dich rüstest, so schnell es nur geht, zu eiliger Reise,

Diesen Brief ihm zu bringen, mein Liebster! Beeile dich, bitte,

Mache dich fertig, denn eilend erheischet die Ursache Drängen! –

Fort geht das Mädchen und macht sich bereit für die Botschaft des Leids.


Zögernd schwebt nun die Feder zuerst über schweigendes Pergament,

Ehre mit Kummer beginnt sogleich einen kämpfenden Zwiespalt.

Was sie zu schreiben beabsichtigt, wächst aus schwankendem Willen:

Dies ist zu zaghaft, zu hart, das andere allzu verdunkelt.

So wie ein Mensch an der Tür, gehemmt zwischen Schreiten und Stehen,

Hadern die Worte in ihr, um zuerst aus der Seele zu gleiten.

Endlich beginnt sie und setzt an den Rand der beschreibenden Blätter:


Herrlichster Gatte, den unwürdige Liebe hier grüßet,

Wünsche ich Heil dir und Schutz! Ach, gönne mir gütige Milde!

Denn wenn du jemals, mein Teurer, Lucretia wiederschauen willst,

Dann erscheine sogleich! Mein Leid ist länger als Worte.

Dies sei mein Abschied: In Trauer verbleib’ ich im Hause zurück.“


Hier nun schließt sie den Klang ihrer schmerzensreichen Beklagung,

Sicher erfasst, doch so unsicher ist, was verborgen geblieben.

Mag wohl Collatin durch dieses Blatt ihr Weh nur erkennen,

Doch nicht ermessen die Wahrheit der tiefverhüllten Tortur.

Nicht wagt sie, alles zu nennen, denn sollte ihr Gatte dies wissen,

Möchte er rasen vor Wut, bevor ihr eigenes Blut flösse.


Auch ihr Leben und all die Empörung, die brennend sie niederdrückt,

Spart sie sich auf, bis er kommt und selbst ihre Leiden vernimmt.

Denn wenn Seufzen und Tränen sich zeigen in Gegenwart dessen,

Der sie geliebt, so mag es die schändliche Schmach auch vertreiben.

Darum ließ sie den Brief unbefleckt von den schmerzlichen Worten,

Bis ihr Erlöser mit gütiger Hand ihre Wunden vernarbt.


Ach, doch zu hören vermag nur ein Bruchstück der bitteren Trauer:

Tiefste Beklemmung macht weniger Lärm als törichtes Klagen,

Weh wird verweht und verloren im Sturmwind nichtssagender Rede.


Nun ist versiegelt der Brief, und draußen am Rande vermerkt sie:

In Ardea, eilends und ohne Verzug an den Herrn nun!“ –

Eilig herbei kommt der Bote, und schnell übergibt sie die Schrift ihm.

Finster der Blick und mit hastigen Schritten entweicht der Gesandte,

Wie wenn die Hühner erschreckt vor dem Sturme gen Norden entfliehen.

Schneller als Eile, doch bleiern und mühsam vergeht ihm die Strecke,

Denn was bedrängt, das zwingt auch zu äußerstem Widerstand stets.


Hier nun erreicht er das Ziel, und schweigend erwartet Lucretia:

Hat er empfangen die Botschaft? Er geht mit beschämtem Gewissen,

Doch in der Brust ihrer selbst nur ein dunkler Verdacht und ein Zittern.

Denn wer die Schuld in sich trägt, glaubt in allen Gesichtern zu lesen.

Sah Lucretia Scham, so vermeint sie, ihr eigenes Bluten

Spiegle sich wieder in jenem, den sie mit Seufzern beschauet.


Doch, o du Tor, was ahnst du? Er wusste von nichts und verdankte

Nichts als den Mangel an Geist, an Leben und tapferem Antrieb.

Solche Geschöpfe wie er, sie bleiben von Tugend gerettet,

Wissen nicht, wie man erkennt, was nicht von der Sprache verkündet.


Er aber eilte, so schnell seine mühsame Pflicht ihn bedrängte,

Rasch, doch nicht eilig genug, um Zweifel nicht weiter zu wecken.

Denn sie befürchtete, Tarquins Lüsternheit spiegelte wieder

Rotes Entflammen im Blick jenes Botens, der schuldlos entkam.


Je mehr sie sah, wie das Blut ihm errötend zurück in die Wangen

Stieg, umso mehr war sie selbst von unklaren Sorgen ergriffen.

Lange verweilt sie in bangem Ersinnen, doch bald schon beginnt sie,

Neue Bekümmernis kehrt mit der bleiernen Zeit zu ihr ein.


Weinen und Seufzen und Klagen, das eine ermüdet das andre,

Weh mir, o wehe!“ so stöhnt sie und kann nicht zum Schweigen sich zwingen.

Doch da erblickt sie ein Bild, das kunstvolle Maler geschaffen:

Priamos’ Fall und den Raub der verheerenden Helena zeigend,

Grausam bedrängt durch das Heer der Griechen, die Troja zertreten.

Bauten, die ragten, als küssten sie Wolken in prangender Höhe,

Schienen zu schwanken und bebend zu fallen, verzehrt von der Glut.


Tausend ergreifende Szenen, die starre Figuren belebten,

Leben verlieh dort die Kunst, wo lebloses Dasein gestanden.

Tränen erstarrt in der Zeit, doch dennoch schienen sie fließend,

Wehmut ergoss sich aus steinernen Wangen der trauernden Helden.


Das rote Blut, es roch noch nach Streit, nach Wunden des Malers;

Sterbende Augen erglühten in Lichtern, fahl und verlöschend,

Gleich wie Kohlen, die schwinden in nächtlicher Einsamkeit brennend.

