AFRIKA POEM


VON TORSTEN SCHWANKE



FÜR MICHEL, KATHOLIK VON DER ELFENBEINKÜSTE


VIVE NOTRE DAME NOIR!




ERSTER TEIL

KLEOPATRA UND ISIS


ERSTER GESANG


O Tochter des mächtigen Königs von Syrien, Antiochos,

Kleopatra, deren Name von glanzvoller Würde gepriesen,

Steigt hervor aus dem Glanz der Pracht der Seleukidenstämme,

Als ein Band zwischen Mächten, ein Siegel der Politik.


Einst, da die Throne wankten in Syrien und im Reiche

Ägyptens, verband dein Vater dich mutvoll mit Ptolemäus,

Dem fünften der Linie, des Pharaonen Geschlechts ein Herrscher.

Durch den Bund wurden Frieden und Stärke in Macht neu gefestigt.


Priester Ägyptens, die Götter Epiphanes gepriesen,

Huldigten dir und dem König mit ehrenden Liedern und Hymnen,

Kleopatra, Gemahlin des Pharao, Mutter und Göttin.

Doch dein Leben ward bald durch die Stürme des Schicksals gezeichnet.


Ehre dir, die in Leben und Sterben als Göttin erhoben,

Wurde zu einem Symbol für den Bund von Osten und Westen.

So sei dein Name bewahrt in den Rollen der Heiligen Schreiber,

Als die Mutter der Reiche, als Bindung in wirren Geschichten.


An den König Ptolemaios und die Königin Kleopatra

(Onias und der Brief, wie er im Gedächtnis bleibt.)


König der Ströme, Ptolemaios, dem Ägypterland Herr,

Ruhmreich in Taten und stark in der Liebe zur Schwester, der Königin,

Kleopatra, die gütige Frau, die Mutter des Volkes,

Segnend die Länder, wo Nil seine Wasser ergießt in die Fluten.


Euch, die ihr thront in der Pracht eurer göttlichen Namen,

Philometores genannt, weil Liebe die Herzen verbindet,

Sendet Onias den Brief, aus fernen Gebieten voll Ehrfurcht,

Wissend, dass Weisheit allein den Ruhm eurer Herrschaft vermehrt.


Einst, da der Bruder das Königtum teilte mit jener,

Die ihm zugleich die Schwester und Braut in den Ehen der Macht war,

Stand Kleopatra fest, ein Leuchtstern am Himmel des Reiches,

Schützend die Tempel und segnend das Land mit göttlicher Güte.


Doch auch der Sturm kam, als Streit ihre Mauern erschütterte,

Ptolemaios, der Bruder, bedrängt durch das Joch der Intrigen,

Flog zu den Inseln, Zypern gewährte dem Flüchtling den Frieden,

Während Kleopatra den Thron in Ägypten behauptete standhaft.


O ihr Götter, die schützend waltet über den Reichen,

Hört den Ruf derer, die Ptolemaios und Kleopatra preisen!

Denn in den Tempeln wird ewig die Geschichte ertönen,

Wie sie mit Macht und Liebe die Flammen des Krieges erstickten.


Soter, der Sohn von Kleopatra, der Mutter von Königen,

Ward zum achten Herrscher Ägyptens erhoben im Land.

Lang war die Fremde sein Heim, doch kehrte er bald aus dem Exil,

Suchte den Thron seiner Ahnen und nahm ihn mit mächtiger Hand.


Ptolemaios, der Erstgeborene, Spross der erhabenen Königin,

Ward mit seinem Bruder gepriesen, von allen das Volk hochverehrt.

Doch war das Reich nicht frei von Zwist und zerbrochener Eintracht,

Kleopatra selbst war's, die oft gegen die Söhne gestritten.


Zypern, die Insel der Götter, verwaltete klug die erhabene Frau,

Denn sie, die Tochter Ägyptens, durchstrahlte das Mittelmeerreich.

Treue Männer wählte sie aus, den Ruhm des Reichs zu bewahren,

Wahrend Ägyptens Macht erneut zur Blüte gelangte.


Sah sie die Söhne erstarken, so suchte sie heimlich zu rüsten,

Sandte ins Geheim Gesandte mit Botschaft an fremde Monarchen.

Zwist war geboren, wo Mutter und Sohn sich zu Feinden erhoben,

Denn der Herrschaft Anspruch teilte die Familie entzwei.


Göttliche Euergetis ward sie genannt in den Schriften,

Herrscherin, Schwester, Gemahlin, als Gottheit verehrt von den Tempeln.

Ihr Bild, geweiht im Heiligtum, strahlte das Volk der Ägypter

An, die in Ehrfurcht die Macht der erhabenen Königin priesen.


Kleopatra, des Kyzicenus Gemahlin, ward Opfer der Kämpfe.

Als ihr Gatte das Reich des Antiochus stürmte mit Heeren,

Brachte der Krieg nicht nur Sieg, sondern auch Verderben und Trauer.

Antiochia fiel, und mit ihr die Königin starb durch Verrat.


Scheidung von Kleopatra, der Schwester, die Liebe war innig,

War des Ptolemäers Gebot in den Wirrnissen Ägyptens.

Kleopatra, die Tochter des Königs von neun und zehn Ptolemaios,

Wurde dem Zwölften zur Frau, im Bund wohl seit neunundsiebzig.

Leben und Tod, vereint mit Berenice und weiteren Töchtern,

Zeugen von Macht und von Streit in den Hallen ägyptischer Paläste.

Herrscherinnen und Gatten, in wechselnder Folge benannt,

Trugen den Thron und die Kronen der Götter und irdischen Kulte.


Tarsus war Schauplatz, wo sie in goldener Barke Antonius

Lockte, die Schönheit des Orients strahlte im Glanz ihrer Macht.

Festlich begleitete sie das Nilreich, ein schimmernder Stern,

Während die Liebe zum Römer die Weltpolitik neu formte.

Doch Verrat und Niederlagen, die Kriegstaten Roms,

Führten die Herrscher von Alexandria nah an das Ende.

Tod war das Los, Kleopatra gebar sich dem Biss einer Schlange,

Mächtig im Tode wie einst, als sie den Caesar geliebt.


Das Volk der Jahrhunderte schaut auf die Frau voller List

Und verklärter Magie, die den Lauf der Geschichte geformt hat.


Karg ward das Urteil gefällt: Auf Kleopatras Gebot hin,

Sank, als ob Sturmböen brausten, der armenische König.

Stolz und Ehre verging, wo die Macht in den Händen der Königin ruhte.


Antonius und Cleopatra sandten mit glühendem Drängen

Kundschaft an Octavian, auf Friedenssaaten zu hoffen.

Doch die Macht, die verlockt, macht Herzen für Gnade verschlossen.


Später, wie manche berichten, erhob sich der leuchtende Pharos,

Stolz der Meere, geweiht dem Genius Kleopatras.

Glanz ihrer Weisheit spiegelte sich im ewigen Feuer.


Treue bewies ein Gefährte, ein Heiler mit kundigen Händen,

Acas, der Herr der Kräuter und Pflanzen, Kleopatras Berater.

Schicksals Fäden verknüpften den Weisen mit ihrer Gestalt.


Als Octavian erschien, der Eroberer, glühte die Hoffnung:

Schönheit, die reichte bis in die Herzen der stärksten der Männer,

Doch sein Blick blieb kühl, wie Frost auf den Hängen der Berge.


Groß war der Plan und doch erbarmte die Welt sich nicht länger.

Kleopatra, die Herrin von Ägyptens goldenen Schätzen,

Rief die Schlange herbei, die ihr Leben mit Gift sanft beendete.


Fehler im Stolz, doch Träume, die alle der Erde entrückten,

Prägten Antonius’ Wege und Kleopatras Schicksal.

Größe und Fall in einem, die Zeit schrieb düstere Verse.


Ende der Ptolemäer, des goldenen Thrones Ägyptens.

Mit Kleopatras Tod verlöschten die Flammen des Reiches,

Doch der Staub ihrer Taten verweilt in den Liedern der Menschen.


Ägypten fiel, die Fesseln des Schicksals schlossen sich langsam.

Augustus, Herrscher der Welt, empfing die Kronen des Nilslands,

Als das Reich der Pharaonen im Sand seine Ruhe gefunden.


Mächtig und klug war die Tochter des Nils, doch neigte ihr Stern sich.

Zwischen den Zeilen der Zeit verweilt ihr Ruhm unvergänglich.

So erzählt die Geschichte von Kleopatra, der Letzten der Königinnen.


Dunkel der Zeiten, das Rom und Ägypten umfing, voller Dramen,

Hob eine Königin sich, die den Wogen trotzte der Mächte,

Kleopatra, die stolz und klug in Schönheit erstrahlte,

Ptolemäer Geschlecht, das in ihr zur letzten Vollendung

Blühte und fiel, im ewigen Kampf mit dem mächtigen Rom.


Cäsar, der Herrscher von Rom, erhob sie auf Ägyptens

Thron, mit Macht seiner Worte und mit Waffen gestützt.

Doch wie ein Spielball dem Sturm, war Kleopatra gefangen

Zwischen den Mächten der Männer, die nach Ruhm und Macht sich verzehrten.

Dann kam Antonius, der Held, in den Bann ihrer Schönheit gezogen,

Tauschte das Reich und die Ehre für Kleopatras Verheißung.

Glut ihrer Liebe entbrannte, doch trübte der Krieg ihre Stunden,

Denn Octavian, der in Rom das Erbe des Cäsars beanspruchte,

Schickte die Flotte nach Actium, wo die Entscheidung gefallen.


Auf den Wogen des Meeres entbrannten die Flammen des Krieges,

Fliehende Schiffe zerrissen die Hoffnung von Antonius’ Heer.

Kleopatra, in Angst, suchte die Flucht in den Mauern Ägyptens,

Doch Antonius, betrogen vom Schatten des Trugs und der Täuschung,

Warf sich dem Tod in die Arme, der ihm den Frieden versprach.

Sie aber, die Königin, stolz bis zum Ende, entschloss sich,

Nicht dem Triumph zu gehören, den Rom ihr vor Augen gestellt.

Schlangengift trank sie, das Leben entglitt ihren Händen,

Kleopatra, die große, entschwand in den Schatten der Mythen.


Doch wie die Sonne am Morgen in ihrer Herrlichkeit strahlet,

Lebt ihr Bild in der Kunst und im Singen der Dichter fortan.

Kleopatra, ein Name, der Zeit und den Raum überdauert,

Bleibt unvergessen, ein Symbol für Liebe und Macht,

Für den Glanz und den Fall, der das Menschliche uns offenbart.


Groß war ihr Ruhm, der durch die Zeiten in Schriften bewahrt blieb,

Kleopatra, der Name, den viele der Frauen getragen,

Königinnen von Ägypten, Gefährtinnen mächtiger Könige.

Von Ptolemaios entstammten sie, Herrschern im Lande der Pharaonen,

doch auch Macedoniens Reich sah ihren strahlenden Glanz.


Eurydike einst war die Mutter, vereint mit Amyntas,

Philipp, der König, nahm eine von ihnen zur Gemahlin,

und Alexander der Große war Bruder der einen, die Sardes

schützte, doch später im Sturm der Machtkämpfe erlag.


Kleopatra, von Liebe gelenkt, verband sich mit Männern,

großem Geschick, doch oft auch mit tragischem Ende bedacht.

Ptolemaios VI., ihr Vater, führte sie stolz zu Syrien,

wo Balas sie nahm, der Herrscher, doch bald sein Schicksal erfüllte.

Antiochos VII., ein anderer König, ergriff ihre Hand,

nach dem Fall des Bruders erhob sie das Zepter der Macht.


Söhne von ihr, doch auch Opfer, die Macht rang selbst mit der Mutter,

Seleukos starb, durch ihren Willen fiel er als König,

Grypos stieg auf, durch sie wurde er selbst Herrscher Syriens.


So gleiten die Namen der Frauen, gewebt in die Netze der Zeit,

wie das Schicksal die Fäden lenkte, von Liebe zu Macht und Verrat.

Kleopatra, dein Name, ein Echo durch Jahrhunderte hallend,

trägt die Geschichten von Glanz und Untergang weiter für immer.


Weit in den Hallen der Zeit, wo die Schatten der Reiche sich türmen,

Leuchtet das Antlitz der Königin Kleopatra, der Stolzen.

Eueteria ward sie genannt, doch auch Tryphaina, die Sanfte,

Tochter des Ptolemaios, des Achten, des Königs von Ägypten.

Einstmals vereint mit dem Bruder, dem Feind, in bitterer Zwietracht,

Schloss sie den Bund, den das Blut und die Krone von ihr verlangten.

Doch, wie oft, wenn Ehrgeiz die Fackel in Händen hält,

Endet der Bund im Verrat, und die Liebe verblasst wie der Morgen.


Enus erhob sich zum Kampf und streckte Tryphaina nieder,

Tötete grausam die Tochter und brachte den Bruder zu Fall.

Grypus, der Herrscher von Syrien, kehrte in Rache zurück,

Trug die Geschicke der Krone, doch stets in den Händen des Schicksals.


Kleopatra Selene, die Tochter des Königs von Ägypten,

Ward eine Königin auch, in Syrien herrschte sie mutig.

Doch Tigranes, ein Feind, schloss sie ein in dunkle Gefängnis,

Raubte ihr Leben und Kron', und schrieb sie ein in die Schatten.


So vergehen die Jahre, und Namen, einst groß wie die Sonne,

Bleiben ein Flüstern der Zeit, ein Echo in steinernen Hallen.

Doch in den Reimen des Barden und im Gedächtnis der Weisen

Bleibt die Erinnerung wach, ein Mahnmal der ewigen Kreise.



ZWEITER GESANG


Mächtig erstrahlend, oh Isis, Tochter des Ewigen Lichtes,

Herrin der Lüfte und Flut, und Trösterin leidender Herzen,

Stehst du vor Sterblichen groß, mit segnender Hand uns erhebend.

Du, die den Nil einst lenkt' und die Ähren der Felder entfachte,

Herrscherin Mondenschein', die Sternbilder führt durch die Nächte,

Hüterin himmlischer Ordnung, der Erde fruchtbare Mutter,

Sei uns gepriesen und nah in den Stätten, die dir wir errichteten.


Statuen deiner, geschaffen mit heiligsten Händen, erheben

Zeichen der Macht, die Menschen in Ehrfurcht andächtig umringen.

Hoch von Ägyptens Gefilden hinab in das ferne Antioch

Wandert dein Bild, ein Ruf der Verheißung von Frieden und Fülle.


Doch auch dein Name verklingt nicht, wenn Menschlichen Plänen der Hochmut

Tempel zerstört und deiner Altäre Lichter ersticken.

Denn unbesiegbar bleibt dein Gedächtnis in Herzen der Gläub'gen,

Groß in den Hymnen, die deine Herrlichkeit ewig besingen.


Horch, aus Ägyptens Land, wo die Mutter der Götter erwachte,

Steigt sie gen Norden empor, mit der Weisheit der Tempel beladen.

Seleukos selbst, der mächtige Herrscher, führt sie nach Antioch,

Reicht ihren Glanz den Menschen, die staunend die Schönheit verehren.

Hier steht sie golden geziert, mit Kron' und Zepter erhoben,

Segnend die Stadt, die unter dem Himmelsdach friedvoll erblühet.


Doch was ist Heiligtum wert, wenn Menschen um Eigentum streiten?

Sarapis' Hallen und Isis' Altäre, wem sollen sie dienen?

Ceia erhebt die Stimme und fordert: „Gebt uns das Rechte!

Heilig ist diese Stätte, das Erbe der Priester, bewahrt es!“


Von Philae hallt ein Flehen, die Priester erheben die Arme:

Schütze, oh Isis, dein Volk, das dienet mit eifrigem Herzen!

Deine Altäre bestücken wir reichlich mit Gaben und Hymnen,

Doch uns bedrängen die Mächte, die irdische Güter begehren.“

Hier Tryphon kniet, mit Tränen im Blick, und spricht in die Weite:

Huld dir, oh Isis, Herrin der Menschen und himmlischer Mächte!

Du bist die Quelle des Lebens, der Fluss, der die Felder erfrischet.“


Kallimachos, ein Statthalter stark, verfasst ein Gedicht dir:

Sei gepriesen, oh Göttin, dein Name lebt ewig im Volke.

Niemand kann löschen dein Licht, das die Nacht durchdringt mit dem Morgen.“


Doch Roms kalte Gesetze erheben den Bann auf dein Wirken.

Serapis' Tempel und Isis' Altäre fallen den Flammen,

Kaum dass der Senat gebietet: „Zerstört ihre Stätten für immer!“

Kaiserlich klingt das Wort, und die Hämmer zerschlagen die Bilder,

Doch in den Herzen des Volkes lebt Isis unsterblich und heilig.


Kleopatra, die Königin stolz, gewährt einer Stätte

Schutz und ein heil'ges Privileg, das Isis bewahre.

Ptolemaios beugt sich vor ihr, der Göttin der Gnade,

Schmücket mit Weihrauch die Hallen und lobsingt in Hymnen.


Endlich, in Rom, erhebt sich erneut ein Tempel der Göttin.

Hier weiht das Volk mit Jubel die Stätte des Sarapis' Herrschaft,

Hier grüßen die Menschen die Mutter, die Göttin des Lebens,

Licht in den Herzen entzündend, das kein Gesetz je verlösche.


Sei gegrüßt, oh Isis, du mächtige Herrin des Himmels,

Trägerin ewigen Lichts, du Schöpferin allen Erbarmens!

Freude entspringt deinem Blick, selbst Trauer wird reich durch dein Walten,

Unglück wandelt sich Glück, wenn deine Gnade es streichelt.


Große Mutter der Welt, du Herrin von Yat-u, verewigt,

Jene, die Leben verleiht und die Stürme des Schicksals bezähmet.

Dir, o Herrliche, singen die Priester in Tempeln von Chemmis,

Preisen dein göttliches Werk, du Mutter des mächtigen Apis.


Nephthys‘ Schwester zugleich, die im Kummer und Schmerz dir zur Seite,

Weinet mit dir um Osiris, den Edlen, den Fürsten der Erde.

Du, die schützend umkreist, die Müden erquickst mit Erbarmen,

Nimmst sie in deinem Schoß, die Trost und Frieden dir flehen.


Dendera rühmt dich mit Lob, und die Fluren des Landes erstrecken

Ihre Stimmen zu dir, o Herrin, die immerdar lebt.

Deine Pfoten beschützen, wie Nephthys‘ auch, jeden Gefährten,

Und die Liebe des Volkes erneuert dein göttliches Streben.


Rufe tönen im Fest, im Gesang der verehrten Prophetin,

Denn dein Name allein trägt die Macht der Unendlichkeit.

Ewig geliebt von Amun, bist du Leben und Spenderin alles,

Große Isis, du Herrin von Hebyt, Quelle des Segens!


Wandle auf ewig in Licht, du göttliche Mutter des Lebens,

Segen bringende Kraft, die uns stützt in den Tiefen der Zeiten.


Allmächtige, große, berühmte, in allen Reichen gepriesene,

Isis, Herrin des Himmels und Mutter der göttlichen Ordnung!

Hörst du das Flehen, das aufsteigt, von Herzen und Lippen getragen?

Wunder schaffst du in Gnade, bewachst die Länder der Erde.

Horus, dein Sohn, erhebt sich als Licht aus der Finsternis Schatt’n,

Osiris’ Stimme erklingt, durch dich zum Leben erwecket.


Du, die an beiden Gestaden des Nil ihr Zepter regieret,

Herrin der Wahrheit und Liebe, der Heilung, Herrin des Lebens,

Sothis, Stern deiner Krone, leuchtet hell über die Nächte,

siehe, es grüßen die Tempel dein Bild in Ehrfurcht und Ehrer.


Anubis, der Schützer der Seelen, steht treu an den Schreinen,

führt die Gefallenen sanft in die Hallen ewigen Lichtes.

Von Philai bis Memphis ertönt dein Name, o Göttin,

Sarapis teilt deinen Ruhm, doch du bist der Götter Gebärerin!


O Isis, die Große, von allen Sterblichen geliebet,

höre dies Lied, das mit Demut dein göttliches Wirken besingt.


Lob dir, Isis, erhab’ne, die strahlend gebiet’ aus den Höhen,

Schützerin aller, die dir vertrauen, und Helferin immer.

Selbst wenn die Mächtigen drohn, und Tempel in Trümmern versinken,

Bleibt doch dein Name geehrt in den Herzen der gläubigen Scharen.


Valentin befahl einst, dein Heiligtum ganz zu zerstören,

Doch deine Macht blieb ungebrochen in ewiger Größe.

Priester wanderten weit, im Gewande, das deinen Ruhm pries,

Bettelnd, doch treu dir, o Isis, die sie stets erhörtest.


Grüße von Heracleides und Ptolemaeus erheben,

Schreiben dir Ehrerbietung und sprechen von göttlichem Schutz.

Thermouthion rief deinen Namen mit flehenden Worten,

Sicherlich wusste sie: Isis gewährt allmächtigen Beistand.


Du bist die Mutter der Schöpfung, des Lebens Quelle und Hüterin,

Führst die Schiffe am Nil, lässt reifen die Früchte der Felder.

Ohne dich fällt alle Ordnung, Chaos regiert auf den Wegen;

Doch mit dir lebt Harmonie, und das Licht erstrahlt aus den Schatten.


Huld dir, Isis, die ewig uns leitet durch Wirren und Stürme,

Bleibe die Göttin, die uns im Leben und Tod stets umfängt!



ABGESANG


Majestätisch, still in den Fluten leuchtend,

stieg die Königin, Isis gleich, empor nun.

Stolz verließ sie irdisches Reich, die Ketten,

lösend das Leben.


Goldne Strahlen schmückten das Haar der Göttin,

ätherleicht, ihr Odem ein Hauch von Myrrhe.

Sphärentöne riefen die Seele heimwärts,

Himmel zur Heimat.


Ihre Schönheit, irdischer Macht entzogen,

wandelt ewig nun in den Sternenpfaden,

wo die Mutter Isis, in heilgem Strahlen

ruft: „Du bist meine.“


Ferne Völker, staunend in stiller Andacht,

fühlen heut noch Hauch ihrer göttlich Macht.

Ewig lebt sie, Isis’ erkorne Tochter,

Licht über Zeiten.






ZWEITER TEIL

KANDAKE KÖNIGIN VON KUSCH



Nah bei Arsinoë, wo das Rote Meer seine Wellen

Schickt in den Golf von Arabien, liegt eine Stadt,

Cleopatris geheißen von manchen, von anderen anders,

Dort zieht ein Kanal, durch die Bitteren Seen fließend,

Seinen Lauf, einst bitter, doch wandelte sich ihr Wesen,

Als die Ströme des Nils durch die Gräben geführt wurden,

Reich an Fischen sind sie nun, erfüllt von Vögeln des Wassers.

Diesen Kanal begann Sesostris vor Trojas Gefallen,

Manche berichten jedoch, er sei Psammetichs Sohn

Anvertraut gewesen, der ihn begann und dann verschied.

Später wagte Dareios, der Erste, die nächste Etappe,

Doch er ließ ab vom Werk, fast vollendet schon, getäuscht,

Glaubend, das Rote Meer sei höher als Ägypten,

Und schnitte man durch, würde das Land vom Meere verschlungen.

Ptolemäerhanden jedoch gelang die Vollendung,

Sichere Wege zu schaffen vom Inneren hin zum Ozean,

Frei, wie es beliebt, hinaus- und hereinzufahren.

Mehr zu den Wasserständen schrieb ich in ersten Berichten.


Nahe Arsinoë liegen Heroonpolis und Cleopatris,

Tief in der Bucht, wo Arabien an Ägypten grenzt,

Häfen und Siedlungen finden sich dort, mit Kanälen

Vieler Art und Seen, wie sie das Delta umsäumen.

Hier der Phagroriopolitische Gau, die Stadt Phagrioropolis,

Dort beginnt der Kanal, der das Rote Meer erreicht,

In Phakussa, dem Dorf, das Philae nahe gelegen.

Hundert Ellen breit und tief genug für die Schiffe,

Groß und beladen mit Gütern, sind seine Wasser durchquert.


Weiter aufwärts, im Heliopolitischen Gau gelegen,

Findet sich Heliopolis, hoch auf einem Hügel erbaut,

Mit dem Tempel des Helios, heilig dem Sonnengott,

Wo der Stier Mnevis, gleich Apis von Memphis, geehrt wird.

Vor dem Hügel dehnen sich Seen, gespeist vom Kanal,

Doch die Stadt ist verlassen, ihr Glanz vergangener Tage

Nur in Ruinen zu sehen, die Zeugnis des Wahnsinns geben,

Den Kambyses entfesselte: Tempel zerstörend mit Feuer

Und Eisen, die Obelisken zerbrechend, wie’s ihm beliebte.


Vor den Ruinen sieht man Seen, die Kanäle empfangen,

Stete Zeugen des Nils, der das Leben Ägyptens bestimmt.

Tempel, wie sie einst standen, mit Pracht und Ehrfurcht gestaltet,

Öffnen sich weit, mit Dromoi gepflastert aus mächtigen Steinen,

Hundert Ellen breit, doch von vielfacher Länge gedehnt.

Zwei Reihen Sphingen flankieren die Wege zur Weihe,

Zwanzig Ellen getrennt, doch in Ordnung streng ausgerichtet,

Links und rechts der Straße, ein Anblick erhabener Kunst.

Hinter den Sphingen erhebt sich das Torhaus, prächtig gestaltet,

Eins nach dem andern, gestaffelt in heiliger Folge.

Zahl und Maß der Portale variieren je nach dem Tempel,

Jedes ein Zeuge der Handwerkskunst alter Völker.


