VON TORSTEN SCHWANKE
PROLOG
Lange schon mühte der Mensch sich vergebens mit fruchtlosen Schritten,
Weil er die Weisheit im Streben der Wissenschaft suchte, nicht Kunst.
Keine der Künste zeigt jemals so grauenvolle Verstümmelung
Wie die Philosophie, die stolz auf ihr Ungenügen verweilt.
Warum wollte man immer erforschen, das „Warum“ zu ergründen,
Statt das „Was“ zu verstehen, das nahe dem suchenden Geist?
Ferner jagte der Blick nach dem Fernen, griff nicht nach dem Nahen,
Öffnete Tor um Tor hinaus, statt in sich selbst einzutauchen.
Alles Geheimnis liegt dort, in der Tiefe der eigenen Seele;
Wer nur nach außen sich wendet, bleibt ewig im Nebel gefangen.
Jeder Philosoph soll gedenken, dass seine Bemühung der Kunst gilt,
Nicht dem kühlen Geschäft der berechnenden Wissenschaft.
„Sterben für Danzig?“, so rief einst ein Denker des Sozialen,
Da, im Jahre dreißig und neun, der Krieg sich erhob.
Schopenhauers Heimat, die Stadt, an der Ostseeküste gelegen,
Ward geboren im Jahr, da das Reich noch Preußen umfing.
Handelsstadt, frei von der Krone, doch bald vom Militarismus
Preußens gezwungen, den Schleier der Freiheit zu senken.
Vater und Kaufmann, reich und gesonnen, die Freiheit zu schützen,
Wählte Hamburg, die Stadt, wo Unabhängigkeit noch galt.
Arthur, noch jung, ward nach Frankreich geschickt, in die Fremde,
Le Havre bot ihm das Haus eines Freundes, des Vaters vertraut.
Dort sollte Handel er lernen, die Welt des Geschäfts zu durchstreifen,
Doch mehr zog ihn das Studium der Alten, der weisen Gestalten.
Reisen bot ihm der Vater: Europa, England, die Inseln,
Und so wählte der Junge das Sehen vor Büchern allein.
„Sehen und Erleben“, so sprach er, „gleicht Lesen und Lernen“,
Wort, das er niemals bereute, als er die Welt einst durchmaß.
Doch früh starb der Vater, tragisch, ein Riss in der Seele,
Mutter zog nach Weimar, das Zentrum des Künstlertums.
Goethe, ein Dichter, ein Freund, erkannte das Glühen des Geistes,
Und Arthur ehrte den Meister sein Leben hindurch.
Studium holte er nach, zwei Jahre genügten dem Willen,
Und mit zwanzig betrat er die Hallen der Universität.
Medizin war zuerst das Fach, dann endlich die Weisheit,
Und bald reichte sein Geist in die Tiefen der Philosophie.
Die Dissertation schloss er in Jena mit Ehr und mit Würden,
„Über die Wurzeln des Satzes vom Grund“, sein erster Entwurf.
Kants Philosophie prüfte er scharf und führte sie weiter,
Doch auf ein Prinzip ward alles im Denken vereint:
Kausalität, die Bindung des Lebens in unendlicher Reihe,
Dies ward sein Fundament, klarer als Kant es noch sah.
Indien wies ihm den Pfad, wo die Ketten des Denkens zerbrechen,
Buddhas Gedanke der Einheit fand in ihm einen Klang.
„Nichts ist einzeln“, so sprach er, „nichts kann für sich je bestehen,
Alles ist Eins und verknüpft in des Werdens geheimnisvollem Band.“
Dies war der Anfang des Werks, das die Welt durch Jahrhunderte lesen,
Schopenhauer, der Weise, bleibt ewig dem Denken geweiht.
Von achtzehnhundert vierzehn bis achtzehnhundert achtzehn,
Weilte in Dresden der Denker, der Namen so groß, Schopenhauer.
Dort schrieb er sein Werk, Die Welt als Wille und Vorstellung,
Dessen Gedanken im Grunde, die uns hier beschäftigen sollen,
Beziehen sich stark auf das Thema der buddhistischen Sicht.
Die Analyse folgt in Kapiteln, wo indische Weisheit erleuchtet.
Kaum war das Werk veröffentlicht, doch blieb es verborgen
Lang ohne Beachtung, so trat er auf Reisen nach Süden.
Italien lockte den Geist, doch kehrte nach einem der Jahre
Heim er zurück, von Sorge um’s Erbe gezwungen.
Ein Handel scheiterte, Geld floss plötzlich nicht mehr wie gewohnt.
Fürchtend, als freier Denker das Leben nicht länger zu meistern,
Sucht er nun eine Dozentenstelle in Berlin aufzunehmen.
Doch bald löst sich die Krise, das Kapital ihm gesichert.
Die Lehrjahre blieben ein Fehlschlag, Hegel der Grund,
Den Schopenhauer vorschnell verärgert in hitziger Absicht.
Hegel, der Liebling des Staates, genoss die Gunst seiner Zeit.
Nach einer Reise erneut in die Weiten Italiens
Kehrt er nach Berlin zurück, doch nur für kurze Epoche,
Bis die Cholera kam und Hegel zum Opfer sie nahm.
Schopenhauer floh, die Stadt ihm bitter geworden.
Frankfurt am Main wird nun zu seinem Zufluchtort,
Dort, wo er Jahre verbrachte, allein in einsamer Arbeit.
Philosophisches Denken erfüllte den Rest seines Lebens,
Schreiben und Grübeln in stiller und ernster Beschaulichkeit.
Vierundvierzig erschien ein weiterer Band seines Werkes,
Doch erst fünfzehn Jahre später, in neuerer Ausgabe,
Huldigt die Welt ihm den Ruhm, den lange man ihm verweigerte.
Künstler erkannten den Wert, den seine Gedanken uns schenken,
Freiheit der Seele durch Kunst und die Kunst, das Leben zu meistern.
Frankfurt blieb seine Heimat, dreißig Jahre verweilend,
Lebte er wohlhabend dort, doch stets wie ein Reisender schien es.
Treu blieb ihm Atma, sein Pudel, der Name ein Zeichen,
Urkraft der Welt, so nannte er spielend den treuen Gefährten.
Ein kleiner Buddha aus Gold schmückte sein schlichtes Gemach.
Einst fragte die Magd, was dies für eine Figur wohl bedeute.
„Das ist der Erwachte, der Siegreiche“, sprach der Denker.
Doch sie entgegnete keck: „Er wirkt wie ein Schneiderlein gar!“
Möchte man heute den Denkern des Buddhismus ihn näher
Bringen, muss man vorab den Vorwurf des Pessimismus
Widerlegen, ein Urteil, das oberflächlich und leer bleibt.
Schopenhauer verstand, was Buddha in Lehre verkündigt,
Dukkha, das Leiden der Welt, und die edlen Wahrheiten davon.
Doch war sein Wissen von diesen Lehren nicht ganz erschöpft,
So schmähten ihn manche als Denker, unfähig zur Lösung.
Solches Vorurteil aber gilt es mit Klarheit zu lösen,
Denn seine Philosophie durchdrang die Tiefe des Geistes.
Mit diesen Gedanken zielt unser Werk darauf ab,
Schopenhauers Verbindung zum buddhistischen Denken zu zeigen,
So wie er es selbst in Schriften und Lehren verband.
Aus diesen Schriften erfährt der Leser, wie Schopenhauer selber
Seinen pessimistischen Blick auf die Welt erschlossen,
In welcher Weise die Ordnung der Welt ihn hierzu bewogen,
Und wie sein Denken allein sich auf Samsaras Natur stützt.
Diesen Begriff, der dem Buddha entstammt, hat Schopenhauer
Deutlich benannt und genutzt, um die Grundlage zu zeigen:
Pessimismus allein, das zentrale Motiv der Befreiung,
Drängt den Menschen voran auf den Weg zur erlösenden Wahrheit.
Nicht als ein Himmelreich göttlichen, hedonistischen Glückes
Deutet er Nibbāna – vielmehr als Löschen des Daseins,
Freiheit vom Leiden, das Wesen des Seins selbst überwindend.
Dafür erfand Leibniz, Hofphilosoph europäischer Höfe,
Einst den Optimismus, als Gegensatz jener Gedanken.
Schopenhauers Streben war klar: Das wahre Christentum schützen,
Dass es nicht fiele zum Raub des flach material’gen Denkens,
Welches die Welt und die Zeit schon damals begann zu verderben.
In dem Begriff „Pessimismus“ sei hiermit besonders die Leserschaft
Auf die Tiefe verwiesen, die solche Gedanken erfassen.
Grundsätzlich widerlegt er den leibnizianischen Optimus,
Gibt pädagogischen Wert der Betrachtung zum Leben und Leiden,
Zeigt, wie Samsaras Natur als Bedingung des Lösens des Willens
Hinführt zum Ziel, das die Buddhalehre Nibbāna benennt.
Dieses Verständnis, tief eingegraben in Schopenhauers Werke,
Wird oft verdunkelt von Vorurteilen der flachen Beschauer,
Die in der Tiefe des Denkens das Wesen des Willens verkennen.
„Wille zum Leben“, so nennt er das strebende Drängen des Daseins,
Dieses, als Durst erkannt, entspringt den Quellen des Mangels,
Grundlage des Schmerzes und Ursprung des rastlosen Sehnens.
„Tanha“ im Buddhismus entspricht dieser klaren Bestimmung,
Bestätigt der Text und verweist auf die rechte Anstrengung (Sammāvāyāmo),
Wie sie der Pfad des Erhab’nen mit Achtgliedern deutlich umreißt.
Ziel dieser Auswahl ist, Schopenhauers Philosophie zeichnen,
Quer durch die Werke ein Bild des Systems und des Denkens zu malen.
Keine Analyse, die indisch und westliches Denken begrenzt,
Noch eine Trennung von Upanishaden zu buddhistischen Lehren
War hier das Ziel – vielmehr sei ein historisches Licht auf die Wege
Schopenhauers geworfen, der beide Strömungen verband.
ERSTER GESANG
Schon im ersten Band von Schopenhauers Werk, dem berühmten,
„Welt als Wille und Vorstellung“, jenem gewaltigen Gedanken,
Welcher zuerst im Jahr achtzehnhundert und neunzehn
Erschien, fünfundzwanzig Jahre vor dem zweiten, dem späteren Bande,
Zeigt sich vom Vorwort bis hin zum Ende der Seiten ein Reichtum,
Zitate füllten die Zeilen, aus indischen Schriften entnommen,
Gleich oft auch aus der Antike, aus Werken stoischer Denker,
Die Inspiration ihm gaben, verwandt mit östlichen Lehren,
Welche er, ohne Zweifel, als ihren Ursprung erkannte.
Stoischer Weisheit Ziel, wie auch der Kyniker Streben,
Ataraxie, die hehre Gelassenheit, frei von Erschütterung,
Oder Apatheia, die leidlose Ruhe des Geistes,
Weiter die Epoché, das ruhige Aussetzen des Urteils,
Eines Gedankens, verwandt mit buddhistischer Upekkhā,
Diese Ideen, die Pyrrhon von Elis von Indien brachte,
Steh’n in Verbindung mit Lehren des großen Alexander.
Alles dies schien Schopenhauer ein rätselhaftes Paradox,
Außer man deutete es als Teil östlicher Weisheit,
Speziell jener indischen Art, die ihm tief sich erschloss.
Nicht nur im Vorwort, auch schon im ersten Abschnitt des Werkes
Sagt er ausdrücklich klar, dass diese Analogien
Mehr als ein Zufall sind, ein bloßes historisches Echo.
Eurozentrische Kritiker wollten das alles verneinen,
Sprachen ihm ab die Tiefe des indischen Geistes im Werke,
Doch er betonte selbst, wie stark sein Denken geprägt ward,
Erst von Kant, dann von Platon und schließlich von östlicher Weisheit:
„Wer Kants Werk kennt, der sei hier besser gerüstet zum Denken;
Hat er in Platons Schule verweilt, wird ihm vieles sich klären.
Hat er gar die Upanishaden gelesen, die ewigen Veden,
Dann, so sag ich, ist er wahrhaft bereitet, zu hören,
Was ich zu sagen vermag, und die Wahrheit darin zu empfangen.“
Schopenhauer beschreibt, wie tief ihn die Texte ergriffen:
„Könnte es nicht vermessen erscheinen, dürfte ich sagen,
Jede zerstreute Rede, die sich in den Schriften der Alten,
Den Upanishaden, findet, entspringt den Gedanken,
Die ich verkünden will, obgleich sie dort nicht zu finden.“
Solche Gedanken, in klaren Linien des Systems gefasst,
Machen die Upanishaden zu Schätzen in seinem Gefüge.
Doch, so zeigt die Betrachtung, die späteren Werke, die späteren Jahre,
Wurden noch stärker geprägt durch den Buddhismus, den großen,
Weisheitsstrom, der sein Denken durchzog und weiter entfaltete,
Sein System ausweitend in tieferen, fernöstlichen Bahnen.
Einst, als Schopenhauer den Glauben der Buddhas ergründet,
Blickte er tief in die Wurzeln von Brahman und Lehre.
Längster Text ihm erschien, der Buddhismus' Wandel bezeugt,
Zeigte den Wechsel vom Vedanta zu Buddha im Denken,
Einschließlich Chroniken, Übersetzungen, Mahāvaṃsa,
Zeugnissen Ceylons, wo der Glaube der Fremden erschien war,
Holländischer Herrschaft Zeit, und Streit der Systeme.