Dort hättest du den schuftenden Pionier wohl erblicket,

Schweißbedecket und staubverschmiert, als stürb' er in Arbeit.

Hoch von den Türmen Trojas herab sahen blickende Augen,

Scharf durch enge Spalten gestochen, hinab auf die Griechen,

Doch mit wenigem Lust; es war ein trübsinniges Schauen,

Dass man die fernen Augen in Trauer gefangen gesehen.


In den Gebärden der mächtigen Führer erstrahlten die Zeichen

Majestätischer Gnade, und Ruhm lag hell auf den Stirnen.

Jugend erglänzte in schneller Gewandtheit, hurtigen Schritten,

Blasse Feiglinge aber, sie marschierten mit zitternden Gliedern,

Sodass der Anblick allein den Schauder des Herzens verriet.

Dort, in den Zügen des Ajax, erblicktest du wilde Entschlossenheit,

Harte Wut, die blind durch die Furchen der Stirne sich wühlte.

Doch aus den Augen des listenreichen Odysseus da leuchtete

Tiefer Respekt und kluge, gemessene Führung in Milde.


Nestor stand in der Mitte, der ernste, gewaltige Greis,

Mahnte die Griechen zum Kampf mit ruhigen, klugen Gebärden,

Wie sein Bart, in silbernen Wellen, bebte im Winde,

Und von den Lippen sein Wort, wie ein zitternder Strom, sich erhob.

Rings um ihn staute die Menge der schauenden, lauschenden Krieger,

Gierig, als wollten sie gänzlich die Weisheit des Alten verschlingen.

Alle hörten zugleich, doch jeder in anderer Weise,

Wie von den Sängen der Meermaid die Wogen des Meeres bewegt sind.


Tief durchdrungen von Kunst war das Bild, das der Maler erschaffen,

Täuschung täuschte mit Wahrheit, so eng, so treu war das Werk:

Dort war Achilles‘ Speer, doch er selbst stand einzig im Geiste,

Nur ein Arm und ein Fuß, doch sah man das Ganze vor Augen.

Trojas Mauern umstanden die Krieger, und Hektor der Kühne

Zog hinaus in das Feld, von trojanischen Müttern begleitet,

Die mit leuchtendem Blick auf den kühnen Verteidiger schauten.

Hoffnung und Angst in seltsamem Wechsel färbten ihr Antlitz,

Gleich als färbten sich Lichter mit Schatten der kommenden Schrecken.


Blut durchtränkte den Strand, wo die Männer des Krieges sich maßen,

Rot floss es hinab zu des Simois schilfigem Ufer,

Wo die Wellen der Schlacht sich im wilden Gewoge bewegten,

Brach die Front in der Brandung und türmte sich dann wieder auf.

Dort vor dem Bilde stand Lucretia, trauernd, verzweifelnd,

Suchte ein Antlitz, in dem sich das Leiden der Menschen verdichtete.

Viele Gesichter voll Sorge, doch keines war ganz in Verzweiflung,

Bis ihr Blick auf Hekuba fiel, die blutende Wunden

Priamos’ sah, wie sie troffen aus Pyrrhus' gewaltigem Fuße.


Dort hatte der Maler der Zeit das Grauen gestaltet,

Ruinen der Schönheit, den Schutt eines Lebens in Sorge,

Kummer in Falten gegraben auf eingefallene Wangen,

Blaues Blut, es verfärbte sich dunkel in sterbenden Adern,

Lebte noch, doch wie tot, in einem verblichenen Leibe.

Diesen Schatten besah Lucretia mit brennendem Kummer,

Formte ihr Leid nach dem Jammer der trojanischen Mutter,

Doch das Bild, es erwiderte nichts als stumme Verzweiflung.

Denn kein göttlicher Odem war ihm zur Sprache gegeben,

Darum schwur sie, der Maler sei schuldig an Unrecht geworden,

Gab er so viele Klagen – und nicht eine Stimme dazu.


Schlechtes Instrument, sprach sie, doch ohne ein einziges Lauten,

Werde mit klagender Zung’ ich dein schmerzliches Leid hier besingen,

Süßen Balsam zugleich in Priamos’ Wunde vergießend,

Pyrrhus schmähen, der listig das Herz des Greises betrogen.

Tränen vergieß’ ich sodann, um Trojas Flammen zu löschen,

Räche mit scharfem Metall die zornigen Augen der Griechen,

Die als Feinde dir stehen. Zeig mir die tönende Posaune,

Die diesen Aufruhr begann, damit ich mit Nägeln und Klauen

Ihre Schönheit zerreiß’! Die Lust, die Paris entzündete,

Trug als Last den Zorn, der auf brennendem Troja nun lastet.

Dein Auge war es, das Feuer entfachte, das hier noch lodert,

Vater, Sohn und die Dame, die Tochter, sie sterben in Troja,

Dass dein Auge es sieht. Doch warum soll eines nur eines

Menschen Lust so viele verderben und alles verderben?

Soll denn einzig die Sünde begangen sein und nur jener

Tragen die Last, der wider die Ordnung schritt mit den Füßen?

Lass die schuldlosen Seelen nicht mit dem Schuldigen leiden!

Warum müssen so viele fallen für eine Verfehlung?

Sieh doch, hier weint Hekuba, hier stirbt Priamos’ Leben,

Hektor sinkt in Ohnmacht, Troilus leidet mit Schmerzen,

Freund liegt blutend bei Freund, das Schwert dringt ein in die Wunden,

Und ein Mann bringt Lust mit dem Tode für viele zusammen.

Hätte Priamos nur dem Wunsche des Sohnes gewaltet,

Wär' Troja nicht Ruhm durch Feuer, doch Ruhm durch Weisheit geworden.