Durch die Tore gelangt man zur Halle, der Pronaos, weit und erhaben,

Deren Wände die Flügel begleiten, hoch wie der Naos.

Drinnen jedoch fehlt das Bildnis des Menschen, stattdessen

Findet man Tiere, von heiligen Riten geweiht.

Hallen mit Säulen sieht man, zu Reihen geordnet,

Groß und dicht gedrängt, in barbarischem Stil errichtet,

Ohne Gefälligkeit, eher ein Sinnbild von Mühsal,

Zeugend von Arbeit, die Fleiß ohne Schönheit verkörpert.


In Heliopolis gab es einst große Häuser der Priester,

Die in der Weisheit der Sterne und Philosophie sich übten.

Doch diese Künste sind längst verblasst, wie ihr Ruhm.

Nur die Opfernden bleiben, die Fremden die Riten erklären,

Jenen, die fragen, von alten Geheimnissen wenig berichten.

Als Aelius Gallus hinaufzog in Ägyptens Gefilde,

War ein Mann namens Chaeremon bei ihm, ein Alexandriner,

Der sich auf Wissen berief, doch allgemein ward verspottet,

Denn er galt als Aufschneider, voll eitler Behauptungen bloß.


Von den Priestern, so sagt man, lernten Eudoxus und Plato,

Die dreizehn Jahre verweilten in heiligen Hallen der Weisheit,

Ersuchend, das Wissen der Himmelsbewegung zu fassen.

Doch vieles verbargen die Priester, geheim und unnahbar.

Einzig die Tage des Jahres und deren Bruchteile zeigten

Sie jenen Gelehrten, verborgen dem Volk ihrer Zeit.

Von diesen Lehren, so heißt es, lernten die Griechen,

Später durch Schriften, die Priester in Sprachen des Westens

Übersetzen ließen, die Kunde der Sterne zu lehren.


Hier, so wird gesagt, steht Apis' Tempel, der nahe dem Hephaesteion

Sich erhebt, und zugleich das Hephaesteion selbst, ein Gebäude,

Prunkvoll an Größe des Naos und allem sonst, was es ziert.

Vor dem Gebäude im Dromos erblickt man einen Kolossus,

Ganz aus Stein gemeißelt; dort hält man Kämpfe der Stiere.

Männer, wie Pferdezüchter die Rosse, ziehen die Tiere,

Lassen sie frei, und im Kampf beweisen sie Stärke und Mut;

Siegerstieren verleiht man darauf als Belohnung die Preise.

In Memphis auch findet man einen Tempel der Aphrodite,

Die als griechische Göttin verehrt wird, doch andere sagen,

Es sei ein Heiligtum Selenes, der Mondgöttin geweiht.


Dort steht auch das Sarapeion, mitten in sandiger Wüste,

Wo der Wind die Dünen anhäuft und manches verschüttet.

Sphinxen sah ich dort, teils bis zum Haupte vergraben,

Andere halb; und der Gedanke beschleicht den Wanderer:

Welche Gefahr bringt wohl ein Sturm den Pilgern zum Tempel?

Memphis, die Stadt, ist groß und von Menschen gefüllt, gemischt wie

Alexandria selbst, wo die Völker zusammengefunden.

Seen schmücken die Stadt vor den Ruinen der Paläste,

Diese, verfallen und leer, von der Höhe hinab sich erstreckend.

Nahe der Stadt liegt ein Hain, und ein See ergänzt diese Stille.


Vierzig Stadien führt ein Pfad hinaus aus der Stadt, hin

Zu einem Bergkamm, wo viele Pyramiden sich erheben.

Drei von ihnen sind berühmt, die andern an Größe

Weit überragend; zwei zählen gar zu den Wundern der Welt.

Stadienhoch sind sie, und im Quadrat geformt; die Länge

Jeder Seite misst ein wenig weniger als ihre Höhe.

Eine davon trägt hoch in der Mitte des Baus einen Steinblock,

Der, wenn gehoben, den Weg zur Grabkammer frei offenbart.

Diese beiden stehen beieinander, doch weiter entfernt

Steht die dritte, kleiner an Größe, jedoch von Kostbarkeit herrlich.

Bis zur Mitte aus schwarzem Stein, wie für Mörser verwendet,

Von weit her gebracht aus den Bergen Äthiopiens,

Schwer zu bearbeiten, teuer durch Mühe und Aufwand.

Dies Grab, sagt man, sei der Hetäre geweiht, der Geliebten,

Doricha, Sapphos Bruder Charaxos' einstige Liebe,

Wein von Lesbos tragend zum Markt in Naukratis' Straßen.

Doch ein anderes Märchen erzählt man: Rhodopis hieß sie,

Eine Sandale stahl ihr ein Adler, flog über den Himmel,

Warfen sie nieder vor den Thron des richtenden Königs.

Dieser, erstaunt über Form und Zufall, sandte Boten

Weit in die Lande, um jene Trägerin zu finden.

Rhodopis ward gefunden, zur Gattin erhoben und starb dann,

Ehrte man sie mit dem Grab aus schwarzem äthiopischem Stein.


Einen Anblick der Pyramiden will ich nicht verschweigen:

Steinsplitterhäufen liegen davor, doch manche erinnern

An Linsen, geformt und gleich an Größe; darunter die Schalen

Wie halbgeschälte Körner. Man sagt, die Speisen der Arbeiter,

Rückgelassen, seien versteinert, ein Zeichen der Zeit.

Ähnliches liegt in der Heimat vor, wo Hügel sich dehnen,

Voller linsenförmiger Kiesel, leicht und porös.

Auch die Steine der Flüsse und Meere werfen Fragen

Nach ihrer Form und Herkunft auf, doch Wasserbewegung

Kann dort Antwort geben, hier bleibt alles im Dunkel.


Von Memphis führt der Weg zur Stadt Acanthus, mit Tempeln

Des Osiris und der Thebaïschen Acanthus-Gewächse,

Deren Gummi geschätzt. Von dort zur Stadt der Aphrodite,

Weißes Vieh birgt die Stadt, das man heilig dort hält.

Weiter zum Herakleoten-Nomus, der fruchtbaren Insel,

Wo der Kanal nach Libyen fließt und Arsinoë trennt.

Dieser Ort ist reich, mit Öl, Korn und Trauben gesegnet,

Obwohl man die Oliven nur schlecht erntet und presst.

Doch von besonderem Ruf ist der Moeris-See, dessen Wasser

Einem Meer gleicht, an Farbe und Ufern kaum zu unterscheiden.

Auch dies Land, so glauben die Weisen, war einst Teil des Meeres,

Gleich wie Ammon und andere Teile, wo Spuren es zeigen.


Schon habe ich dieses Thema besprochen, ausführlich und länger,

Einst im ersten Kommentar meiner Geographie-Schriften;

Doch auch jetzt muss ich wieder die Werke der Natur und der Vorsehung

Kurz beleuchten, die beide zusammen ein Ziel stets erreichen.

Dieses Werk der Natur: Es strebt alles zur Mitte des Ganzen,

Formt um das Zentrum den Kreis, und die Erde, die dichteste Masse,

Liegt im Zentrum verborgen; umschlossen vom Wasser, das lockrer

Nahe ihr ruht und ebenso die Gestalt einer Kugel bewahret.

Solide die Erde, das Wasser hingegen, hohl wie ein Mantel,

Birgt sie in seiner Umfassung. Die Vorsehung fügt sich als Künstlerin

Weise hinzu und schafft mit zahllosen Werken den Rahmen,

Dass zuerst, unter allen Geschöpfen, das Leben erblühe,

Götter und Menschen zugleich, zu deren Gunsten das All ward.

Göttern gab sie den Himmel und uns, den Menschen, die Erde,

Grenzen des Alls, die Enden der großen, himmlischen Kugel:

Innen das Zentrum und außen die himmlischen Räume der Weite.


Da das Wasser jedoch die Erde umgibt und den Menschen,

Nicht als Geschöpf des Wassers, vielmehr als Geschöpf des Festlands

Mit Luft und Licht versorgt, gestaltete Vorsehung Täler,

Höhen und Tiefen zugleich, in denen die Wasser sich sammelten,

So dass die Erde hervortritt, während das Wasser verborgen,

Nur an den Stellen hervorblickt, wo's dem Menschengeschlecht dient.

Auch den Tieren und Pflanzen, die uns umgeben, zum Nutzen.


Doch nichts bleibt ewig bestehend: Es wandeln sich Dinge beständig,

Groß ist der Kreislauf der Wandlung im unermesslichen Kosmos.

So wächst die Erde nicht immer, noch bleibt sie unverändert,

Ebenso das Wasser, das seine Grenzen niemals behält,

Weil die Verwandlung der Stoffe ein Teil der Natur ist: Die Erde

Wird zu Wasser, das Wasser zur Erde, endlose Wechsel.

Mancher Ort, der jetzt trocken, war einst vom Wasser bedeckt,

Und wo Meere jetzt wallen, da wohnte einst Menschengeschlecht.

Ebenso quellen versiegen und neue entspringen den Bergen;

Flüsse verändern den Lauf, und Ebenen werden zu Hügeln.


Und wie das Land sich wandelt, so ändern auch Wasser die Eigenschaft:

Manches salzig, zum Trinken nicht taugend, anderes süßlich

Klar und gesund; wieder anderes trägt Heilmittel in sich

Oder Gift, manches ist warm, und anderes eisig und kalt.

Warum, so fragt ihr, sollte es wundersam scheinen, dass Meere

Manche Regionen bedeckten, die heut von Menschen bewohnt sind,

Oder dass Wasser einst wich, wo nun die Fluten sich sammeln?

Quellen entsprangen einst, die nun versiegt sind; und andere sprudeln

Neu hervor, wie Flüsse auch trocknen und anderswo fließen.

So verändern sich Berge zu Ebenen, Ebenen werden zu Bergen.

Doch ausführlich war dies Thema zuvor schon beleuchtet,

Lasst uns genügen, und wenden wir jetzt dem Nil uns erneut zu.


Der Moeris-See, in seiner gewaltigen Tiefe und Weite,

Dient, wenn der Nil anschwillt, als ein Gefäß, das die Fluten

Sanft aufnimmt, ohne die fruchtbaren Länder zu überschwemmen,

Und bei der Ebbe gibt er das Wasser zurück durch die Kanäle,

Doch nur so viel, dass Felder und Saaten genährt werden können.

Denn, obgleich Natur dies Gefäß und die Zuflüsse schuf,

Sind es die Menschen, die Schleusen errichteten, Tore aus Stein,

Die den Zulauf lenken und auch das Zurückfließen regeln.

Nah dem Kanal liegt der prächtige Bau, das gewaltige Labyrinth,

Ein Werk voll Staunen, errichtet in früheren Tagen der Nomes,

Mit Höfen, so zahlreich wie damals die Gaue Ägyptens gezählt wurden.

Diese Höfe reihen sich, Wand an Wand, in gerader Verbindung,

Und dazwischen winden sich Wege, wie Netze, verwirrend,

Führt kein Fremder sich fort, ohne dass Führer ihn leiten.

Doch das Erstaunlichste sind die Dächer: gewaltige Steine,

Jeder für sich ein Monolith, ohne Holz, ohne anderes Beiwerk,

Riesige Platten, die Hallen und Gänge bedecken, geschlossen.


Steigt man hinauf auf das Dach, so erblickt man ein steinernes Feld,

Weit und glatt, bestehend aus Steinen von ungeheurer Größe.

Und kehrt man hinab, so sieht man die Hallen in Reihen,

Jede getragen von siebenundzwanzig massiven Pfeilern,

Ihre Wände aus Blöcken, nicht minder gewaltig und groß.

Am Ende des Bauwerks, das mehr als ein Stadion Länge umfasst,

Ragt ein Grabmal empor, ein Pyramidenbau mit gewaltigen Maßen,

Vier Plethren breit an der Basis und ebenso hoch in den Lüften.

Imandes sei der Name des Mannes, der dort seine Ruh fand.

Erzählungen sagen, die Nomes versammelten sich in den Höfen,

Jeder in seinem Bereich, mit Priestern und Opfergaben,

Um Recht zu sprechen und Göttern zu dienen, wie Brauch es gebot.


So fuhr ich weiter, dem Strom entlang, hundert Stadien weit,

Bis ich Arsinoë erreichte, die Stadt, einst Krokodilonpolis genannt,

Denn in diesem Gau wird der Krokodil höchste Verehrung gezollt.

Ein heiliger See birgt eines von ihnen, ein zahmes Geschöpf,

Das Priester hüten und Fremde mit Opfergaben willkommen.

Suchus wird es genannt, und es wird mit Brot und mit Fleisch

Und einem Gemisch aus Honig und Wein gesättigt und getränkt.

Als wir ankamen, führte ein Gastgeber, einer der Priester,

Uns hin zur Stätte, das Tier am Ufer liegend zu zeigen.

Ein Priester öffnete seinen Rachen, ein anderer reichte

Einen Kuchen dar, dann Fleisch und zuletzt den süßen Weintrank.

Sogleich sprang das Tier in den See und verschwand in den Fluten.

Bald kam ein Fremder mit neuen Gaben, die Priester empfingen

Sein Opfer, eilten entlang des Ufers und fütterten das Tier

Auf ähnliche Weise, wie es schon vorher geschah.


Von hier gelangte ich weiter in Herakleopolis' Gau,

Wo man das Ichneumon verehrt, den Todfeind des Krokodils,

Ganz im Gegensatz zu Arsinoë, das diese Geschöpfe beschützt.

Denn dort mehren sich Krokodile im Nil wie im Moeris-See,

Da niemand sie stört, sondern in Ehrfurcht und Schrecken belässt.

Doch hier lobt man die Feinde der Tiere, die kleinen Ichneumonen,

Welch die Eier der Krokodile zerstören und Aspis-Schlangen

Mit listigem Wurf in den Fluss hinabziehen und töten.

Eingehüllt in getrockneten Schlamm als Rüstung des Körpers,

Greifen sie mutig die Schlange an Kopf oder Schwanz und besiegen

Diese in wilden Gefechten, wie auch die größeren Krokodile.

Denn während diese am Ufer in träger Wärme sich sonnen,

Springen die kleinen Räuber in ihre geöffneten Mäuler,

Fressen die Eingeweide von innen und kehren dann frei aus dem Leichnam.


Von hier zog ich weiter zum Cynopoliten-Gau,

Wo Anubis verehrt wird, der Gott, dargestellt als Hund.

Hier gibt man den Hunden in Heiligtümern Speisung und Pflege.

Jenseits des Nils jedoch liegt Oxyrrhynchos, die Stadt,

Berühmt für den Fisch, der dort als heilig verehrt wird.

Ein Tempel ist ihm geweiht, und viele verehren den Fisch

Auch in anderen Teilen des Landes, gemeinsam mit anderen Tieren:

Dem Stier, dem Hund, der Katze, dem Habicht, dem Ibis zugleich,

Und auch dem Fisch in den Fluten, dem heiligen Oxyrrhynchos.

Doch gibt es auch Tiere, die nur von einzelnen Gauen geschätzt werden:

So ehrt Sais ein Schaf, die Mendesier verehren den Ziegenbock,

Andere loben den Falken, den Löwen, den satyrgleichen Affen.

Doch die Gründe für diese Bräuche sind nicht immer einhellig.


Weiter folgte ich dem Fluss durch Gau um Gau,

Zu den Zöllnerstationen, wo Waren gemessen und registriert,

Dann weiter zu Städten, bekannt durch Werkstätten und Künste:

Panopolis, berühmt durch Leinen und steinerne Arbeit.

So verlief meine Reise, doch vieles bleibt noch zu sagen.


Zu der Stadt Ptolemaïs gelangt man, die größte im Thebais,

Fast so groß wie Memphis, regiert nach griechischem Vorbild.

Über der Stadt liegt Abydus, bekannt durch das Memnonium,

Einen königlichen Bau aus Stein, ein mächtiges Werkstück,

Wie der Labyrinthbau kunstreich geformt, doch einfacher;

Tief in der Erde liegt eine Quelle, zu der man hinunter

Steigt in gewölbten Gängen, die Monolithen aus Riesen

Formen, und groß an Geschick der schaffenden Hände sich zeigen.

Eine Kanale verbindet dies Werk mit dem großen Flusse,

Nahe dem Hain des Apoll, wo ägyptische Acantha sprießen.

Einst war Abydus reich, fast gleich mit Theben an Stärke,

Jetzt jedoch ist es klein und gleicht einem schwindenden Orte.

Memnon, so sagen die Weisen, nennen die Ägypter Ismandes,

Und das Labyrinth sei ein Werk des gleichen Erbauers,

Der auch Memnonien schuf in Theben und dort in Abydus.


Jenseits von Abydus liegt die Oase, die erste der drei,

Sieben Tage durch Wüstensand von Abydus entfernt,

Fruchtbar an Wasser und Wein, und reich an jeglichem Gut.

Eine zweite Oase bei Moeris' See erhebt sich,

Und die dritte beim Heiligtum Ammon, auch hoch verehrt.


Nun, da ich vieles sprach von Ammon, füge ich bei:

Einst waren die Orakel in Ehren, doch jetzt verfallen,

Seitdem Rom sich begnügt mit Sibyllas Stimmen und Zeichen,

Sowie mit Tyrrhenischen Weisen, die aus Opferschau handeln.

Ammon, verlassene Stätte, einst voller heiligen Ruhmes,

Wird kaum noch besucht, wie einst in Alexanders Ära.

Er, von Ehrgeiz getrieben, suchte des Orakels Stimme,

Hörte von Perseus und Herakles, die es einst taten,

Zog, trotz stürmischer Winde, mit Mühe durch Wüstensande,

Fand in Regen und Krähen seinen Weg zur Stätte des Gottes.


Soll ich die Geschichten noch nennen, die Schmeichelei bergen?

Wie er allein des Tempels Inneres durfte betreten,

Oder wie der Priester ihm Zeus' Abstammung verkündete,

Und wie Quellen, einst versiegt, durch Alexander wieder

Flossen? So priesen die Schreiber sein göttliches Schicksal.


In Abydus ehrt man den Osiris mit strengen Gesetzen,

Kein Sänger, kein Flötenspieler, kein Harfner erhebt seine Stimme,

Wie es bei anderen Göttern Brauch ist in heiligen Tempeln.

Weiter gelangt man zur Kleinen Diospolis, dann nach Tentyra,

Wo man die Krokodile verachtet, die andern heilig,

Denn die Tentyriten sehen in ihnen nur Feinde der Menschen.

Während die Ägypter voll Ehrfurcht sie meiden und schonen,

Jagen die Männer von Tentyra sie und töten mit Eifer,

Tauchen ins Wasser hinab, ohne Furcht vor den Tieren zu haben,

Weil sie von Natur, so sagt man, gefeit sind vor deren Angriff.

Selbst als man Krokodile nach Rom gebracht, sie zu zeigen,

War es das Volk von Tentyra, das mit Netzen sie fesselte,

Zog sie ans Land zur Sonne hinauf, zum Schauplatz der Menge,

Und brachte sie wieder zurück in die tiefen Gewässer.

Doch sie verehren die Göttin der Liebe, die zarte Aphrodite,

Und nahe ihrem Heiligtum steht ein Tempel der Isis.


Dann gelangt man zur Typhonia, Orte düster und finster,

Und zum Kanal, der führt nach Koptos, der Stadt an der Grenze,

Die Ägypter und Araber teilen als einen Besitz.


Von hier führt eine Straße hinüber zum Roten Meere,

Nähe der Stadt Berenike, die keinen Hafen besitzt,

Doch durch den Isthmus begünstigt bequeme Landungen bietet.

Philadelphos, so sagt man, ließ die Straße errichten,

Wo Wasser fehlt, und baute Stationen für Kamelzüge,

Weil die Fahrt auf dem Meer gefährlich war und beschwerlich.

Von Nutzen erwies sich der Plan, denn Händler beladen

Ihre Kamele mit Gütern aus Indien, Arabien, Äthiopien,

Führen die Waren nach Koptos, das reiche Emporion.

In der Nähe von Berenike liegt Myos Hormos,

Stützpunkt der Seeleute, und Apollonopolis grenzt

An Koptos an, so dass diese Städte den Isthmus begrenzen.

Einst reisten Händler nur nachts, geleitet von Sternen,

Wie auf dem Meer die Schiffer, mit Wasser an Bord für die Reise,

Doch nun gruben sie Brunnen und bauten Zisternen für Regen.

Sechs oder sieben Tage währt die beschwerliche Reise.

Auch Edelsteinminen liegen dort, Smaragde erstrahlen,

In tiefen Schächten gehauen von den fleißigen Arabern.


Nach Apollonopolis kommt man zum prächtigen Theben,

Das man einst Diospolis nannte, die Stadt mit den Toren,

Hundert an Zahl, wie Homer sie preist in den ältesten Liedern:

Theben, die Stadt mit den Hundert Toren, wo aus den Pforten

Zweihundert Krieger zieh’n mit Rossen und donnernden Wagen.“

Reich war die Stadt an Schätzen, in Tempeln gehäuft wie in Truhen,

Und selbst heute noch zeugen die Ruinen von alter Pracht,

Denn achtzig Stadien weit erstrecken sich ihre Reste,

Zeugnisse eines Ruhms, der längst in den Staub gefallen.

Viele der Tempel zerstörte der Wüterich Cambyses,

Und nun bleibt Theben nur als ein Bündel von Dörfern zurück.


Auf arabischem Boden einst lag der Kern der Metropole,

Während gegenüber das Memnonium ragte am Fluss.

Dort stehn zwei Kolosse, aus einem Stein gehauen,

Nah beieinander; der eine ist wohlbehalten geblieben,

Doch der andere brach im oberen Teil durch ein Erdbeben.

Von ihm, so heißt es, ertönt ein Ton, wie von einem Schlag,

Jeden Morgen einmal, und auch ich vernahm das Geräusch,

Als ich mit Aelius Gallus und seinen Freunden zugegen,

Doch zweifelte, ob der Klang von den Steinen selbst kam,

Oder ob einer der Männer, die ringsum standen, es machte.


Über dem Memnonium liegen Höhlen mit Gräbern der Könige,

Steinern gehauen, vierzig an Zahl und kunstvoll gestaltet,

Wunder des Handwerks, die den Besuchern Ehrfurcht gebieten.

Auf Obelisken der Gräber liest man von alter Größe:

Reichtum der Könige, herrschend bis zu den Skythen,

Bactriens Reichen und Indiens Landen und Ionias Küsten.

Tribute der Völker, ein Heer von Millionen Soldaten,

All dies ist verzeichnet und kündet von Thebens Macht.


Priester, so sagt man, wohnten dort, weise und kundig,

Kenner der Sterne und Meister des Sonnenlaufs, die den Menschen

Lehrten, die Jahre nicht nach dem Mond, sondern nach Tagen

Richtig zu zählen, indem sie zwölf Monate, dreißig an Tagen,

Fügten fünf weitere hinzu und den Bruch zu ergänzen

Wussten durch Zeiträume, wenn die Bruchteile sich summierten.

Hermes galt ihnen als Geber dieser Gesetze und Lehren,

Zeus, der Höchste, jedoch wurde geehrt mit der größten Ehre.


Auf jenem Isthmus, der führt vom Roten Meer bis zu Koptos,

Wurden die Straßen gebaut von Philadelphos' Geheiß,

Um Händlern den Weg durch die wasserlose Wüste zu weisen.

Stationen entstanden, als Lager für Karawanen,

Denn die Fahrt auf dem Roten Meer war riskant und beschwerlich,

Wagen zerbrachen, und Schiffe litten unter den Stürmen.

Doch dieser Plan, so zeigte die Zeit, war nützlich und klug,

Denn die Händler brachten Gewürze, Stoffe und Edelsteine,

Schätze aus Indien, Arabien und von Äthiopiens Küsten,

Nach Koptos, dem Tor der Händler zum Nil und zur Welt.


Nicht fern von Berenike liegt Myos Hormos, die Stadt,

Ein Stützpunkt für Schiffer, und unweit davon in der Wüste

Grabt man Smaragde und funkelnde Steine, tief aus den Felsen.

Arabische Männer, geübt in der Kunst des Schürfens,

Hauen die Tunnel in unermesslicher Tiefe ins Gestein,

Und es glänzen die Wände im fahlen Licht der Laternen.

Auch Edelsteine, so kostbar, dass Könige sie begehrten,

Ruhen verborgen in dieser entlegenen, kargen Region.


Nach Theben kommt man in die Stadt Hermonthis,

Wo Apollo und Zeus in ehrnen Kulten wohnen,

Und auch ein Stier wird dort gehalten. Dann folgt

Die Stadt der Krokodile, wo das Tier in Ehre lebt,

Und weiter geht es zur Stadt der Aphrodite,

Die dann zur Latopolis führt, wo Athena und Latus

Verehrt werden, und weiter zu Eileithuia,

Mit einem Tempel dort, und jenseits des Flusses

Liegt die Stadt der Falken, die das Tier in Ehren hält.

Dann folgt Apollonospolis, die den Krieg führt

Gegen die Krokodile. Syene, die Grenzstadt,

Liegt dort, und Elephantine, die Insel im Nil,

Wo ein Tempel von Cnuphis steht und wie Memphis

Ein Nilometer den Pegel misst, der stets steigt und fällt.


Der Nilometer ist ein Brunnen, aus Steinen gebaut,

Der den höchsten, niedrigsten und mittleren Stand

Des Nils anzeigt, und so wissen die Wachen vorher

Von den kommenden Hochwassern und teilen es mit,

So dass die Menschen vorbereitet sind auf das, was kommt.

Nicht nur die Bauern profitieren von dieser Kunst,

Sondern auch die Prätoren, deren Einkünfte steigen,

Wenn die Wasserstände höher sind als je zuvor.