Selten mehr fügte hinzu er im folgenden Zeitraum,
Quellen Theravādas ergänzend, doch stets treu den Alten,
Zeigend die Einheit des Denkens, die Lehre des Einen,
Welches den Kern des Systems und des Lebens enthüllet.
Im Gegensatz, sprach er, zu losen Sprüchen der Veden,
Zeigt sich bei Buddhas Worten der tiefere Bau eines Ganzen:
Ein Gedanke, der lebt und alles zusammenhält ewig,
Jeder Teil stützt den andern, doch stützt nicht zurück ihn;
Grundstein trägt das Gebäude, die Spitze nur wird getragen.
So sei Denken geordnet, so formet das Wahre sich selber.
Willen zum Leben nannte er jenes Sein, das durchdringet,
Welches in Durst und Verlangen den Kern aller Welten beschreibet,
Leid als Natur der Welt; und Ziel nur sei die Befreiung,
Fliehen des Willens, der drängt, Verleugnung des Seins zur Erlösung.
Lehre der Buddhas, der Weisen, die wach sind: „Ich lehre,
Nur das Leiden und auch, wie man sich vom Leiden befreiet.“
Denn das Leiden entspringt dem Durst nach Leben, dem Sehnen,
Doch wie der Ozean einzig den salzigen Geschmack hat,
So hat auch meine Lehre den Geschmack der Befreiung.
Frage von großer historischer Tragweite bleibt uns bedeutend:
War’s allein der Upanischaden Übertragung ins Lateinische,
Die Schopenhauers Wissen von indischer Weisheit begründete?
Wohl bezeugt ist’s und klar in der Indologie geschrieben,
Dass er den Maier gehört, den berühmten Lehrer der Völker,
Damals bekannt für östliche Weisheit in deutschen Landen.
Als jener Schopenhauer, der gerade Doktor geworden,
Seine Arbeit zu Jena vollbracht im Jahre des Herrn, da
War’s, dass Maier ihm reichte die Oupnek’hat, die gelehrte
Übersetzung des Anquetil aus der Sprache Persiens.
Diese nannte Schopenhauer stets voll inniger Achtung
Besser und tiefer als späterer Wissenschaft Werke.
Noch in demselben Jahr fand er sich selbst mit Gedanken,
Die ihm erschienen, wie Kinder im Mutterleibe gereift:
„Hier in meinen Händen, ja mehr noch in meinem Geiste,
Wächst ein Werk heran, das vereint Metaphysik und Ethik,
Jene Bereiche, so falsch wie der Leib und die Seele getrennet.“
Langsam fügt sich’s zusammen, die Teile wachsen wie Glieder.
„Ich, der hier sitze und schreibe, verstehe nicht ganz den Ursprung,
So wie die Mutter nicht weiß, wie in ihrem Leib sich’s gestaltet.
Doch, o Zufall, Herrscher der äußeren Welt, mir gewähre
Frieden und Zeit, auf dass ich vollende, was mir geboren.
Wirst du später dein Recht einfordern, Tribut von dem Leben,
So sei es! Doch lass dieses Werk zur Reife gelangen!“
Später, im Jahr darauf, kam der Gedanke von Indien
In seine Schriften, wo er die Oupnek’hat zitiert hat,
Um die Tragödie des Lebens tiefschürfend zu deuten.
Hier schon zeigten sich erste indische Weisheitssplitter,
Die aus ātmā und jīvātmā den Ursprung erfassten.
„Nicht vom Objekt aus,“ sprach er, „die klügeren Denker des Ostens
Haben vom Subjekt aus die Welt und den Grund erschlossen.
Wer vom Objekt ausgeht, der sucht ein Fundament vergebens,
Muss doch die Ordnung der Welt stets mit äußeren Mitteln errichten.“
Maya, der Schleier der Täuschung, ward da genannt und
Sollte zum Grundpfeiler seiner Gedankenwelt werden:
Täuschung der Sinne, doch auch ein Schlüssel zur Rettung,
Denn im Erkennen des Schleiers liegt das Ende der Ketten.
Diese Befreiung vom Wollen geschieht durch tiefere Erkenntnis,
so spricht Oupnekhat, das zweite Buch, in Vers 216:
„Wann Erkenntnis erscheint, erlischt zugleich das Verlangen.“
Dieses amor, Verlangen, meint māyā, die Liebe zur Welt hin,
jenes Wollen, das selbst die Erscheinung der Welt uns erzeugt hat.
Als Grundirrtum erscheint sie, zugleich Ursprung des Bösen,
ja, der Welt selbst, die mit jenem Bösen dasselbe uns bleibt stets.
Ferner wird māyā dann als Kraft beschrieben, die innere Wirkung
körpersinnlicher Welt in der Schrift, Paragraph zweihundert
vierunddreißig: dies nahm Schopenhauer zum Anlass,
um in Kant'schem Gefild sie weiter zu deuten und später
tief zu verweben mit Grundgedanken, die damals entstanden.
Diese frühesten Spuren genügen schon, um zu erkennen,
wie der indische Geist in Schopenhauers Denken gedrungen,
damals, als das System seiner Philosophie zu erkeimen
still in seinem Geiste begann und Wurzeln zu schlagen.
Später jedoch zeigt māyā in Schriften weniger Fülle,
sinkt zurück, und den Platz nimmt saṃsāra mit klarerer Deutung,
wie im Index erkennbar: der erste Band nennt sie oft noch,
sechzehn Male, doch nur zwei Hinweise bringt der zweite,
während saṃsāra dort in buddhistischer Sicht uns erscheint stets.
Viele Bezüge führt Schopenhauer zur indischen Weisheit:
nicht nur māyā, auch Worte von Buddhas und Jainas, von Saugata,
von Arhata, entstiegen den Asiatischen Forschungen reichlich.
Deutlich trennte er Upanishaden vom Kult des Śiva,
sah im Lingam Symbol, das tiefere Einsicht gewährt uns:
Nicht das Sterben allein, das Zeugnis zugleich ist des Lebens,
Leben, das ewig die Form erhält, doch Materie aufgibt.
Zwei entgegengesetzte Gedanken verbanden die Inder:
Leben befreien vom Dasein, das höchste Gut, zu erlangen,
doch auch Lingams Symbol verehren, das Leben erneuert.
Im sechshändigen Fluss erkennt man des Denkens Verwebung:
klar geschieden wird Brahmanismus von tiefem Buddhismus,
wie das Leben zu negieren sich langsam die Deutung vollzog.
Wenige Seiten darauf erscheint schon der Verweis auf den Buddhismus,
Ende des langen, gewichtigen Satzes in Absatz Sechshundert und Zwölf,
welcher im Kapitel danach, im Abschnitt Zweiter von Null,
wörtlich erneut wird zitiert und genauer behandelt.
Schon zu Beginn des Jahres Achtzehnhundert und Siebzehn,
findet man klarer erklärt, was Buddha als Nibbāna verkündet:
„Nieban sollst du erreichen, das ist ein Zustand des Friedens,
wo weder Krankheit noch Alter, noch Tod, noch Schmerzen verbleiben.“
Obgleich noch ungenau bleibt, was Nibbāna in Schopenhauers
späterem Werke bedeutet, die Quelle benennt er mit Klarheit:
Es war der Theravāda-Buddhismus, den Burmas Gelehrte
pflegten und Schriften bewahrten, die tief ihn beeindruckt.
Jene, die meinten, Schopenhauer schöpfte sein Wissen
nur aus frühzeitigen Werken der Indologen Europas,
meist aus den Schriften des Vedānta und den Upanishaden,
sollten nun sehen, wie falsch und wie kurz ihr Urteil gewesen.
Nicht nur den asiatischen Forschungen galt sein Interesse:
Stets suchte er weiter, vertiefte die Quellen und fand in
St. Petersburgs Akademie Werke von hohem Verstande.
Tibetischer Buddhismus und Mahāyāna-Studien
standen im Mittelpunkt hier, mit höchster Sorgfalt betrieben.
Namentlich sticht das Sanskrit-Wörterbuch, die Bibliotheca
Buddhica, schier unerreicht, als ein Schatz der Erkenntnis hervor,
dessen Bedeutung bis heute in Asien noch nicht erloschen.
Vassilief, Minayeff und Th. Stcherbatsky, die Meister,
gaben der westlichen Welt die tiefsten Studien des Ostens.
Auch Csoma Kőrös sei hier ein Beispiel der Klarheit,
dessen Übersetzungen direkt aus tibetischen Quellen
Schopenhauers Wissen vermehrten, ihn weiter entfalteten.
Und so zeigt sich zuletzt in der späten Phase des Denkens,
wie der singhalesische Strom der Theravāda-Schriften
wieder auf ihn Einfluss nahm, als er das Werk
Die Welt als Wille und Vorstellung ergänzte und schloss.
ZWEITER GESANG
Es scheint fast, als seien die ältesten Sprachen vollkommen,
gleich den ältesten Lehren, den Religionen der Menschheit.
Möchte ich selber die Frucht meiner Philosophie messen,
wählte ich jenen Vorrang, den der Buddhismus verdient hat.
Freude erfüllt mich, ihn so in Übereinstimmung zu sehen
mit der Lehre, die Erde und Menschen in Massen befolgen,
größer an Zahl als die Jünger jeglicher anderen Glaubens.
Denn es ist völlig gewiss und von allen Gelehrten erkannt schon:
Keinerlei Gott enthält, ja, er verneint ihn sogar, dieser Glaube.
Buddhismus, mit seiner Fülle von Seelen in heiligen Lehren,
steht in Verachtung des Glücks, das irdisch ist, und zeigt die
Abkehr vom Leben, die sich der Wahrheit der Welt offenbart hat.
Nähe entdeckt man zum Christentum, nicht zu der jüdischen Lehre,
die optimistisch die Welt mit heiteren Augen betrachtet.
Christentum, Brahmanismus, und Buddhismus zu kennen,
fordert genaue Studien und tiefes Verständnis der Weisheit.
Wie Sanskrit uns die Tore zu Griechen und Römern eröffnet,
so führt Brahmanismus wie auch der Buddhismus zur Wahrheit,
dass der wahre Kern des Christentums sich nur zeigt,
wenn der Mensch die Welt und die Freuden des Irdischen leugnet.
Religion unterscheidet sich nicht durch Zahl ihrer Götter,
ob monotheistisch sie sei oder polytheistisch,
atheistisch wie dieser Glaube, den Buddha verkündete.
Leiden ist die Welt, die nur durch Verzehren der Wesen
sich erhält; kurz lebt sie, um dann in Sünde zu sterben,
ohne dass je eine Theophanie sie erfüllet.
Früher, als meine Werke begannen, war wenig bekannt hier:
Kaum verstand man Buddhismus, die Religion des Erbarmens.
Nach und nach wuchs Wissen durch Forscher und tiefe Gelehrte,
Schmidt und Csoma Korosi trugen uns Kunde von Lehren.
Mit großer Freude las ich die Worte des sterbenden Meisters,
wie er Brahma belehrte und über die Schöpfung sprach,
die nichts als Täuschung sei, ja, leer und ohne Substanz hier,
während der Gott sich beugt und wird Jünger der Wahrheit.
Jenen zum Nutzen, die mehr vom Buddhismus ergründen,
möchten ein Wissen erwerben, umfassender, tief und erleuchtet,
führe ich Werke hier auf, die zur Literatur ihm gehören,
die in Sprachen Europas verfasst und wärmstens empfohlen,
da ich sie selbst auch besitze und innig mit ihnen vertraut bin.
Schmidt aus dem Tibetischen schrieb von 1829
bis 1843 in Sankt Petersburgs Wissenschaftsschriften.
Korosi in Kalkutta, Asiatische Forschungen,
Band zwanzig, Jahr dreißig und neun, mit Analysen versehen,
wichtige Bücher des Kangyur entfaltend in ihren Betrachtung'n.
Burnouf, Einführung in die Geschichte Buddhismus’,
erschienen im Jahr vierzig und vier. — Foucaux, das Lalitavistara,
Buddhas Leben, das Evangelium jener, die seinem Pfad folgen.
Spiegel, lateinische Texte mit Übersetzungen, Jahr vierzig und eins.
Buchanan schrieb über der Burmesen Glauben, Forscher im Sechsten
Band der Forschungen Asiatisch’. — Sangermano, das Reich
Burmesisch beschrieben in Rom, dreißig und drei.
Turner verkündet Ceylons Mahavamsa, im Jahr sechsunddreißig.
Upham, drei Bände: Mahavansi, Ratnacari, Rajavali,
sowie die Lehre Buddhismus’, Jahr neunundzwanzig erschienen.
Hardy verfasste den östlichen Mönchtum, fünfzig vollendet,
danach das Handbuch Buddhismus’, Jahr drei und fünfzig.
Diese zwei Werke allein, mit zwanzig Jahren in Ceylon,
lernten die wahre Natur des Dogmas, wie Priester sie lehren,
mehr mir enthüllend als vieles zuvor. So erfasst in der Sinologie.
Wenn ein Mensch, der fromm ist, stirbt, vollendet er sanft,
friedlich, heiter und still, denn er hat des Lebens Verlangen
losgelassen. Er wünscht nicht, dass er weiterbestehe.
Frei gibt er auf, was wir kennen; das Nächste ist nichts,
weil unser Sein in Vergleich mit dem Anderen schattenhaft bleibt.
Buddhas Lehre nennt dieses Nirvana, „Erlöschen“ genannt.