Hier nun steht sie und weint um Trojas gemalene Leiden.

Denn so schwer wie die Glocke, die einmal erklingt mit dem Schlage,

Trägt auch Trauer sich selbst und klingt in bebender Stimme.

Also hob Lucretia an, um traurige Mär zu berichten,

Blickt mit Bedacht auf das Bild, das Farben mit Leiden vermählen.

Worte leiht sie den Formen, die sich mit Gestalt ihr nun borgen.

Blickt sie auf dieses Gemälde, dann klagt sie, wen sie dort findet.


Schließlich ruht ihr Blick auf dem einen verfluchten Bilde,

Das dem phrygischen Hirten geweiht ist – schmerzlich gezeichnet.

Sieht man doch Kummer im Antlitz, doch sieht man auch Zufriedenheit,

Mild und ruhig erscheint er, als trage Geduld seine Schmerzen.

Hier hat der Meister versucht, den Trug mit Kunst zu verbergen,

Zeigt ein sanftes Gesicht, das Harmlosigkeit nur verheißet,

Stiller Gang, ruhige Blicke, doch jammernde Augen,

Ungebildete Brau’n, als grüßte er schweigend sein Wehe.

Weder errötet die Wange, noch bleichet sie fahl vor dem Grauen,

Sondern gemischt ist das Rot, so dass es keine Schuld kündet,

Nicht wie die Blässe, die falschen Verrätern ins Antlitz geschrieben.

Sicher und standhaft wie jener verdorbene Dämon

Trägt er das schlichte Gesicht, das Sünd’ in Tugend verhüllet.

Täuschende Kunst! So sieht man mit Augen den Falschen nicht kommen.


Weiter sieht sie und blickt auf das schreckliche, täuschende Antlitz.

Sinon steht dort gemalt, der alte Priamos täuschte,

Dessen Lüge den Glanz des hohen Ilions brannte,

Dessen Worte wie Feuer durch heilige Hallen nun lodern,

Dass der Himmel es weint und Sterne vom Firmament fallen.

Dieses Bild durchforscht sie mit prüfenden, scharfen Gedanken,

Schmäht den Maler zugleich für seine wundersame Kunst.

Wieso, fragt sie, wurde für Sinon solch eine Gestalt nur

Dargestellt? So schön, als könnte kein Übel in ihm verborgen?

Und noch immer starrt sie, als könne der Blick sie belehren.

Nein“, spricht sie, „so viel Trug kann niemals in solchem Blick wohnen!“

Doch dann schleicht sich Tarquins Bild in Gedanken ihr ein,

Und auf ihren Lippen erklingt das zögernde Wort „Lauern“.

Nicht kann sie es fassen – sie kann nicht begreifen den Zweifel.

Und sie dreht es und wendet es: „Kann es denn wirklich nicht sein,

Dass ein solch reines Gesicht auch den Geist eines Teufels verbirgt?“

Hier ist Sinon gemalt mit betrübtem und traurigem Blicke,

Mild und wehmütig steht er, als sei er von Sorgen erdrücket.

Aber Tarquin, der kam mit gewaffneter Macht zu Lucretia,

Äußere Ehrlichkeit trug er, doch innerlich war er verdorben.

Wie Priamos liebte, so habe auch ich Tarquin geachtet,

Also fiel mein Troja und brannte, so wie das seine.


Sieh nur, Priamos weint, als glaubte er Tränen zu sehen,

Die aus Sinons Augen in bittender Trauer hier fließen.

Priamos, bist du so alt und dennoch nicht weise geworden?

Jede Träne, die fällt, kostet einem Trojaner das Leben!

Sein Auge lässt Feuer entweichen, kein Wasser entströmet,

Diese klaren Perlen, die zärtlich dein Mitleid erbitten,

Sind nur Flammenkugeln, die deine Stadt jetzt verbrennen.


Solche Dämonen entwenden aus finstrer Hölle die Kräfte,

Denn in flammendem Brand erzittert der treulose Sinon,

Und in glühender Kälte, im brennenden Eise wird wohnen

Jene verruchte Gestalt, wo Gegensätze sich einen,

Dienend allein dem Toren, der Schmeichelei nur gehorchet.

Priamos’ Tränen umgarnen den Lügner, den frechen Verräter,

Bis er listig sein Werk mit Wässern des Feuers vollführet,

Troja zu Asche verbrannt durch täuschende Tränen des Falschen.


Rasend, ergrimmt, von leidenschaftlicher Wut überkommen,

Schlagen sie heftig geduldig die Brust sich, reißend mit Nägeln

An dem nichtigen Scheusal, dem trügerisch listigen Sinon.

Gleich einem schändlichen Gaste, dem schmachvollen Frevel begangen,

Wird er verflucht, doch am Ende gibt sie die Hand ihm mit Lächeln,

Narr, du Narr, so ruft sie, die Wunden sind nicht einmal schmerzend.


So nun fließt und verebbt der Strömung ihr wechselndes Wehklag,

Und die ermüdete Zeit wird müde von ihrem Gejammer.

Sehnsucht treibt sie zur Nacht, und doch verlangt sie nach Morgen,

Beide verflucht sie, weil keine ihr Ruhe gewähret.

Denn in der Trauer des Kummers erscheint ihr die kürzeste Stunde

Länger als alle, und selten gewährt Schmerz tiefen den Schlummer.

Daher sieht der Wächter, wie schleppend die Stunden vergehn,

Während Gedanken beständig ihr Herz in Bildern durchfluten.


Sein nun, so denkt sie, die Sorgen aus eigner Qualen entsprungen,

Die durch Kummer gezeugt aus fremder mutmaßlicher Klage.