Auch in Syene gibt es einen Brunnen, der den Tropen

Zeigt, da der Ort unter dem Wendekreis liegt,

Wo der Gnomon mittags keinen Schatten wirft,

Und der Sonnenstrahl den Brunnen bis zum Grund erreicht.


Ein wenig oberhalb von Elephantine

Liegt der kleine Kaskadenfall, wo die Bootsmänner

Ein Schauspiel zeigen für die Prätoren,

Denn der Wasserfall ist ein Felsen am Fluss,

Über den das Wasser stürzt, doch an den Seiten

Kann man den Fluss noch hinauf segeln, wenn auch schwer.

Die Bootsmänner segeln stromaufwärts,

Werfen sich dann mit dem Boot über den Felsen

Und entkommen unversehrt. Ein Stück weiter

Liegen die Inseln von Philae, wo Äthiopier

Und Ägypter gemeinsam leben und Tempel verehren.

Auch dort gibt es einen Vogel, den man Falken nennt,

Doch er ist anders, größer, und das Gefieder

Unterschiedlich gefärbt, was uns verblüffte.


Von Syene nach Philae fuhren wir mit Wagen

Durch das weite Land, eine Strecke von hundert Stadien,

Und überall sah man Steine, wie unsere Hermae,

Groß, rund und glatt, aus schwarzem, festem Stein,

Der für Mörser verwendet wird, manchmal übereinander,

Oder als Einzelstein, der größere zwölf Fuß misst.

Wir überquerten den Fluss auf einem Pacton,

Ein kleines Boot aus Weiden, das leicht zu überqueren war.


Ganz Ägypten hat keine guten Palmenarten,

Doch in Thebais wächst eine, besser als die anderen.

Wunderlich, dass ein Land, das der gleichen Breite

Wie Judäa liegt, so unterschiedlich ist,

Denn Judäa trägt auch die Caryotenpalme,

Besser als die babylonische, doch in Thebais

Gibt es auch zwei Arten, und die Thebais-Daten

Sind härter, doch angenehmer im Geschmack.

Es gibt eine Insel, die besonders gute Datteln trägt,

Worüber die Prätoren große Einnahmen erzielen.


Herodot und andere erzählen viele Lügen

Von den Quellen des Nils bei den Inseln von Syene,

Wo der Fluss angeblich bodenlos sei, was nicht stimmt,

Denn der Nil hat viele Inseln, die überflutet sind

Oder nur teilweise, und die höchsten werden bewässert

Mit Schrauben, die das Land fruchtbar machen.

Ägypten ist ein Land des Friedens, geschützt durch die Römer

Mit nur drei Kohorten, die ausreichen, um es zu bewahren,

Und auch als die Äthiopier angriffen, waren sie schnell

Geschlagen, und die Römer hatten keinen Bedarf an mehr.


Die Äthiopier, die ermutigt durch des Römer Heeres Teil,

Der mit Aelius Gallus zog und gegen Araber kämpfte,

Den Ägypten verließ, griffen die Thebais an,

Und die Garnison, die drei Kohorten bei Syene standen,

Nahmen Syene, Elephantine, Philae mit überraschtem Schlag,

Und versklavten die Menschen, zerbrachen auch die Statuen des Cäsar.

Petronius jedoch, mit weniger als zehntausend Fußsoldaten

Und achthundert Reitern gegen dreißigtausend,

Trieb sie zurück nach Pselchis, einer äthiopischen Stadt,

Und sandte Gesandte, um zu fordern, was sie genommen,

Und zu fragen nach Gründen für den Kriegsbeginn;

Und als sie sagten, die Nomarchen hätten sie gekränkt,

Erwiderte er, dies seien keine Herrscher des Landes, sondern Cäsar.

Und als sie drei Tage für Überlegungen baten,

Doch nichts taten, was sie sollten, griff er an

Und zwang sie, in die Schlacht zu treten. Schnell floh das Heer,

Denn schlecht geordnet, schlecht bewaffnet waren sie,

Mit großen, rechteckigen Schilden aus rohem Rindsleder,

Und Waffen, die Äxte, Spieße oder Schwerter waren.

Einige trieben sie in die Stadt, andere flohen in die Wüste,

Wieder andere suchten Zuflucht auf einer Insel nahebei,

Durchwateten den Kanal, da Krokodile dort selten waren.

Unter diesen Flüchtlingen waren die Generäle der Königin Candacê,

Die, zu meiner Zeit, die Äthiopier regierte,

Eine mannhaft Frau, blind auf einem Auge.

Diese alle ergriff er lebendig, verfolgte sie mit Booten und Floßen,

Und sandte sie gleich nach Alexandria,

Ergriff Pselchis, zerstörte es, und der Fall der Kämpfenden

Erhöht die Zahl der Gefangenen – die Entkommenen waren kaum viele.

Von Pselchis zog er nach Premnis, einer festen Stadt,

Durch Sanddünen, wo Cambyses’ Heer im Sturm versank;

Er griff an und nahm die Festung beim ersten Stoß.

Dann zog er weiter nach Napata, dem königlichen Sitz Candacês,

Wo ihr Sohn weilte, sie selbst in der Nähe.

Doch trotz Gesandter für Freundschaft und Rückgabe der Gefangenen

Verfolgte Petronius Napata, nahm es ein, zerstörte die Stadt,

Verkaufte die Gefangenen als Kriegsbeute,

Schickte tausend nach Cäsar, der aus Cantabrien heimgekehrt,

Und die anderen starben an Krankheiten.

Candacê, mit tausenden von Kriegern gegen das Lager,

Petronius eilte zur Hilfe, erreichte die Festung zuerst.

Sicherte den Ort mit verschiedenen List,

Als Gesandte kamen, befahl er, sie zu Cäsar zu schicken.

Und als sie fragten, wer Cäsar sei und wo er sei,

Wies er ihnen den Weg nach Samos, wo Cäsar weilte,

Der von dort nach Syrien ziehen wollte,

Nach dem Tiberius nach Armenien gesandt.

Als die Gesandten alles erhielten, was sie begehrten,

Erließ er sogar die Tribute, die er auferlegt hatte.





DRITTER TEIL

SCIPIO IN AFRIKA



Als er Sizilien betrat, begann der kühne Scipio gleichwohl, 

Ordnete Männer in Scharen und Rotten zu festen Kohorten, 

Wählte sodann dreihundert der tapfersten, kühnsten Gefährten, 

Führte sie stets um sich her, doch gänzlich ohne Bewaffnung. 

Niemand erkannte den Grund, warum sie ungerüstet, 

Warum sie nicht mit den andern im Gliede marschierten zusammen. 

Dann aus der edelsten Jugend, der reichsten und besten Siziliens, 

Wählte dreihundert er aus und formte sie zu einem Reiterheer, 

Das mit ihm ziehn sollte ins ferne Afrika, feindlich Gebiet. 

Kund ward der Tag, an welchem sie, wohlgerüstet, 

Pferde gesattelt, mit Waffen umgürtelt, erscheinen sollten. 

Ferne der Heimat, gefahrvolle Kämpfe, von Mühen durchdrungen,

Machten den Jünglingen Angst, auch bangten Väter und Mütter.

Doch als die Stunde gekommen, erschienen sie rüstig bewaffnet.

Scipio trat nun hervor und sprach zu den Kriegern: 

"Kunde erlangte ich wohl, dass manche von euch hier verzagten,

Furcht in den Herzen sie trüget, da schwer die Reise und tödlich

Mühen wie Krieg sein könnten, auf fremder, bedrohlicher Erde.

Wer sich so fühlet, bekenne es jetzt und ohne Verschweigen,

Lieber sei ehrlich bekannt, als dass uns tönt ein Geklage

Schwacher und zaudernder Seelen im härtlichen Kampfe der Schlachten." 

Einer nun wagte das Wort und sagte mit zagendem Mute: 

"Wär' ich noch frei in der Wahl, so wählte ich gerne das Bleiben."

Scipio lächelte milde und sprach dann heiter zum Jüngling: 

"Nun, da du offen bekannt dein zögerndes Herz mir, so sei dir 

Ein Ersatzmann gewährt. Gib' ihm dein Roß und die Rüstung,

Führe ihn ein in die Kunst des Kampfes und reiten soll er." 

Freude ergriff jenen Mann, so leicht von der Bürde befreit nun,

Scipio reichte ihm einen der drei, die ohne Bewaffnung. 

Andere sahen dies an und folgten schnell seinem Beispiel, 

Alle verzichteten gern, als Scipio dies so gebot nun. 

Somit gewann das Heer dreihundert erprobte Gefährten, 

Ohne dass Kosten dem römischen Staate entstanden daraus. 

Jene, die einst sich gedrückt, sie lehrten die jungen Soldaten,

Schulten sie hart, um selbst nicht gezwungen zu werden zu kämpfen. 

So ward das Regiment zu ruhmreicher Tapferkeit geformt,

Ruhmreich focht es in vielen der Kämpfe für Roms alte Ehre.


Dann musterte Scipio Legionen, wählte die besten, 

Jene, die einst Marcellus geführt, bewährte Gefährten, 

Schulten sie doch in den Kämpfen, den härtesten rings um Syrakus. 

Bald war die Truppe gestärkt und voller Entschluss auf das Ziel hin: 

Nicht um ein kleines Gefecht, nein, Carthago zu brechen, 

Das war das Ziel des Feldherrn, das war sein größtes Begehren.

Korn ward gefordert von Städten, das Heeresgut so zu schonen,

Alte Schiffe zum Plünderzug sandt' er gen Küsten Afrikas hin.

Neue verbarg er an Land, damit sie im Winter sich festigten.

Solches ordnet getan, so zog er hinab nach Syrakus.


Dort herrschte Unruh' im Volke, da Räuber von römischer Art

Griechischen Bürgern einst das Gut in den Wirren genommen.

Nun kam Klage zu Scipio, suchend nach Recht und Vergeltung.

Recht gab Scipio schnell und gab den Syrakusern ihr Gut heim, 

So dass das Volk ihn nun hoch verehrte, ihm dankte, 

Mehr noch als je für ihn warb und Roms Heere versorgte.


Doch in Hispanien flammte der Krieg erneut in den Ländern,

Indibilis, ein Fürst, entfachte das Feuer der Kämpfe. 

Dachte er Roms Feldherrn verloren, nur Scipio bleibe, 

Hoffte er Spaniens Land zu befreien mit kühnem Entschluss. 

Dreißigtausend zu Fuß und viertausend mächtige Reiter 

Rief er zusammen, zu fechten für Freiheit in blutigem Streit.


Doch Lentulus und Manlius, Roms erprobte Befehler, 

Rückten heran mit vereinter Macht und schonten die Dörfer,

Brachten die Truppen zum Feld, wo Feinde sich sammelten drohend. 

Botschaft sandten sie aus, zum Frieden mahnend und Klarheit,

Doch die Barbaren erkannten die Waffen allein als die Antwort.


Blutig ward nun die Schlacht, die Reiter durchbrachen die Reihen,

Doch Indibilis verblieb und kämpfte mit todesmutigem Geiste, 

Bis er gefällt von der Lanze erlag, das Heer nun gebrochen. 

Flucht griff um sich, und römische Hände entrissen das Lager.

Dreizehntausend der Feinde geborgen im Todesschatten,

Römische Recken nur wenige fielen, gesiegt war die Schlacht.


Mandonius, nun gebeugt von Schuld, suchte um Frieden, 

Bot sich dar, um das Schwert des Zorns von dem Volke zu wenden. 

So ward der Aufruhr gebannt, und Spaniens Städte gesichert. 

Nun aber richteten Roms Heere den Blick auf das ferne Afrika,

Denn es war Zeit, das Reich von Carthago zu stürzen und brennen zu sehen.


Dunkle Gedanken umfingen die Seelen der Karthager alle, 

Schreckliche Kunde erscholl, doch drohender nahte Gefahr schon. 

Rasch nun riefen sie Volk und Bauern von Feldern und Mauern, 

Kriegsknechte zu werben, die Stadt mit Mauern zu rüsten, 

Korn zu horten in Türmen und Rüstungen, Waffen zu schmieden. 

Schiffe rüsteten sie, die Römerflotte zu trotzen, 

Schlugen den Wellen entgegen mit tönenden Segeln am Hafen.


Doch inmitten des Eifers, der hastigen, sorgenden Werke, 

Kunde kam: Nicht Scipio selber sei dort mit den Heeren, 

Laelius sei es allein, mit geringer Mannschaft gekommen, 

Nichts als Raub sei sein Ziel, die Macht der Römer in Sizilien.

Aufatmeten nun die Männer, sanken die Schultern der Alten, 

Boten sandten sie schnell an Syphax und fremde Gebieter, 

Stärkten den Bund mit Versprechen und goldenen Gaben. 

Philipp lockten sie gar mit schimmernden Silberschätzen, 

Sizilien oder Italiens Küste solle er treffen. 

Mago befahlen sie, Rom mit Schrecken zu binden, 

Schickten ihm Schiffe, Soldaten, Elefanten und Reichtum, 

Männer zu werben und tapfer gen Rom vorzurücken.


Laelius plünderte, trug die Schätze von Feldern und Dörfern,

Masinissa vernahm, dass Römerflotten erschienen. 

Eilends kam er zu Laelius, haderte, klagte, beschwor ihn: 

Warum zögert Scipio noch? Jetzt wäre die Stunde! 

Siehe, Karthago erbebt, und Syphax ist anders gesinnt schon, 

Zeit gewinnt ihm die Macht, doch wir könnten die Wende erzwingen. 

Sage Scipio an: Er eile mit Rossen und Männern, 

Meiner Reiter und Füßler sei er gewiss in dem Kampfe!“ 

Dann, mit warnender Stimme: „Nicht sollst du länger verweilen, 

Schiffe Karthagos segeln, und ohne Scipio fürchtest du Schlimmes!“ 

So sprach er und floh, Laelius löste die Anker, 

Fuhren mit Beute beladen nach Sizilien zurück nun, 

Brachte Scipio Botschaft von Eile und dringender Mahnung.


In der Stunde sodann, als Mago die Kunde vernommen, 

Kamen die Schiffe mit Kriegern, die Heimat gesandt ihm. 

Eilends rief er die Häuptlinge Galliens, Liguriens alle, 

Mahnte sie ernst, mit redlichem Eifer zur Freiheit zu streben: 

Seht, von Karthago gesandt, mit Heeren, Waffen und Stärke, 

Doch hängt unser Geschick an euch und eurer Entschlossenheit. 

Römer lagern im Land, in Gallien, Etruriens Grenzen, 

Schwer ist der Kampf, wenn ihr nicht Scharen von Männern entsendet.“ 

Gallier nickten ihm zu, doch zögerten klug in den Worten: 

Römer stehen im Land, zu nah sind Feindeslager, 

Doch heimlich helfen wir gern, nicht offen in Schlachten.“

Ligurier sprachen: „Frei sind wir, doch gebt uns zwei Monde!“ 

So gewann er die Zeit, begann mit geheimen Verträgen, 

Sammelte Söldner im Schatten, bereitete schleichend den Angriff.


Livius führte derweil die Legionen von Süden, 

Sklavenkrieger mit Speeren, aus Etrurien zogen sie tapfer, 

Vereint mit Lucretius, Rom vor den Feinden zu schirmen, 

Standen am Fluss, hielten den Pfad zu Italiens Herzen.


Scipio selbst nun rüstete eilig die Männer, 

Laelius’ Beute entfachte das Feuer im Herzen der Krieger. 

Doch noch hielt ihn ein Ziel, er wollte erobern Lokri, 

Stadt, die einst fiel in die Hände des großen Hannibal. 

Zufall öffnete Wege, Gefangene plauderten Kunde: 

Männer, getrieben nach Rhegium, boten den Römern Verrat an.

Edelmänner, verbannt, in Sehnsucht nach Heimat vergehend,

Hörten ihr Wort, ersannen geheime Signale, 

Sprachen zu Scipio selbst und rühmten die Gunst ihrer Stunde. 

Sergius, Matienus eilten mit dreitausend Mannen, 

Pleminius führte den Zug, Lokri zu fangen im Sturm nun.


Mitten in nächtlicher Stund’, als alles in Schlummer gesunken,

zogen von Regium aus die tapferen Krieger hinfort.

Leitern von mächtiger Kraft, geschaffen zur Eroberung, trugen

sie auf den Schultern empor, die Zitadelle zu stürm’n.

Still und verborgen gelangten sie hin zu den Mauern der Feste,

wo in geheimer Absprache Zeichen gegeben ward.

Lauerten finster versteckt die Mitverschworenen oben,

blickten ins Dunkel hinab, harrten des heiligen Zeichens.

Als es erstrahlte, da sanken die Leitern sacht in die Tiefe,

mutig erklommen sogleich Kämpfer die Mauer hinan.

Ohne ein Schlachtgeschrei fielen die Wächter, im Traume

ahnten sie nicht, dass ihr Tod schon im Dunkel erwacht.

Erst als ihr röchelndes Sterben in Stille die Nacht durchdrungen,

folgte der Lärm, der das Lager von Träumen entriss.

Rufend erhoben sie Stimmen, irrend im dunklen Getümmel,

bis ein gewaltiger Schrei durch die Gemäuer erscholl:

Waffen! Zu Waffen! Der Feind ist hier in der Feste, die Wächter

fallen, es wütet der Krieg tief in den Mauern der Burg!“

Mächtig und zahlreich stand der Feind in den Schatten verborgen,

doch in der wirren Panik ergriff sie der Schrecken des Sturms.

Denn in der Dunkelheit schienen hundert Male so grausam

jedes Geräusch, jedes Echo des nahenden Feinds.

Carthagos Kämpfer erfasste entsetzlicher Graus, und sie wichen,

flohen zur anderen Burg, suchten im Dunkel Schutz.

Doch zwischen beiden erhob sich die Stadt in strahlendem Antlitz,

zerrissen zwischen den Feindmächten im tobenden Streit.


Mächtig entbrannte der Kampf, aus beiden Festen erhoben

stürmten die Krieger hervor, wagten den blutigen Strauß.

Täglich von Neuem entflammte der Streit in hitziger Wut nun,

Hamilkar führte den Feind, Pleminius Rom.

Hilfe entsandten herbei die benachbarten Städte den ihren,

beide Parteien gewachsen in kampfbereiter Gestalt.

Schließlich, da Hannibal selbst mit Heeresmacht sich erhob, da

wankte der Römer Bestand, drohte in Asche zu gehn.

Doch nicht allein in den Waffen entscheidet das Schicksal der Städte,

sondern auch wankende Treu’, tief in den Herzen gesät.

Denn die bedrängten Bewohner, gequält von carthagischer Willkür,

wandten in heimlichem Groll hilfesuchend sich Rom.


Eilend durch Boten vernahm Scipio drohende Kunde,

Hannibal nahet heran, Locris erliegt seiner Macht!

Bang war die Lage, den Römern verblieb kaum Hoffnung zu fliehen,

kaum ein Entkommen aus feindlichem Netz.

Rasch nun befahl er den Seinen: „Lucius, halte die Stellung,

wach auf Messanas Wehr, halte das Meer uns bereit!“

Kaum war der Morgen entfacht, so trieben die Winde die Schiffe,

tanzend auf wallender Flut trug sie die strömende See.

Hannibal naht’ indessen mit Heeresmacht zum Bulotus,

nahe der Mauern der Stadt lagerte kriegerisch er.

Hamilkar bot er Befehl, die Römer wütend zu stürmen,

selber ergriff er das Werk auf der entblößten Seite der Stadt.

Früh schon, als rötlich der Tag am Himmel die Nebel durchbrach,

fand er die Schlacht schon entfacht, tobend am hadernden Wall.

Doch nicht drängte er sich in die Enge der wehrhaften Feste,

dass nicht die Seinen verwirrt hemmten der Waffen Gewalt.

Dort ließ er die Seinen verharren, stellte zur Schau sein Gewaffen,

dass in der Furcht schon die Wehr schwinde den wankenden Feind.

Reitend durchmaß er den Wall mit kundigen Numider Haufen,

suchend den schwankenden Punkt, wo sich die Bresche ergäb’.

Plötzlich – ein Pfeil durch die Lüfte geschleudert von römischer Hand –

traf einen nah an ihm steh’n, sterbend sank jener dahin.

Wütend doch mahnend befahl er den Rückzug vom Walle,

baute das Lager zurück, außer der Wurfwaffen Reich.


Bald schon erschien in der Stadt die römische Flotte von Ferne,

kam mit den Kämpfern an Bord, landete sicher bei Nacht.

Kaum war der Morgen erwacht, da lärmte das Streitvolk der Feinde,

Hannibal rückte heran, hoch mit den Leitern bewehrt.

Doch in der Tore Gestade geschah, was er nimmer gedachte:

plötzlich aufbrechend hervor stürmten die Römer heraus!

Blutig und heftig durchfuhren sie schreiend die Reihen der Gegner,

rissen zweihundert hinweg, brachten Verwirrung und Graus.

Hannibal sah, dass Scipio selbst die Krieger befehligte,

rückte erschüttert zurück, floh mit dem Heer in sein Lager.

Dort erst sandt’ er den Seinen im Innern der Feste die Botschaft:

Seht, wie ihr rettet euch selbst, länger kann ich euch nicht schützen!“

Nachtlich in eiliger Hast zerbrach er die hölzernen Zelte,

löschte die Feuer und wich, fern in das Dunkel hinein.

Jene, die noch in der Burg sich hielten in hoffender Rettung,

zündeten flammend ihr Heim, machten die Flucht sich bereit.

So, in der finsteren Nacht, wie jagend der Sturm über Felder,

flohen sie lautlos hinweg, folgten der schwindenden Spur.


Pleminius herrschte als Feldherr, mit Kriegern von Regium 

Stand er im Dienste Roms, doch Unheil trug er im Herzen. 

Einer der Seinen ergriff ein silbernes Bechergefäß, 

Riss es hinweg aus dem Haus, doch eilig folgten die Herren. 

Sergius sah ihn zuerst mit Matienus, dem Tribun, 

Hieß ihn das Beutestück lassen, doch jener trotzte und focht. 

Bald ward Gezänk ein Tumult, ein wütendes Toben der Menge,

Brüllend und tobend ergoss sich die Wut in blutigen Kämpfen. 

Pleminius' Männer, geschlagen, entflohen, riefen den Anführer, 

Zeigten die blutenden Wunden, die Schmach und die Schande der Worte. 

Rasend vor Zorn befahl er, die Frevler herbeizuführen, 

Rief nach den Ruten, doch diese boten den Striemen die Stirn. 

Laut war das Klagen, die Krieger des Siegers rannten herbei, 

Zornig, im Kampfesmut, wild, als gälte es Leben zu retten. 

Pleminius' Männer zerrissen die Liktoren, peinigten sie, 

Stürzten sich dann auf den Herrn, ihn packend mit eisernen Fäusten, 

Schnitten ihm Nase und Ohren, zerschlugen ihn halbtot darnieder.


Boten entflohen der Stadt, die Kunde brachte Scipio bald. 

Messana war seine Stadt, doch eilend bestieg er das Schiff, 

Ruderte mächtig heran auf sechsfachem Ruder zu Locris. 

Urteil fiel auf die Tribunen, in Ketten warf man sie nieder, 

Schickte sie römischer Hoheit entgegen, um Recht zu empfangen. Pleminius aber, von Schande verzehrt und loderndem Zorne, 

Rief nach den Knechten der Folter, hieß jene martern und töten. 

Locris ergriff sein Entsetzen, die Besten der Stadt ließ er fällen, 

Tobte in blutiger Wut, als wäre er römischer Feind.


Rom indes war erfüllt von göttlicher Furcht und von Zeichen. 

Steine fielen herab vom Himmel in donnerndem Schrecken. 

Sibyllens Schriften entrollt, da las man der Götter Gebot: 

Sollte der Feind je die Kriege nach Italiens Lande tragen, 

Müsse die Mutter von Ida von Pessinus Rom überführt sein. 

So ward beschlossen, die heilige Gottheit eilig zu holen, 

Dass mit der Gnade der Götter die Siege gewiss uns beschieden.


Bis zu der Zeit war kein Bund mit Völkern Asiens zogen, 

Roms edles Geschlecht, doch wussten sie wohl sich zu merken, 

Wie in den Zeiten der Pest, da Leid sie schwerlich getroffen, 

Einst aus dem griechischen Land den heiligen Arzt sie gerufen, 

Ohne Vertrag mit dem Volk, doch suchten sie Hilfe vergebens. 

Nun aber hatte der König Attalus Bündnisse schmiedend 

Mit ihnen geeint, da Feindeslist von Philippus 

Drohte dem Reiche. So hofften sie nun auf die Gnade des Fürsten, 

Dass er in freundlichem Sinn für Rom sich werde erheben.


Also entsandten sie Boten mit hohem Namen versehen: 

Marcus Valerius Laevinus, einst Konsul gewesen, 

Zweimal der Führer der Römer im Kampf an Griechenlands Küsten; 

Marcus Caecilius Metellus, der einst als Prätor geordnet; 

Sowie Sulpicius Galba, der ehedem Ädil gewandelt; 

Ferner zwei Quaestoren von Rang, mit Namen geachtet, 

Gnaeus Tremellius Flaccus und Valerius Falto. 

Fünf der gewaltigen Schiffe, von Riemen fünfmal geschoben, 

Trugen die ehrenwert' Männer, dass Asiens Städte erschauten, 

Welch eine Macht und Größe dem Namen Roms sei verliehen.


Als sie gen Delphi gelangten, betraten sie heiliges Erdreich, 

Ratsuchend sprachen sie Worte zum ehrwürdigen Orakel, 

Wissend zu sein, ob göttliches Schicksal ihrer entsendeten Wege 

Gunsterfüllt und weise den Römern Erfolg sei beschieden. 