Wendet den Blick nun hinweg von dem irren Verlangen des Menschen,
Hin zu den Heiligen, die Welt und das Leben verleugnen,
Jene, die still in sich tragen den Willen zur Auflösung,
Ruhig erwarten des Körpers Verfall, das Ende der Leiden,
Erlösung vom Willen, der uns so lange gequält hat.
Seht, wie anstelle des steten Drangs, des tobenden Lebens,
Frieden sich breitet, ein Leuchten aus innerer Stille geboren.
Wer mag dies schauen und nicht in heimlicher Sehnsucht erkennen,
Dass dies das Höchste, das Wahre, das einzig Rechte verbleibt?
Nichts, so erscheint uns, kann je mit solcher Erhabenheit wetteifern.
Doch wenn wir Heilige schauen in Kunst und Geschichte, sie rühmen,
Trübt nicht die Furcht uns den Blick vor dem Nichts, das als Ziel uns
Allen sich zeigt, wenn der Wille zum Leben versiegt und sich wandelt.
Scheu meiden wir’s nicht wie die Inder mit Worten, die deuten:
Brahma, die Rückkehr ins All oder buddhistisches Nirwan.
Denn was verbleibt, wenn der Wille versiegt, ist nichts für die Wollenden;
Nur für die, die sich wandten, bleibt all diese Welt mit den Sternen,
Sonnen und Welten ein Nichts, kein Grund mehr zu binden und fesseln.
Die Heiligkeit, die jeder Handlung rein moralischen Ursprungs anhaftet,
Ruht auf der Wahrheit allein, dass sie aus der Einsicht entspringt,
Welche die Einheit der inneren Wesen erkennt und umfängt,
Gleich in der Zahl, wie in ihrer Natur, allumfassend und ewig.
Doch diese Wahrheit, verborgen im Schleier der Willensverneinung,
Nirvana geheißen, erscheint, wo der Wille versiegt und erstirbt.
Denn wo der Wille das Dasein bejaht, dort herrschen die Formen,
Phänomenale Gestalten, zerstreut in der Vielfachheit, stets sich verlierend.
Dieses Bejahen des Lebens erzeugt die Erscheinung der Welt:
Vielfalt der Wesen, Individualität, Egoismus, und Hass,
Bosheit und alle Verderbnis – entsprossen aus einer einzigen Wurzel.
„Meine Schüler“, sprach Buddha, „verwerft jede törichte Meinung,
Denkt nicht: ‚Ich bin dies, dies gehört mir, dies ist mein eigenes Sein.‘“
Saṃsāra, so heißt es, sei nichts als die Kette der Leiden,
Menschliches Elend und Schwäche und Dummheit im ewigen Kreise.
Hier, in der Welt, zeigt sich das Verderben, moralisch und intellektuell,
Weit ausgebreitet und furchtbar. Doch leuchten mitunter darin,
Selten und unerwartet, die Blitze der Güte und Weisheit,
Zeugen von Adel des Geistes und geistiger Höhe und Kraft.
Diese, so selten sie scheinen, vergehen doch niemals vollkommen,
Glitzern wie Sterne im Dunkel und geben dem Leid ein Versprechen:
Dass in Saṃsāra verborgen ein Prinzip sich erhebt, das erlöst.
Pantheisten benennen Saṃsāra oft mit dem Namen des Göttlichen,
Doch die Mystiker sprechen von Nirvana als göttlichem Wesen.
Buddhisten hingegen, viel klüger, vermeiden das leere Gerede,
Nennen Nirvana ein Nichts, doch ein Nichts nur im relativen Sinne.
Im Umgang mit Menschen, o Bruder, bedenke stets ihr Leiden:
Prüfe nicht ihre Schwäche, den Irrtum des Geistes und Willens,
Denn solche Urteile hegen nur Hass und Verachtung im Herzen.
Denke allein an die Not und den Schmerz, an die Angst und das Sehnen,
Und Mitgefühl wird dich leiten, das Evangelium lehrt es als Agape.
Buddhisten erkennen die Tugenden nur als Verneinung der Laster,
Denn wo Lust, Zorn, Gier und Stolz herrschen, da fehlt jede Tugend.
Wahre Erkenntnis entspringt, wo der Yogi sich in sich versenket,
Alle Dogmen verlässt und sich selbst als Ursprung erkennt, der bleibt.
Buddhas Ziel war stets, den Kern aus der Schale zu lösen,
Rein die Lehre zu wahren, befreit von Bildern und Göttern,
Klar und verständlich dem Menschen den inneren Wert zu erschließen.
Dies gelang ihm in wunderbarer Art, und so ward sie,
Diese Religion, die höchste und edelste aller,
Von zahllosen Gläubigen rings auf Erden geachtet.
Wahrlich, die Welt ist Hölle, und Menschen darin die Gequälten,
Leiden als Teufel zugleich, die selbst in der Hölle verwalten.
Brahma schuf die Welt aus Verirrung, einer Erbsünd’,
Bleibt zur Sühne darin, bis er sich selbst daraus löset.
Doch im Buddhismus entspringt die Welt aus Störung und Dunkel,
Nach des Nirvana klarer, gesegneter Ruheperiode.
So entsteht sie, ein Schicksal moralischer Art, und verfällt dann
Schritt um Schritt, bis sie den traurigen Zustand erreichte,
Wie wir ihn heute erblicken, erfüllt von Leid und Verderben.
Nur die Religion des Judentums und ihrer Zweige,
Christentum und der Lehre des Propheten Mohammed,
Lehrt einen Gott, der die Welt schuf und herrscht in Person.
Andere Völker jedoch, weder alt noch modern, sie erkennen
Solch einen Schöpfer nicht; sie verehren das Brahm, das in allem,
In dir und mir, selbst im Tier, im Hund oder Pferd, leidet.
Doch der Buddhismus, die größte Religion der Erde,
Steht in Wahrheit als atheistisch da und idealisch.
Seine Priester weisen Theismus entschieden von sich,
Und der Hohepriester von Ava nannte die Lehre,
Dass ein Schöpfer existiert, gar eine der Ketzereien,
Die verdammenswert sind, wie alte Berichte uns sagen.
Selbst niederländische Gouverneure, die Fragen an Priester
Stellten nach dem höchsten Wesen, erhielten die Antwort:
"Buddha allein ist vollkommen und herrscht in erhabener Weisheit,
Selbsterschaffen die Welt, aus der Natur sie entsprungen.
Sie ist weder, was sie ist, noch ist sie nicht, was sie scheint,
Nur Begleiterscheinung der Wiedergeburten, die folgen
Unserem Tun, das stets in Sünde gefangen sich wandelt."
So verstricken sich Reden und Lehren in viele Gedanken,
Hundert Seiten umfassen sie oft, doch bleibt stets die Essenz klar:
Buddhas Lehre erhebt den Geist, nicht ein Schöpfer regiert ihn,
Wiedergeburt ist des Menschen Last, die er selbst muss entladen.
Religion wird oft gleichgesetzt mit Theismus und dessen Begriffen,
doch ist Religion zum Theismus, wie Art sich verhält zur Gattung.
Selbst jene Religionen, die in China bestehen, dem Lande,
wo Buddha verehrt wird, die Lehren des Lao-tse wie Konfuzius,
sind atheistisch. So blieb den Missionaren unmöglich,
den ersten Vers der Schrift des Pentateuchs je zu verdolmetschen:
Keine Begriffe für Gott noch Schöpfung kennt ihre Sprache.
Zudem verbirgt das Wort „Atheismus“ die Annahm’, verborgen,
dass Theismus vorausgesetzt wird, gleichsam als Wahrheit.
(Siehe den „Satz vom Grunde“, wo diese Gedanken entfaltet,
dort, in der zweiten Auflage, nachzulesen im Werke.)
Metempsychose, so scheint es, erhebt sich aus neuen Gedanken,
doch unterscheidet sie sich, da sie nicht die gesamte Psyche,
nicht das Erkennen umfasst, nur den Willen allein dort betrachtet.
Fort fällt all jene Verwirrung, die sonst die Lehre begleitet.
„Palingenese“, viel besser beschreibt es den eigentlichen Wandel.
Denn nicht nur dies, auch die Lehre des Buddhismus weist uns
in neueren Forschungen hin auf die gleiche tiefgründige Einsicht:
Nicht Metempsychose wird dort als Wahrheit gelehret,
sondern die Lehre von einer moralischen Neugeburt tiefen
Sinnes, die scharf und mit Klarheit der Geist des Lehrers erklärte.
Dies zeigt Hardy im Handbuch des Buddhismus klar auf den Seiten,
die ich benannte: Verweis auf Spence Hardys Werk sei gestattet.
Auch Taylor’s „Prabodha-Chandrodaya“ führt diesen Gedanken
weiter und zeigt, wie die Willensgestalt ein neues Gefäß schafft.
Auch in Sangermanos Werk über Birma dasselbe:
Forscher im „Asiatic Researches“ und Koppen bezeugen,
dass, wo die Massen den Tiefsinn der Lehre nicht fassen,
Metempsychose in schlichter Form als Ersatz wird gepredigt.
Metempsychose beschreibt, wie die Seele den Körper verlässt und
in einen anderen fährt, ganz unverändert und ewig.
Doch Palingenese, viel feiner, erklärt ein anderes Geschehen:
Zerfall und Neubildung, der Wille allein bleibt ewiglich fort.
Er nimmt die Gestalt eines neuen Wesens und neues Erkennen,
schafft sich den Intellekt neu und formt das Wesen von Grund auf.
So lässt es die Schrift von Hardy und Sangermano erkennen,
auch in den „Asiatischen Forschungen“ wird klar unterschieden:
Metempsychose, die äußere Lehre für viele Verkünder,
doch Palingenese, verborgen und tiefer für den Verstand nur.
Diese passt weit eher zu meiner Lehre vom Willen,
denn er allein bleibt stetig, beständig durch Wandel des Lebens.
Sanft begleitet uns stets jene verborgene Gewalt, die,
Scheinbar schwankend im Bild, uns führt bis ans Ende des Lebens,
Bis zum Tod, wo das Schicksal, verborgen, den Zweck uns enthüllt.
Dort vereinen sich Kräfte, geheimnisvoll, die in uns ruh’n,
Die das ewige Geschick der Menschheit lenken und prägen.
Todesstunde, sie ruft jene Gewalt in Aktion, die
Tief im Innern entbrennt, und ihr Konflikt schafft den Pfad dann,
Welchen der Mensch nun geht; so naht sich die neue Geburt ihm,
Palingenese genannt, mit all ihrem Glück und dem Wehklang,
Das in der Ordnung des Lebens für immer unwiderruflich.
Nicht dass Täter und Leidender ewiglich gleich seien, lehren,
Noch dass Täter und Leidender völlig getrennt voneinander.
Zwischen Extremen führt der Vollkommene weise zur Mitte:
Unwissenheit gebiert Willen, Willen dann weckt das Bewusstsein,
Aus Bewusstsein ersteht das Gewebe von Körper und Geist, das
Wurzelt in Sinnesorganen, der sechsfachen Basis des Lebens.
Aus dem Kontakt entspringt Gefühl, und Gefühl gebiert Sehnsucht,
Sehnsucht schafft das Anhaften, daraus ersteht neues Werden,
Aus dem Werden entstehen Geburt und Tod, auch das Klagen,
Schmerz und Verzweiflung. So wächst das gewaltige Leiden der Menschheit.
Menschliches Leid wird immer vergolten, so lehrt der Mythos,
Alles Unheil, das Wesen einander zufügen, wird sühnen
Müssen, als Tier oder Mensch in der Folge der Leben auf Erden.
Wer ein Tier je tötet, wird selbst als solches geboren,
Leidet den Tod, den er einst einem Geschöpf hat bereitet.
Schlechte Taten verdammen zu niederen Stufen der Kasten,
Oder zum Weib, zum Tier, Paria oder zum Aussätzigen gar.
Doch verheißt das Gesetz auch den Edlen und Guten die Höhe:
Wiedergeburt als Brahmane, als Heiliger, weise und rein.
Höchster Lohn bleibt, fern von den Worten, das Nicht-Wiederkehren,
Nirwana, das Ende von Krankheit, Alter und Tod, auch Geburt.
Nie verband ein Mythos das Denken mit Wahrheit so innig,
Nie schuf Lehre ein Bild, das die Tiefe der Weisheit erschließt.
Indiens Geist, der einst von den Ältesten hoch ward geachtet,
Ragt, obgleich sein Volk nun erblasst, in die Höhen der Welten.
Nicht durch Galiläa wird je diese Weisheit zerstöret;
Sie durchdringt unsere Welt und verändert das Denken Europas.
Wir können wohl das Lalitavistara fassen wie Schriften,
Welch' das Evangelium gleicht in bestimmtem Aspekt:
Denn es schildert das Leben des Sakyamuni, des Buddhas,
Der in dieser Weltzeit wandelt und lehrt. Doch bleibt
Dies getrennt und fern vom Dogma des Glaubens der Lehre,
Denn vergangene Buddhas lebten auf andre Art,
Und die kommenden werden anders wiederum wirken.
So ist Lalitavistara nicht Frohe Botschaft im Sinn,
Wie sie Christen verstehen, die von Erlösung erzählen,
Sondern das Leben des Weisen, der Pfade zeigt zur Befreiung.
Jeder sei sein eigener Retter! – Dies ist die Weisung.