Einiges lindert es doch, wenn keiner es je hat geheilet,

Dass auch andere trugen die Bürde der Leiden und Schmerzen.


Aber siehe, der achtsame Bote kehrt eilend zurück nun,

Bringt den Herrn, und mit ihm erscheint ein würdiges Geleit.

Dort erblickt er Lucretia, gekleidet in Trauergewändern,

Um das tränenerfüllte Auge umschließen die Schatten,

Blau wie des Himmels Bogen, von Stürmen des Kummers gezeichnet.


Schweigend betrachtet er sie, von Schrecken und Furcht überwältigt,

Denn in dem bleichen Gesicht erkennt er den tödlichen Kummer.

Keiner spricht, doch beide verstarren in schmerzlichem Schweigen,

Wie entfernte Bekannte, die staunen über ihr Unglück.


Endlich ergreift er die zitternde Hand der entkräfteten Gattin,

Hebt sie empor und spricht mit bebender Stimme die Worte:

Welche unselige Not, mein Lieb, hat dein Herz so gebrochen?

Welche Bosheit beraubte dich deiner rosigen Farbe?

Sag es mir, öffne dein Herz und zeig mir den Ursprung der Tränen!

Wenn es ein Übel ist, so können wir heilen dein Weh.“


Dreimal seufzt sie nun tief, bevor ihr die Stimme ertönet,

Endlich beginnt sie, mit sanfter und zögernder Rede zu klagen:

Meine Ehre liegt nun in den Fängen des ruchlosen Feindes,

Und mit bangem Entsetzen muss ich mein Schicksal verkünden.“


Während Collatinus und alle mit stummem Entsetzen

Lauschend die Worte empfangen, erhebt sie die bleiche Gestalt,

Gleich einer Schwanin, die in dem nassen Gezweige

Anstimmt ihr Lied, das Zeichen des sicheren Todes.


Kurze Worte, o Herr, sind besser für tiefe Verfehlung,

Denn kein Bekenntnis kann noch die Schande tilgen der Tat.

In mir ruhen zugleich das Leiden und klagende Worte,

Und mein Schmerz ist zu groß, dass eine Zunge ihn fasste.

Nehmt dies Wort als das Letzte, das ich noch mit Leben gewähre:

Fremde Füße betraten mein Lager, das dir nur gebühret,

Und auf demselben Kissen lag jener ruchlose Fremde,

Wo dein müdes Haupt zur Ruhe sich hätte geneiget.


O, mein teurer Gemahl, was in jener Nacht mir begegnete,

Möge die dunkle Mitternacht tief in ihr Schweigen es hüllen.

Eine schleichende Kreatur mit brennender Fackel trat ein,

Flüsternd befahl sie mir, römische Dame zu sein für ihr Begehren,

Drohte mit ewiger Schmach, wenn ich dem Willen nicht folgte.


Und ich weinte, doch härter als Stahl war das Herz des Verräters,

Denn mit gezücktem Schwerte befahl er mein schändliches Schweigen,

Oder mein Leib sollte fallen, beladen mit zweifacher Schande,

Meines erzwungenen Flehens und meines erzwungenen Endes.


Sollte nun Rom auf ewig von meiner Schmach noch erzählen,

Von meinem entweihten Leib und meinem geschändeten Namen?“


So sprach sie, und tiefe Verzweiflung lag schwer auf der Seele,

Während das Leben entfloh aus den zitternden, bleichen Lippen.


Mein Feind war stark, mein armes Ich doch war schwächer,

Und ich die Schwache mit Angst, die das Herz mir zerriss.

Blutig gebot mir der Richter zu schweigen, zu dulden,

Denn kein rechtschaffener Mund sprach dort von gerechtem Gericht.

Scharlachrot war die Lust, die Beweise des Frevels erbrachte,

Denn meine schöne Gestalt hatte geblendet sein Aug'.

Wird nun der Richter beraubt, so muss der Gefangene sterben.

Oh, belehr' mich, wie ich selber Entschuldigung find'!

Oder gewähr' mir doch wenigst die Flucht in das Schweigen.

Obwohl mein Körper befleckt, bleibet die Seele doch rein.

Nie ward ich je geneigt, mich heftig dagegen zu wehren,

Doch umso reiner verbleibt er im Hause der Pein.


Hier nun steh' ich, die hoffnungslose Verliererin alles,

Haupt gesenkt, meine Stimme verstummt im entsetzlichen Gram.

Augen gefaltet in Tränen, die Arme zur Ohnmacht gesunken,

Worte ersticken im Keim, dass kein Trost mich erreicht.

Doch was auch immer ich atme, es kommt mir bitterlich wieder,

Jeder Versuch, ihn zu zwingen, erlischt in sich selbst.

Wie ein donnerndes Meer sich hebt in brüllender Wut

Und dann im Kreise sich dreht, vom Ufer geworfen zurück,

So kehrt der Strom der Klage, der eben gesendet, zurücket,

Bringt neue Sorgen heran, reißt alte nur tiefer hinein.


Welch sprachloses Weh, das meine armen Lippen verlässt,

Doch seine Raserei erweckt nur den stummen Verdruss.

Ach, edler Herr, dein Leid vermehrt nur mein eigenes Elend;

Nimmer durchtränkte die Flut einen Körper wie mich.

Lass es genügen, dass Tränen die Trauer ertränken,

Augen geweint genug, so lasse dem Herzen die Ruh.

Doch wenn mein Flehen dich rühret, so höre mich, Höchster,

Räche mich, die gefallen, räche den Frevel erneut.


Nehmt Rache, ihr Tapferen, rächt dieses schändliche Unrecht!