Dieses ward ihnen geweissagt: "Durch Attalus’ Hände 

Sollt ihr das Ziel erreichen, und wenn die Göttin in Rom sei,

Möge die edelste Seele des Landes sie würdig empfangen."


Weiter gen Pergamon zogen die edlen römischen Boten, 

Dort empfing sie der König mit hoher Ehr und mit Gunst, 

Führte sie weiter nach Pessinus’ heiligen Hallen, 

Reichte den Stein, den das Volk als Mutter der Götter verehrte,

Gab ihn mit segnender Hand und ließ ihn Rom überbringen.


Vorauseilend nach Rom flog Falto, den Römern zu künden, 

Dass nun die Göttin naht und würdig empfangen sie werde. 

Sogleich ward ausgerufen: Der Edelste Roms sei zu finden, 

Der die himmlische Mutter der Götter gebührend begrüße. 

Da rief der Konsul in Bruttium, herrschend in schwerem Gefilde, 

Quintus Caecilius Metellus zum Diktator erhoben, 

Dass er die Wahl bestelle, das Heer aus dem Kriege entlasse.


So auch ward in Rom die Ämter erneut besetzt nun: 

Marcus Cornelius Cethegus und Sempronius Tuditanus, 

Jener in Abwesenheit, da Griechenland ihm befohlen. 

Praetoren wurden erkoren: Claudius Nero, der Tapfre, 

Marcus Marcius Ralla, Scribonius Libo der Weise, 

Und Pomponius Matho, geachtet in römischen Kreisen.


Festlich ward nun in Rom die Spiele gefeiert dreimal, 

Siebenfach ward das Volk mit plebejischen Reigen erfreuet. 

Curulische Ädilen, zwei aus dem Hause Cornelius, 

Hielten das Amt in Ehren, obgleich der eine in Spanien 

Dienste vollführte fern und doch im Geiste regierte.


Tiberius Claudius Asellus mit Junius Pennus, 

Sie als plebejische Ädilen sorgten für Ordnungen stetig. 

Tempel der Tugend ward geweiht an der Capena, 

Marcus Marcellus, der Jüngere, hatte das Werk nun vollbracht, 

Jenes einst in Clastidium seinem Vater entsprossen.


So auch starb in dem Jahre ein Priester des Mars, geachtet, 

Aemilius Regillus, treu in göttlichem Dienste.


Fern aber braute sich drohend Unheil in Griechenlands Grenzen, 

Zwei der Jahre verstrichen, in denen Rom sich entwandte, 

Führte Philippus das Heer und zwang die Ätoler zur Knechtschaft, 

Da sie von Rom verlassen, in einsamer Wehrung verweilten. 

Doch hätte er nicht sein Ziel mit Eile zu vollstrecken 

Müssen, so hätte Sempronius, Roms Prokonsul, 

Mit zehntausend Soldaten und tausend ritterlichen Kriegern, 

Fünfunddreißig Schiffen und römischer Macht sie gerettet.


Doch kaum war Frieden geschlossen, da eilten Boten zu Philippos: 

Horch, an der Küste von Dyrrachium lagert der Feind nun, 

Parthini und ihre Verbündeten rufen zum Aufstand! 

Dimallum wird von der Menge bedrängt, sie fordern Befreiung!“


Da Philippos, des Krieges erfahren, erkannte die Zeichen, 

Zog er mit eilender Flotte, nach Apollonia strebend. 

Doch Sempronius war gewandt und wich der Gewalt aus, 

Laetorius sandte er vor, um Ätolier zu warnen, 

Möglich, den Frieden zu brechen, doch nicht mehr war es zu wenden.


Philippos, in wilder Wut, zerstörte das Land ringsumher, 

Stand vor Apollonias Mauern, forderte Römer zum Kampfe, 

Doch sie blieben verborgen, misstrauten der eigenen Stärke. 

So zog er zurück, den Frieden zu wahren mit Rom noch 

Oder, wenn Frieden versagt, zumindest auf Waffenverzicht hin.


In langer Schlacht ermüdet, die Krieger von Epiros seufzten,

Sandten den Römern Boten, auf Frieden sinnend im Herzen,

Riefen sodann den König, den makedonischen Herrscher,

Flehten ihn an, mit Sempronius Eintracht zu schließen.

Philippos hörte willig das Wort und willfahrte gerne,

Reiste nach Phoinike, der Stadt von erhabener Würde,

Tagte mit Aeropos und Dardas, den edlen Magistren,

Dort mit dem Römer trat er in Red' und vernahm seine Forderung.


Sempronius sprach: „Lasst Dimallos, Bargullum und Eugenion

Römischem Recht verfallen, die Parthiner sollen uns dienen!

Atintania sei dir, doch Rom muss nicken dem Bunde!“

Also ward es beschlossen, mit Siegeln festlich besiegelt.

Bithynias König Prusias reichte mit Hand den Vertrag an,

Achäer, Böoter, Thessaler und Akarnanen

Folgten dem Ruf, wie auch Epirus, willig und friedlich.

Gleiches tat Rom: Sie riefen Attalos, Herrscher von Pergam,

Nabis, den finsteren Fürsten der wilden Spartaner,

Eliens Volk, Messene, Athen mit rühmender Eile.


Also versiegelten beide Verträge mit königlichem Zeichen,

Boten entsandt' man nach Rom, um die Bürgschaft des Senats zu empfangen.

Zwei Monde währte der Waffenstillstand, und Rom war gewillt nun,

Froh, sich zu lösen vom Joch so vieler blutiger Kämpfe,

Denn schon lenkten die Führer den Blick auf ferne Gefilde,

Afrika drohte, das Ende des punischen Krieges zu künden.


Nun, als Sempronius rüstig nach Rom mit Eile zurückkehrt,

Nimmt er den Konsulssitz ein, mit Cornelius gleich ihm.

Jener bezieht Etruriens Grenzen mit wachsamer Kriegerschar,

Bruttium ward dem Sempronius selbst zur tapferen Pflege.

Heer war zu sammeln, und neu ward Roms Streitkraft bald entfaltet.


Richter ward Marcius über die Stadt mit festem Gesetze,

Scribonius Libo gebot über Fremde und Gallien,

Sizilien nahm Pomponius an sich mit Herrschermacht,

Sardinien fiel Claudius Nero, dem rüstigen Streiter.

Scipio hielt mit Soldaten und Schiffen ein weiteres Jahr lang,

Während Licinius blieb, wenn der Konsul es forderte, fester

Hüter Bruttiens, rüstig das Land zu bewachen mit Kriegerschar.


Mago in Gallien trotzte, doch Livius hielt ihn in Schranken,

Lucretius stand ihm bei mit kampferprobten Legionen.

Octavius übergab Sardiniens Heer und Befehle,

Nahm sich der Flotte nun an und segelte schützend die Küsten.

Legionen, die einst bei Cannae blutig geschlagen,

Wurden nach Sizilien überführt zur neuernden Übung.

Tarent ward Quinctius anvertraut mit wachsamer Klinge,

Capua hielt Hostilius stark in eiserner Wehrmacht.

Spanien blieb in den Händen bewährter, tapferer Führer,

Lentulus und Manlius hielten das weite Gebiet fest.


Doch in den Straßen Roms erhob sich bang eine Kunde,

Afrika werde schon bald zur blutigen Bühne des Krieges!

Hoffnung mischte sich hier mit Angst in zitternden Seelen,

Denn in den Himmeln erschienen Zeichen gewaltig:

Sonne erschien in zweifacher Form, am nächtlichen Himmel

Blitzte das Tageslicht auf, ein feuriger Stern durchzuckte

Rasch von Osten nach Westen die finsteren Lüfte des Himmels.

Mächtige Blitze zerschmetterten Tore und Mauern,

Lärm erhob sich in Juno Sospitas heiliger Stätte.

Beten geboten die Priester, um Zeus zu versöhnen,

Neun Tage lang ward Opfer gebracht, um Zeichen zu deuten.


Und nun kam Idaeas Mutter, die heilige Göttin,

Weithin gefürchtet, verehrt in frommen Gebeten.

Nah schon war ihre Ankunft, so sprachen eilende Boten,

Tarracina sah sie zuerst, mit Ehrfurcht empfangen.

Doch wer sollte mit eigener Hand den heiligen Stein nun

Führen nach Rom, wer durfte die Göttin erheben?

Edle versammelten sich, doch einzig Scipio wurde

Auserkoren als Bester im Reiche der römischen Männer.

Jung noch war er, doch Ehre und Glanz umgaben den Helden,

Denn sein Vater war ruhmvoll gefallen in Spaniens Weiten.


Hoch auf des Tiber Wogen erschien das römische Schiff nun,

Trug in geheiligtem Raum die göttliche Mutter Kybele.

Scipio, Feldherr der Stadt, er stand an der Ufer des Meeres,

Folgte getreu dem Gebot, das ihm der Senat auferleget.

Als nun die heilige Fracht die Fluten des Stromes verlassen,

Trat er hervor und empfing die Gottheit mit ehrfurchtsvoller

Hand aus den Händen der Priesterinnen, den Dienerinnen

der Herrin, Mutter des Lebens, der starken, erhabenen Kybele.

Draußen am Ufer empfingen ehrwürdige Frauen der Stadt sie,

Trugen mit ehrfürchtigem Sinn die Hohe zu ihrem Altare.

Claudia Quinta, ihr Name leuchtet in römischen Annalen,

Ihr war im Volke zuvor ein zweifelhaft Bild angehangen,

Doch durch die göttliche Pflicht, die rein sie in Ehren erfüllte,

Ward sie gepriesen als Maid, die tugendhaft rühmlich bestehet.


Durch die belebten Straßen der Stadt die Priester sie trugen,

Volk kam eilenden Schritts, um segnend die Arme zu heben.

Räucheraltäre erglühten, ein duftender Weihrauch entstieg ihnen,

Betend erflehten sie Heil und Segen der göttlichen Herrin,

Daß sie mit willigem Sinn in Roms starke Mauern nun einzöge.

Zwo Mal sechs der April war segnender Tag dieser Feier,

Priesterin schmückten den Tempel, der Herrin zu Ehren errichtet.

Opfer gebracht ward in Menge, die Menge zum Festmahl sich reihte,

Spiele geordnet, und bald, die Namen Megalesia tragend,

Schufen sie Freude und Glanz in ewiger Wiederbegehung.


Doch in den Häusern der Väter erklang ein zürnendes Reden.

Lange schon währte der Krieg, und Männer in blutiger Schlacht starben,

Doch jene zwölf der Kolonien, die Roms Ruf nicht gefolget,

Lebten in Friede und Ruh, seit Jahren befreit von den Diensten.

Nun, da der Krieg sich entfernt und Siege die Stadt bekränzten,

Forderte Roms hoher Rat gerechte und harte Vergeltung.

Sogleich erging das Gebot, den Ältesten jedes der Orte,

Führer und Ratsherren, eilends herbeizubefehlen.

Jede der Städte soll nun in doppeltem Maße Soldaten

Stellen, gerüstet mit Schwert, und hundert und zwanzig der Reiter.

Konnten sie jene nicht bieten, so ward ihnen auferlegt worden,

Dreifach die Zahl an Fußvolk zur Reiterschuld hinzuzufügen.


Reichste der Bürger zu stellen ward nun das eisige Urteil,

Jenseits Italiens Land, in fernere Kriege zu senden.

Taten sie wider den Spruch, so sollten in Roms Mauern

Alle Gesandten verbleiben, und keiner erhielte Gehör mehr.

Ebenso ward ihnen aufgetragen, den Zehnten zu geben,

Jährlich dem Staat als Tribut, wie Roms Bürger es leisten.

Hart war das Wort des Senats, und dunkel die Mienen der Großen.


Da sie das Urteil vernommen, erschollen lärmende Stimmen,

Grollend verneinten sie all das Gebot, das Rom ihnen stellte.

Wie, so schrie'n sie voll Zorn, so viele Soldaten zu stellen?

Kaum noch vermochtens sie einst, doch nun sei das Maß überzogen!

Bettend um Gnade, doch Roms hohe Väter verharrten

Fest in dem strengen Gebot und wiesen mit Miene des Ernstes

Jegliches Flehen zurück. So kehrten die Männer der Städte

Heim, um den Spruch zu erfüllen, denn Hoffnung war keiner gegeben.

Murrend ergaben sich alle, der Notwendigkeit unterworfen.


Lange vergessen im Rat der erhabenen Väter zu Rom ward

Jenes Anliegen nun vorgebracht durch Valerius Laevin,

Der mit Claudius einst die Würde des Konsuls getragen.

Würdig sei es und recht, so hob er mahnend zu sprechen,

Dass die Summen, die einst aus privater Barmherzigkeit flossen,

Endlich erstattet nun würden von römischer Kasse.

Niemand dürfte sich wundern, dass ihm solches am Herzen,

Denn in jenem Jahr, da die Not des Krieges erdrückend

Lastete auf dem Volk, als Steuern nicht mehr zu zahlen,

War er es, der mit feurigem Wort und erhabener Mahnung

Rief nach den Spenden der Bürger und Helfer in dunkler Bedrängnis.


Freudig erinnert an jene vergangene Tugend,

Stimmten die Väter dem Antrag zu und beschlossen alsbald es,

Dass die Schulden in drei verschiednen Teilen zu zahlen,

Erstens sofort durch die Konsuln, die grade regierten,

Zweitens von jenen, die nach zwei Jahren die Würde bekleiden,

Drittens durch jene, die vier Jahre später berufen.


Doch alsbald ein schrecklicher Ruf aus der Ferne erklang nun,

Jener von Locri, der Stadt, die nun am ärgsten gelitten,

Grausame Kunde, bisher von den Römern verborgen,

Doch nun erschütternd bekannt durch die Stimmen der Boten.

Schwere Klage erhob sich, Verbrechen des dunklen Pleminius

Und gar mehr als das: Die Schuld und die Schmach des Scipio selber.


Dort in den Hallen des Forums, auf hohen tribunalen

Traten sie vor, die Gesandten von Locri, gekleidet in Trauer,

Streckten die Zweige des Olivenbaums mit flehendem Rufe,

Warfen sich nieder, mit Tränen und Klagen die Stimme erhoben.

"Volk von Rom! Wir sind Locrier, die euch stets treu ergeben,

Doch was wir leiden, ist schlimmer als je durch Karthagos Tyrannen!

Euer Pleminius, wilder als Feinde, grausamer wütend,

Raubet und mordet, entehrt die Frauen, schlachtet die Kinder!

Jede Stube ist leer, kein Herd mehr wärmt unser Leben.


Wenn ihr noch Recht bewahrt, wenn noch Gerechtigkeit herrscht hier,

Richtet uns Hülfe zu, vor euren Schranken wir flehen!"


Höret, ihr Männer, der Götter geheiligte Stimme,

Denn ein Frevel geschah, der die Herzen mit Schauder erfüllet.

Gerne, o Väter des Reichs, wir wollten euch Kunde nun geben,

Was uns widerfuhr, auf dass ihr erkennet die Wahrheit

Und, so ihr es richtet, das Land von dem Frevel befreiet.


Siehe, wir wissen, mit frommem Gemüth ihr ehret die Himmlischen,

Nicht nur die eigenen, nein, auch fremde Götter verehret.

Doch in der Stadt, wo wir wohnen, erstrahlt ein geheiligtes Heiligtum,

Proserpina geweiht, berühmt durch uralte Legenden.

Selbst euer Feind, der große Pyrrhus, vernahm von der Kunde

Dieses Heiligtums, als er stritt in Italiens Lande.


Als er zurückkehrte einst von Siziliens küstlicher Schöne,

Rastete kurz in Locri und lästerte schändlich die Göttin,

Raubte das heilige Gut, das nie ein Sterblicher rührte,

Nahm es an sich, auf Schiffe verladen, und eilte von dannen.

Doch, ihr Männer, vernehmt das grausige Strafgericht:

Schon am folgenden Tag brach tobend der schrecklichste Sturm los,

Zerbrach seine Flotte mit Macht und schleuderte grollend

All seine Schiffe ans Land, die den heiligen Schatz noch bewahrten.


Pyrrhus erkannte nunmehr die gerechte Gewalt der Göttin,

Sammelte eiligst das Gold, das ihm nicht war bestimmt,

Brach auf, es zurück in den Tempel der Jungfrau zu bringen.

Doch sein Los war besiegelt; nie mehr war ihm Glück noch gewogen.

Bald aus Italien selbst vertrieben, fiel er im Dunkel

Argos' Mauern zur Nacht und starb in schmachvoller Weise.


Eure Feldherren, die Tribunen, vernahmen die Kunde,

Hörten von Pyrrhus' Geschick und den Zeichen der Mächtigen,

Doch verachteten frech den warnenden Ruf der Geschichte.

Sie, die entweihten den Schatz, erlagen dem Fluch der Göttin.

Böse Zwietracht entbrannte im Heere, brüderlich tobte

Schrecklich die Schlacht, nicht gegen Karthago gerichtet,

Nein, sie zerfleischten sich selbst, als hätt' sie der Wahnsinn befallen.


Pleminius tobte mit Wut, die Tribunen bestrafend,

Schlug sie mit Ruten, doch fiel er zuletzt ihrer Rache zum Opfer.

Gehackt und verstümmelt lag er, sein Antlitz entstellt

Ohne Ohren und Nase, blutend und schaurig entstellt.

Doch als Genesung ihm kam, nahm furchtbare Rache der Schänder:

Fesselte jene in Eisen, misshandelte sie ohne Gnade,

Peitschte sie grausam wie Sklaven und stieß sie zuletzt in den Tod.

Nicht einmal Erde zum Grabe, kein Frieden nach Ende des Lebens.


Seht, o Väter, der Fluch ist gewaltig, sein Ende nicht nahe,

Wenn ihr nicht reinigt das Land von dem Frevel, der es beflecket.

Noch tobt der Zorn der Göttin, noch rast ihre furchtbare Rache,

Bis dass das heilige Gut zurück in den Tempel getragen.


Schon in vergangener Zeit, als Krotons Heere uns dräueten,

Wollten die Alten den Schatz ins Herz der Stadt nunmehr bergen.

Doch da erklang eine Stimme, mit donnerndem Rufe sie warnte:

"Rühret nicht an mein Gut, denn ich schütze den Tempel der Jungfrau!"

So ward das Gold nicht entfernt, und als Mauern erbaut,

Sanken sie krachend in Staub, als warnender Wink der Erhabnen.


Nun, o Männer, vernehmt unser Flehen, reinigt das Unheil!

Lasset nicht weiter uns schmachten in Schrecken und Not,

Sondern erhebt euch gerecht, verurteilt die ruchlosen Frevler.

Denn mit den Frevlern zusammen zu leben, heißt sterben in Schande!

Schenket uns Schutz, der gerechte Entschluss liegt nun in den Händen

Eurer Weisheit allein, auf dass das Heil sich erneue!

Fabius trat vor das Gremium, hob seine Stimme gewaltig:

Höret, Senatoren! Ich ford’re mit schärfster Entschiedenheit dies nun:

Pleminius schleppet in Ketten nach Rom, auf dass er erscheine,

selber sein Urteil erflehe und büße, so schuld er gesprochen.

Sollten die Worte der klagenden Lokrer wahrhaftig sich zeigen,

sei es beschlossen, dass sterbe der Frevler im finsteren Kerker,

sein ganz Hab und sein Gut dem Staate verfalle sodann auch!

Was nun den Publius Scipio trifft, so mögt ihr erkennen:

Ohne Befehle verließ er sein Amt und sein herrschendes Rechte,

darum berufe man ihn, ihn werfe dem Volk vor die Richter,

nehme sein Banner ihm ab und beende die mächtige Führung!

Lokrern gebietet der Rat, dass sie wieder in Hallen sich fügen,

dass sie vernehmen, die Väter der Stadt und das Volk missbill’gen

gänzlich die Untat, die dort an den römischen Freunden geschehen,

und dass sie uns, wie zuvor, als Getreue der Stadt wir erkennen.

Alle Gefangenen, Frauen und Kinder, das Gut und das Habe

soll man zurück nun geben, auch alles, das ihnen entrissen.

Gold aus der Kasse der heiligen Göttin, die Proserpina heißet,

samml’ man erneut und doppeltes Opfer ihr dar zu erstatten.

Was zur Entsühnung geschehe, das prüfe das Priesterkollegium:

Welche Gebete zu richten, wie viele Altäre zu schmücken,

welche der Götter erzürnt, und welches der Opfer erforderlich sei nun.

Jene Legionen von Lokrern schickt fort und ersetze die Krieger,

vier Lateinische Kohorten als Wachen dort setzet alsdann ein!“


Laut war der Tadel, doch Scipios Männer entrüstet erwiderten,

nicht bloß die Taten des Frevlers nun lasteten ihm auf den Schultern:

Nein, auch das Römergewand verachtete all seine Gegner!

Nicht wie ein Krieger erschien er, ein Grieche in Mantel und Sandal’ trat

Scipio auf in den Hallen der klugen und edlen Gelehrten,

wo er verweilte bei Athleten und Rednern in träger Verzückung.

Dort auch schwelgte sein Stab in den Lüsten der Stadt Syrakusens,

Sitten verweichlicht, dem Kriegsgeist fern und dem heiligen Ruhme.

Hannibal ward schon vergessen, kein Blick mehr den Feinden gewendet,

und das Heer war entartet, entfremdet dem Römergedanken.

Skrupellos hausten sie jetzt, den Verbündeten grausamer noch als

jene, die draußen als Feinde am Schwert der Gerechten vergehen.


Doch als Metellus erwidernd das Wort in die Mitte nun führte,

neigte die Menge sich ihm, der besonnener Klugheit vertraute:

Recht hat der Redner in vielem, doch schmäht er zu Unrecht den Scipio.

War er nicht eben zum Führer des Heeres nach Spanien auserkoren?

Nahm er das Land nicht im Sturm, ward dann zum Konsul erhoben?

Nun noch liegt unsere Hoffnung in ihm, dass Afrika falle,

Hannibal fliehe und Rom den Frieden der Waffen gewinne!

Ihn nun gleich einem Verbrecher zu rufen, bevor er gesprochen,

eh noch der Schuld ihm erwiesen, das ziemet sich römischen Vätern?

Wahrlich, wenn Sanftmut sein Fehler, doch nimmer verräterisch Sinnen!

Darum gebietet mein Spruch: Dass Pomponius, Praetor der Insel,

sich aufmache bald, von Senaten erwählte Gefährten zu führen,

zehn der Bewährten und ebenso Tribunen, dazu einen Aedil.

Jene befragen in Lokrern, was wahr sei an alledem Worte,

und, wenn sich zeiget, dass Scipio schuldig, dann rufe man heim ihn!

Doch wenn er nicht es gewesen, dann soll er behalten sein Amt auch,

weiter zu führen den Krieg mit der Weisheit, die Rom ihm vertraute!“


So war beschlossen und ward dem Priesterkollegium ferner

aufgetragen zu prüfen, wie heilig die Schuld sich entsühne.

Jene Tribunen sodann mit dem Praetor begaben sich eilends,

Lokrern zu lauschen, von dort über Messana weiterzuziehen.


In den Gefilden von Rom, wo die Senate die Schicksale lenken,

Ward ein Urteil gefällt über Pleminius' Frevel und Taten.

Zweierlei Kunde vernahm man von dem, was ihm widerfahren:

Einst sollt' er hören den Spruch, der in Rom ward beschlossen, und eilte

Flüchtig zum Meere hinab, nach Neapolis suchte er Exil.

Doch Metellus, ein Mann aus dem Kreise der zehn Senatoren,

Traf ihn am Wege und griff ihn und brachte den Frevler zurück nun

Dorthin, wo Regium lag, um dort ihn gefangen zu halten.

Andere aber berichten, dass Scipio selbst einen Boten

Schickte mit Reitern, dreißig an Zahl, die edelsten Männer,

Jene, die Pleminius selbst mit den Rädelsführern des Aufruhrs

Fesselten streng und ihn übergaben in eiserne Ketten.

Dort in Regiums Mauern bewahrt’ man ihn sicher gefangen.


Als die Gesandten sodann nach Lokrien kamen, begannen

Sie mit frommer Pflicht: Sie sammelten all das geweihte

Gold, das geraubt von den Händen der ruchlosen Krieger gewesen,

Legten es nieder erneut an der Stätte des heil’gen Altars.

Opfer vollbrachten sie dann, um den Frevel der Götter zu sühnen,

Riefen die Himmlischen an, dass sie wieder das Volk ihnen gnädig.


Riefen die Himmlischen an, dass sie wieder das Volk ihnen gnädig.

Dann versammelte bald der Prätor die römischen Krieger,

Sprach ein Gesetzesgebot, das mit schrecklichen Strafen sie warnte:

Keiner verbleibe in Lokrien mehr, kein Beutegut trage

Jemand hinweg, der nicht recht es besaß nach ehrlichen Sitten.

Sogleich ließ er die Banner erheben, hinaus aus den Mauern

Trug man die Zeichen des Heers und schlug im Felde die Lager.

Frei war nun Lokrien wieder, den Bürgern gab man das Recht, sich

Alles zurückzunehmen, was einst ihnen eigen gewesen.

Jene, die Sklaverei in die Finsternis schmählich gestoßen,

Fanden Erlösung; und wer sich weigerte, Freiheit zu schenken,

Sollte die härteste Strafe erdulden durch römische Hand nun.


Bald nun versammelt’ der Prätor die Bürger in feierlich Kreise,

Sprach zu den Männern und Frauen, den Greisen, den Söhnen der Väter:

Roms hoher Senat hat euch nun das Gesetz und die Rechte

Wiedergegeben, ihr seid, wie zuvor, nun freie Gemeinde!

Doch wer zu klagen begehrt über Pleminius' Frevel,

Folge mir schleunig nach Regium hin, um Gerechtigkeit einzuklagen!