Darum lacht der Chinese den Priester aus als Erzähler:
Denn der Christ will Geschichte und Wunder als Wahrheit verkünden.
Weiter ist, wie es scheint, ein tiefer Mangel des Glaubens
Im Christentum zu finden: den Menschen hat er entrückt,
Fern von der Tierwelt gestellt, mit der er doch innig verbunden.
Denn das Christentum sieht Tiere als Dinge allein,
Während Brahmanismus und auch der Buddhismus bekennen,
Dass Natur den Menschen umfasst, im Ganzen wie auch
In der Verwandtschaft mit Tieren, bezeugen sie’s durch die Lehre,
Durch den ewigen Kreislauf, das Band der Wiedergeburt.
Mensch und Tier sind verbunden, vereint durch das große Gesetz.
Schon im Lalitavistara heißt es, dass bei der Geburt
Buddhas Wunder geschahen: die Blinden gewannen das Sehen,
Taube hörten den Klang, und die Kranken wurden gesund.
Solches verkündet die Schrift, zweimal wird es erwähnt.
Meister Eckhart sagt es treffend: „Ein guter Mensch bringt
Gott in das Tier und Geschöpf.“ Denn durch sich selbst zu erlösen,
Löst er mit sich die Geschöpfe, die Erde und Tiere zugleich.
Buddha selbst sprach in Versen zum Pferd seiner Flucht aus dem Hause:
„Lang hast du getragen den Lasten der sterblichen Welt,
Jetzt sei frei, nur dies Mal trag mich, o treuer Gefährte,
Fort aus dem Vaterhaus! Bald wirst du Ruhe erfahren,
Denn erreicht ist die Lehre, und ich werde dich nimmer vergessen.“
Hier erhebt sich die Frage der Gnade und Prädestination:
Christen deuten sie streng, Augustinus schrieb es in Lehr’ –
Doch dem Brahmanen und Buddhist gilt andres Gesetz:
Was ein Mensch bei der Geburt in die Welt mit sich bringt,
Ist nicht Gnade des Herrn, nicht Gabe fremder Gestalt,
Sondern Frucht seiner Taten, geerntet in früherem Dasein.
So bewährt sich die Lehre von Wiedergeburt als gerechter
Und moralisch vernünftig, wie’s der Wahrheit entspricht.
Endlich loben wir Christen der Tugend Liebe zum Nächsten:
Denn sie traten hervor mit der Botschaft, sie zu erhöhen,
Selbst den Feind zu umfassen – so groß ist das Verdienst.
Doch in Asien lehrten schon Jahrtausende zuvor
Veden, Dharma und Puranas dieselbe Güte;
Auch Buddha predigte stets die Liebe, endlos und rein.
Wenn wir zum Grunde der Dinge gelangen, erkennen wir klar,
Dass selbst die Worte der Predigt am Berg einen Aufruf enthalten,
Freiwillig zu armem Verzicht und Verleugnung des Lebens.
So spricht in verklausulierten Tönen die Lehre des Heilands,
Was Buddha einst seinen Schülern gebot, in aller Deutlichkeit kundtat:
Alles zu lassen, den Willen zu zähmen und bettelnd zu wandern,
Bhikkhus zu werden, wie er es vorlebte, heilig und schlichtend.
Daraus entsprang auch später die Ordensregel des Franzisk,
Der das Dasein der Bettelbrüder zum Vorbild erhob.
So ist der Geist der christlichen Lehre, tief in sich schauend,
Gleich dem Gedanken des Brahmanen und Buddha verbunden.
Zeugnis gibt Eckhart, der Meister, der deutlich uns mahnt:
„Leiden ist schnell das Tier, das führt zur Vollkommenheit reinen.“
Noch sei erinnert: Franziskus, der Wohlstand verließ und den Stab nahm,
Ahmte den großen Entschluss des Buddha nach, der vom Prinzen
Niedriger ward als ein Bettler, dem höchsten Verzicht sich verschrieb.
Sein Leben und Werk in den Brüdern, die Armen vereint,
Gleichen dem Dasein des Sannyasi, tief in der Stille.
Liebe zu Tieren trug er im Herzen, wie Buddha sie lehrte;
Schwestern und Brüder nannte er diese in inniger Demut.
Matthäi Worte nun klingen: „Ein Ankertau mag leichter
Durch das Nadelöhr dringen, als dass ein Reicher den Himmel betritt.“
Wem die Erlösung ein Herzensanliegen ward, wählte Verzicht,
Selbst wenn das Schicksal sie reich in die Welt gesandt hatte.
Buddha, geboren als Prinz, nahm freiwillig den Bettelstab an;
Franz von Assisi, der Gründer der Brüder, folgte dem Pfade.
DRITTER GESANG
Dies ist die Wahrheit vom Leid: Geburt ist schmerzlich, Bhikkhus,
Alter und Sterben sind Leid, und ferner das Band mit dem Fremden,
Trennung von Liebenden ebenso, wie das Verlangen,
Etwas zu wollen, das fern bleibt, ja, jedes Begehren;
Kurz, die Bestandteile all unsres Seins, die fünf, sind nur Leiden.
Dies ist die Wahrheit des Ursprungs des Leides: der Durst,
Jener, der drängt und die Wiedergeburt uns immer erneuert,
Lust und Verlangen begleitend, den Dingen huldigend, süchtig:
Durst nach dem Sinnengenuss, dem Sein und dem Nichts, unermüdlich.
Dies ist die Wahrheit vom Enden des Leides, oh Bhikkhus:
Enden des Dursts, das Aufgeben, das völlige Loslassen dessen,
Befreiung, die sich vollzieht, im Verzicht auf das Drängen der Wünsche.
Dies ist die Wahrheit vom Pfad, der zum Enden des Leides uns führet:
Pfad des Edlen, der achtfach ist, mit rechter Gesinnung:
Rechte Ansicht zuerst, die rechte Absicht dann folge,
Rechte Rede sodann, die rechte Handlung daneben,
Rechter Erwerb und die rechte Bemühung seien verbunden,
Rechte Achtsamkeit lehrt es, und rechte Sammlung, oh Bhikkhus.
Reflexion des Leidens (nach Schopenhauer in Hexametern)
Wollendes Streben ist Kern aller Wesen; unendlich sein Drängen,
Doch ohne Ziel und ohne Rast ist es stets ungestillt.
Mangel gebiert dieses Wollen, die Not und den Schmerz, die Natur ist
Leidensvoll stets, ihrem Ursprung nach für Qualen bestimmt.
Freude des Leibes, so klein, und doch so begehrt von den Wesen,
Findet sich kaum; ist erreicht, bleibt niemals das Glück uns erhalten.
Alles ist Streben, dem stets ein Mangel im Innern entspringet;
Keine Befriedigung währt, sie wird zum Quell neuen Begehrens.
Sieh, wie der Wille sich windet, im ständigen Kampf mit dem Leiden,
Immer ist Kampf sein Geleit, und niemals das Ziel ihm beschieden.
Weisheit belehrt uns: je klarer das Wissen des Menschen sich steigert,
Desto mehr dringt ihm das Leiden in Herz und Seele als Wahrheit.
So, oh Bhikkhus, erkennt: das Wesen des Lebens ist Schmerzen,
Doch in Erkenntnis und Pfad mag der Friede erwachen, Erlösung.
Diese Welt ist ein Feld, wo die gequälten und quälenden Wesen
Ringen im endlosen Streit; ihr Dasein bleibt nur erhalten,
Indem eins das andere frisst und von Schrecken sich nährt.
Jedes Raubtier trägt das Grab von Tausenden Wesen im Leibe,
Selbsterhalt ist ihm Kette aus qualvoll sterbenden Toden.
Schmerz wird tiefer mit Wissen und wächst in der fühlenden Seele,
Bis er im Menschen erreicht den Gipfel empfindender Leiden.
Je mehr Intelligenz, desto schärfer die Pein, die ihn quält.
Doch Optimisten preisen die Welt mit ihren Gefilden,
Sehen im Glanz der Sonne die Schönheit von Tälern und Bergen,
Blumen und Tieren und Strömen, die gleißend in Wellen sich wiegen.
„Öffne die Augen!“, so sprechen sie laut, „und staune das Wunder!“
Doch, ist die Welt nur ein Bild, ein glänzender Guckkasten bloß?
Ansehen ist nicht Sein, und schön zu schauen ist leichter,
Als zu bestehen in ihr, gequält von unendlichem Leiden.
Kommt ein Gelehrter und spricht von der Weisheit kosmischer Ordnung,
Lobt die Bahnen der Sterne, die friedlich einander umkreisen,
Lobpreist die Grenzen von Meeren und Ländern, die nie sich vermischen,
Jubelt, dass weder die Welt in ewigem Frost erstarrt noch
Lodernd verbrannt wird; ja, durch Neigung der Erdachse selber
Frühling und Reife gesichert. Doch all das sind ja nur Regeln,
Ohne die keine Welt bestehen könnte, so wie sie ist.
Soll denn die Erde bestehen, soll sie für eine Sekunde
Länger noch währen, als Lichtstrahlen fernen Gestirnes sie treffen,
Muss sie zumindest so stabil wie die Hülle des Seins sein.
Aber das Leben, das hier auf der Bühne der Welt sich entfaltet,
Zeigt in der Sensibilität den Schmerz als ständigen Zeugen.
Mit der Empfindung wächst auch der leidende Mensch, und das Streben
Zieht wie ein Schatten das Elend nach, das niemals vergeht.
Jedes Verlangen gebiert das Leiden in ständiger Folge,
Tragik und Komik umfangen zuletzt unser ganzes Dasein,
Wenig bleibt übrig, worin ein Jubeln sich jemals erheben könnte –
Wer kein Heuchler ist, wird wohl kaum in Hallelujas ausbrechen!
Und die Beweise von Leibniz, dass dies die beste der Welten,
Sind leicht widerlegt, wenn man nur dem Gedanken sich öffnet,
Dass diese Welt – durch Mühen allein in Balance gehalten –
Kaum schlechter sein dürfte, ohne zu Staub zu zerfallen.
„Möglich“ ist das, was tatsächlich bestehen kann, ohne zu enden.
Schlechter kann keine Welt als diese bestehen, so muss sie
Folglich die schlechteste sein, die möglich sich denken ließe.
Selbst wenn Planeten, gelenkt von Zufall und starren Gesetzen,
Kollidieren würden, wenn eine Bahn sich plötzlich veränderte,
Wäre dies das Ende der Welt, die so wacklig erbaut ist.
Unter der festen Kruste des Planeten verbirgt sich Gewalt:
Nur ein Zufall genügt, und alles zerbirst in der Hitze.
Fossile Zeugen berichten von früheren Welten, die scheiterten,
Weil sie ein wenig schlechter als diese existieren mussten.
Schmerz ist die Grundmelodie, und neun Zehntel der Menschheit
Kämpfen stets um das Dasein, bedroht von Hunger und Not.
So ist die Ordnung des Lebens, so knapp wie möglich gehalten,
Nichts wird geschenkt, und alles gefordert – im ewigen Ringen.
Im Grunde genommen ist Optimismus Selbstlob des Lebens,
Welches als Schöpfer der Welt sich selbstgefällig bewundert.
Nicht nur falsch, auch verderblich erscheint uns diese Idee:
Leben stellt er als Ziel und Glück des Menschen als Zweck hin.
Solches Denken verführt, dass jeder auf Anspruch beharre,
Fordert vom Schicksal das Glück, die Lust als rechtmäß'ge Gabe.
Bleiben ihm diese versagt, wie's häufig geschieht, so erachtet
Er sich betrogen und glaubt, der Sinn des Lebens sei missacht'.
Richtig jedoch ist's vielmehr, die Arbeit, das Leiden, Entbehrung,
Kränze des Todes, als Ziel und Zweck des Lebens zu schauen.
Dies, wie Brahmanen verkünden und Buddhisten erlehren,
Wie auch das Christentum, rein und wahr, es uns nimmer verhehlt:
All dies führet hinan zur Verneinung des Lebenswillens.
Das Leben eines jeden, im Ganzen betrachtet, erschiene
Als Tragödie gewiss, wenn seine Bedeutung man fasst;
Doch in den Teilen zerstreut, trägt es den Schleier der Komödie:
Tagesnöte und Sorgen, die Späße des augenblicklichen Streichs,
Wo Wünsche und Ängste der Woche mit Missgeschicken sich paaren,
Werden vom Zufall regiert, der stets auf Scherze bedacht ist.
Träume zerbrechen, vergeblich bleibt Müh, zerstörte Hoffnungen
Malen am Ende mit Leiden und Tod die Tragödie aus.
So muss das Leben, als spöttisches Spiel des Schicksals, das Elend
Tragisch gestalten, doch uns nicht die Würde verleih'n;
Denn wir, im Kleinsein gefangen, sind Narren der großen Komödie.
Wie viele Sorgen auch plagen, die Menschen in ständiger Hast sind,
Ruhe bleibt fern, doch nimmer befriedigt das Leben den Geist.
Öde und Leerheit des Daseins entblößt sich in allen Momenten,
Langeweile steht stets bereit, in Pausen sich auszubreiten.
Also schafft sich der Geist in tausendfältigen Aberglauben
Eine Welt der Gedanken, wenn er die Wirklichkeit meidet.
So vertreibt er die Zeit mit nutzlosen Mühen und Spielen,
Weil die Stille des Lebens ihm fremd und schaurig erscheint.