Ritter soll'n mit dem Schwert für die Wahrheit stets stehn.

Solch ein Verbrechen darf ungesühnt nicht verweilen,

Denn Unrecht nährt sich, wenn keine Gerechtigkeit wächst.


Doch eh' ich ihn nenne, ihr edlen und ritterlich hohen,

Hört mein Flehen, und schwöret, dies Unrecht zu rächen!

Denn es ist rechter Entschluss, mit rachsamer Hand zu vergelten,

Was sich in Frevel und Tücke gegen die Ehre erhob.


Hier nun beginnt mit edlem Mut das Versprechen,

Jeder Herr an dem Ort bezeugt sein ritterlich Wort.

Doch ich, die noch schweigt in des tiefen Kummers Umarmung,

Kenne kein Ende, bis ich den Namen genannt.

"O sprecht!" riefen sie, "wer tat dir solches Verbrechen?"


Langsam sprach sie, gebrochen von schrecklichem Schmerz:

"Wie soll ich tilgen die Schuld, die nicht meine gewesen?

Was kann mich lösen von solchem erzwungenen Makel?

Zwang ist mein Zeuge, doch bleibet der Makel bestehn."


Als sie gesprochen, da zuckten sie alle zusammen,

Sahen den Schrecken ihr an, den das Wort ihr gebot.

"Er, er", sprach sie, doch weiter verstummten die Lippen.

Bis nach langem Verharren, nach heftigem inneren Kampf,

Fiel sein Name so schwer aus den trauernden Worten heraus.


Dann mit verzweifeltem Blick und hoffnungslosem Entsagen,

Zog sie das Messer und stach es tief in die Brust.

Ach, dass der Körper entweicht, wenn die Seele nicht weilet,

Dass durch das eigene Blut sich die Reinheit beweist!

Wie eine Insel umspült von den schäumenden Wellen,

Lag sie im Flusse des Bluts, das aus der Wunde noch rann.


Blut, das sich teilte in rein und in schändlich beflecktes,

Rote Unschuld vermischt mit der Schwärze der Tat.

Als sie verschied, blieb ihr Antlitz in ewigem Jammer,

Doch in dem Flecken erklangen noch stumme Gebete gen Gott.


Nun, da das Blut sich mit Tränen zu mischen beginnt,

Bleibt die Erinnerung wach, dass Gerechtigkeit siegte mit ihm.


Tochter, o Tochter! – so ruft der greise Lucretius, klagend –

Dieses Leben war mein, das sie dir grausam entrissen.

Liegt im Kinde des Vaters Bild, so frage ich schmerzlich:

Wie soll ich leben, wenn Lucretia nicht mehr lebet?

Nicht zu solchem Geschick hab ich dich gezeugt, o Geliebte!

Wenn die Kinder den Ahnen nicht gleichen, sind sie nicht unsre:

Dann sind wir ihre, nicht sie uns zugehörig geworden.

Armer, zerbrochener Spiegel, in dem ich so häufig erkannte,

Wie in dem süßen Glanz mein greises Alter erneute!

Nun aber zeigt mir dein frischer und dunkler, gebrochener Spiegel

Nicht mehr das Leben, nur Tod, nur sterbende Zeiten.

Ach, von deinen Wangen entrissest du mein Bildnis,

Und all die Schönheit des Spiegels vergeht in Zittern.

Nimmer kann ich noch sehen, was einst ich war! –

O Zeit, halte inne, vollende den Lauf nicht, säume!

Wenn du bestehst, so sollte sie doch auch weiterleben.

Soll denn der Tod nur siegreich walten im Dunkel,

Während die Schwachen und Kranken noch weiter wanken?

Sterben die alten Bienen, die jungen besitzen den Stock!

So, süße Lucretia, lebe von Neuem und siehe,

Wie dein Vater vergeht – doch nicht dein Vater: nur du stirbst!


Hier beginnt Collatin, wie aus einem Traume zu schrecken,

Weiset Lucretius' Schmerz von dannen mit trauerndem Worte.

Plötzlich versiegen Lucretias Ströme des Blutes,

Baden bleich sein Antlitz in kaltem Entsetzen,

Bis er sinkt und mit ihr in ihrem Raum zu vergehen drohet;

Doch seine Scham erhebt ihn und mahnt ihn, zu leben,

Rache zu üben an jenen, die sie entehrten.

Tief in der Seele tobt der schweigende Zorn ihm,

Doch seine Zunge erstarrt, gefangen vom Leiden.

Endlich beginnt er zu reden, doch stockend, gebrochen,

So, dass keiner erkennen kann, was er spricht.

Nur ein Name entringt sich bebenden Lippen: Tarquin –

Doch mit zermalmenden Zähnen, als risse er ihn entzwei.

Gleich einem Sturme, der Regen aufhält,

Staut er sein Leid, um noch größere Fluten zu sammeln.

Endlich bricht es hervor, ein wütendes, tobendes Weinen.

Sohn und Vater, gemeinsam, im Jammer vereint,

Ringen, wer mehr um Tochter und Gattin klage.

Jener ruft: „Sie war mein!“ – „Nein, mein war sie!“ jener entgegnet.

Keiner kann für sich nehmen, was beide verloren.

Meine Tochter war sie!“ – „Nein, meine Frau war sie!“ ruft es,

Und ihr Name erfüllt mit trauerndem Lärm die Lüfte.


Brutus, der tief in der Wunde das Messer gefunden,

Sieht dies klagende Leid und erhebt seine Stimme,

Wirft von sich den Mantel törichten Schweigens,

Kleidet sich nun in stolzen Ernst und Verwegenheit.