Solltet ihr ferner verlangen, dass Scipio selbst soll erscheinen,

Sendet Gesandte hinaus nach Messana, dort wird Gericht sein.“


Dankbar verneigten sich da die versammelten Männer von Lokrien,

Lobten den Prätor und rühmten den hohen Senat von den Römern.

Rasch verlangten sie, Pleminius' Schuld vor Gericht zu beweisen,

Doch über Scipio sprachen sie Worte der milderen Art nur:

Wahrlich, er sah wohl nicht unser Leid, doch wünschen wir lieber

Scipio gnädig zum Freund als schrecklich zum zürnenden Feinde.

Nicht mit Befehlen von ihm, nicht unter seinem Gesetze

Wurde der Frevel begangen, noch tat er es willig gedulden.

Doch zu vertrau’n war er blind dem tückischen Räuber Pleminius,

Traute zu wenig zugleich den Stimmen der klagenden Bürger.

Manche, die keine Untat begeh’n, doch fehlt ihnen Stärke,

Richten auch Unrecht nicht, wenn es getan ward mit frevler’scher Hand schon.“


Dieses zu hören, erfreute den Prätor und alle Gesandten,

Denn nicht länger bedurfte es nun, Scipio selbst anzuklagen.

Pleminius aber und jene, die ruchlos mit ihm sich verbündet,

Wurden gefesselt gebracht nach Rom, zu des Urteils Entscheidung.


Kaum nun die Schuldigen fest in Ketten nach Rom sie gesendet,

Machten die Boten sich auf, um Scipio selbst zu ergründen,

Ob an den Worten der Menge, den flüsternden dunklen Gerüchten,

Wahrheit verborgen sich hielt: ob schwelgend im Übermaß Leben

Scipio führte und schwach von sinnenfroher Genüsse

Lust ihn betörte, so dass er vergäße der römischen Tugend.


Während sie noch unterwegs nach Syrakus eilten, bereitet’

Scipio listig sich vor, nicht Worte, nur Taten zu sprechen.

Rief er die Krieger herbei aus den Lagern der Stadt, um im Kampfe

Übung zu zeigen, als stünd’ er bereit, mit der Flotte und Heere

Jenen Tag zu erwarten, an dem er Karthago bezwinge.

Mächtig erhoben sich Schilde und Schwerter in blinkender Ordnung,

Rüstig bewegten die Scharen sich wild in den kreisenden Reigen,

Sprangen voran mit den Speeren, als wär’ es die blutige Schlacht schon.

Gleichzeitig tobten im Hafen die Schiffe, die römischen Ruder

Teilten das schäumende Meer, und die Krieger erprobten die Stürme,

Gleich einem Kriegsspiel, das doch bald zur Wahrheit sich wenden

Sollte, wenn Afrika selbst von römischem Stahle durchdrungen.


Staunend betraten die Boten die Hallen der rüstigen Krieger,

Schauten die Waffen, die Speere, die Sättel der glänzenden Reiter,

Sahen die Wagen und Klingen, die blinkenden Helme der Krieger.

Da ward ihr Zweifel verflogen, sie sahen: Kein träges Vergnügen,

Keine verweichlichte Lust, kein rauschender Übermut hielt ihn,

Scipio, den starken, der bald schon Karthago bezwingen sollte.


Froh nun entboten sie ihm das Wort des Senates, es schalle:

Fahre mit segnender Flotte hinüber zum feindlichen Ufer!

Rom hat dich gewählt, und dich hat die göttliche Vorsehung auserst

Herr der Geschicke zu sein und über das Schicksal zu walten.

Siegreich sollst du mit Glanz und Ruhm einst heimwärts uns kehren!“

Freudig und heiter verließen sie Scipio, froh in den Herzen,

Trugen nach Rom die Kunde, als hätten sie selbst schon gesieget,

Nicht eine Botschaft allein, doch den Ruf eines Sieges vernommen.


Während die Boten zurück nach Rom mit Eile sich wandten,

Führte man Pleminius schon in der Stadt durch die Straßen,

Schwer an den Ketten, gezeichnet von Wunden und Jahren der Schande.

Bald vor den Richter geführt, wo das römische Volk sich versammelt,

Stand er verhasst und verflucht, der Henker von Lokrien, nieder.

Denn noch erinnerte sich das Volk an der Frevler Verbrechen,

Sah in Gedanken den Raub, das Blut und die schändlichen Taten.

Zornig verlangten sie Rache, und niemand im Kreise der Menge

Hatte Mitleid mit ihm, noch wünschte, sein Urteil zu mildern.


Doch als man öfters ihn brachte vor Augen der Bürger,

Sah man die Spuren der Qual, die Kerker und Schläge gezeichnet.

Jene, die einst ihn verdammt, begannen, das Leid zu bedenken,

Nicht aus Erbarmen mit ihm, doch weil Scipio ihn einst begnadigt.

Seine Gestalt, nun gebrochen, sein Leib, von Wunden durchfurcht schon,

Rief eine schleichende Gunst, ein leises Mitleid den Bürgern.

Doch ehe vollendet das Urteil und Gnade ihm sicher,

Starb er allein in der Zelle, der Strafe zuvor schon entronnen.


Aber noch dunkle Gerüchte von Taten der finsteren Schatten

Schwangen durch Rom, es erzählte Licinius später in Schriften,

Dass er, Pleminius selbst, mit Gold sich Freunde gewonnen,

Jene, die Feuer entzünden im heiligen Herzen der Mauern,

Während die Spiele im Staate, die Scipio selbst hatte feiern

Nach dem Gelübde des Siegs, im zweiten Konsulate seines.

Flammen, so hoffte der Frevler, verwirrten die römischen Straßen,

Machten die Wächter verwirrt, und dann, in der aufbrechenden Nachtzeit,

Wollte er fliehen in dunkler Verkleidung hinaus aus dem Kerker.

Doch es misslang ihm der Plan, und als das Senatswort erschallte,

Führte man jenen erneut in das düstere Tullianum,

Eingesperrt, in der Finsternis bald schon gestorben, vergessen.


Scipio aber, gelobt von den Vätern und römischen Männern,

Rüstete weiter sein Heer, um über die Meere zu segeln,

Hin zu den Feinden, die trotzig in Afrikas Reichen sich rüsteten,

Wartend auf jenen, der bald mit Speeren und Schwertern hinüber

Fahren und Rom mit dem Ruhm der ewigen Siege bekleiden.


Scipio rüstete nun die Flotten, die römischen Heere,

Sendete Boten hinaus zu den Städten, den treuen Vasallen,

Rief die Verbündeten auf, ihm Krieger und Schiffe zu stellen.

Mächtig erklangen die Waffen, es dröhnten die Schmieden in Rom nun,

Klingen geschärft für den Krieg, und Helme gegossen aus Eisen.

Bald schon entbrannte der Hafen in Hast und geschäftigem Treiben,

Männer bestiegen die Schiffe, die Segel voll Wind in den Stürmen,

Ruderer fuhren hinaus, um die Küsten zu hüten vor Feinden.


Doch in den Hallen des Senats ward nochmals beraten,

Wer mit Scipio ziehn und wer in Sizilien bleiben solle.

Jene, die mutig im Kampf erprobt auf italischem Boden,

Sollten mit ihm nun fahren, die Wellen durchkreuzen in Kühnheit.

Andere aber, die schwächer an Kraft oder wankend an Herzen,

Blieben zurück, um die Insel mit wachsamem Auge zu hüten.

Frei ward die Wahl ihm gegeben, zu nehmen die Besten der Scharen,

Jene, die Treue geschworen, die kampfbereit standen mit Schwertern.


Kaum war das Urteil gefällt, so rief er die tapfersten Männer,

Sammelte römisches Blut, das Feuer des Sieges im Herzen,

Gab ihnen Zeichen des Aufbruchs, befahl, sich zu schiffen gen Afrika.

Und als der Morgen erwachte, da zogen die glänzenden Reihen,

Römische Krieger in Eisen, mit wehenden purpurnen Fahnen.

Schaudernd erblickten die Bürger den mächtigen Zug in den Straßen,

Frauen mit bebenden Herzen, die Alten mit ehrfürcht’gen Blicken.

Denn sie erkannten in ihnen die Streiter der großen Entscheidung,

Jene, die fern in den Ländern den Ruhm ihrer Heimat vermehrten,

Oder gefallen im Kampf als Helden der ewigen Zeiten.


Scipio stieg auf das Schiff, die Segel gebläht von den Stürmen,

Ruderschlag hallte aufs Meer, das silbern die Wellen bewegte.

Rasch glitten Schiffe dahin, ein Wald von Masten und Segeln,

Hin zu den Küsten der Feinde, wo Schicksal und Tod sie erwarten.


Rasch nun trieb sie der Wind, und schäumende Wogen umbrandet’

Heftig die römischen Schiffe, die glänzenden Segel gespannt schon.

Vögel begleiteten sie, als wollten sie künden den Kriegern,

Dass sie geführt von den Göttern nun fuhren zu herrlichen Taten.

Hoch aus den Reihen der Männer erschollen die Lieder des Aufbruchs,

Sangen vom Ruhm und vom Sieg, von Rom, von den ewigen Vätern,

Sangen von Ahnen, die einst mit Schwertern die Feinde bezwangen,

Nun auch sie, so schworen sie laut, mit Feuer und Eisen zu streiten.


Afrika ragte am fernsten Horizont aus den Fluten,

Dunkel und brütend im Glanz der glutheißen brennenden Sonne.

Dort, so wussten sie wohl, stand Karthago, trotzig erhoben,

Reich an Gold und an Macht, an unzähligen Scharen von Kriegern,

Reich an den Reitern Numidiens, schnell wie der Sturm über Felder.

Dort, wo der Boden getränkt von Blut unzähliger Kämpfer,

Dort, wo Rom schon zuvor bittere Niederlagen erlitten,

Dort sollt’ sich heben der Streit, der über die Zukunft entscheide.


Kaum nun die Küste erreicht, so befahl der mächtige Feldherr

Schiffe zu sichern am Strand, die Reihen zum Kampfe zu ordnen.

Rasch stiegen Männer ans Ufer, den Schild an den linken Arm haltend,

Fest in der Rechten das Schwert, den Blick auf die Feinde gerichtet.

Keiner sprach ein Wort, nur das Rauschen des Meeres erklang noch,

Nur das Klirren der Waffen, das dumpfe Dröhnen der Schritte.


Doch als der erste der Feinde erschien auf den Höhen des Landes,

Rief Scipio laut mit donnernder Stimme den römischen Kriegern:

Heute, ihr Männer von Rom, entscheidet das Schicksal der Zeiten!

Hier, auf dem Boden der Feinde, beginnt unser letzter Kampf nun.

Nicht soll Karthago bestehen, nicht länger trotzen dem Reiche,

Das durch die Götter gelenkt und groß durch die Väter geworden!

Folgt mir mit Schwert und mit Schild, und siegt, oder sterbet als Helden!“


Hoch nun erklang das Rufen der Männer, das Schlagen der Waffen,

Donnernd marschierten sie vor, wie ein Sturmwind brausend die Wogen,

Hin zu den Feinden, die schon in bebender Eile sich rüsteten,

Hin zu der Schlacht, die das Schicksal der Welt für immer besiegeln.


Als in der römischen Stadt die Geschicke bewegten die Großen,

Hielten in Karthagos Reich die Wächter die Blicke gerichtet,

Spähend von schroffen Klippen hinab auf die schäumenden Wogen,

Lauschten gespannt auf Boten, die Neuigkeiten verkündeten,

Bang durch den Winter hindurch, von Furcht und Hoffnung getrieben.


Syphax, der mächtige König, der Numidier tapfrer Beherrscher,

Ward ihr Verbündeter nun, zu schirmen Afrikas Lande,

Da sie gewusst, dass Römer mit ihm im Bunde zu landen

Wagten und stürmend das Reich mit speerbewehrter Entschlossenheit trafen.

Hasdrubal, kluger Gesandter, der einst in Spaniens Gefilden

Scipio traf am Hof des Königs, schuf eine Bindung,

Die durch die Tochter gestärkt, des mächtigen Feldherrn Geschlecht war.

Ehelich wollte der Fürst das blühende Mädchen umfangen,

Denn die Numidier sind in der Liebe wie Flammen entbrannt.

Rasch ließ Hasdrubal sie rufen aus karthagischer Heimat,

Führte die Hochzeit herbei und stärkte das Bündnis mit Worten,

Sicher beschworen im Eid, mit gleichem Freunde und Feinde.


Doch er gedachte zugleich des Pakts, den Scipio schloss einst,

Wusste, wie wandelbar stets der Barbaren Launen sich zeigten.

Fürchtete, sollte der Römer mit Schiffen landen am Strande,

Würde der junge Syphax sich nicht durch das Ehebündnis

Halten und kampfesbereit den alten Schwur wohl verraten.

So, als der Fürst noch brannte in heißer Liebe gefangen,

Drang er auf Sendung der Boten zu Scipios Lager in Syrakus,

Mahnte, er solle nicht trauen dem Wort aus älteren Tagen,

Da er nun Karthagos Geschlecht in seinem Blute verwahrt.

Sollten die Römer sich fern von Afrikas Küsten bekriegen,

Fern von dem Land, das ihn zeugte, dem Heim, das er schützen geschworen.


Boten gehorchten dem Ruf, sie eilten durch brausende Meere,

Landeten sicher am Strand, betraten die Gassen von Syrakus,

Suchten das römische Lager, gelangten zu Scipios Hallen.

Dort nun trugen sie vor des numidischen Königs Vermahnung,

Mahnten, das Schicksal zu wenden, den Krieg von Afrika fernzuhalten.

Scipio hörte das Wort, doch tief in der Seele bewegte

Sich seine kluge Gedankenmacht, wie er dies wenden

Könnte zum Vorteil des Plans, den er lange gehegt in der Stille.

Wusste, dass Syphax entfremdet, sein Bund mit Rom nun zerrissen,

Doch er verbarg sein Gefühl, ließ schnell die Gesandten entbieten,

Hüllte in schöne Worte den Ernst der gebrochenen Treue,

Schrieb an den König zurück mit warnendem, mahnendem Tone:

Denk an den Eid, den wir schwuren, an Götter, die solches bewachten!

Brichst du die Treue an Rom, so wird der Himmel dich strafen!“


Doch als die Boten entflohn mit eilenden Schritten vom Lager,

Wusste der Feldherr wohl, dass alles geheim nicht zu halten.

Streifend durch Straßen und Höfe, sah man die Männer der Fremde,

Rasch schon flüsterten viele von dunklen Geschicken der Zukunft.

Scipio, klug und gewandt, begriff die drohende Stunde,

Nicht durfte Zweifel erblühn in den Herzen der römischen Krieger,

Nicht durfte Furcht sich regen, noch Schwäche die Reihen durchschauern.

Rasch rief er mutig die Scharen der Legionen zusammen,

Trachtete, statt der Wahrheit, ein trügerisches Wort zu verbreiten.

Laut nun sprach er zu ihnen, die Schwerter gen Himmel erhoben:


Männer! Es ruft uns der Krieg, es treiben die Zeichen zum Aufbruch!

Lang schon warten die Fürsten, die römischem Banner verpflichtet,

Längst schon drängt Masinissa, dass wir nicht zögern und zagen!

Selbst auch Syphax befiehlt, dass eilig das Heer nach Afrika ziehe,

Sonst, so spricht er, muss er selbst um seine Lande besorgen

Handeln, wenn Rom nicht kommt mit speergewappneter Stärke!

Darum, ihr Männer, versammelt euch, eilet nach Lilybäum!

Dort soll sich flammend der Wille zum Siege für Rom nun erheben!“


Solches verkündete Scipio laut inmitten der Menge,

Täuschte die Krieger geschickt, dass niemand den wahren Verlauf sah.

Schnell nun sandte er Boten zu Pomponius, riet ihm,

Kommen nach Lilybäum, die besten Soldaten zu wählen,

Schiffe zu sammeln in Scharen, die ganze Küste zu rüsten,

Dass, wenn die Winde es wollten, das Heer nach Afrika segle.


Als nun Scipio rüstete seine gewaltige Flotte,

Zog er mit sorgender Hand die Linien des Heeres geordnet.

Streitbar riefen die Stimmen der Befehlenden laut durch die Reihen,

Horden von Reitern und Fußvolk versammelt zum Zuge nach Afrika.

Doch wie viele Soldaten an Bord sich fanden, war fraglich:

Manche erzählten von zehntausend, samt zweitausend der Reiter;

Andere sprachen von sechzehntausend Mann, mit geringeren Rossen,

Wiederum andre verdoppelten kühn die gewaltige Menge.


Coelius schwieg von den Zahlen, doch groß war die kühne Beschreibung:

Flügelschlagende Vögel fielen betäubt aus den Lüften,

Als die Heerscharen schrien mit dröhnenden, donnernden Stimmen.

Jene Unzahl der Krieger erschien, als bliebe kein einziger Römer

Mehr in der Heimat zurück, noch einer der Brüder in Sizilien.


Scipio selbst überwachte den ordnenden Zug an die Schiffe,

Lelius gebot über Flotten und Seemänner, fest an den Plätzen.

Alles Gepäck war verstaut, vierzig und fünf ganze Tage

Konnten sie zehren von Nahrung, gekocht für fünfzehn der Tage.

Wasser genug lag bereit, den Männern und Pferden zu dienen.


Als nun endlich das Heer in die wartenden Schiffe gestiegen,

Kamen die Steuerleute und Käpt'ne ans Ufer gerufen.

Dort in der Mitte des Markts erhielten sie weise Befehle:

Still sollten alle verbleiben, nicht störend die Werke der Seefahrt.

Zugleich ward verkündet, wie Scipio selbst mit zwanzigen Schiffen

Links sich zum Kampf ward begeben, mit Lelius rechts ihm zur Seite.

Dunkel verhießen die Zeichen im nächtlichen Dämmer die Ordnung:

Einer der Lichter für Krieger, die Führenden trugen der drei nun.


Ziel war das fruchtbare Land Emporia, üppige Felder

Boten dort reiche Versorgung, von friedlichen Stämmen bewahret.

Eilig, so hoffte der Feldherr, erringe man kampflose Siege,

Ehe von Karthago Hilfe den Wehrlosen eilend entsendet.


Nun als die Nacht war vergangen und dämmernd die Sonne sich reckte,

Laut erscholl das Gebet aus Scipios frommen Munde:

Götter des Landes und Meeres, uns schenket gnädige Zeichen,

Führt unser Streben zum Siege, beschirmet das römische Volk wohl.

Bringt uns zurück aus dem Kriege, mit reicher Beute beladen,

Frei von der Not und geziert von Lorbeer, erworben in Kämpfen.

Mögen die Mauern von Karthago fallen durch rächende Flammen,

Mögen wir tilgen den Hass und das Leid, das sie brachten auf Rom.“


Also sprach er, und warf in die gähnenden Tiefen des Meeres

Blutige Opfer hinab, ein Zeichen dem gnädigen Himmel.

Dann mit gellendem Klang erschallten die Hörner des Aufbruchs,

Segel blähten im Winde, und eilig entschwanden sie seewärts.


Am Nachmittag fiel dichter Nebel auf See hernieder,

Schiffe verloren die Sicht, fast rammten sie einander.

Doch als sie draußen, im weiten Gewässer, die Fahrt nun begannen,

Sänftigte sich auch der Wind und ließ die Segel erlahmen.

Nachts war der Nebel erneut so dicht wie zuvor schon am Tage,

Doch mit der Sonne zerfiel das dunstige Schleiergewand bald,

Plötzlich erhob sich der Wind und frischte kräftig von Neuem.

Endlich erblickten sie Land, und bald schon meldete kundig

Einer der Lotsen dem Feldherrn Scipio freudig:

Sieh nur, nicht weiter als fünf der Meilen entfernt ist die Küste,

Dort vor uns ragt schon das Kap, das Mercurius’ Namen hier trägt.

Willst du befehlen, so steure ich schnurstracks dem Hafen entgegen,

Sicher erreichen wir bald mit gesamter Flotte das Land.“

Scipio blickte zum Ufer hinüber, erhob seine Hände,

Betete, segne doch Gott ihm dies erste Schauen von Afrika,

Bringe dem Reiche von Rom und ihm nur Gutes und Segen.

Weiter nach Süden jedoch gebot er, das Anker zu werfen.

Sanft trieb der Wind sie fort, doch kam wie am Vortag die Nebelschicht wieder

Fiel über Schiffe herab und raubte erneut ihre Sicht nun.

Nächtens ward alles verdunkelt, kein Stern erhellte den Himmel,

Also beschlossen sie dort zu ankern, sicher vor Unglück.

Morgens erhellte das Licht dann wieder das weit sich erstreckende Land,

Frischer als tags zuvor blies der Wind aus gleichbleibender Richtung.

Scipio fragte nun rasch nach dem Namen des nächstliegenden Vorgebirgs,

Pulchrum, das Schöne Kap“, so sprachen die kundigen Männer.

Freudig nahm er dies auf als ein Zeichen des göttlichen Wohlwollens:

Folget dem Omen, hinauf! Wir steuern auf Schönes Kap zu!“

Also gelangte das Heer mit der Flotte ans rettende Ufer.


Kaum war das Land nun betreten, da maßen die Römer ihr Lager,

Hoch auf dem Hügel gelegen, ein sicherer Ort gegen Feinde.

Doch die Bewohner des Landes erblickten mit Schrecken die Flotte,

Schreiend und hastig flohen die Menschen von Feldern und Städten.

Männer und Frauen, mit Kindern in Scharen, verließen die Straßen,

Hastig trieben die Hirten ihr Vieh aus den Tälern ins Inland.

Bald schon schien es, als würde ganz Afrika menschenleer stehen.

Selbst in der stolzen Karthago herrschte verwirrende Furcht nun,

Gleich als stünden die Feinde bereits mit dem Schwerte am Tore.

Nie seit den Zeiten von Atilius Regulus und dem Manlius,

Beinahe fünfzig Jahren, erschien ein römisches Kriegsheer,

Nur kleine Truppen, auf Beute bedacht, verbrannten die Felder,

Raubten, so viel sie vermochten, und flohen zurück auf die Schiffe.

Diesmal jedoch war es anders, so wusste ein jeder dort drinnen:

Scipio kam, nicht um zu rauben, er kam, um das Reich zu bezwingen!


Hastig bewaffneten alle, was Arme tragen vermochten,

Tore verschlossen sie schnell, und wappneten Mauern mit Wachen.

Panik durchzog die Stadt, wie wäre sie schon erobert!

Hasdrubal war wohl der Höchste an Rang und Namen und Reichtum,

Königsgeschlecht verband ihn mit mächtigen Herrschern des Landes.

Doch man erinnerte sich: Schon oft war er unterlegen,

Schlachten verlor er zuhauf gegen diesen römischen Feldherrn.

Niemand vermochte den Kriegern Roms in der Schlacht nun zu trotzen.

Furcht und Entsetzen ergriffen die Stadt, als wär’s schon verloren.


Früh dann am Morgen, als tausend Reiter die Strände erreichten,

Sollten sie kundschaften gehen und Römer am Landen hindern.

Doch da begegneten bald sie den römischen wachsamen Posten,

Scipio hatte zuvor seine Reiter gesandt in die Ferne,

Hoch auf den Hügel gestellt, um weite Sicht zu behalten.

Kämpfend begegneten beide sich nun in tödlicher Fehde.

Römer erschlugen so manchen, doch flohen die meisten im Chaos.

Jung war Hanno, der Führer der Reiter, doch fiel er im Kampfe.

Felder verwüstete Scipio gänzlich, plünderte Städte.

Achttausend Menschen gefangen – befreite und Sklaven zugleich.

Doch was die Römer am meisten erfreute, war Masinissas Erscheinen,

Zweihundert Reiter – so sagten die einen – doch viele berichteten tausend.

Er war ein König der Stämme, geehrt durch römische Freundschaft,

Viel hatte er auszustehen, verlor und gewann seine Krone.

Nun war er hier, ein Verbündeter Roms, bereit für die Kämpfe.


Nicht begehrte der Mann den glanzvollen Königstitel,

Doch dem Knaben, dem Letzten des königlichen Geschlechts,

Lacumazes, verlieh er das hohe Amt des Regenten

Und begnügte sich selbst mit dem schlichteren Namen des Schützers.

Denn er trachtete klug nach Bündnissen, stark zu verbleiben,

Nahm zur Gattin ein Weib aus edlem punischem Hause,

Eine Nichte Hannibals selbst, des mächtigen Feldherrn,

Witwe des edlen Oezalces. Gesandte entsandte

Er nach Syphax, um Freundschaft erneut zu flechten mit ihm,

Dass von allen Seiten gestützt er bereit sei zum Kampfe,

Der ihn bald mit Masinissa entflammen sollte in Streit.


Kaum vernommen den Tod des Oheims und dann des Vetters,

Eilte Masinissa aus fernem Hispanien fort,

Zog hinüber nach Mauretanien, wo zu der Stunde

Baga das Königreich führte mit starker, gebietender Hand.

Innig flehte Masinissa, doch mehr als Geleite

Gönnte Baga ihm nicht: viertausend moh'rische Krieger

Gab er ihm mit auf den Weg, doch kein Heer für den Krieg.

Mit den Seinen zog Masinissa sodann nach Numidien,

Hatte zuvor schon Boten gesandt an seine Getreuen,

Die dem Vater gedient und auch ihm zu folgen bereit waren.

Fünfhundert Numider empfingen ihn dort an den Grenzen,

Doch das mohrische Heer zog ab und kehrte zurück.


Weniger war ihm gefolgt, als er hoffte, doch mutig

Schritt er weiter und sammelte Männer mit eigener Kraft.