Dies geschieht häufig dort, wo Erde und Klima begünstigt,
Wo das Leben sich leicht gestaltet: bei Hindus, wie bei den Römern,
Bei den Griechen zuvor, später bei Spaniern, Italienern —
Wo immer Muße sich paart mit rastlos schaffendem Wahn.
So entspringt das Wissen, ob reines Verstandesvermögen,
Oder Erkenntnis allein, dem Willen, Ursprung des Strebens.
Wesen des Willens, der sich in Formen des Lebens entfaltet,
Dient es zunächst als Werkzeug, des Körpers Ziel zu vollenden,
Dasein zu sichern, die Art zu erhalten, wie jedes der Glieder.
Willenserfüllt bleibt Wissen dem Zwecke fast stets untertan,
Wie es bei Tieren geschieht und den meisten Menschen der Erde.
Doch kann das Wissen, befreit von des Willens lastendem Joche,
Frei sich entfalten, rein als der Welt ein leuchtender Spiegel.
Hieraus strömt die Kunst, die Klarheit im reinen Erkennen.
Wir werden sehen, wie, wenn dies Wissen den Willen berühret,
Solches ein Werk bewirkt: den Willen in sich aufzuheben.
Hier liegt das höchste Ziel, die Tugend, Heiligkeit, Rettung,
Lösung vom Weltenleid, der innerste Kern der Erlösung.
Wissen, dem Willen geweiht, erkennt nicht die Dinge an sich selbst,
Sondern die bloßen Beziehungen, Form und Umstände der Dinge.
Zeit, Ort, Wirkung und Ursache, dies sind ihm Gebiete des Denkens.
Nichts bleibt übrig, verschleichen die Netze der Relationen;
Dinge verschwinden, denn nur durch Bezüge wurden sie sichtbar.
So sind Wissenschaften nichts als Netzwerke von Relationen,
Raumzeitfäden, Ursachenketten und Formenvergleiche.
Nur ihre Ordnung, das System, erhebt sie zu höherem Streben,
Da Begriffe vereint, das Besondere dem Ganzen sich ordnet.
Relation bleibt Relativität, sie selber ist wandelnd:
Jedes Sein in der Zeit ist zugleich ein Nichtsein, denn Zeiten
Fassen Gegensätze, vereint in derselben Erscheinung.
Trug euch falsche Sicht in die Irre, so lasst uns erkennen:
Nicht ein Geschenk ist das Leben, vielmehr eine Schuld, die euch auferlegt ward.
Eingefordert erscheint diese Schuld durch drängende Sorgen,
Quälende Gier, das Elend, das endlos das Dasein durchwaltet.
Lebensmüh’ wird oft nur dazu, die Zinsen zu zahlen,
Doch das Kapital, die Schuld selbst, wird erst durch den Tod je getilget.
Und wann ward diese Schuld euch zuteil? In der Stunde der Zeugung!
Wie könnte der Mensch sich als Zufallswerk je betrachten?
Sein Lebensweg ist bestimmt, durch innere Kräfte gelenket,
Steht im Widerspruch oft zu den äußeren Dingen der Weltzeit.
Umfassende Unterschiede, die Wesen gestalten des Menschen,
Können durch Schuld oder doch durch Verdienst nur entstehen,
Nie aber zufällig, als Spiel der willkürlichen Kräfte.
Sichtlich daraus wird klar, dass der Mensch in gewissem Verstande
Selbst sein eigenes Werk und Schöpfer des Eigenen bleibet.
Stets einen sicheren Kompass zur Seite zu wissen,
Der uns durch’s Leben führt und niemals den Weg uns verbiegen lässt,
Macht es zur Pflicht, die Welt als Ort der Buße zu schauen,
Strafkolonie sie zu nennen, Ergasterion gar der Weisen,
Wie es einst Clemens von Alexandria trefflich verkündet.
Origenes sprach es kühner, von großem Geist tief durchdrungen:
„Diese Welt ist solch ein Ort!“ Es lehren die Weisheit vergang’ner
Zeiten, der Brahmanismus und selbst der Buddhismus, Empedokles,
Auch Pythagoras künden, und Cicero mahnt es den Menschen.
Solche Gedanken begleiten den Weisen durch finstere Täler,
Lehren Geduld und Milde, wie Nächstenliebe es fordert,
Denn was wir uns wünschen, auch anderen schulden wir ebenso.
Lebenswille, oh quälend’ Verlangen, Ursprung des Leidens,
Brennt als Flamme im Herzen, entfacht in Mangel und Kummer.
Kaum ein Wunsch wird erfüllt; der Wille im Kampf mit der Weltkraft
Scheitert oft, und im Schmerz lebt der Mensch als gequälte Gestalt hier.
Selbst wer viel will, fühlt Leiden; denn stets bleibt ungestillt doch
Durst des Egos zurück, das nach seinem eigenen Glanz greift.
Spiegel des Wollens, oh Welt! Dein Leiden, dein Wesen des Willens,
Offenbart, was er sucht und erträgt; Gerechtigkeit trägt dich.
Nichts kann anders hier sein, als wie es Wille bestimmt hat,
Selbst die Natur, die Geschöpfe, die Kreise des ewigen Wandels.
Will ist Welt, und die Welt ist der Will’, unveräußerlich eingewebt.
Doch der Wille allein trägt all das Gewicht der Verantwortung.
Tiere, Bewusstsein erfüllt von Begehren und stetigem Wechsel,
Hunger und Sättigung prägen ihr Leben, ihr Dasein in Kreisen.
Wie wir sie noch nie zuvor sahen, im Kern sie uns dennoch vertraut sind:
Denn ihr Wollen gleicht unserm und ihre Gefühle den unsern.
Angst, Verlangen, die Liebe, die Wut und die Freude im Kreislauf,
Leben mit uns verbunden, vom kleinsten Polypen bis Menschen.
Alles Streben entspringt dem Mangel, dem Leiden entspringet das Wollen,
Mangel und Qual; die Erfüllung gewährt nur kurze Erlösung.
Endet ein Wunsch, so harren doch zehn im Schatten, versagt noch,
Lange währt das Begehren, die Hoffnung trägt’s ins Unendliche,
Doch ist die Gabe der Götter knapp und von Dauer nicht; sparsam
Teilt das Schicksal den Wunsch und lässet die Glut nicht erlöschen.
Selbst wenn Befriedigung kommt, so zeigt sie sich bald nur als Trugbild,
Denn der erfüllte Wunsch gebiert stets einen neuen Verzicht schon,
Eine Täuschung vergangen, die nächste erwächst aus den Trümmern.
Keines der Ziele, das je ein Begehren sich auserkor selber,
Kann uns dauernd erquicken; die Lust verglüht in der Asche.
Wie dem Bettler das Almosen reicht, das ihm Hunger verwehret
Nur für den Tag, um die Qual seines Lebens zu dehnen bis morgen,
Also geht es dem Menschen: sein Wollen bringt keine Erlösung.
Ruhe ist nimmer zu finden, solange im Innern der Wille
Bebt und die Wünsche, die Ängste, die Hoffnung der Sehnsucht ihn quälen.
Weder im Jagen noch Fliehn, im Begehren noch auch im Entsagen
Wird das rastlose Herz je Ruhe oder Frieden erlangen.
Immer die Sorge des Wollens, die ewige Unrast des Drängens,
Drückt auf den Geist, der sich nicht von den Banden des Daseins befreien kann.
Doch wenn plötzlich ein Licht uns hebt aus dem endlosen Strome,
Wenn die Knechtschaft des Willens vergeht, die uns ewig bedrückte,
Dann wird die Seele befreit und richtet den Blick auf die Dinge,
Schaut sie rein, ohne Zweck, ohne Trug, mit göttlicher Klarheit.
Nicht mehr vom Willen getrübt, erscheint uns das Dasein als Frieden,
Welcher allein uns gewährt, was das rastlose Wollen verwehrte.
Dieser Moment, den der Weise pries als Zustand der Götter,
Macht uns frei von dem Druck, der das Herz in die Tiefe herabzog.
Ewig strebt und ringt der Wille, unendlich im Wandern,
Kreist im rastlosen Wirbel, und nie erreicht er ein Ende.
Gravitation, sein Urbild, zeigt das Streben der Kräfte:
Alles ziehet hinab und ringet, doch scheitert im Innern.
So ist das Wesen des Willens; erfüllt ist er nimmer,
Selbst wenn alle Materie vereint, bleibt immer das Kämpfen.
Stets gebiert neues Streben ein Ziel, das er niemals erreicht hat.
Immer der Same zur Pflanze, die Blüte zur Frucht sich erhebet,
Doch die Frucht ist kein Ende, nur Anfang des nächsten Zyklus.
Ewiges Werden regiert, das Gesetz des rastlosen Lebens,
Selbst in den Wünschen des Menschen spiegelt es sich: denn die Hoffnung,
Die uns lockt, wird erfüllt und verglüht wie ein flüchtiges Trugbild.
Rasch geht die Sehnsucht zur Lust, von der Lust zur Sehnsucht aufs Neue;
Glück nennt man diesen Lauf, wenn schnell sich die Wünsche entfalten,
Doch ist das Tempo gehemmt, so wandelt sich alles in Leiden.
Nichts bleibt stehen; der Stillstand allein ist das Schrecklichste aller
Dinge, die uns bedrohen: die Leere, die öde Ermattung,
Die kein Ziel mehr erblickt und den Geist in die Ödnis hinabsenkt.
Wie auf dem stürmischen Meer in schwebenden Wellen der Schiffer
Sitzt, und dem Nachen vertraut, dem zerbrechlichen, schmalen Gefährte,
Wagt er die Fahrt durch die grenzenlose Gewalt der Gezeiten:
So sitzt ruhig der Mensch inmitten der leidvollen Erde,
Stützt sich im Innersten auf das eigene klare Erkennen,
Das ihm die Dinge als reine Erscheinung vor Augen nur malt.
Alles, was war und was kommt, das liegt ihm fremd und entfernt da,
Wird ihm zur bloßen Idee, zur Gestalt einer kalten Fiktion.
Nur was ihm selber gehört: die kleine, verschwindende Person,
Das, was die Gegenwart birgt, die flüchtige, schwindende Stunde,
Dieses allein hat Gewicht und bindet sein sehnendes Streben.
Längst doch ahnt in den Tiefen des dunklen Bewusstseins ein Flüstern,
Dass diese Fremde nicht fern, nicht ohne Verbindung geblieben,
Nein, dass der Schleier der Täuschung die Einheit der Dinge nur deckt.
Furcht wird daraus geboren, die tief in allen Lebenden wurzelt,
Menschen und Tiere durchdringt, wie ein Echo des schrecklichen Wissens.
Seht, wie das Leiden im Leben stets neue Konflikte erzeugt hat,
Dort, wo der Wille zum Dasein sich selbst in den Ego verriegelt!
Hier aus dem Ich und dem Dein, das trennt, erwächst das Verlangen,
Streit mit den anderen bricht, da die Welt als geteilte Gestalt wirkt.
Ego, beherrscht vom Prinzip, das die Einheit der Dinge zerschneidet,
Trennt und beschränkt, was im Ursprung eins war, und wirkt so das Leiden.
Doch uns ward ein Geschenk: Vernunft, die im Denken des Ganzen
Sieht, was das Einzelfall-Bild im Tier nur begrenzt zu erblicken vermag.
So ward erkannt, wie im Opfer der eigene Vorteil auch liegt,
Jener Vertrag, der den Egoismus in Schranken nun zwinget,
Das ist das Recht, das Gesetz, das dem Kampf eine Grenze gewähret.
Jeder opfert ein Teil, um Frieden gemeinsam zu sichern,
Leben in Eintracht zu hegen und Leiden, so gut es nur geht, zu verjagen.
Sterbliche schauen hinab in die Tiefen des Daseins und Staunens,
Drängen zum Sinn, den der Tod und das Leid uns vor Augen gestalten.
Wäre das Leben von Schmerz und vom Ende des Seins unberührt je,
Niemand würde wohl fragen, warum die Welt so entstanden,
Weshalb sie sei, oder wozu sie der Ordnung der Dinge sich fügt.
Doch gerade der Tod, der uns mahnt und zum Nachdenken zwinget,
Schafft den Impuls, der die Metaphysik zu den Höhen erhebt.
Selbst die Religion, die im Glauben von Göttern entzündet,
Schöpft ihre Macht aus der Hoffnung auf Leben nach endlichem Sterben.
Nimmt man den Glauben an Unsterblichkeit, wird auch die Glut kalt,
Kühle Gleichgültigkeit löscht den Drang nach den Göttern im Innern.
Denn was bedeuteten sie, wenn nicht ihre Nähe verspräche,
Ewiges Leben, das uns mit Trost in die Zukunft geleitet?
Tempel, Moscheen und Pagoden, all diese Monumente,
Zeugen vom Drang der Menschen, die Wahrheit des Seins zu ergründen,
Zeugen von Furcht und Verlangen nach Antworten jenseits der Dinge,
Unendliches Wünschen, das stets den Vergänglichen heilig bleibt nah.
Er erkennt das Ganze, durchdringt sein Inneres tief,
findet es wirr verstrickt in beständigem Flusse des Leids:
Eitel vergeblich das Streben, ein Kampf ohne End’, ohne Frieden,
Schmerz, der den Willen durchdringt und im Leben verhaftet bleibt.
Denn wer im Prinzip der Erscheinung gefangen verweilt,
blickt nur auf Dinge für sich und ihr Streben zum Selbst,
sieht sie stets neu als Motive, die Wollen und Begehren entfachen,
ewig getrieben in Sehnsucht, vom Ego umringt.