Nun ist die Zeit, die Schande Roms zu vergelten,

Und nicht in Klage zu sinken, nicht Tränen zu weinen!

Warum, Collatin, ist Weh die Heilung des Wehs?

Hilft Wunde der Wunde, hilft Gram dem Gram?

Ist Rache, sich selber zu schlagen, statt den, der es tat?

Deine Frau hat geirrt: sie tötete sich, statt den Feind!

Steh auf, Römer! Erhebe dein Herz aus dem Elend,

Lass nicht den Tau der Tränen dich lähmen.

Kniee mit mir und rufe die Götter, dass sie bestrafen

Dieses Verbrechen mit göttlichem Zorn und Gerechtigkeit!

Roms Ehre ist fort, und in Schande verfallen die Straßen,

Wenn nicht das Schwert es von diesen Schändern befreit!


Nun, bei dem heiligen Hügel, dem wir verehren,

Und bei dem Blute, das rein und unschuldig floss,

Bei der glänzenden Sonne, die Fruchtbarkeit schenket,

Und bei den Rechten des freien Roms –

Ja, bei der keuschen Lucretia, die sich beklagte!

Mit diesem blutigen Messer, das in ihr ruhte,

Wollen wir rächen die Schmach, die Tarquin begangen!“

So sprach er, schlug mit der Faust auf pochende Brust,

Küsste das Messer, sein heiliges Zeichen des Schwurs.

Alle, ergriffen von seinem Entschluss, beugten die Knie,

Wiederholten den Eid mit bebenden Stimmen.

Als sie geschworen, beschlossen sie, Lucretia zu zeigen,

Ganz durch Rom, um Tarquins Schande zu offenbaren.

Und als das Volk erfuhr von dieser Untat,

War Tarquins Verbannung die ewige Rache der Römer.




VIERTER GESANG


I


Von der Entweihung der Jungfraun, die Christus geweihet, gefangen,

Unterworfen, gezwungen zum Leid, doch ohne den Willen,

Der sie gebunden ans Unrecht – verunreinigte das die Seele?


Meinen sie doch, sie führten den schärfsten Vorwurf des Glaubens,

Wenn sie die Schrecken der Knechtschaft mit grausamer Klage vermehren:

Nicht nur Frauen, die ledig, auch Jungfraun, heilig geweihete,

Seien geschändet im Leid. Doch wahrlich, hier ist es weder

Glaube noch fromme Gesinnung, die Ehre der Keuschheit, die wankt nun,

Schänden kann keine Gewalt, was die Seele bewahrt in der Reinheit.

Schwer ist einzig das Wort, das bescheiden und klug zu gestalten,

Daß es die Tugend bewahrt und dennoch der Wahrheit genüget.


Doch nicht allzu besorgt sei uns Antwort an jene, die klagen,

Mehr uns tröste das Herz, das im Leid nach Frieden sich sehnt noch.

Denn wo Tugend erstrahlt, wo der Geist über Glieder regieret,

Bleibt sie heilig und rein durch die Kraft des heiligen Willens.

Bleibet der Wille doch standhaft und wankt nicht in wilder Erschütterung,

Kann kein Frevel der Welt seine Seele jemals beflecken,

Wenn nicht sündiger Flucht er entrinnen vermöchte dem Unheil.


Wahrlich, nicht nur Schmerzen erträgt der Leib in der Knechtschaft,

Auch die Lüste des Feinds werden genährt an dem Körper.

Trifft nun solches Geschehn eine Seele von Reinheit durchdrungen,

Schande berührt sie zugleich, doch nicht durch eigene Sünde.

Scham ist's, die dringt in das Herz, wo zuvor noch Reinheit gewaltet,

Weil die Tat, die erduldet, an Sinn und Begehren geknüpft bleibt,

Obwohl niemals der Geist ihr willentlich Einlass gewähret.



II


Sind sie zum Tode gezwungen, von Angst vor Strafe getrieben,

Ehre bewahrend, dass sie nicht schändlich lebendig verbleiben?

Selbst wenn Jungfrauen gefallen, um solches Elend zu meiden,

Wäre ein jeder, der menschliches Herz noch trägt in der Brust, nicht

Willig, jenen zu schenken Verzeihung statt harter Verwerfung?

Doch wer lieber am Leben verbleibt, um nicht durch Verzweiflung

Eigenes Unrecht zu tun, indem er das fremde Verbrechen

Nicht mit verderblicher Schuld auslöscht durch eigenen Frevel,

Jener verdient nicht Tadel, vielmehr sei weise gerichtet:

Denn es geziemt uns nicht, mit eigener Hand zu bestrafen,

Nicht einmal den, der schuldig am Leben anderer scheidet,

Wenn nicht das öffentliche Recht ihn bindet zum Tode.

Schlimmer noch, wer sich selber das Leben grausam entreißet,

Macht sich schuldig des Mordes, verurteilt sich selbst in Verblendung,

Obwohl unschuldig an dem, was andere Übeltat fügten.

Machen wir recht, was Judas getan in sündiger Schwäche?

Nicht, dass Wahrheit verberge: er wuchs in seiner Verderbnis,

Da er im Stricke verzweifelt der göttlichen Gnade sich schloss,

Statt durch Buße Vergebung zu suchen mit reuigem Herzen.

Mehr noch soll der sich hüten, der keine Schuld an sich trägt!

Denn als Judas sich tötete, starb er als schuldig Verbrecher,

Schritt aus dem Leben nicht bloß mit dem Tod des göttlichen Meisters,

Sondern auch mit dem seinen; er fügte Verbrechen dem Frevel.

Warum sollte der Mensch, der Unschuld trägt, sich zerstören,

Nur um der Sünde zu fliehn, die fremde Bosheit ihm drohte?