Thapsus nahte er nun, wo Lacumazes, der Jüngling,

Auf dem Wege zu Syphax schritt mit gehorsamem Tross.

Eilig flohen die Wachen ins schützende Tor der Stadt,

Doch Masinissa stürmte sogleich und nahm sie im Anlauf.

Manche Truppen ergaben sich ihm, doch andere fielen,

Viele entflohen jedoch in der hastigen Flucht mit dem Knaben

Und erreichten Syphax' mächtige, schützende Mauern.


Diese erste geringe, doch ruhmreiche Tat des Helden

Brachte ihm schnell viele neue Getreue ins Feld,

Aus den Feldern und Dörfern strömten Soldaten des Vaters,

Alte Krieger Galas, die ihm zum Throne verhalfen.

Mazaetullus stand zwar mit mächtigen Waffen bereit,

Fünfzehntausend zu Fuß, dazu zehntausend Berittene,

Doch trotz dieser Stärke vertraute Masinissa auf Mut.

Und mit kluger Taktik und kriegserprobten Veteranen

Trug er den Sieg in der Schlacht, der Feind ward besiegt.

Mit wenigen Männern entfloh der besiegte Beschützer

Mit dem Knaben und suchte Zuflucht in karthagischem Land.

So errang Masinissa das Erbe des Vaters zurück,

Doch erkannte er wohl, dass Syphax noch stärker ihm drohte.


Klug begann er, den einstigen Feind zu versöhnen mit Milde,

Bot dem Knaben den Schutz, den einst Gala Oezalces gewährt,

Und auch Mazaetullus versprach er Frieden und Güter.

Lieber wählte der Mann das Heimatland ohne den Thron

Als ein Leben im Exil und fremde unstete Pfade.

Trotz der Mahnungen Karthagos neigten sie sich Masinissa.


Boncar, des Königs Getreuer, ein wackerer, kampferprobter

Feldherr, ward auserkoren, die schwerste der Taten zu wagen.

Viertausend Männer zu Fuß und zweihundert Reiter begleiteten

seinen Zug, und herrliche Lohnung war ihm verheißen,

Brächte er Masinissas Haupt dem König zurücke,

Oder – was größeren Ruhm ihm brächte – ihn lebend gefangen.


Plötzlich überfiel er die Raubenden, ahnungslos schutzlos,

Hieb eine Menge von Kriegern und Herden hinweg von den Hürden,

Trieb mit wenigen Mannen Masinissa hinauf in die Höhen.

Schon schien jegliche Fehde beendet, da schickte der Feldherr

Männer und Vieh zum König zurück und entließ auch

den Großteil des Heeres, da er der Kämpfer nicht weiter bedurfte.


Nur mit fünfhundert zu Fuß und zweihundert Reitern verblieben,

Jagte er Masinissa nach, der entfloh von den Gipfeln.

In einem Engpass fing er ihn ein und sperrte die Wege,

Schlug ihm die Männer zu Boden und rieb die Maesulii auf fast gänzlich.

Doch Masinissa entfloh mit wenigen, kaum fünfzig Reitern,

Kannte die schroffen Pfade, die niemand sonst ihm genommen.


Boncar verfolgte die Spur und erreichte die Tiefeb’ bei Clupea,

Dort umstellte er ihn und schlug die Seinen zu Boden.

Nur vier entkamen dem Stahl mit Masinissa, dem Wunden

Schwer an der Seite brannten, doch kämpfend entfloh er dem Tode.

Bald erkannten die Feinde die Flucht und schickten Verfolger,

Breiteten aus sich im Feld, um jeglichen Ausweg zu schließen.


Doch an des Weges Ende ein Fluss, gewaltig und reißend,

Trennte die Flüchtenden ab von den Reitern des mächtigen Boncar.

Höher als Todesfurcht stand ihr Wille zum Leben,

Stürzten sich ohne Zögern in brausende, strömende Wellen.

Zwei ertranken im Blick der Feinde, doch Masinissa

Fand mit zweien das Ufer und barg sich tief in den Büschen.


Hier nun endete Boncars Jagd, da kein Gegner mehr schien,

Eilte zurück zum König mit Siegesbotschaft der Lüge.

Botschaft trug es nach Karthago, Masinissa sei tot,

Und das Gerücht zog weithin durch Libyens reiche Gefilde.


Doch Masinissa, verborgen im Fels, verbarg seine Wunden,

Pflückte heilende Kräuter, genährt von den mutigen Treuen.

Kaum dass die Schmerzen gewichen, da schwang er aufs Ross sich

Und mit verwegener Kühnheit erneuerte er seinen Anspruch.

Kaum vierzig Reiter sammelte er auf der Fahrt,

Doch bei den Maesulii schallte sein Name und Ehrfurcht

Bebte in Herzen der Männer, da tot er geglaubt ward.


Bald wuchsen Scharen zu Tausenden, Sechstausend zu Fuß,

Viertausend Reiter folgten dem Fürsten, der lebend

Wiedererschien, um sein Recht mit dem Schwert zu verteid’gen.


Nun begann er den Kampf und fiel über Feinde der Karthager,

Warf sich mit stählerner Faust auf das Land der Syphax.

Dies zwang den König zur Wehr, doch klug war Masinissas Rat:

Hoch in den Bergen zwischen Cirto und Hippo gelagert,

Barg er sich hinter den Felsen, von dort die Feinde zu schauen.


Doch Syphax wusste um List und sandte des Nachts seinen Sohn,

Vermina zog durch die Berge, Masinissa im Rücken zu fällen.

Selbst zog er offen zur Schlacht mit glänzenden Heeren,

Wartete nicht und marschierte in stolzer Pracht auf die Höhen.


Masinissa indes bereitete ruhig die Reihen,

Stand auf sicherem Grund, mit Helden gestählt für das Schicksal.

Hart tobte die Schlacht, doch Scharen des Syphax umringten

den Feind, bis schließlich der Sieg auf ihrer Seite entschieden.


Nun war Flucht unmöglich, Masinissas Getreue

Fielen zu Hunderten nieder oder gerieten in Fesseln.

Nur zweihundert blieben, doch Masinissa entkam,

Teilend die Schar in Gruppen, die Feinde zu täuschen.


So floh er, verfolgt von Vermina, der hetzte sein Heer,

Doch klug wich Masinissa, verdoppelte Wege und Spuren,

Bis selbst der Eifrigste matt und erschöpft ihn verließ.

Mit sechzig Reitern gelangte er so an die Syrtis,

Ruhete dort mit Stolz auf den Taten vergangener Tage.


Hier verharrte der Held, bis Rom mit Scipio nahte,

Dies war der Wendepunkt nun für sein schicksalhaft Leben.


In ferner Zeit, als Karthago in Not und in Sorge,

Sanken die Reiter dahin samt ihrem mächtigen Führer.

Doch aus den Trümmern erhob sich ein neuer kriegerischer Geist,

Hamilcars Sohn, der Hanno, gebot nun über die Reiter.

Boten entsandten sie hastig zu Hasdrubal und zu Syphax,

Riefen um Hilfe für Stadt und für Land, das drohte zu fallen.

Scipio lagerte nahe bei Utica, stets auf der Wacht,

Eben gerückt von der Küste, wo Schiffe sicherer ruhten.


Doch war Hanno zu schwach mit den Reitern, die er befehligte,

Nicht vermochten sie Feinde zu schlagen, noch Felder zu schützen.

So vermehrte er eilends sein Heer, zog Krieger zusammen,

Numidier vor allem, berühmt für den Mut und die Schnelligkeit.

Viertausend zählte das Korps, als sie Salaeca nahmen,

Kaum fünfzehn Meilen entfernt von Scipios mächtigem Lager.

Botschaft erreichte den Römer, der höhnte und sprach mit Verachtung:

Reiter, die Häuser bewohnen im Sommer? So sei es!

Mögen es mehr noch sein, wenn solch ein Führer sie lenket!“


Doch nicht zögerte Scipio lang, er befahl dem Masinissa:

Reize die Feinde heraus, und locke sie in eine Falle!

Täusche die Furcht nur vor, und wanke im Rückzug behutsam,

Bis ich erscheine und sie von den Flanken her schlage!“

Masinissa gehorchte, ritt bis zu den feindlichen Toren,

Reizte die Feinde zum Kampf, dann wich er langsam zurück.

Rasch folgten die Reiter heraus, vom trunkenen Schlafe geweckt,

Keiner geordnet, noch mit den Bannern der Schlacht versehen.


Dann, als die Horden in Hast aus der Stadt hervorstürmten,

Wendete Scipio schnell sein Heer von den Hügeln hernieder.

Frisch waren Römer und stark, erschöpft und zerstreut die Punier.

Hanno fiel mit den Seinen, inmitten der kämpfenden Scharen,

Tausend erlagen dem Schwert, und zweitausend in Fesseln gefangen.

Reich war die Beute, die Sieger verfolgten die Fliehenden weiter,

Dreißig Meilen und mehr, bis selbst das Schlachten erstarb.


Weit in dem Lande, geplündert von Heeren des römischen Reiches,

Hortete man das Getreide, geraubt aus Feldern und Scheunen,

Siziliens reiche Fracht und Italiens gespendete Vorrat,

Sendend Octavius selbst, den Proprätor, schickte die Schiffe,

Ladend die Gaben, empfangen von Claudius, Herrscher Sardiniens.

Lagerhäuser gefüllt bis zum Rand, so baute man neue,

Stärkend das Heer mit Brot und Korn für kommende Zeiten.

Mangel herrschte an Kleidern; es eilte Octavius willig,

Schickte Boten ins Land, um Stoff und Gewänder zu sammeln.

Rasch ward Hilfe gebracht: zwölf Tausend Tuniken sandte

Sardinien aus, dazu noch zwölfhundert Togen,

Deckend die Leiber der Krieger in künftiger blutiger Schlacht.


Sempronius aber, der römische Konsul von hohem Geblüte,

Zog mit den Seinen nach Bruttium hin, zur Küste von Croto.

Dort, in der flirrenden Glut des Sommers, begegnete Hannibal,

Feindlich dem Römer, gefürchtet von vielen, ein Meister der Kriegslist.

Unerwartet entbrannte das Kampfgetümmel, denn keiner

Hatte die Reihen geordnet, es strömten die Legionen

Durcheinander, in Wirrnissen schlug sich das Schicksal der Waffen.

Roms tapfere Männer, geschlagen, verloren zwölfhundert,

Flohen ins Lager zurück, doch wagte der Feind nicht den Sturmangriff.

Schweigend verließ in nächtlicher Stunde der Konsul die Stätte,

Rief den Licinius her mit eilender Boten Verkündigung,

Doppelter Kraft sich rühmend, zog er erneut in die Schlacht.


Beide Heere nun standen bereit, entschlossen zum Kampfe,

Roms Legionen erneut mit mutigem Herzen gerüstet,

Hannibals Krieger, gestärkt durch jüngsten errungenen Sieg.

Sempronius stellte die eigenen Scharen an vorderster Linie,

Während die Truppen des Licinius hielten die hintere Reihe.

Kaum hatte donnernd der Kampf sich erhoben im Staube der Erde,

Hob der Konsul die Hände empor und schwur eine heilige Weihe:

"Fortuna Primigenia, du göttliche Herrin des Schicksals,

Wenn ich den Feind heut schlage, ein Tempel sei dir geweihet!"

Also gelobte der Mann – und wahrlich, das Glück war ihm hold.

Hannibals Scharen, gebrochen, zerstoben im heulenden Sturme,

Viertausend Leiber bedeckten das blutgetränkete Schlachtfeld,

Dreihundert Mann gefangen, elf Standarten entrissen,

Vierzig Rosse geraubt aus den Feindeslagern der Karthager.

Hannibal, schaudernd ob solcher Verluste, entfloh nach Croto,

Suchte Schutz in der Stadt und mied nun die offne Entscheidung.


Doch in Etruriens Land, an Italiens nördlicher Grenze,

Regte Mago das Volk zur Empörung, lockte die Edlen,

Die in geheimem Entschluss nach Umsturz trachteten leise.

Marcus Cornelius aber, der Konsul, waltete strenglich,

Nicht mit dem Schwerte allein, doch mit harter gerichtlicher Prüfung.

Edle Männer des Landes, die heimlich mit Mago gesprochen,

Stellte er vor sein Gericht, und viele ereilte der Tod.

Andre entflohen in hastiger Furcht, doch folgte Verurteilung,

Ihre Güter entzogen, als Zeichen der römischen Rache.


Während in fernen Gebieten der Krieg und das Schicksal sich wendeten,

Tagten in Rom die gestrengen Censoren, die Väter der Ordnung.

Livius war es und Claudius Nero, die Namen der Männer,

Welchen der Senat die Würde verliehen, zu richten und prüfen.

Sie schritten durch Rom mit harter und unerbittlicher Strenge,

Löschten sieben der Namen aus jener ehrwürd'gen Liste,

Die einst den Senat geschmückt, doch keiner von ihnen

Hatte je einen kurulischen Sitz der Ehre getragen.

Bauten wurden geprüft, es wuchsen neue Straßen,

Von Forum Boarium fort bis hin zu Venus' geweihtem Tempel,

Sitze errichtet zur Rast, zur Zierde der mächtigen Stadt.

Und mit harter Hand ward eine Steuer erlassen,

Salz mit Zöllen belegt, dass reicher der Staat sich bereichre.


So geschah es, dass Livius hämisch verlachte die Menge,

Denn sie hatte ihn einst verdammt und dann ihn erhöht,

Er sah in ihrem Wandel die Torheit des schwankenden Volkes.

Doch als Claudius Nero, sein Feind, ihn des Rechtes beraubte,

Warf er den Fluch auf die Stämme der römischen Bürgerschaft selbst.

Spottend erklärte er sie zu Aerariern, schmälerte ihr Recht,

Duldete einzig die Männer der Maecier unter den Stämmen.

Und so tobte der Streit, bis der Senat sich erhob,

Nicht zu dulden, dass Richter sich selbst in Schande versinken.


Während des Sommers ergriff der Konsul mit stürmender Stärke

Clampetia tief in Bruttiums Land, erzwang sich den Einlass.

Frei ergaben sich Städte sodann: Consentia, Pandos’ia,

samt noch einigen Orten, die minderen Ranges geachtet.

Doch da die Wahl nun nahte, der neuen höchsten Beamten,

rief man den Cornelius fort aus Etruriens Lande,

weil dort nirgends ein Feind die Waffen gegen ihn wandte.

Er nun führte die Wahl: zwei Konsuln hob man als Erste,

Servilius Caepio war’s und Servilius Geminus.

Praetoren erwählte man bald: Cornelius Lentul’,

dazu Quintilius Varus, sodann Aelius Paetus,

und auch Villius Tappulus, beide Aedilen der Plebs noch.

Als nun die Wahl vollendet war, kehrt’ er nach Etrurien.


Aber der Tod entriß in dem Jahre so manchen der Priester,

Stellen wurd’n neu besetzt: Philo ward Flamen des Mars nun,

weil der Regillus fiel, im verflossenen Jahre verschieden.

Pomponius Matho, der Augur war und Bewahrer

heiliger Schriften zugleich, ward ersetzt durch Aurelius,

Cotta besetzte sein Amt, als Augur trat nun ein Jüngling,

Sempronius Gracchus, so früh zu Ehren berufen,

wie man’s selten erlebt in den Weihen der heiligen Ämter.


Wagen aus leuchtendem Gold stellten sie auf in den Tempel,

auf das Kapitol, die curulischen Ädilen ehrten

Livius und Servilius so den römischen Ruhmstand.

Spiele zur Ehr’ der Stadt gabn Aelius und Villius,

zwei volle Tage erstrahlten die festlichen Künste.

Auch ein Gelage für Zeus ward eigens bereitet zum Feste.




VIERTER TEIL

ARME UND REICHE VÖLKER


In seinem Werke entwickelt der Autor die große Theorie,

wie die Geographie das Geschick der Völker bestimme.

Dreizehntausend Jahre sind’s her, da lebten die Menschen

allesamt als Jäger, als Sammler in wilder Natur.

Warum entwickelten sich von da an die Völker so anders?

Nicht durch Rassen, betont er, bestimmt sich menschliches Schicksal,

sondern allein durch Klima, Natur und fruchtbare Erde.


Mesopotamien bot mit gemäßigten Winden und Zeiten

reiche Gelegenheit, Acker und Vieh zu begründen.

Wilde Gewächse, Erbsen, Getreide, Gerste und Weizen,

boten die Grundlage, Nahrung in Speichern zu halten.

Tiere fanden sich auch, die gezähmt dem Menschen dienten:

Ochsen, Rosse, bereit zur Last und als Nahrung dienlich.


So entstand aus Fülle die erste sesshafte Ordnung,

Dörfer, Städte gediehen mit Handel, Handwerk und Schriftkunst.

Waffen entstanden, der Krieg gebar hierarchische Staaten.

Denn die Eurasier wuchsen in Zahl und verbanden ihr Wissen,

zogen nach Osten und Westen, geführt von günstigem Klima,

trafen auf Wildes, das sie verdrängten, durch Macht und Gewehre.


Doch auf engstem Raum mit den Tieren wuchsen die Seuchen,

Pocken, Pest und der Tod aus dem Vieh auf Menschen getragen.

Wer nicht starb, der lernte mit starkem Leibe zu trotzen.

So ward über Jahrtausende Abwehrkraft ihnen gegeben.

Europa blieb zersplittert, durch Berge und Ströme geteilt,

führte in stetigem Ringen zur Waffenkunst und zum Fortschritt.


Nicht so günstig gestaltet war Afrikas südliche Weite,

Tropen hemmten den Zug der Pflanzen in fremde Gefilde.

Auch Amerika trug von Natur die Last der Barrieren,

Wüsten, Isthmen und Breiten zerschnitten den Strom des Fortschritts.

Tiere fehlten, die nützlich gewesen, früh ausgerottet

von des Menschen Jagd, noch ehe man sie gezähmt.


Doch mit Schiffen kamen sie, Männer in Eisen gerüstet,

nahmen die Lande mit Feuer, mit Stahl und tödlichen Seuchen.

Nicht nur Waffen allein, auch Pocken, Masern und Fieber

töteten Völker hinweg, die wehrlos Seuchen erlagen.

Nur die Europäer blieben gefeit durch Jahrtausende Bürde,

brachten den Rest der Welt in den Schatten ihrer Gewalt.





FÜNFTER TEIL

MATRIARCHALES AFRIKA?


Ehe der Fremde erschien und den Boden betrat unsrer Lande,

Herrschte das Weib, so behauptet man gern, in der alten Gesellschaft.

Nimmer war Männergewalt zu erkennen, der Fremde erst brachte

Jenes Patriarchat, das bedrückend nun über uns waltet.

Falsch ist solches Gered, und ich dachte, Afrika wäre

Nicht ein einheitlich Reich, doch verschieden in Sitten und Bräuchen?

Wahr ist vielmehr, dass, wie es auf Erden seit Anbeginn währet,

Mädchen und Frauen Gewalt stets litten in jeglicher Ordnung.

Muttergestalten, die Afrika priesen, verleiten zur Lüge,

Führen zu irrtümlich Sicht auf vergangene Zeiten der Ahnen.


Allzu gemein ist heut das verzerrte, beschönigende Denken,

Welches die alte Epoche verkläret mit trügerischem Glanze.

Mündliche Kunde allein ist geblieben aus jenen Gefilden,

Forschung ist schwierig, die Wahrheit verschwimmt in den Nebeln der Zeiten.

Grenzen, die künstlich gezogen, verhinderten einst das Bewahren

Jener Berichte, die kund von den Frauen und Mädchen uns geben.


Schädlich und töricht ist's, zu verleugnen die Not unsrer Mütter,

Nur um die Seele zu heben mit täuschend verlogener Sehnsucht.

Viele, die fern von der Heimat in fremden Gefilden nun weilen,

Träumen von goldenem Land, wo kein Leid je die Frauen bedrückte.

Doch wie in jeglichem Volk, in den Zeiten vergangener Jahre,

Leid war den Töchtern beschieden, sie litten durch patriarchale

Sitten, die tief in das Leben gegriffen und Strafen verhängten.


Nehmet zum Beispiel das Volk der Samburu im Lande von Kenia,

Wo durch das Beigen die Mädchen geschmückt und den Männern versprochen,

Wehrlos gebunden an Greise, die sittenlos über sie herrschen.

Sechs erst zählte das Kind, das so grausam dem Willen der Alten

Preisgegeben, gezeichnet für immer im Namen der Sitte.

Wie kann man da nur behaupten, es habe kein Joch sie bedrücket?


Selbst in Burundi, dem alten Reiche, war Herrschaft der Männer

Unumstritten und Frauen erzogen zu Dienen und Fügen.

Mädchen vergaben die Väter in Kindheit dem Greise als Gattin,

Nahmen die Klinge und schnitten den Leib ihrer Töchter zur Ordnung.

Heut noch erleiden in Mali, in Sierra Leone, in Somal'

Mädchen die grausame Qual, die in früheren Zeiten verhängt war.


Ja, es gab Kämpferinnen, sie standen im Lichte der Großen,

Schützten ihr Land, wie es einst die kühnste Nzinga vollbrachte.

Männlich gewandet, so stand sie den Feinden entgegen mit Wehrmut,

Doch auch in jenen Gefilden war nirgends das Weib an der Spitze.

Eher verwaltete klug die Erstfrau das Gut ihrer Männer,

Trug doch die Ketten des Jochs wie die Mütter und Töchter der Ahnen.


Frauen der Kämpfe, sie wurden vergessen im Schatten der Männer,

Männer wie Nkrumah, die Nyeres allein priesen Zeiten.

Doch ohne Bibi Titi, die Frauen des Widerstands leiteten,

Wäre wohl kaum das Gefüge des freien Tansanias denkbar.

Taten der Mütter versanken im Strom der Geschichte, verborgen,

Während die Väter als Helden gefeiert in Reden erglänzen.


Denkt an die Taten der Frauen, die friedlich den Krieg einst beendeten,

Denket an Liberia, wo durch den Streik sie bezwangen

Mordende Horden und nackend den Männern entgegentraten.

Nicht nur in Anglophons Landen geschahen die Taten des Widerstands,

Auch in den Reichen der Frankophonen erhoben sich Mütter,

Kämpfend für Recht und für Frieden, verdrängt aus den Büchern der Ahnen.


Stets wird der Mann in der Freiheit der Lande gerühmt und erhoben,

Doch ohne Frauen, die mutig und tapfer den Weg uns bereiteten,

Wären die Kämpfer der Männer geblieben im Schatten der Fremden.

Sehet und denkt, dass ihr Wahrheit erkennet, nicht Mythen erzählet!

Sucht in den Zeiten der Alten, doch dichtet nicht falsche Geschichten.

Afrika lebte in Strukturen von Herrschaft und Knechtung,

Nicht nur der Fremde war's, der die Frauen ins Dunkel gestoßen.




SECHSTER TEIL

SCHWARZE EVA


In der Genetik der Menschen ist eine Gestalt uns bekannt heut’,

Mütterlich ist sie Ahnin der lebenden Völker auf Erden.

Einst war sie jene Frau, von der wir alle entsprossen,

Ununterbrochen gezeugt nur durch die Linie der Mütter.

Jene, von der sich verzweigend der Strom der Ahnen erstreckte,

Bis alle Linien mütterlich wieder zu einer sich bündeln.


Haplogruppen betrachtend, geschah die uralte Spaltung,

L null von L eins bis sechs, so wird es beschrieben.

Alter der Trennung geschätzt auf hundertfünfzigmal tausend

Jahre, noch später als einstens der Homo sapiens wurde,

Früher jedoch als der Zug hinaus aus Afrika einsetzt.


Analog dieser Mutter, da steht ein männlicher Ahne,

Jener, von dem alle Väter der heutigen Zeiten abstammen.

Doch er und Eva der Mitochondrien lebten verschieden,

Da durch den Zufall der Ahnen die Ahnenlinien wandern.

Alter des väterlich jüngsten Ahn war geschätzt auf

Zweihundert- bis dreihunderttausend vergangene Jahre.


Eva genannt ward jene Gestalt nach der Schrift der Genesis,

Doch ist das Bild oft trügerisch falsch ausgelegt und gedeutet.

Nicht war sie erste der Frauen, nicht einzig die Lebende damals,

Auch nicht Mutter der Art, die völlig neu ward erschaffen.

Denn ihre Spur in der Zeit verschiebt sich mit sterbenden Linien.


Neunzehn-hundert-neunundneunzig, da Krings mit Gefährten

Lösten, was einst Nei im Neunzigsten Jahr schon bedachte:

Molekularer Bestimmung der Zeit war fehlerbehaftet,

Bis man sodann die Sequenz des mitochondrialen Erbguts

Fand, die sich deutlich vom Ahnen der Menschen verschieden.


Neunzehn-hundert-siebenundneunzig, da Parsons mit andern

Fand im Geschlecht der Romanows, mächtigen Zaren,

Wie die Mutation der mütterlich Erbmasse schneller

War als zuvor man geglaubt: zwanzigmal höher die Rate!


Obgleich Grenzen der Forschung bestanden, erwies sich doch standhaft

Jene Berechnung des Alters der ersten Mutter der Menschen.

Zweitausend-dreizehn sprach eine Studie erneut dies:

Hundert-sechzig Jahrtausende währte der Ahnen Beginn hier,

Während der Auszug aus Afrika fünfundneunzig Jahrtausend

Zählt. Ein Bericht, in dem neun Populationen verglichen,

Legte das Alter der Ahne von neun-und-neunzig bis hin zu

Hundert und acht-und-vierzig Jahrtausenden fest dann,

Während der Vater, des Y-Chromosoms alter Ursprung,

Zwischen zwölfzig und hundertundsechsundfünfzig sich spannte.