Doch wer das Innere schaut, erkennt im Ding an sich selbst
Stille des Wollens und Frieden, ein End’ allen Begehrens.
Schaudernd wendet der Wille sich ab von des Lebens Genüssen,
spürt, dass in ihnen Bejahung des Lebens verborgen liegt.
Menschen gelangen zur Ruhe in willentlos seligem Sein,
frei von Verlangen und Fesseln, in echter Gelassenheit.
Höret, ihr Bhikkhus, ich lehre das All euch und all seine Teile:
Auge und Dinge des Sehens, das Ohr und die Klänge des Raums,
Nase, Gerüche und Düfte, die Zunge mit Speisen und Schmecken,
Körper und Greifbares, Geisteszustände, die innerlich wallen.
Dieses wird Alles genannt, es umspannt unser Dasein und Welt.
Wer nun behauptet: ‚Ich lehne dies ab und verkünde ein Anderes,‘
spräche vergeblich und könnte das Neue nicht festlich beweisen,
wäre verwirrt und verstrickt in die Grenzen des eigenen Seins.
Sehet, ihr Bhikkhus, ich zeige den Weg, der das All lässt vergeh’n:
Auge, die Dinge des Sehens, den Kontakt und das Sehen selbst,
Freuden und Leiden, die durch diesen Kontakt sich erheben,
alles dies muss aufgegeben, verlassen, erkannt sein als leer.
Geist und die Dinge des Geistes, der Kontakt, der Bewusstsein entfaltet,
müssen entsagt werden, gleich wie die Freude, die Leiden, die Stille,
die aus dem Geistigen quellen und unser Streben entzünden.
Dies, ihr Bhikkhus, ist Lehre: Erkennen, Verlassen des Alls,
ganz zu durchdringen den Kern und das Leiden von Grund aus zu tilgen.
Buddha erkennt im Vergänglichen stets die Momenthaftigkeit,
Formen des Seins, die erscheinen im wechselseitigen Entstehen.
Schopenhauer sieht Welten als Strom, als verfließende Gegenwart,
Ketten der Ursache-Wirkung, die rastlos die Formen verwebt.
Nirgends ist Ruhe zu finden, denn stetig verfließt unser Dasein,
nichts hat Bestand als der Augenblick selbst, der zerrinnt.
Kants Gedanke vom "Ding an sich" wird scharf widerlegt nun:
„Kaum“, so spricht Schopenhauer, „vermag die Kausalität, jemals
Jenes zu deuten, was Wesen und Wahrheit im Innern beglaubigt.
Nur durch das Selbstbewusstsein, das den Willen verkündet,
Zeigt sich das An-sich als Kern der Erscheinung, verborgen.“
So verliert das "Ding an sich" den Glanz des Absoluten,
Wird statt ewiger Freude zum Ursprung des Leidens, der Schmerzen,
Jenem Prinzip, das zu fliehen das Leben uns zwinget.
Willen nannte er dieses Prinzip, das den Kern allen Seins birgt:
„Blind und grundlos“, sagt er, „nach Leben allein ist es trachtend.“
Nicht die erhabene Einheit, wie Sankara sie verkündet,
Sondern ein Sehnen, das quälend im Wesen der Welt sich entzündet.
Doch durch die Aufhebung selbst, so paradox es erscheinet,
Findet sich Freiheit, die wahre, im Willen, der sich verleugnet.
Leid ist der Schlüssel zum Ziel, nicht Freude, wie wir es hoffen:
Täuschung herrscht im Gemüt, das nach Glück allein sich verzehret.
„Werden wir glücklich geboren?“ fragt er. „Wir irren uns selber;
Leben ist niemals gemacht, um Freude allein zu erfüllen.
Eher erscheint es als Lehre, die uns vom Irrtum befreiet.“
Täglich lehrt uns das Leben: Die Freude, die wir ersehnen,
Zeigt sich trügerisch stets, während Leiden die Seele durchdringen.
So sind wir Wesen, durch Schmerzen zur Wahrheit geführt, die verborgen:
Nicht das Genießen, das Streben nach Glück ist des Lebens Berufung,
Sondern die Umkehr, die Abkehr vom Sein, das uns quälet.
Wer dies begreift, so lehrt es die Weisheit des Denkers,
Wird in der Welt nicht Glück, doch Ruhe und Einsicht empfangen.
Unglück, gleich welcher Gestalt, wird ihn nicht mehr überraschen,
Schmerzen verspürt er wohl noch, doch erkennt er im Leid
klar das Wirken der Dinge, die zum höchsten Ziele hinlenken:
Abkehr des Willens vom Dasein, Befreiung vom Drang.
Dieses Bewusstsein verleiht ihm eine herrliche Ruhe,
gleich der des Kranken, der Schmerzen erduldet, wissend: sie helfen.
Denn nur durch Leiden enthüllt sich das wahre Geschick unsrer Wesen,
Schicksal des Menschen ist Schmerz, und das Leben versinkt
tief in den Fluten des Leids, kein Entkommen ist ihm beschieden;
Weinend beginnt unser Dasein, tragisch verläuft es, und schaurig
endet es stets, gleich dem Schatten, den der Tod überwirft.
Dennoch erkennbar, in all dem, ein tiefer Hauch von Bedacht,
leuchtend im Dunkel des Leidens, das zur Läuterung führt.
Ja, das Leiden allein heiligt den Menschen und wendet
von des Lebens Irrweg ab den irrenden Willen.
Sterbend schaut der Mensch zurück auf das verflossene Leben,
und in dem Spiegel erscheint ein Bild des Willens, gewandelt,
gleich einem neuen Motiv, das das Handeln anders gestaltet,
sinnend, was bleibt: das moralische Endresultat.
Tief in der Menschheit allein, der Vernunft zur Gabe gegeben,
leuchtet der Kelch des Todes mit seltsamer Klarheit hervor:
Nur hier kann der Wille verleugnen das Leben, und endlich
wendet er sich vom Dasein vollendet, bewusstlich ab.
Fragt doch der Tod in der Stunde der letzten Entscheidung:
„Bist du erfüllt? Willst du fliehen von meinem Gebot?“
Jedes Sterben bezeugt das Gleiche, stets neu und unendlich;
so sucht die Natur die Antwort des Willens erneut.
Doch was im Gegenteil bleibt, nach dem Ende des Willens,
kann nicht erfasst sein von Wort, von Bild, von Begriff.
Denn was uns fassbar erscheint, entspringt nur dem Willen;
absolut fremd bleibt das Gegenteil dieser Gestalt.
Negation allein bleibt uns als Ahnung des Endes,
doch der Gedanke verweilt ungewiss vor dem Tor.
Wenn das Genie erwacht, in seligen Stunden der Klarheit,
löst sich der Intellekt, kurz, aus dem Willensgespann,
wirkt wie ein Spiegel, gereinigt von allem Begehren und Drängen,
schaut in vollkommener Freiheit die Welt, wie sie ist.
Reinheit des Geistes erfüllt diese heiteren Stirnen,
Frei von der Knechtschaft des Willens, ein überirdischer Glanz.
Denn wo das Wollen erstirbt, da endet auch alles an Schmerzen,
Wissen allein ist von Heiterkeit lichtvoll durchdrungen.
Hinter dem Sein aber liegt ein Geheimnis verborgen,
das nur sich zeigt, wenn der Mensch diese Welt abstreift und lässt.
Was nach der Aufhebung bleibt, ist für den Willigen nichts,
doch auch die ganze Welt ist nichts für den, der entsagt.
Dies ist das Höchste, der Punkt, wo Subjekt und Objekt versinken,
Prajñāpāramitā nennt es der Weise im Osten.
Wissen und Wollen, sie scheiden sich rein, wo der Mensch es erfasst hat,
Klarheit verlangt, dass der Wille zurücktritt, schweigt für Momente,
Frei sich die Welt ihm enthüllt, in gereinigtem, treuen Erkennen.
Also, was folgt aus dem Worte: die Lebensverneinung entspringet
Ruhigem Wollen allein, das sich selbst in der Tiefe begreifet.
Leid und die Eitelkeit spiegeln den Kampf in des Lebens Gebilden,
Wo sich die Seele der Heiligkeit fügt, in Ergebung versinket.
Bleibt der Wille erhalten, was bleibt uns nach dem Entschwinden?
Kern unsres Seins ist der Same, der neu sich zur Form sich erhebet.
Frisch ein Wesen entsteht und grübelt verwundert im Ursprung:
„Bin ich das Selbst, das sich wundert, erwacht aus der Tiefe des Nichts?“
Selige Stunden des Geistes, da Wille verstummt und die Seele
Löst sich vom Druck, als tauchte sie auf aus der irdischen Schwere.
Wahrlich, ein Leben, wo niemals der Wille empor sich erhebet,
Leuchtet wie reinster Kristall, in dem Funken des Lebens verlöschend.
Dieser, der Kämpfende, Sieger der innersten Regungen, bleibet
Nur als erkennendes Wesen, ein Spiegel der Welt, unbegrenzet.
Tausend Fäden des Wollens sind zerschnitten, nichts kann ihn rühren,
Nichts ihn bewegen, denn Wollen und Leiden sind ferne versunken.
Ruhig und lächelnd blickt er zurück auf die Flut der Erscheinung,
Schachfiguren gleich, die nach endlicher Partie unbewegt stehn.
Nur wenn frei vom Begehren, der Geist sich den Dingen beweglich
Nähert, erscheint uns die Welt in der reinen Bedeutung, im Ganzen.
Dies jedoch, selten und fremd der Natur des begrenzten Verstandes,
Ist das Genie, das schaffend und schauend erhaben entstehet.
„Wie ist es wirklich?“ – der Künstler erforscht es in leuchtenden Bildern,
„Was ist das Wesen?“ – fragt tief der Philosoph in Gedanken.
Heilige leben in Frieden, ein Frieden, der Blüten des Geistes
Hervorbringt, wogend empor aus besiegtem Willen, dem steten.
Kampf mit dem Drängen des Lebens, das Leiden der Seele, es nähret
Blumen des Heils, doch niemals auf Erden erlangt sie Vollendung.
Nur die, die Willen verleugnen, die streng sich den Mühen des Lebens
Weihen, bewahren die Ruhe, die schwer errungen, geblieben.
Einsicht, tief in den Schmerz, das persönlich empfundene Leiden,
Zeigt oft am Sterbebett erst den Weg zur erlösenden Stille.
Wenig genügt schon das Wissen, den Willen vollkommen zu lösen;
Doch wer das Prinzip des Individuums durchschaut, wird zur Güte,
Fühlt alle Leiden der Welt wie die eigenen, strebend nach Einheit.
Darum wird in den meisten Fällen der Wille gebrochen und beugt sich,
Eh' er in Selbstverleugnung, gereinigt, den Frieden erreichet.
Sieh, der Mensch, gepeinigt durch Stufen wachsender Trübsal,
Wehrt sich wütend und stürzt zur Verzweiflung, kämpft mit den Kräften,
Doch dann plötzlich kehrt er sich um, in sich zurückgezogen,
Schaut die Welt und sich selbst, erkennt und wandelt sein Wesen,
Hebt sich über das Leid, wie von Flammen geläutert und heilig,
Findet Frieden, erhaben, entsagt allem Drang und Begehren,
Willig gibt er das auf, was zuvor ihn mit Heftigkeit riss,
Grüßt mit freudigem Sinn den Tod und das Ende des Willens.
Dies ist der Glanz, der aus reinigender Flamme erstrahlet,
Silberlicht der Verleugnung des Lebens, des Willens Erlösung.
Selbst der Böse, gereinigt durch tiefstes Leid und durch Schmerzen,
Wandelt sich und erkennt, bekehrt sich und scheidet geläutert.
Früheres Tun, es belastet ihn nicht: er zahlt es mit Freuden
Hin mit dem Tod und schaut auf das Ende des fremden Verlangens,
Dieses Willens, der ihm jetzt fremd und verhasset geworden.
Wenn wir den Willen des Lebens betrachten, klar und im Ganzen,
Scheint er uns wie verstrickt in den Wahn, der sein Streben entzündet.
Von ihm loszukehren und alles Streben zu leugnen,
Das ist es, was Religionen die Selbstverleugnung benennen:
Denn das wahre Selbst ist der Wille, der Lebensgrund alles.
Gerechtigkeit, die Tugend der Liebe entspringt diesem Willen,
Der, das principium individuationis durchschauend,
Sich in der Welt und in allen Erscheinungen wiedererkennet.
Dies ist ein Zeichen des Willens, der Wahn und Verblendung verlässt schon,
Zeugnis der Klarheit, die Flügel erhebt und der Welt sich entwindet.
Ungerechtigkeit, Bosheit und grausame Werke des Willens
Sind hingegen das Siegel des tief in Verblendung Gefangenen.
Doch die Tugenden fördern den Schritt zu des Willens Verleugnung,
Führen den Menschen hinan zur Erlösung vom rastlosen Drange.
Über Kleinigkeiten, von moralischen Dingen nur sprechend,
Lobt der Weltmensch den Tathāgata, findet Gefallen
Nur an Geringen, den äußeren Zeichen von Sittlichkeit, deren
Inhalt die Ablehnung des Tötens, die Scheu vor dem Raube,
Reinheit des Herzens, die Wahrheit der Worte, die lautere Lebensart.