Tötet er sich, so mordet er einen, der schuldlos geblieben,

Um sich zu retten vor Schuld – und häuft noch größere Schuld auf!



III


Von der Gewalt, die dem Leib durch die Lust eines Anderen drohet,

Während des Geistes Bestand unberührbar erhalten noch bleibt.


Aber gibt es die Angst, dass fremde Begierde die Seele

Ebenfalls trübe, dass sie den Leib mit Makel versehrt?

Nein, sie besudelt ihn nicht, sofern sie vom Andern erzwungen,

Denn wo kein Wille sich eint, wird keine Befleckung erzeugt.

Wird aber Schmutz geteilt durch eigene sündige Neigung,

Dann erst sinkt die Reinheit, nicht durch Gewalt eines Feinds.

Reinheit, sie bleibt eine Tugend, die stets in der Seele gegründet,

Wie auch die Tapferkeit all ihre Wunden erträgt.

Wer doch vermöchte mit eigenem Willen den Leib zu vernichten?

Herr ist der Mensch nur sich selbst, nicht über die äußere Tat.

Also, wenn jemand mit Kraft seinen Leib gewaltsam ergreifet,

Um seine Lust zu befried’gen, was kann er rauben daran?

Nichts kann die Reinheit zerstören, wenn sie in der Seele verankert,

Denn nur der Wille verdirbt, was durch die Vernunft einst geheiligt.


Wäre die Reinheit nicht mehr als die Schönheit des Leibes,

Gleich wie die Kraft, die vergeht, oder Gesundheit, die schwindet,

Wäre sie minder an Wert, und niemand müsst' sie bewahren.

Doch wenn sie edler besteht, ein Schatz der unsterblichen Seele,

Kann sie kein körperlich Unheil verderben, kein fremder Besitz.

Selbst die Enthaltsamkeit, wenn sie fleischlicher Lust sich verweigert,

Heiligt den Leib, wie der Geist ihn mit ihrem Willen durchdringt.

Nicht durch die Glieder allein wird heilige Reinheit erhalten,

Noch durch das Meiden der Hand, die Wunden zu fügen vermag.

Denn was ein Arzt mit dem Messer zertrennt, ist nicht zu beklagen,

Noch was ein Zufall zerbricht, noch was ein Feind ihm entreißt.


War es die Hebamme selbst, die töricht die Jungfrau verletzte,

War es aus Bosheit gescheh’n oder durch unklare Kunst –

Glaubt ihr, dass jene den heiligen Wert der Unschuld verlöre?

Nein, denn die Seele bewahrt, was ihre Gesinnung bewahrt.

Also auch hier: Wird der Leib durch fremde Gewalt nur geschändet,

Bleibt doch die Reinheit bestehen, sofern das Herz sich nicht fügt.


Denket an jene, die einst mit eigenem Willen verfallen,

Nicht durch Gewalt, sondern selbst sich dem Verführer ergibt –

Bleibt sie in heiliger Reinheit? Nein, denn ihr Wille entschied es,

Nicht was ihr Leib erst erleidet, sondern was Seel' ihm befiehlt.

Daher lasst uns erkennen: Der Leib mag vieles erdulden,

Doch nur das Herz kann bewahren, was unberührbar erstrahlt.

Wer durch die Schuld eines Andern leidet, ist dennoch nicht schuldig,

Braucht nicht dem Tode zu flieh’n, denn ihr Verbrechen ist keins.

Niemals ist Selbstmord erlaubt, um Sünde zu meiden,

Denn er vollendet, was noch nicht gewiss war und fremd.



IV


Von Lucretia, die selbst sich das Leben nahm aus gerechtem

Grund, da schändlich ein Freveltat ihre Ehre verletzt.


Dies ist die Lehre, die klar sich dem Urteil der Weisen enthüllet:

Wenn eine Frau wird geschändet, doch rein bleibt Seele und Wille,

unbeugsam die Tugend bewahrt in des Leibes Entweihung,

dann ist nicht ihre die Schuld, sondern einzig des Frevlers Vergehen.

Doch was erwidern darauf, die nicht nur Seelen verteidigt,

sondern die heiligen Leiber empörter Gefangener schützen?

Wahrlich, die Kunde von Lucretia preist alle Welt laut,

jenem römischen Weibe, so edel, keusch und erhaben.

Tarquin, des Königs unzüchtiger Sohn, hat schändlich sie missbraucht,

doch sie enthüllte den Frevel sogleich Collatinus,

ihrem Gemahl, und auch Brutus, dem hohen, mutigen Blutsfreund,

der sich mit heil’gem Eid zum Rachewerke verband.

Doch, von Gram überwältigt, vermochte sie nimmer zu leben,

weil ihr geschändeter Leib nicht tragen wollte die Schande.

War sie nun Ehebrecherin oder vielmehr die Reine?

Wahrlich, keiner bezweifelt, dass keusches Herzens sie war!

Weiser erkannte dies einst ein kluger Schüler der Wahrheit:

Wunderlich ist es: da waren zwei, doch ein einziger sündigte.“

Stark ist das Wort, mit Wahrheit gesättigt und schneidend gesprochen:

Denn in der Tat war's nur einer, getrieben von schändlicher Wollust,

während die andre gezwungen, doch keusch in der Seele verblieb.

Nicht die Berührung des Leibes, der Seelen Zwiespalt allein zählt,

und so verhieß er: „Da waren zwei – doch der Ehebruch eines!“


Aber warum nur trägt sie, die frei von Schuld und Vergehen,

schwerer als jener die Strafe, die härteste Bürde der beiden?