Jede mütterlich Ahne führt uns zurück zu der ersten,

Die wir „Eva“ benennen – sie wohnet im Stammbaum

Aller, die heut noch wandeln in menschlichen Leibern der Erde.

Ohne die Proben der Ahnen bleibt uns verborgen ihr Wesen,

Doch durch Kinder und Kindeskinder enthüllt sich die Spur uns.

Mütterlich wandert das Erbgut unversehrt durch die Zeiten,

Führt uns zurück bis zum Ursprung der einen, der Eva, der Ahnen.


Zweige entstehen, erkennbar an einzigartigen Zeichen,

Die man als Haplotyp festlegt – eine genetische Signatur.

Forscher vergleichen und ordnen die Spuren in Äste,

Schaffen daraus eine Karte der Zeit und des Ursprungs,

Finden den Punkt, wo die Äste entsprangen dem Urstamm,

Finden die Mutter der Mütter an jenem Knoten des Lebens.


Eva, die Erste, umfasst unser ganzes Geschlecht nun,

Homo sapiens sapiens, das ist ihr gewaltiges Erbe.

Alte Evas, die frühere Menschen verbanden, sind denkbar,

Solche, die nebst uns Menschen den Neandertalern verwandt sind,

Oder noch weiter, wo Gattungen Homo und Pan sich einst trennten.


Jene Mutationen im Erbgut erlauben den Forschern,

Zeit zu bemessen, die nötig war hin zu der Ahnenvergangenheit.

Alle dreitausendfünfhundert der Jahre erscheint eine neue,

Kleine Veränderung, die sich im Stammbaum weiter verbreitet.

Jene, die blieben, vermehrten sich weiter und prägten die Zeiten,

Während die andern, die Töchter nicht hatten, verwehten im Nichts dann.


Ewig jedoch bleibt Eva, die eine, die Mutter der Mütter,

Bis eine Linie erlischt, die die Älteste war in den Zeiten.

So rückt die Ahne der Menschen im Wandel des Lebens

Immer aufs Neue hinab zu der jüngsten Ahnherrin heute.

Tief in den Zweigen verborgen, doch sichtbar im Wandel,

Leben die Spuren der Ahnen in jedem Geschlechte noch weiter.


Wurde berichtet von Eva, da horchten die Menschen und staunten.

Newsweek“ sprach von der Mutter der Welt in den achtziger Jahren,

Hunderte tausende lasen die Kunde mit staunendem Blicke.

Doch ward Eva auch missverstanden, ein Irrtum entstand bald:

Glaubten die Jünger des Wortes, hier sei die biblische Wahrheit.

Doch was die Wissenschaft lehrt, ist tiefer verwoben mit Zeiten,

Führt uns auf Wegen, die weiter noch reichen als Schrift je gefasst hat.


Oftmals entsteht ein Irrtum, darum betonen die Forscher

seit den Neunzigern stets in den Schriften der Wissenschaft klarlich:

Nichts als ein Name sei dies, aus dem Volke hervorgegangen,

nicht die „erste der Frauen“ sei jene, die so benannt ward.

Jene erscheint allein durch die Ahnenketten der Menschen,

dass durch den Tod der Mütter die Linie wandert im Zeitenstrom,

neue Gestalten gebiert und stets sich weiter verjünget.


Dawkins sprach im Buche von Flüssen, die Gene durchströmen,

sprach von der Mutter der Mitochondrien tief in der Vorzeit.

Sykes hat in späterer Zeit dies Wissen verkündet,

führte die Töchter der Eva dem Volke anschaulich vor Augen.

Oppenheimer sodann, er schrieb von der Reise des Menschen,

wie er aus Afrika schritt und das weite Erdreich besiedelt;

fern im Bilde gezeigt auf der Leinwand des Wissens im Filmwerk.


Nicht war Eva allein, obgleich die Mütter der Zeiten

heut von ihr abstammen in direkter, ungebrochener Linie.

Andere Frauen lebten zur gleichen uralten Stunde,

gaben das Leben weiter, doch nicht durch Töchter allein fort.

Forschung enthüllt: Nie sank die Zahl der Ahnen so nieder,

immer lebten die Menschen in tausendfältigen Gruppen.


Nie bleibt sie dieselbe, die „Eva“, die man da benennt,

denn wenn ein Zweig versinkt in die Schatten des Seins ohne Töchter,

geht die Linie hinüber zu jener Frau, die bestandhaft

zwei der Töchter gebar, die wieder das Leben erneuerten.

Wandel regiert die Ahnen – es sterben die Linien der Mütter,

fort dann schreitet der Titel und wandert mit neuen Gestalten,

bis die Erstgeborne erscheint, aus der sich alles ergießet.

Geht ein Zweig verloren, ist er für immer vergangen.


Unvollständig bleibt unser Wissen um Evas Gefährten,

nicht unmöglich, dass frühere Linien noch überdauern.

Einst schon trug man den Titel auf andre, frühere Frauen,

gleich wie Adams Geschlecht sich wandelte durch Entdeckungen.


Ob sie gemeinsam weilten im Zeitstrom, Adam und Eva,

bleibt nur ein Spiel der Gedanken, ein Schatten im Nebel.

Mochten sie leben zusammen – es war nur bloßer Zufall.

Adam wandelte gleichfalls in Afrika’s alten Gefilden,

doch das Forschen bewies: Er war viel früher geboren.

Jüngst erst fanden die Weisen, dass Zeiten näher sich rücken,

möglich, dass Adam und Eva gar zeitgleich einst wandelten.




SIEBENTER TEIL

KARTHAGO



I


Einstmals in alter Zeit, so meldet die Sage der Völker,

Floh aus dem fernen Tyros Elissa, die königliche Jungfrau.

Bruder verriet sie, doch fand sie Gefährten und floh übers Meere,

Lande gewann sie am Strand, wo später Karthago erblühte.


Tyros, die kühneren Männer entsandte zu fernen Gefilden,

Gründeten Utica dort an der Küste des fruchtbaren Landes.

Doch als der König verschied, da war es, dass Pygmalion, jung noch,

Thronen bestieg, den doch Elissa als Schwester begleiten

Sollte als Erbin zugleich. Sie liebte indes schon den Gatten,

Acerbas, Priester des heil’gen Melqart, reich an verborgenem

Gold, das verborgen im Erdreich lag, vor des Königs Begierde.


Doch ward das Raunen der Stadt zur Kunde im Ohr des Tyrannen,

Neidvoll sann er auf Mord, und grausam erschlug er den Priester,

Raubte das Gold und zertrat, was einst war heilig und edel.

Elissa weinte um ihn, doch barg sie den Kummer im Herzen,

Dachte des Fluchts und sprach zu dem Bruder mit listigen Worten:

"Lange zu weilen in Schmerz an den Stätten vergangener Liebe

Ist mir zu schwer, ich begehre, mein Heim nun für immer zu meiden.”


Glaubend den Worten, genehmigt Pygmalion willig ihr Flehen,

Denkend, der Reichtum des Gatten werde mit ihr ihn erreichen.

Doch in der Nacht bestieg sie die Schiffe mit treuen Gefährten,

Nahm sie das Gold und warf es hinab in die tönende Tiefe,

Rief zu Acerbas: "Empfange dies Gut als Opfer der Liebe,

Dass du im Schattenreich ruhst und rächst unser heiliges Unrecht!"


Grauen ergriff die Männer, die glaubten, die Götter erzürnten.

So gehorchten sie ihr und folgten der Fliehenden willig.


Pygmalion rühmte die Rache, und sandte die Boten des Unheils,

Doch durch das Drohen der Seher und Worte der Mutter gebannt ward

Seine Verfolgung. Die Götter versprachen der Fliehenden Segen,

Sage und Ruf des Orakels sprachen von künftiger Größe.


Weit auf den Wogen des Meers, wo Afrika düstere Küste

Dornig und fremd sich erstreckte, gelangte sie endlich

In eine Bucht, wo die wilden Stämme das Fremde willkommen

Hießen mit Handelsgeschick und Warten auf gütige Zeichen.

Klug nun ersann sich Elissa die List, um Land zu gewinnen:

Nur so viel Boden begehrt' sie, als fassbar wär' unter der Haut eines Ochsen.

Doch als der Handel gefasst, da schnitt sie die Haut in die Dünne,

Dehnte sie weit und gewann ein Stück Land, das zur Stätte erwählte.


Byrsa genannt ward der Ort, und bald schon kamen die Männer,

Siedelten sich in der Nähe, verkauften und bauten die Mauern.

Uticas Boten erschienen mit Gaben und freudigem Willen,

Sprachen: "Baue hier Stadt, wo der Zufall dich sicher geleitet!"


Doch als die Erde gegraben ward, fand sich zuerst ein Ochsenschädel:

Zeichen des Reichtums und Mühsals, der künftigen Knechtschaft.

Darum verlegt man den Grund, wo stattdessen ein Ross ward gefunden:

Zeichen des Krieges und Muts, Verheißung der künftigen Macht.


Bald schon wuchs aus der Erde die prächtige Stadt Karthago,

Häuser und Tempel erhoben sich stolz zu den höcheren Göttern.

Handel erblühte, das Volk ward mächtig, von Königen regiert,

Sagen und Mythen umwoben das Schicksal der tapferen Königin.


So ward Karthago gegründet von kluger, edler Elissa,

Welches die Väter erzählten in ehrfurchtsvoller Erinnerung.


Als die Macht der Punier durch ihre Erfolge gewachsen,

Hiarbas, König der Mauren, verlangte in Kühnheit

Elissa zum Weib und forderte zehn der Edlen

Zum feierlichen Gespräch, doch drohte er Kriege

Falls eine Weigerung käme – so sprach er in Härte.

Die Boten, fürchtend, der Königin solch eine Botschaft

Offen zu bringen, bedienten sich kluger Verschleierung:

Einen Lehrmeister“, so sprachen sie listig, „verlange

Der König der Mauren, der seinen Barbaren und wilden

Völkern ein sittlich geordnetes Leben bereite.

Wer aber wollte der Seinen entfliehn in die Ferne?“


Zürnend rief da die Königin aus: „Ist das eure

Liebe zum Vaterland, wenn ihr dem harten Geschicke

Fliehet und scheuet den Dienst, wo euer Leben

Nötigenfalls für die Heimat zu geben bereit sein

Müsste?“ – Da sahen die Boten sich endlich gezwungen,

Alles zu beichten: „Du selbst, o Königin, bist es,

Die er verlangt, und willst du die Stadt nur retten,

Musst du vollbringen, was du von anderen forderst!“


Tief ergriffen von solchem Betrug und von Gram nun

Rief sie mit Tränen den Namen des toten Gemahls aus,

Acerbas’ Schatten beschwor sie mit flehenden Klagen.

Dorthin gehe ich nun, wohin mein Schicksal mich rufet.“

Drei Monde nahm sie sich Zeit für ihr tragisches Ende.

Dann, als hoch aufgetürmt ein lodernder Scheiter

Brannte am Rand der Stadt, da opferte sie mit Gesängen,

Blutige Opfer dem Geist des gefallenen Gatten

Darbietend – als sei’s ein Brauch für die künftige Hochzeit.

Dann aber nahm sie ein Schwert und schritt auf den Scheiter,

Wandte den Blick auf das Volk, das weinend zuschaute,

Sprach mit erstickter Stimme: „Ich gehe nun dorthin,

Wo ihr mich sandtet – hinab zu dem Mann, den ich liebte!“

Jäh in die Brust fuhr das Schwert, und blutend sank sie.


Doch so lang’ Karthago der Römer Macht noch trotzte,

Beteten Bürger die edle Elissa als Göttin.

Stadt ward gegründet zweiundsiebzig Jahre vor Rom noch,

Tüchtig im Kriege, doch innerlich stets von Zwietracht

Heimgesucht, von Unheil und bürgerlichen Verwirrung.

Plagen befielen die Stadt, und gierig nach Hilfe

Opferten Bürger – in schändlichem Ritus – die eigenen

Kinder den Göttern, die sonst um ihr Leben erfleht man.

Blutige Schrecken entweihten der heiligen Tempel Altäre.



II


In der Jahrhundertmitte, der sechsten, da fuhr einst der Führer

Hanno, ein Admiral Karthagos, hinaus auf die See,

Lang die westliche Küste Afrikas reiste der Seefahrtsheld,

Fand einen Vulkan, der tobte, und Gorillas dazu.


Achtzehn schlichte Zeilen berichten von jener Entdeckung,

Eingemeißelt einst hoch in des Tempels geheiligte Wand.

Griechisch verfasst ward die Schrift, doch blieb sie erhalten,

Ältestes Zeugnis, verfasst von punischer Hand.


Vor den Portugiesen, zweitausend Jahre danach,

Gab es keinen Bericht, der so uns Kunde gebracht.

Städte begründete Hanno zuerst an Marokkos Gestaden,

Bald aber trieb ihn der Sturm weiter gen Süden hinab.


Nah bei der Küste von Mauretanien gründete Handel

Hanno, und weiter ging’s, forschend der Küste entlang,

Südwärts, bis Gabun er erreichte, doch Nahrung ging aus ihm,

Rückkehr blieb nur, oder Not war sein Los.


Doch schon Plinius schrieb, Hanno sei weiter gereist noch,

Habe Afrika ganz rund umsegelt gar einst.

Später verehrt' er die Götter Karthagos mit Schriften,

Sprach von den Taten, die er auf Meeren vollbracht.


Griechische Mönche bewahrten den Text in den Zeiten,

Abschrift um Abschrift, und kürzten so manches davon.

Zwei Manuskripte nur blieben, das eine in Heidelberg,

London und Paris hüten das andere noch.


Forscher versuchten die Orte zu deuten, die Hanno beschrieben,

Wo der Vulkan war, sein „Göttergespann“.

Doch nun klärt sich das Bild, und Karten bezeugen die Wege,

Zeigen den Lauf seiner Fahrt, sicher bestimmt.



III


Die Schlacht von Himera, da Syrakus mächtig erblühte,

fand im fünften Jahrhundert statt, als Herrscher Gelon

wuchs in Kraft und Gewalt, als Theron Himera bezwungen.

Karthagos Fürsten, die westliches Sizilien lenkten,

wollten den Herrscher Terillos, den einstigen, wiedereinsetzen.

Hamilkar führte die Heere, gewaltig an Zahl und an Stärke,

rüstete Flotten und Krieger im westlichen Teil der Insel,

zog gen Himera heran und begann, die Stadt zu belagern.

Doch Theron hielt sie mit Macht, und Gelon rüstete eilends.


Selinus’ Griechen, so dachten Karthagos tapfere Krieger,

brächten Entsatz, doch täuschten sie sich in der Hoffnung gewaltig:

Feinde betraten ihr Lager, vom Torhüter eingelassen!

Diodor meldet es so in der Weltgeschichte, der großen,

Herodot aber erzählt von Kämpfen im Innern des Lagers.


Sieg war errungen, und Syrakus stand nun mächtig voran,

siebzig Jahre bestand seine große, gewaltige Herrschaft.

Tempel erbauten die Griechen zur ewigen Ruhmesbewahrung,

ihre Fundamente erblickt man noch heute am Orte,

doch ihr Schmuck ward bewahrt im Palerm’schen Museum.


Andere Tempel erhoben die Sieger, der Göttlichen Ehre:

Athena in Syrakus’ Stadt, noch heut' eine Kirche,

Hera zu Acragas' Ruhm und ein Tempel in Selinus.


Später erzählte die Sage, der Sieg sei errungen an jenem

Tage, da Griechenland litt in Thermopylai’s Engpass

oder bei Salamis’ Wellen des Persers drohendem Ansturm.



IV


In seiner Politik beschreibt der Weise von Stagira,

Aristoteles genannt, aus Makedoniens Reichen,

wie sich die Ordnung von Karthago gestaltet im Staatssinn.

Griechischer Ordnung gemäß, so unterscheidet er kluglich:

Dreierlei Herrschaft besteht - Monarchie, Oligarchie,

welche zu Adel verkehrt, und auch die Demokratie noch.

Jene Karthager jedoch, so urteilt der weise Gelehrte,

scheinen im Adel zu stehn, doch mischen sich Zeichen der Menge.


Besser geordnet als viele sei das karthagische Reich wohl,

ähnlich den Spartanern doch, die in vielem ihm gleichen.

Denn mit den Kretern zugleich und jenen von Sparta verglichen,

zeigen die Sitten sich nah, doch anders als andre der Reiche.


Hervorragend erscheint die Ordnung des Landes vor allen:

Denn das gemeine Volk, es stehet zu dieser Regierung,

nie ist ein Aufstand entbrannt, noch Herrschaft wütete tyrannisch.


Sehet, die Weise Spartas scheint gleich in Karthagos Gesetzen:

Tische gemein zu allen, wie dort die Phiditien waren,

Hundert und Vier sind gleich den Ephoren, die dorten regierten.

Doch wo Sparta dem Los sich bequemt, da wählet Karthago,

nur nach Verdienste gesetzt, dies gilt als bedeutende Ordnung.

Könige haben sie auch und einen Rat der Ältesten,

welche den Alten und Königen Spartas ganz ähnlich erscheinen.

Jedoch nicht stammend stets aus gleichem Geschlechte wie jene,

sondern der Tüchtige wird von edlem Geblüte erkoren,

nicht nach dem Alter allein, und besser erscheint dies Gebaren.

Große Gewalt liegt bei ihnen, üben sie schlecht sie, so schadet's,

wie es in Sparta geschah, als schlechte Regenten regierten.


Mängel der Ordnung sind gleich, ob Adel, Oligarchen

oder auch Volk sich regiert, stets gibt es Verfehlung und Missstand.

Doch die Karthager gewähren dem Volk ein größeres Recht wohl:

Wollen die Alten und Könige nicht vor die Menge das Urteil

tragen, so bleibt es geheim; doch stimmen sie nicht miteinander,

so darf das Volk entscheiden, was ihm von Wichtigkeit scheinet.

Und was die Alten und Könige bringen, das wird auch vernommen,

nicht nur gehört, sondern auch entschieden vom freien Karthager.

Einer, der anders begehrt, kann öffentlich sprechen dagegen.

Nicht ist dies Brauch in Sparta, auch nicht auf Kreta zu finden.


Fünf sind die höchsten der Richter, mit weitreichenden Rechten.

Diese erwählen den Rat, der Hundert geordnet regieret,

länger verbleiben sie dort als andre im Amte, sie herrschen

vor und auch nach ihrer Zeit und zeigen den Zug der Oligarchen.

Da sie jedoch ohne Lohn sind, nicht durch das Los sie gesetzt sind,

tragen sie Züge des Adels, gerichtlich allein zu entscheiden.


Doch weicht die Ordnung von reiner Aristokratie oft ab,

nehmt nur die Wahl der Beamten, welche zugleich auf den Reichtum

achtet, nicht Tugend allein, so neigt man zum Oligarchischen.

Denn die gemeine Meinung hält Reiche für würdige Lenker,

weil nur ein Wohlhabender Muße zum Regieren besitze.

Brauch ist dies also geworden: Mit Reichtum wählet man Könige,

wohl auch die höchsten im Heer, die nicht allein durch Verdienste

stehen am obersten Rang, doch auch durch den Wohlstand gesichert.


Doch ist ein Fehler darin, so spricht der erhabene Weise:

Nicht soll Reichtum allein entscheiden, wer herrscht über andre,

sondern allein die Tugend soll in der Führung bestehen.

Denn was die Mächtigen tun, das folgt das gemeine Gefolge,

wenn nicht Tugend regiert, so wanket der Adel beständig.

Wer sich die Ämter erkauft, wird suchen, den Preis zu erstreiten,

und nicht der Arme allein, der redlich geblieben, begehrt dies.

Also gebühret es, dass nur jene die Herrschaft erlangen,

die auch regieren vermögen zum Wohle des Landes und Volkes.


Seltsam erscheint es zudem, dass einer gar viele der Ämter

führet zugleich; doch solches gilt wohl als gängige Sitte.

Besser ein Mann für ein Amt, so wird es am besten verwaltet.


Oligarchisch erscheint die Regel Karthagos im Wesen,

doch weiß man klug zu entgehen der üblichen Falle der Reichen:

Denn durch Kolonien wächst der Reichtum stets in der Menge.

So bleibt das Reich stabil, indem man Besitz stets vermehret.

Doch ist dies nur ein Glück, was wider den Umsturz bewahret,

nicht durch Gesetz festgesetzt, drum mahnet der weise Gelehrte:

Besser der Weise ergreift die Ordnung mit weiserer Hand schon,

nicht nur durch Zufall gesichert besteht das geregelte Leben.

Denn wenn das Unglück kommt, und viele sich gegen die Herrschaft

stellen mit heftigem Zorn, so fehlt ein gesetzlicher Ausweg.



V


Weit in Libyens Landen, wo Küsten sich golden erstrecken,

lag ein Ort, der einst die Gebiete der Völker begrenzte,

Karthagos Macht im Westen, im Osten die Griechen von Kyrene.

Ebenes Land war die Grenzmark, bar jeder Hügel und Wasser,

weder ein Fluss noch ein Berg, um das Reich der Rivalen zu trennen.

Streit brach aus, denn unklar blieb, wo die Grenze verlaufen,

immer von neuem entbrannt und genährt durch bitteren Zwistmut.


Schließlich, müde des Kampfes, beschlossen die Führer der Städte,

dass an dem Tage zugleich von jeder der beiden Parteien

Boten zu Fuß aufbrächen, und wo sie sich trafen am Ende,

sollte die Grenzmark sein, dem Zwiste für immer ein Ende.

Karthago sandte zwei Brüder, die eilten mit hastigen Schritten,

während die Griechen, ob Faulheit, ob Schicksal, verzögert sich nahen.

Stürme fegten die Wüste, der Sand schlug peitschend wie Wellen,

füllte die Augen mit Staub und hemmte das hastige Vorwärts.


Als nun die Griechen gewahrten, dass spät sie den Ort erst erreichten,

fanden sie Ausflüchte schnell, um der Niederlage zu wehren.

"List war’s!" schrien sie laut, "ihr seid viel zu früh aufgebrochen!

Niemals erkennen wir an, dass hier unsere Grenze verlaufe!"

Doch als die Brüder bestanden auf Treue zu ihrem Vertrage,

boten die Griechen den Preis, der grausam Leben beendigt:

"Wollt ihr die Grenze bewahren, so müsst ihr hier selbst euch begraben!

Oder wir schreiten voran, soweit uns die Schritte noch tragen."

Ohne zu zögern, geweiht dem Ruhm und dem Heil ihres Landes,

gaben die Brüder ihr Leben, im Sande begraben auf ewig.


Karthago ehrte die Toten, errichtete Altäre zur Weihe,

hoch stand ihr Name in Liedern, im Hause des Volkes gepriesen.

Später noch rühmten die Römer den Ort als Grenze der Reiche,

trennte Provinzen und Throne durch Jahrhunderte weiter.

Später, in kaiserlicher Zeit, noch in Italiens Händen,

ward ein Triumphbogen dort zum Andenken mächtig erhoben.

Zwar fiel er dem Zahn der Zeiten, doch Zeichen sind übrig:

Statuen stehn noch heut und blicken auf karge Ruinen.



VI


Plutarch, der Weise von Chäroneia, verfasste die Werke,

Doppelt geordnete Lebensbeschreibungen, Römer und Griechen

Gleichgestellt, verglich er die Art und das Wesen der Menschen,

Tief in die Zeiten geschaut, mit geschichtlicher Wahrheit gefüllt.

Timoleon schildert er hier, der Schutz für Syrakus suchte,

Bürgerkrieg zu vermeiden und Karthagos Angriff zu trotzen.

Seine glückhafte Schlacht, wie Timaeus, der Chronist, schrieb,

Wird nun berichtet, er selbst sah Timoleon als Knabe.


Lilybaeons Kap ward erreicht von der punischen Flotte,

Siebzigtausend Soldaten an Bord zweihundert Galeeren,

Tausend weitere Schiffe mit Waffen, mit Rossen und Wagen,

Vorrat und Kriegsgerät, als wollten sie gänzlich Sizilien

Plündern und räumen zugleich, nicht stückweise wie einst es gewesen.

Wahrlich, genug war die Macht, um die Insel in Banden zu schlagen,

Selbst wenn ein einig Volk sie verteidigte, frei von Zwist.

Doch als das Heer heranstürmte mit Hamilkar und Hasdrubal,

Eilte die Kunde nach Syrakus, Schrecken ergriff die Gemüter.

Dreitausend Männer nur wagten die Waffen zu fassen,

Aus so vielen Tausenden, die in der Stadt noch verweilten.

Viermal Tausend Soldaten nur dienten für Lohn in dem Heere,

Tausend von ihnen entflohn auf dem Marsch, erschüttert von Ängsten,

Hielten den Feldherrn für toll, denn mit Wenigen zog er zum Kampfe,

Fünftausend zu Fuß und eintausend Reiter um ihn,

Wagen in wilder Verwegenheit Krieg gegen siebzigmal Tausend.

Doch er verzagte nicht, rief seine Getreuen zur Tapferkeit,

Brachte sie eilends zum Cremisus, wo Karthagos Heer stand.


Sommer begann nun zu glühen, das Thargelion endend,

Nahe die Sonnenwende, da zog aus dem Flusse ein Nebel,

Senkte sich düster herab, die Ebene ganz zu verdunkeln,

Nichts war zu sehen, nur Stimmengewirr, ein dröhnendes Murmeln,

Steigend vom Heere herauf zu dem Hügel, wo Griechen nun standen.

Doch als die Sonne emporstieg, der Dunst sich hob in die Lüfte,

Öffnete Klarheit das Feld, und sichtbar ward nun der Feind.