Doch es gibt tiefere Dinge, die höher sind, schwerer zu fassen,
Subtil, nur den Weisen begreifbar, fern aller Logik,
Still und erhaben und nur in der Tiefe des Geistes zu finden.
Weisheit suchte der Mensch, seit jeher trieb es die Geister,
Kunstvoll das Leben zu lenken, den Pfad der Tugend zu finden.
Schopenhauer, der Weise, betrachtete jene drei Wege:
Einer, des Genies, der Weg der betrachtenden Stille;
Anderer, der Heiligen Bahn, der Pfad der asketischen Klarheit.
Dritten nannte man „mittleren Weg“, und er wurde zum Thema.
Eudämonologie, so lautet der Name im Griech’schen,
Bedeutet: Glückseligkeit suchen, gemäß der Vernunft.
Klassisch erstrahlt das Ideal in der Lehre der Stoiker einstens,
Jenem Weisen geweiht, der ruhig die Stürme des Lebens
Meistert mit festem Gemüt und des Schicksals Zwängen erhaben.
Doch der moderne Denker, Schopenhauer, verwarf dies:
Allzu schmal dünkte ihm das Ideal des „glücklichen Lebens“,
Nur als Deckmantel dienend, der tiefere Pflichten verhüllt.
Scharf war sein Urteil: Ein hohles, ja heuchlerisch leeres Bestreben
Würde der „mittlere Weg“ in seinen Grenzen verkommen,
Hielte man nicht gewissenhaft fest die moralischen Schranken.
Seine Kritik war ein Ruf nach einer beseelten Philosophie,
Menschlich, gewandt an die Not und das Sein in der Welt.
So stand er ahnend der späteren Existenzphilosophie nahe,
Die, Jahrhunderte später, Europa formte und prägte.
Doch auch der Stoiker selbst, so sah er, wurzelte tiefer,
Abgeleitet vom Kyniker, strenger und härter im Wesen.
Aristoteles’ Lehre vom goldenen Maß er betrachtete kritisch:
Nicht als moralisches Prinzip, doch klug für die Weisheit des Lebens,
Lenkend zwischen den Klippen, ein Führer durch stürmische Fahrten.
Furcht vor bekanntem Leid treibt oft zu entgegengesetztem:
Einsamkeit fliehen wir, suchen die Lasten der Menge,
Doch aus den Menschen getrieben, sehnt sich die Seele zurück.
So wandeln wir stets im Zwiespalt, suchend den besseren Pfad.
Mittelweg – doch nicht bloß ein Kompromiss ohne Richtung!
Wer zwischen Stühlen verweilt, sitzt unsicher, nie aufrecht.
Glauben oder Vernunft: Der Weg sei gänzlich beschritten!
Halbes Vertrauen führt stets in die Irre des Denkens.
So mahnt uns die Weisheit: Entscheide dich klar für das Wahre.
In seinem Hauptwerk, „Die Welt als Wille und Vorstellung“ genannt,
Kritisiert Schopenhauer mit Strenge den Eudämonismus,
Jenen Begriff, der im Ursprung Lustsucht benennt und das Trachten
Nach dem Vergnügen allein, das den Lebensdurst stets nur schürt.
Eingefärbt von der Askese, die christlich das Denken beherrschte,
War dies ein Leitmotiv, vorherrschend zu seiner Epoche.
Doch in den späteren Jahren, insbesondere im Mittlern,
Öffnet‘ er neuere Wege in „Parerga und Paralipomena“,
Wo er das große Problem mit anderem Blickpunkt durchdachte.
Zweihundert Seiten verfasste er dort im Abschluss des ersten
Bandes, erneut gewandt den Blick auf den hellen’schen Geist hin,
Auf die Gedanken der Alten, des Ostens, der Weisheit des Lebens,
Dabei durchdrungen vom Fortschritt indischer Studien, die er
Von den vedischen Quellen hin zu dem Buddhismus erweitert,
Jenem System, das ihm tiefer die Lösung des Durstes erschloss.
Zwar nicht vorherrschend war Schopenhauers pädagogisches Streben,
Doch in der Lehre der Lebenskunst ward es zum prägenden Thema.
Wenngleich fern von Optimismus, enthielt doch sein Denken
Grenzen des Pessimismus, bedacht und stets fundiert.
Hier sah er deutlich den Maßstab: Schmerz zu lindern und immer
Wohlsein zu finden im Maß, das der Menschheit erreichbar erscheint.
Nicht die Befriedigung, sondern das Streben nach Minderung nennt er
Ziel und Orientierung in all seinem Denken und Wirken.
Erlösung vom Willen, der alles beherrscht und in Ketten gefangen,
War seine tiefste Idee, der sich das Werk stets verpflichtet.
Am Ende des Abschnitts fügt er noch Beispiele des Lebens
Weisheit hinzu, die er als Kunst zur Bewältigung preist:
„Hier“, schreibt er, „meine ich Lebensweisheit in jenem Verstande,
Kunst, möglichst angenehm durch das Leben hindurchzuwandern;
Deren Anleitung mag man getrost Eudämonologie nennen.“
Weiter führt er als Regel an einen Satz des Aristoteles:
„Nicht nach Lust strebt der Weise, vielmehr nach Schmerzlosigkeit.“
Denn, so argumentiert er, Freude sei stets nur negativ, Schmerzen
Tragen ein positives Sein, das uns bewusst immer wirkt.
Gleich wie ein schmerzendes Glied, das unser Wohlsein überschattet,
So wird ein Missgeschick schwerer gewogen als vieles Gelingen,
Da, was den Willen hemmt, uns stärker berührt als sein Wandel.
Wonne, so schreibt er, sei einzig das Ende von Leid, das sich löst,
Kurz, flüchtig, entgleitend, und niemals beständig genießbar.
Wer also das Ziel seines Lebens eudämonisch ergründen will,
Darf nicht die Freuden benennen, die ihm das Dasein gewährte,
Sondern der Übel gedenken, die ihm erspart geblieben.
Denn die Eudämonologie lehrt uns als erstes,
Dass ihr Name nur Euphemismus ist, der verschleiert:
Glücklich zu leben bedeutet, das Unglück zu mindern,
Und ein erträgliches Leben allein ist das wahre Bestreben.
Sicher ist nur, dass das Leben uns nie wirklich gegeben,
Um es zu genießen, vielmehr um es standhaft zu meistern,
Immer und immer aufs Neue den Kampf zu bestehen und zu siegen.
Darum ist oft in der Jugend der Mensch mit der Welt unzufrieden,
Mit seiner Lage, der Umwelt, so wie sie auch immer gestaltet,
Weil er das Leere und Elend, das Wesen des Lebens, erfahren,
Jetzt erst erkennt, was stets er verborgen wähnte in Träumen.
Groß wär der Nutzen, wenn frühe Belehrung uns hätte geführt,
Falsche Ideen von Glück und der Welt aus den Köpfen zu tilgen,
Jene Erwartung, die Jugend beschenke mit endlosem Reichtum.
Heiter und ruhig ein Herz, das in Gesundheit gegründet,
Glänzend das Denken, durchdringend und klar, das die Wahrheit erfasst,
Milde der Wille und rein das Gewissen, ein Schatz ohne gleichen:
All dies wiegt schwerer als Rang oder Reichtum der Erde.
Denn was der Mensch in sich selber ist, was ihn begleitet,
Einsam sei er oder nicht, bleibt ihm stets unverlierbar.
Mehr als Besitz und die Meinung der anderen wiegt dies im Leben.
Betrachtet er fremden Besitz, so denkt er oft bei sich selber:
„Wär dies mein Eigen!“ und fühlt sich dem Mangel hilflos ergeben.
Besser indes, wir pflegten den anderen Blick auf das Leben:
„Ach, wär dies nicht mehr mein Gut!“ – so spräche der kluge Gedanke.
Lasst uns das Eigene sehen mit Augen des möglichen Verlusts,
Haus, Gesundheit, Gefährten, die Liebsten, Kinder und Freunde,
Hunde, Pferde und all das, was unser Leben bereichert.
Denn erst der Verlust zeigt deutlich den Wert der besessenen Güter.
Wo das Ehrgefühl nur beruht auf äußerem Lobe,
Mag es die Tugend stützen bei manchem und Handeln gebessert.
Doch für das innere Glück, für die Ruhe der Seele, die Freiheit,
Bleibt es ein Hemmnis, das stört und schadet, statt zu beglücken.
Weisheit verlangt, die Kraft der Meinung der anderen einzudämmen,
Nicht sich zu schmähen, noch prahlen, auf keinen der Wege.
Denn wer sich bindet an Urteile anderer, lebt wie ein Knecht nur,
Nie wird er frei von dem Druck, den fremde Gedanken erzeugen.
Eitelkeit, Stolz und Ehrgeiz sind Sprösslinge törichten Strebens,
Hervorgebracht aus dem Nährboden irriger Wünsche des Geistes.
Einsamkeit liebt nicht der Mensch von Natur, denn er kam auf die Erde,
Umgeben von Eltern und Brüdern, gesellig ward er geboren.
Liebe zur Einsamkeit wächst erst aus Erfahrung und reiferem Denken,
Pflegt sie doch mit dem Alter die inneren Kräfte des Geistes.
Liebe zur Einsamkeit ist kein ursprünglicher Antrieb des Lebens,
Sondern entsteht, vermittelt, in edleren Seelen gemächlich.
Nur durch das Ringen mit all den Trieben des Menschlichen Daseins
Wird sie erlangt, indem man den sozialen Drang überwindet.
Selbst wenn ein Mensch, der das Leid zu meiden bedacht ist,
Weit ging, Freude verschmähte, die dennoch sein hätte erfreuen,
Wäre nichts wirklich verloren; denn alle Wonnen sind Täuschung,
Und zu beklagen den Mangel daran, ist töricht und eitel.
Unwissen dieser Wahrheit, genährt durch optimistische Träume,
Bringt uns viel Unheil; ein Dämon, so scheint es, verlockt uns
Immerfort fort vom Schmerzlosen hin zu Wunschphantasien,
Welches das höchste Glück, das einzig wahre, verhöhnt.
Jugend, sorglos und blind, meint, dass die Welt eine Stätte
Ewigen Frohsinns sei, ein Ort des höchsten Genusses.
Täuschung kommt spät, doch gewiss; der Schmerz und das Leiden,
Krankheit, Schande und Armut sind ihre bittere Frucht.
Wer dagegen das Ziel auf Leidvermeidung begründet,
Steuert auf Wirklichkeit zu, nicht auf schimärische Träume,
Findet das Glück, indem er sich klug der Chimäre entzieht.
Wo wir die Freude suchen, das Glück und flüchtige Wonnen,
Dort begegnet uns oft Belehrung und Einsicht, die Wahrheit.
Flüchtig ist Lust, doch Wissen ein dauerhafter Gewinn,
Der in den Tiefen der Zeit beständig nützt und erfreut.
Jugend gilt uns oft als der Glückseligkeit Fülle,
Alter als Schatten des Lebens, erfüllt von Schmerz und Entbehrung.
Doch, wenn die Leidenschaften nicht Glück, nur Schmerz uns bereiten,
Ist die Jugend zerstreut, von Stürmen heftig gepeinigt.
Alter jedoch, das ruhig den Stürmen des Lebens entsagt hat,
Lernt zu betrachten, erkennt die Freuden des Wissens und Denkens.
Denn, wenn die Weisheit regiert, so wird uns das Leben gelinder,
Und je bewusster wir sind, desto heller das Licht, das es leitet.
Seltsam bleibt es jedoch, dass am Ende des Lebens erst Einsicht
Uns zu uns selber führt und das wahre Ziel offenbart.
Nur die Erfahrung lehrt uns die Schwankung im Wechsel der Dinge,
Weisheit allein vermag die Täuschung zu meiden, die lockt,
Wenn die Erscheinung der Dinge Bestand suggeriert und Beständigkeit lügt.
Klügliche Geister sehen den Keim der Veränderung wachsen,
Trotzdem bleibt vielen verborgen, dass Ursachen Wandel gebären.
Denn sie erkennen den Fluss der Dinge im Ganzen nur selten,
Sehen die Wirkung allein, doch meiden die Wurzel des Seins.
Jedem Menschen wohnt ein unsichtbarer Grundsatz im Innern,
Fest in Mark und Blut, ein Faden, der lenkt sein Bemühen.
Selten begreift er bewusst, was ihn leitet und stets ihn bewegte.
Doch blickt er einst zurück, erkennt er, wie es ihn bestimmte.
Glück oder Unglück entspringt aus diesen verborgenen Mächten,
Denn wie sie geartet sind, so weist der unsichtbare Faden.
Menschen Natur ist stets empirisch, durch Erfahrung allein nur,
Lernen wir sie zu verstehn – sei’s bei andern, sei’s bei uns selber.
Oftmals täuscht uns ein Bild, das wir von uns selber entwarfen,
Meinten, gerechter zu sein, mutvoller und selbstloser handelnd,
Doch die Erfahrung zeigt uns, wie wenig von allem wir tragen.
Erst durch die klare Erkenntnis des eigenen Wesens im Innern,
Wird, was man nennt, der erworbene Charakter des Menschen.
Jener besitzt ihn, der weiß, wo Gut und Böses sich mischen,
Kennt, was er hoffen darf, und was ihm versagt ist für immer,
Schätzt seine Grenzen und bleibt sich im Wandel des Lebens doch sicher.