Denn der Verbrecher ward nur mit dem Vater ins Exil getrieben,

sie aber wählte den Tod, den äußersten Schluss aller Schmerzen.

War dies nicht Unschuld, die leidend der rohen Gewalt unterworfen?


Wie kann es Recht sein, dass Unschuld sich selber richtet?

Richtet, ihr Richter von Rom! Ihr lasst nicht ohne Gerichtsspruch

Mörder ungestraft, selbst wenn die Tat in der Wut ward vollendet.

Käme nun einer vor euch und bewiese, dass eine, die unschuldig,

keusch und rein im Willen verblieb, dennoch grausam getötet,

würdet ihr nicht mit gerechtem Zorn den Schuldigen strafen?

Doch wer war's, der Lucretia tötete? Sie selbst mit der Klinge!

Seht, wie die Welt sie preist, die Unschuld selber erschlug!

Welch ein Urteil fällt ihr, ihr strengen Richter der Wahrheit?

Oder verstummt ihr, weil niemand da ist zum harten Verdammnis?

Warum denn rühmt ihr die Tat, die schrecklich doch selbst euch erschiene?


Wahrlich, vor jenen Richtern der Reiche tief in der Unterwelt

würde ihr Tun sich nimmer mit Ruhm und Ehren verteid’gen,

wenn jene Richter so richten, wie’s eure Dichter verkünden:


Wer schuldlos stürzte ins Dunkel,

fliehend den strahlenden Tag,

rasend warf sich hinweg sein Leben!“


Und wenn sie wiederkehrt mit den andern Schatten des Todes:


Das Los hält fest den Pfad,

wo träger Lethe hinzieht,

neunfache Ketten umwinden ihn!“


Oder vielleicht, so fragt ihr, sei sie nicht unten im Schatten,

Weil sie der Schuld sich bewusst, nicht aber der Unschuld gewesen?

Sie allein kennt ihren Verstand; doch was, wenn Vergnügen

Heimlich verriet, was die Tat ihr grausam entrissen,

Wenn ihr Wille gebrochen und Sextus dennoch Gewährung

Fand in verborgener Neigung, trotz allem erlittenen Unrecht,

Dann, als die Scham sie ergriff, nur im Tode Erlösung erhoffte?

Doch selbst dann, so meint ihr, hätt’ sie die Hand noch gezügelt,

Wenn ihr Götterglaube zur reuigen Umkehr genützt hätt’.

War es jedoch so, und falsch die bekannte Behauptung:

Zwei es waren, doch nur einer verübte den Ehebruch“,

War es vielmehr die Wahrheit, dass beide schuldig verbunden,

Einer in frechem Verbrechen, die andre in schweigender Beistimm’,

Dann erschlug sie gewiss nicht ein unschuldiges römisches Weib mehr.

Folglich bleibt es den klugen Verteidigern Lucretias übrig,

Stets zu beteuern, sie wohne nicht dort bei den Seelen der Sünder,

Jenen, die schuldlos ihr Schicksal suchten im finsteren Abgrund.


Doch der Fall von Lucretia hält sich gefangen im Zweifel:

Nennt ihr Mord die Tat, so bestätigt ihr damit den Ehebruch;

Sprecht ihr sie los von dem Eheverrat, so belastet der Mord sie.

Keinen Ausweg gibt es aus diesem zwiefachen Rätsel,

Fragt ihr, ob sie im Ehebruch fiel, warum sie dann loben?

War sie keusch, warum musste sie sterben? Doch uns genügt es,

Jene zu tadeln, die blind für die wahre Heiligkeit schmähen

Und mit Empörung die christlichen Frauen verlästern.

Denn was auch immer von jener erlauchten Matrone berichtet,

Glaubte die Menge an sie, dass kein Gedanke willfährig

Einst ihr bejahend erlaubte, was Sextus ruchlos erzwungen.

Darum, dass sie sich selbst durch die Hand des Todes entriss wohl,

Nicht aus der Liebe zur Reinheit, doch aus erdrückender Schande,

Zeigt es sich klar, dass sie nicht sich selbst als Sünderin sah wohl,

Doch sich entsetzte, dass solch ein Verbrechen geschah an ihr selber.

Römischer Stolz in den Adern entbrannte in finsterer Furcht ihr,

Denn, wenn sie weiter gelebt, so hätt’ man gedeutet ihr Schweigen,

Hätte geglaubt, dass sie nicht mit Groll sich gegen das Unrecht

Wehrte, das grausam der Frevel an ihr mit Schande vollzogen.

Zeigen den Männern vermochte sie nicht, was sie selbst in der Seele

Spürte, und so nur der Tod ihr reinigendes Zeugnis geworden.

Sengende Scham war’s, die sie zu ihrem Ende getrieben,

Dass nicht stille Geduld als willige Schuld ihr erscheine.


Anders entschieden die christlichen Frauen, die litten wie jene,

Doch überlebten in Reinheit, ihr Herz blieb frei von Verbrechen.

Niemals vergolten sie Schuld an sich selbst mit sündigem Morden,

Fügten nicht Schandtat hinzu zu der fremden, die sie nicht begingen.

Nicht von der Lust ihrer Feinde zum Ehebruch wurden sie nieder-,

Niedergerissen, noch dachten sie je an selbstmörderische Hände.

Zeugnis gab ihr Gewissen, ihr Herz war ruhig im Glauben,

Keusch in den Augen des Herrn, der tröstend ihnen erstrahlte.

Sicher in Gott, nicht forderten sie von der Welt noch Beweise,

Dienten dem Guten und schreckten nicht vor Verdächtigungen.

Denn mehr als Menschengebot galt ihnen göttliches Recht wohl.