VIERTER GESANG
Phänomene sind Geist in der Quelle, vom Geist sie getragen,
Geist ist ihr Schöpfer allein. Wer mit unreinem Herzen da handelt,
leidet in Folge, so sicher, wie Räder am Wagen sich drehen,
einem Zugochsen stets eng folgend, der schreitend sie lenket.
Doch wenn reiner der Geist ist, mit Worten und Taten im Einklang,
folgt darauf Glück, wie ein Schatten, der niemals verschwindet im Lichte.
Sieh, wie du schaust auf die schimmernde Blase der Seife,
oder der Fata Morgana Gebilde im flimmernden Winde:
So wer die Welt so betrachtet, mit Augen der Klarheit und Wahrheit,
kann von dem König des Todes gewiss nicht gefunden noch fallen.
Unmittelbar ist stets das Bewusstsein, nichts anderes wirklich,
alles, was wird, es entsteht nur im Geiste, von ihm wird's bedingt.
Ohne Bewusstsein wär’ nichts, was zu Sein und Gedanke uns rühret.
Denn der Wille allein ist der Kern und das Wesen der Schöpfung,
wie ein Schatten dem Körper, so folgt ihm die sichtbare Welt nach.
Willen gibt's – dann gibt's Leben, die Form, und die Zeit und die Erde.
Hoch mit Eifer das Leben wir tragen und sorgsam erhalten,
wie eine Blase der Seife, die stets wir zu blähen uns mühen,
wohl wissend, dass sie zerplatzen wird, dennoch in Staunen sie halten.
Dieses Werk der Maya, ein Schleier der Illusionen,
schwebt vor den Augen des Menschen und täuscht ihm die wahre Substanz vor:
unbeständig, wie Träume, ein schillernd magisches Trugbild.
Alles, was scheint, ist zugleich wahr und unwahr in seinem Erscheinen.
Schau nicht rückwärts, zum Alten, nicht vorwärts ins Dunkel des Kommenden,
bleibe im Jetzt, denn nur dieses vermagst du in Wahrheit zu sehen.
Mit klarer Einsicht erkenne, was gegenwärtig geschiehet.
Wie wird das Leben in Einsamkeit gänzlich zur Klarheit erhoben?
Wenn du Vergangenes lässt und Zukünftiges ruhig aufgibst,
Wille und Leidenschaft zügelst im Jetzt, und allein dich beständig
einhüllst in Weisheit und Ruhe – dann wird Vollendung dir werden.
„Wisset, ihr Jainas, wart ihr in der Vorzeit, seid ihr gewesen?“
„Nein, Ehrwürdiger, dies ist uns nicht offenbar und nicht wissbar.“
„Und die Tat, habt ihr sie selbst vollbracht im Leben des Früher’n?“
„Nein, auch dies, Ehrwürdiger, können wir nicht mit Gewissheit bezeugen.“
„Doch wisst ihr, wie das Böse gemindert wird, wie es vergehet?“
„Nein, Ehrwürdiger, diese Erkenntnis ist uns noch verschlossen.“
Aber ihr Jains, ihr Ehrwürd’gen, wisst ihr wohl, wie man die Qualen
Schlechter Zustände löst und die guten heraufbeschwört im Geist?
„Nicht so, Ehrwürdigkeit!“ – Die Antwort, klar und bescheiden,
Zeugt vom Unwissenheitssieg – siehe das vierzehnte Buch.
„Nur in der Gegenwart lebt wahrhaftig der Wille des Menschen,
Nichts aus der endlosen Zeit, die vergangen, erschreckt ihn.
Leer wie die Fata Morgana erscheint ihm Zukunft und Vorzeit,
Täuschung des Sinnes allein, das Gewebe der Maya, verflüchtigt.“
„Niemand hat jemals gelebt in Vergangenem, niemand wird leben
In der Zukunft – allein die Gegenwart ist das Leben!
Sicherer Hort ist sie stets, nie kann man sie rauben,
Mit ihrem Inhalt vereint bleibt sie beständig wie Regen-
Bögen, die fest über sprühenden Wasserfällen sich spannen.
Denn was der Wille erfasst, ist die Gegenwart ewig verbunden;
Leben gewiss, der Besitz des Willens unantastbar, bleibt ewig.“
„Endlos jung bleibt das Bild, das die Gattung in Zeit uns gewährt,
Alternd erscheint es dem Einzelnen nur in Vergänglichkeit stets.
Doch stellen wir vor: Geburt, Tod, im steten Pulsschlag
Schwingend in rasender Folge, bleibt das Bildnis des Willens.
Fest wie ein Regenbogen, unerschütterlich wahrhaft,
Steht zeitlos vor Augen dies Bild; nichts wird je verloren,
Kein Atom der Materie, noch weniger Wesenheit innerlich,
Selbst durch Jahrtausende schwindet kein Teil dieser Einheit.
Außer dem Menschen, der sagt aus tiefster Erschöpfung im Herzen:
‚Dieses Spiel gefällt mir nicht mehr!‘“ Muse, sing weiter!
„Frage nicht so, wie sie war! Der ehrwürd’ge Meister verweist:
Frage vielmehr nach dem Ort, wo die großen Elemente weichen,
Wo kurz und lang, grob und fein, rein und unrein verschwinden,
Wo Form und Name zerfallen und keinerlei Spuren verbleiben.
Antwort dir sei: Wenn Bewusstsein schwindet, vergeht auch die Welt.“
„Wer das Gesetz des Entsteh’ns bedingt, der erkennt auch das Dhamma,
Wer das Dhamma erfasst, sieht deutlich bedingtes Entstehen.
Fünf sind’s die Gruppen des Greifens: Begehren, Genuss und Zuneigung,
Welches dort herrscht, zeigt klar das Aufkommen leidender Bande.
Doch wo Kontrolle erscheint und Lösung von Anhaftung lebt,
Da erlischt alles Leid und der Kreislauf des Daseins verweht.“
„Doch die Kausalität, die das Weltliche alles bestimmt,
Reicht nicht hinaus über die Welt, denn dies bleibt ihr Gesetz:
Innerhalb dieses Seins ist sie bedingt und wirkt in den Dingen,
Nie transzendierend hinaus. Sie beginnt und vergeht mit der Welt.
Denn nur durch unseren Verstand wird diese Ordnung geschaffen,
Ist an Erscheinung gebunden und ihre Form nur bedingt.
Gilt für die Taten des Menschen wie für den stürzenden Stein,
Immer und ewig nur dort, wo Bewegung der Formen sich zeigt.“
Haben wir nun das innerste Wesen der Welt als den Willen
Einstmals erkannt und in allen Gestalten des Seins, die da strahlen,
Nichts als die objektive Gestalt jenes Willens erblicket,
Folgten von Regungen dunkler Natur bis hin zum bewussten
Tun des Menschen dem Pfad, so wird uns schließlich kein Zweifel,
Daß mit der freien Verneinung, der Preisgabe Willens auch jeglich
Erscheinen vergeht, aufgelöst im reinen Verneinen.
„Wahrlich, ich sage, o Freund, es gibt keine Welt, in der jemals
Keinerlei Geburt noch Tod noch Verfall und Wiederentstehen
Fehlen, kein Ende zu schauen, zu gehen, zu finden. Doch sage
Ich dir auch nicht, das Leiden vergehe, wenn nicht das Ende
Dieser Welt erkannt wird. In diesem, dem Körper, so klein und doch riesig,
Liegen die Welt, ihr Entstehen und Ende, der Pfad zu dem Ende.“
Wer auch immer, ihr Mönche, die Zukunft gestalten, die Zeiten
Einstigen deuten, vergangene Schicksale deuten und schaffen,
Oder auch beides zugleich, wer wild in Gedanken sich windet:
Solche verfangen sich stets in Netzen der Täuschung, der Trugschlüsse.
Hin und her taumeln sie, doch entkommen sie niemals den Fängen,
Zappeln vergeblich, verloren im Labyrinth ihrer Konzepte.
Kant hat gezeigt, dass Gesetze, die all unsere Welt regulieren,
Nichts als der Art unsrer Sicht entspringen und völlig bedingt sind.
So weit forschend wir gehen, geführt durch Kausalität, Räume,
Treten wir nie aus uns selbst hinaus, ein Hamster im Rade.
Wer da glaubt, durch Forschen die Welt zu ergründen, erschöpft sich,
Gleicht dem, der glaubt, am Horizont sei das Ende der Erde;
Doch hat Kant uns gezeigt, dass die Welt kugelförmig, geschlossen.
Nur ein Blick, der nach innen geht, kann Welten eröffnen.
„Taten, sie sind dein Eigentum, Wesen erben ihr Schicksal,
Taten, sie prägen die Welt, gestalten das Bild des Verwandten.
Taten sind Richter und lenken das Sein auf Niedrigkeit oder
Höhe, bestimmen das Los von Niederen und Hochgesinnten.“
„Durch sich selbst wird das Böse getan, durch sich wird man schmutzig.
Durch sich selbst auch das Gute getan, durch sich wird man reinlich.
Reinheit und Unreinheit, sie liegen allein in dem Selbstsein:
Niemals wird einer durch einen anderen Menschen gereiniget.“
„Schau mit tiefem Verstand, wie schmerzvoll das Wechselnde walte,
Leer und des Selbsts beraubt ist das Sein, und die Schuld wird bestrafet.
Wandle den Willen zum reinen Verzicht, zerstöre die Neigung.“
Doch in der Lehre, die alles umfängt, ist der Wille nicht bloß frei,
Sondern allmächtig, denn aus ihm quillt die Welt, seine Werke.
Wie der Wille sich zeigt, so zeigt sich das Sein und die Taten.
Selbsterkenntnis allein sind die Werke und all ihre Formen.
Nichts ist außer dem Willen, und er bestimmt sich in Freiheit,
Seine Gestalt ist die Welt, und die Welt ist er selber, in allem.
Nur diese Welt allein, nicht andere, trägt die Verantwortung.
Wer sonst hätte die Macht, die Bürde auf sich zu nehmen?
Woll’n wir den Menschen bewerten, moralisch, im Ganzen betrachtet,
so blicken wir auf sein Schicksal: Not, Elend und Tod.
Immer herrscht Gerechtigkeit, ewig, im großen Gefüge.
Wär' nicht der Mensch als Ganzes gering, sein Schicksal nicht traurig.
So ist’s die Welt, die selbst Gericht und Tribunal über sich hält.
Legten wir Elend und Schuld auf gegenüberliegende Waagschalen,
würde das Gleichgewicht sicher beider Lasten anzeigen.
Mönche, hört! Kein Anblick versklavt ein Herz wie das einer Frau!
Ihre Gestalt macht Männer blind und besessen.
Auch ihre Stimme hat Macht, sie fesselt das Herz eines Mannes,
so wie ihr Duft, Geschmack und die sinnliche Berührung.
Doch gleichermaßen, o Mönche, ist's auch bei den Frauen,
deren Herz von Männern besessen, gebunden wird in die Knechtschaft.
Form, Stimme, Duft und Berührung – dies hält beide gefangen.
Nicht durch Geburt oder Clan, nicht Haar, noch äußere Zeichen
wird man ein Brahmane; Wahrheit und Tugend allein
machen den Menschen rein, erhöhen sein Wesen zur Klarheit.
Weisheit tief und gerecht, die Wahl zwischen Pfad und Verirrung,
führt zum höchsten Ziel; den nenn ich wahrlich Brahmanen.
Willst du vom Willen zum Leben, dem Ding an sich, ausgehend erkennen,
find’ ihn verdichtet im Ursprung, dem Akt der Zeugung.
Dieser ist Anfang und Kern, er stellt sich vor allem als Ursprung.
Sexuelle Begierden, fokussiert auf ein Weib durch Verblendung,
sind der Betrug dieser Welt, sie versprechen unendlich viel Seligkeit,
leisten am Ende jedoch nur verächtlich geringe Erfüllung.
Obwohl die Natur uns trennt durch geistige, sittliche Gaben,
wirkt die Gesellschaft oft blind, schafft künstliche Stufen der Ordnung.
Manche, die nied’rig gestellt, erhebt sie; hohe erniedrigt.
Jene, die hoch eingestuft, meiden die irdischen Kreise,
fliehen zurück ins Sich-selbst, beleidigt durch bloßes Bestehen.
Denn Überlegenheit wirkt kränkend, ohne es zu wollen.
Liebe beginnt durch Freundschaft, doch Liebe gebiert auch das Unheil.
Wer das Unheil erkennt, das aus der Liebe erwächst, bleibt einsam,
Einsam und standhaft, getrennt von der Welt, wie ein Nashorn im Urwald.
Mitleid beugt dem Gemüt, das gebunden an Ketten sich schindet,
Ruhig den Weg zu beschreiten, der führt zum erhabenen Ziele.
Sieht er in Freundschaft Gefahr, so bleibt er alleine, ein Nashorn.
Leid erträgt, wer stark ist: die Hitze, die Kälte, den Hunger,
Durst und Wind und die Stiche der Sonne, der Schlangen, der Bremsen.
Wer all dies überlebt, bleibt standhaft und einsam wie Nashörner.
Eitelkeit sei verworfen; den rechten Weg hab' ich gefunden.
Führer hab' ich nicht nötig, ich kenne den Pfad und die Wahrheit.
Einsam wandle ich weiter und lasse die Welt wie ein Nashorn.
Menschen suchen Gewinn, und selten sind Freunde, die edel.
Klugheit paart sich mit List und verstärkt so die Übel der Menschen.
Wer nicht Mitmenschen liebt, lebt frei, wie ein Nashorn im Dickicht.