Cremisus glänzte im Lichte, und drüben marschierten die Krieger,

Erst die gewaltigen Wagen, geführt von gewaltigen Rossen,

Hinter ihnen ein Heer, zehntausend mit schimmernden Schilden,

Glänzend gerüstet, in Würde gesetzt, langsamen Schrittes.

Dann die Barbaren in Massen, doch haltlos, drängend, verworren.


Timoleon sah seine Stunde gekommen, gebot seinen Reitern,

Stürzend voran, den Feind in den Fluten des Stromes zu fassen,

Eh sie das Ufer erreicht und die Ordnung geschlossen gefunden.

Dann mit dem Fußeilanten, gemischt aus Sikeliern,

Stellte er fester das Heer, Syrakuser im Mittelpunkt kämpfend,

Selbst mit den Besten vereint, ein Zeichen zur Schlacht zu erteilen.

Als er den Schild nun erhob, ein Ruf aus seinem Munde ertönte,

Klingend als göttliches Wort, ein Donner des Mutes und Feuers,

Sodass die Kämpfer entbrannten und flehten: „Führe uns vorwärts!“

Rasch gab er Befehl, die Reiter umflossen die feindlichen Scharen,

Fielen von seitwärts her ein, die Flanken des Heeres zu brechen.

Dann, als die Reihen geschlossen, mit Mann an Mann, Schild an Schilde,

Tönte die Trompete laut, und stürmend brach er hervor.


Fest und entschlossen empfingen sie ihn und hielten entgegen,

Stählten die Brust mit Erz, mit Eisen die mächtigen Helme,

Deckten den Leib mit Schilden, gewaltig, breit wie ein Turme,

Stemmten der Speere Stoß, die griechische Wucht abwehrend.

Doch als blinkende Schwerter entschieden des Kampfes Geschicke,

Wo nicht minder die Kunst als stürmende Kraft sich bewähret,

Brach von ragenden Höhen herab ein donnerndes Unwetter:

Blitze durchzuckten die Luft, es bebte das hallende Felsmass,

Niederstürzte der Sturm von dunklen, drohenden Wolken,

Wirbelnd in jähem Orkan mit prasselndem Regen und Hagel.

Rückwärts geschleudert ward er den Griechen, umrauschte die Rücken,

Doch in das Antlitz fiel er den Feinden, blendete grell sie,

Tränkte mit Strömen von Wasser die Rüstungen, dämpfte den Atem.

Donnergepolter, das Brausen des Windes, das Prasseln der Tropfen

Dröhnten umher, dass bebend die Krieger die Rufe der Führer

Nicht mehr hörten und wirr in tobendem Chaos zerfielen.


Auch der schlammige Grund ward Hindernis schwer den Karthagern,

Schwer schon belastet mit Rüstzeug, nun aber beschwert noch

Mehr von durchnässten Gewändern, die saugend um Brust und um Hüften

Schlaff und lastend sich hingen und lähmten den mutigen Schwingen.

Leicht nun wurden sie niedergeworfen von rüstigen Griechen,

Die, einmal stürzend, nimmermehr wieder erhoben die Feinde,

Fest umklammert vom Schlamm, der nagend den Körper umschloss.

Auch der strömende Fluss, der Cremisus, schwoll in den Regen,

Riss durch wankenden Grund mit reisender Flut die Gestürzten.

Hügel und Senken ertranken in strudelnden Wassermassen,

Füllten sich randlos mit Fluten und trieben die Feinde ins Elend.

Rings vom Wetter bedrängt und rings von Schwertern zerschmettert,

Sanken die Reihen, da vierhundert Mann in den ersten

Gliedern fielen, das Heeresgefüge mit Schrecken erfüllend.

Bald begann die Flucht, ein wildes, panisches Stürzen,

Durch die Ebene flohen sie fliehend dem Tod, doch vergebens:

Griechische Schwerter erreichten die Schwachen, hieben sie nieder,

Andre versanken im Fluss, von schäumender Strömung ergriffen,

Stießen auf Flüchtende, rissen sie mit in tobende Wellen.

Andre, die steilen Höhen erklimmen wollend im Dunkel,

Stürzten im Anprall der Feinde, zerhackt von den Waffen der Leichten.


Zehntausend Leichen bedeckten das Feld nach der Schlachtzeit,

Dreitausend darunter, so heißt es, waren Karthager,

Bürger von hohem Stand und edelster Ahnen und Namen,

Heimat teuer und wert, ein Schmerz für die trauernde Stadt nun,

Nie zuvor war so viele gefallen aus Karthagos Reihen,

Das, wenn Kriege es führte, mit Söldnerheeren sie führte.

Afrikas Söhne, Spanier, rasche Numider im Sattel

Trugen die Last des Verlusts, doch selten die Söhne der Heimat.


Leicht war’s den Griechen zu schauen den Wert der gefallenen Krieger,

Denn als sie Beute nun sammelten, achteten kaum sie auf Eisen,

Silber und Gold lagen reichlich verstreut auf dem Schlachtfeld.

Jenseits des Flusses eroberten sie das feindliche Lager,

Wagen und Wehr erlangten sie dort in unzähligen Zahlen.

Viele Gefangene heimlich entrissen und weiterverkauft schon

Waren von gierigen Händen, doch fünftausend in Fesseln

Wurden gesichert und sollten der Heimat als Gabe gehören.

Zweihundert Streitwagen fielen den Siegern als Beute.

Timoleons Zelt war herrlich geschmückt mit erbeuteten Schätzen,

Glänzendem Helmschmuck, blinkenden Waffen und rüstigen Schilden,

Tausende Harnische, kunstvoll geziert, in schimmerndem Glanze,

Zehntausend Schilde voll goldener Zierrat gestapelt.


Da der Sieger so wenige waren, doch viele die Toten,

Drei lange Tage verstrichen, bis ragte der Siegesbaum aufrecht.

Boten entsandte Timoleon nun mit funkelnden Waffen,

Zeugnis bringend von Glanz und Triumph der herrlichen Tatzeit,

Dass Korinth ein Vorbild sei allen griechischen Städten,

Nicht mit dem Blut der Brüder geschmücket in dunkler Erinnerung,

Nicht mit geplündertem Gut aus eigner Heimat geschändet,

Sondern von Feinden geraubt, den fremden Barbaren entrissen,

Zeugend von Tapferkeit, Mut und gerechtem gerechten Entschluss.

So verkündeten Tafeln, dass Griechen aus sklavischem Joche

Frei durch Timoleon wurden, und dankend die Helden des Sieges

Diese Gaben den Göttern geweiht zu ewiger Ehre.



VII


Hannibal, Feldherr von Karthago, der größte der Krieger,

War in der Welt wohlbekannt durch Siege und kühnste Taten.

Als nun der römische Staat in blutigem Kriege gefangen,

Stürmte der Feldherr entschlossen mit Heeresmacht gegen den Feind an.


Mächtig begann sein Zug durch gallische Lande zu streifen,

Bis er den Alpen sich nahte, des steilen Gebirges Gefahren.

Hoch nun ragten die Gipfel in schwindelerregender Ferne,

Schnee bedeckte die Höhn, die Winde durchbrausten die Klüfte.

Frost und die klirrende Kälte umfingen das zitternde Lager,

Menschen wie Tiere versanken in eisigen Nächten der Schwäche.


Droben im Hochland verharrten des Berges schreckliche Horden,

Allobroger sie genannt, doch wilde und kriegerische Söhne.

Lauerten sie in den Höhen, das Heer des Karthagers zu schlagen,

Hätten sie klug sich verborgen, so wäre der Feind wohl gefallen.

Doch sie enthüllten zu früh ihr grausames, tückisches Ränken,

Heftige Schlachten entbrannten, doch gleich war der Blutzoll beider.


Hannibal ahnte den Trug, und lag nun bedächtig im Lager,

Sandte die mutigen Späher, das feindliche Feld zu erkunden.

Bald ward die List ihm enthüllt: bei Tage bewachten die Krieger

Hoch in den Gipfeln den Pfad, doch nachts zogen heim sie zum Dorfe.


Rasch nun ersann er den Plan und ließ in der Dunkelheit lodern

Feuer, die täuschten den Feind, als wäre das Heer noch in Lagern.

Leichte Bewaffnete führte der Feldherr sodann in die Felsen,

Nahm dort die Höhen in Nacht und wartete still auf den Morgen.


Sonne erhob sich, da sahen die Stämme verwundert die Stätte,

Hannibal stand nun droben und herrschte von mächtiger Warte.

Rasch nun stürmten die Feinde herab auf die engsten der Pfade,

Wollten das römische Heer in mühsamen Wegen vernichten.

Doch schon war Hannibal klug, mit weiser Entschlossenheit handelnd,

Führte die Krieger behende zum Siege durch klirrende Alpen.

Frühe beim ersten Licht, da brach das Lager in Hast auf,

Weiter zog das Heer, die Reihen marschierten geschlossen.

Oben auf hoher Kluft, wo stets die Wachen sich fanden,

Staunten die Stämme nicht schlecht: denn über den Häuptern erschienen

Karthagos Krieger schon dort und hielten das Felsmassiv inne,

Während zugleich der Tross auf steilem Pfade hinüber-

Zog. Dies Anblick schreckte die Männer, sie standen erstarrt da;

Doch alsbald kehrte Mut zurück, als sie sah’n, wie der Gegner

Selbst in der Wildnis rang mit tückischem steilem Gelände.


Bald aus der Höhe herab, von vielen Felswänden springend,

Stürzten sie nieder zugleich, und ringsum tobte das Kämpfen.

Schwer war der Schaden am Zug, doch mehr noch fielen die Tiere,

Pferde und Maultierlast sank tief in die grausamen Abgründe.

Schmal war der Pfad und rau, gesäumt von donnernden Klüften,

Schnell ward die Ordnung zerstört, es stockte der Marsch in Verwirrung.

Pferde gerieten in Panik, bäumten sich auf und zerstoben,

Schlugen mit Hufen um sich, mit Angst erfüllt und mit Wahnsinn,

Stürzten die Lasten hinab, wo steile Felsen es forderten.


Hannibal sah’s von der Höh’, bedacht in klugem Erwägen,

Wusste: Geht die Bagage verloren, dann scheitert das Ganze.

Drum mit den Kämpfern, die einst das Lager des Feindes genommen,

Eilte er schnell hinab, um den Vordertrupp zu erretten.

Wuchtig vom Gipfel herab stieß hart auf schreiende Feinde

Jene gestählte Schar und schlug die Stämme in Flucht fort.

Viele der Feinde fielen, doch viele auch seine Gefährten,

Denn nun tobte der Kampf an steiler Klippe von beiden

Seiten, das Chaos wuchs, ein Sturm der Stimmen und Schreie.


Doch als endlich besiegt die Stämme verzagt sich verloren,

Drang mit Mühe der Zug durch schmale Pässe hinüber.

Hannibal sammelte nun, so viel er konnte, die Seinen,

Stürmte mit mächtigem Schlag zur Stadt, die den Feind barg.

Leer fand er Häuser und Hof, denn plündernd irrten die Krieger

Weit in das Tal, so fiel sie ihm kampflos in seine Gewalt nun.


Dörfer umher und Weiler wurden im Sturme genommen,

Reicher Beute gewann er: Getreide, Vieh und die Pferde,

Maultiere samt dem Tross, die Feinde führten als Beute.

Drei Tage nährte dies Gut das müde, hungernde Heer nun,

Doch mehr noch war ihm Gewinn: die Stämme ringsum in Furcht nun

Wagten nicht länger, die Karther in Pässen zu stellen.


Einen Tag rastete dann das Heer, erholte die Kräfte,

Drei Tage folgte der Zug auf sicherem, friedlichem Wege.

Doch am vierten erneut, da lauerte schreckliche Tücke:

Stämme vereinten sich nun, um finstre Ränke zu spinnen...


Hannibal zog nun weiter ins Land der Gebirgigen Stämme,

Viele und zahlreich zwar, doch ohne gewaltige Städte.

Offene Feindschaft sah er nicht drohend entgegen den Seinen,

Doch war ein tückisches Netz mit List ihm klug ausgeleget.

Beinahe fiel er zum Opfer der Kunst, die selber er meisterte.


Freundlich nahmen sie ihn mit Kränzen und grünen Zweigen,

Zeichen des Friedens, wie Griechen den Stab der Herolde.

Doch er argwöhnte den Feind und forschte mit scharfem Verstande,

Was wohl ihr Wille, ihr Ziel, ihr Wort und ihr Wirken bedeute.

Jene versicherten ihn: „Wir sah’n, wie du Städte bezwangest,

Sah’n den Untergang all jener, die Waffen ergriffen.

Weise gemacht durch das Leid der andern, geloben wir Freundschaft,

Lieber als schrecklich zu spüren, was deine Gewalt vermag.“


Geisel boten sie dar, um Treue und Friedenswillen

Redlich zu zeigen, und boten Führer und Nahrung.

Hannibal zögerte lange, misstraute den Worten,

Wollte jedoch nicht erzwingen, dass sie sich feindlich erklärten.

Täuschung ward ihm zu List: Er nahm ihr Angebot an sich,

Tat, als traute er ihnen, um Spaltung der Stämme zu mindern.

Gaben brachten sie ihm: Viel Rinder, Geisel, Geleitmann.

Diesem vertraute er bald und ließ sich führen von ihnen.


Zwei lange Tage geleiteten sie ihn mit Worten,

Hielten sich treu an den Pfad, doch führte er steile Gefahren.

Hannibal ahnte Verrat und blieb in strenger Ordnung,

Nicht wie im sicheren Land zerstreut und sorglos marschierend.

Vorne das Reiterheer, mit mächtigen Elefanten,

Selber am Ende der Schar, den Feind stets wachsam erwartend.


Doch nun zeigten die Feinde sich gänzlich in feindlicher Absicht,

Sammelten scharenweise sich hoch auf felsigen Pfaden,

Ließen rollende Steine herab und Pfeile mit Bögen,

Sprangen aus Felsen hervor mit Speeren und wuchtigen Keulen.

Plötzlich versank das Heer in chaotischem Ringen der Hänge,

Wo der Pfad sich verengte, und rückwärts drohende Wände.


Wäre nicht Hannibal klug, umsichtig und stets wohlbereitet,

Ging sein Heer dort zugrund’, vernichtet im feindlichen Hinterhalt.

Doch mit Bedacht hatte er sein Heer geordnet in Reihen,

Stellte das Fußvolk stark am Ende der marschenden Säule,

Schirmte die Mitte und hielt den Angriff der Feinde zurück.

Dennoch verloren die Seinen Gefährte, Reiter und Rinder.


Blut strömte nieder den Pfad, die Felsen hallten von Schreien.

Unaufhaltsam rollten Gesteine, niederschlagend die Krieger.

Hannibal fand sich getrennt von Rossen, Maultier und Troßzug,

Hielt mit der Hälfte der Männer auf kahlem Felsen die Stellung,

Schirmte die Seinen so lang, bis endlich nach nächtlichem Kampfe

Mühvoll der Ausweg gelang durch finstre steinige Enge.


Erst als Tageslicht kam, vereinten sich endlich die Scharen.

Tief schon im Tale marschierten sie weiter gen Gipfel,

Mühsam und doch ohne weiteren feindlichen Angriff.

Hie und da versuchten die Stämme in kleinen Gruppen

Hinter den letzten der Seinen sich schwach zu vergreifen.

Doch Hannibals Elefanten verschreckten die wilden Barbaren,

Schrecken gebar ihre Form, ihr stampfender Gang und ihr Brüllen.


Am neunten Tage der Reise erklomm das Heer nun den Gipfel,

Hannibal selber befahl, ein Lager zu schlagen am Wege.

Hart war der Aufstieg gewesen, durch wilde, verworrene Pfade,

Oftmals auf trügerischem Steig, betrogen von Führern,

Oder in Tälern verirrt, die lockend den Eingang geboten,

Doch ins Verderben geführt und nicht zu den ferngelegten Zielen.


Zwei lange Tage verweilte das Heer auf ragender Höhe,

Dämpfte die Qualen des Marschs und sammelte wieder die Kräfte.

Viele der Rosse, die flohen in Angst, auch störrische Maultier’

Kamen von selbst zurück, gefolgt der Spur ihrer Herren.

Packtiere, die tief im Schutt der Felsen gestürzt waren,

Fanden den Weg durch die Spuren der Scharen zurück in das Lager.


Doch nun drohte der Frost, denn bald versanken die Plejaden,

Schneeflocken fielen und hüllten die Gipfel ringsum in Weißglanz.

Schwer lastete Furcht auf den Männern, vom Leiden gezeichnet,

Fürchtend, was noch bevorstand, verzweifelnd am kommenden Winter.

Früh, als der Morgen erwachte, da zog die zermürbte

Schar durch die schneeigen Pfade, den Tod in verhärmten Gesichtern.


Hannibal sah ihr Verzagen und suchte, die Herzen zu heben.

Ritt in die Höhe, wo freier der Blick sich öffnete weit hin

Über das Tal des Po, nach Süden, zu römischen Landen.

Seht nur, ihr Männer,“ so rief er, „dort unten liegt Italien!

Nicht mehr müsst ihr nun steigen, die schlimmste Mühsal ist endigt.

Dort, wo die Ebene ruft, empfangen uns willig die Gallier,

Kämpft nur noch wenige Schlachten, dann haltet Rom in den Händen!“


Dann, als die Dämmerung wich, befahl er, das Lager zu brechen,

Lenkte den Marsch in den Hang hinab, durch tückische Steige.

Kaum noch zeigte sich Feind, nur raubende Streuner erschienen,

Doch war der Weg in die Tiefen weit schlimmer als jener hinauf war.

Schmal war der steinige Pfad, hinab in wirbelndem Abgrund,

Tückisch der Schnee, dass Ross und Reiter ins Nichts stürzten,

Stolperte einer, so riss er die Nächsten mit sich in den Abgrund.


Schlimmer noch, da sie ein stürzender Hang nun plötzlich erreichten,

Wo durch Bergrutsch der Weg in gähnender Tiefe verschwunden.

Dort nun stockte das Heer, entmutigt, zum Rückzug bereit schon.

Hannibal, hinten verweilend, vernahm nun das haltende Zögern,

Drängte nach vorne und sah mit eigenen Augen die Klippe.


Hannibal sann, dem unwegsamen Pfade zu weichen mit Umweg,

Doch ein fallender Schnee versperrte den Pfad und das Weiter-

Schreiten war unmöglich; gezwungen, ließ er die Hoffnung.

Länger zwar hätt’ der Umweg gedauert, doch schien es geboten,

Wollt’ er vorwärts gelangen auf unbezwungenen Hängen.


Seltsam war diese Lage, fast schien sie des Schicksals ein Spielwerk:

Neu war der Schnee, der gefallen, doch ruhte der alte darunter,

Hart und gefroren; so gab das weiche Gewölk unter Schritten,

Doch als tiefer sie drangen zum eisigen Grunde, da fanden

Weder die Tiere noch Menschen mehr Halt auf der spiegelnden Fläche.

Tückisch entglitt nun jeglicher Tritt auf dem rutschigen Eise,

Gleich als schritte man aus durch Schlammes glitschige Pfützen.


Schlimmer noch war’s für die Männer, denn fiel einer nieder, so glitt er

Länger hinab, je mehr er sich stemmte mit Händen und Knien,

Nichts half Klamm’rn und Greifen, die Schräge war allzu gewaltig.

Doch auch so kam keiner voran, denn das frische Geflocke

Gab nur trügerisch Halt auf dem älteren Grunde der Eismass’,

Bis es zertreten zerfloss und der blanken Fläche nichts deckte.

Glitschig und nass ward unter den Tritten die schimmernde Eises-

Fläche, auf welcher kein Halt, kein Baum, keine Wurzel zu fassen.

Stürzend und rutschend rollte man abwärts, hilflos im Falle.


Schwerer erging es den Tieren: Sie brachen durch tiefere Schichten,

Wälzten sich schwer mit Last und erstarrten auf frostigem Grunde.

Mulis versanken, strampelten wild und brachen mit Hufen

Tiefer ins Eis, bis schließlich die zähen Schichten sie hielten,

Fest wie im Schraubstock; wütend sie schlugen und waren gefangen.


Hannibal gab den Versuch auf, Umwege weiter zu suchen.

Fegte den schneeigen Grat und ließ das Lager dort aufschlagen.

Tagelang ward nun geschaufelt, mit Mühen der Pfad ausgehauen.

Endlich, am Tage des dritten, war Bahn für das Maultier bereitet,

Pferde geführt und unten gelagert, fern von der Kälte.

Numider schickte er aus, um weiter den Weg zu bereiten,

Endlich am vierten Tag, mit Müh’, die Elefanten gezogen,

Hungrig und schwach, doch endlich hinab zu sonnigen Hängen.


Steiler der Abstieg; es galt, den Felsen zu spalten mit Feuer.

Bäume gefällt, sie türmten das Holz und schürten die Flammen,

Wehten die Winde, so loderte glühend der Brand an den Felsen.

Sauerer Wein ward gegossen auf brennende, rötliche Spalten,

Plötzlich zerbarst das Gestein, sie schlugen mit Hämmern und Hacken,

Schufen den schmalen, gewundenen Pfad, dass Tiere hinunter-

Schritten und selbst die gewaltigen Elefanten hinabkamen.


Oben war’s öd und leer, wo der Schnee den Sommer durch hauset,

Doch halbwegs abwärts sprossten die grünen Matten der Fluren,

Wälder durchzogen von Bächen, ein menschenwürdiges Landstück.

Vier Tage lag das Heer am Fels in frostiger Öde,

Fast verhungert das Vieh, denn keine Weide war oben,

Tiefere Täler jedoch versprachen Fülle und Nahrung.


Endlich scharten sie sich um Hannibal, zogen hinunter,

Drei Tage noch, dann kamen sie nieder zum lieblichen Flachland,

Wo sie verweilten und Rast nach Mühsal und Kälte genossen.






ACHTER TEIL

AFRIKANISCHE PHILOSOPHIE



Dieses Lied erzählt von der Zeit, da Afrikas Denker

Fanden den Pfad zum System, vom zwanzigsten Jahrhunderte an.

Sokrates sprach es im Theaitetos: Staunen, das sei es,

Worin die Weisheit beginnt – Aristoteles folgte dem Wort.

Doch nun lehret die Forschung, es gäbe verschiedene Arten,

Staunen sei mehr als nur eins – welches entfachte dies Licht?

Zwei sind bekannt aus dem Abendland: Thaumazein, das Erstaunen,

Miraculum, das fragt – Neugier, die Wurzeln erschließt.

Beide bestanden gewiss auch dort in den Ländern des Südens,

Längst vor systemischem Grund, seit den uralten Tagen der Ahnen.

Aber es trat eine neue Gestalt in das philosophische Denken,

Onụma heißt sie genannt – Frust, der den Zorn einst gebar.


Afrikaner kehrten zurück aus den Stätten des Westens,

Heim aus den Hallen der Lehr’, doch geschlagen vom Hass.

Rassisch verhöhnt, als Sklavenspross tief erniedrigt,

Galten als Wesen zweitrangs, nicht von Vernunft noch Kultur.

Kehrten zurück in die Heimat und fanden dieselben Verhältnisse,

Kolonialismus und Zwang, Willkür der Herren und Pein.

Frust, der genährt durch Verachtung, ließ sie den Aufstand entfachen,

Suchend nach Wahrheit und Sinn, sprach zu den Seelen der Zorn.


Sklaverei und Kolonialgewalt, das Lied der Erniedrigten,

Schufen ein Bild von dem Land, schwarz wie das tiefste Vergessen.

Doch aus der Schmach wuchs Denken empor, Empörung gebar es,

Geistige Auflehnung sprang, heiß wie das Feuer, hervor.

Erst als Nationenbegriff, dann als tiefere Forschung,

Philosophie ward geformt, Frust war die Mutter des Lichts.

Denn die Verleumdung der Weisen des Westens, Kant und Hegel,

Levy-Bruhl und die andern, schufen ein Bild voller Spott.

Afrikas Volk sei roh, verstandlos, ohne Vernunftgeist,

Taugte nicht je zur Kultur, sei nur von Instinkt bestimmt.

Diesen Betrug zu entthronen, zu stürzen das Lügengebäude,

Machten die Denker sich auf, mit Feder und Wort und Verstand.

So begann eine Zeit, da die Philosophie ward gegründet,

Afrikas eigenes Denken, wider den Spott der Gewalt.


Danquah war einer der ersten, gefolgt von Hebga,

James, auch Akesson, Césaire, Senghor und Nkrumah,

Nyerere, Abraham, Mbiti, die alle berufen,

Gleichwohl mit Jahn und Tempels, Worte zu schreiben voll Glut.


Afrikas Philosophie, als eine systemische Studie,

hat nur eine geringe, doch dichte Geschichte geformt,

denn in Jahrzehnten geschah, was besser in Jahrhunderten reifte.

Später vollbrachte man manches, was früher geschehen sein sollte,

frühes Vermächtnis vermischte sich so mit den mittleren Zeiten.

Nach der Kolonialzeit erkannten die Denker des Landes,

Afrika sei unvorbereitet der Welt eingesogen ins Netzwerk.

Einst war Afrikas Wesen europäisch geprägt in den Zeiten

kolonialer Gewalt, sein Denken, sein Maß und sein Urbild

wurden geformt vom Schatten der Herrschaft, der riesig dahinter

ragte, sodass er sich fügte in fremde Kulturen und Werte,

ohne verbunden zu sein mit der Tiefe des eigenen Wesens.


Eilig verflogen die Lügen, die einst ihm die Fremden versprachen,

als der koloniale Gigant mit seinem Schatten verschwand.

Nun, in der globalen Ordnung, ward ihm zur Schande die Täuschung,

weiterhin westlich zu sein, wie vormals der Fremde ihn prägte.

Hatte er doch Kolonialismus verstoßen, den Herrscher verjagt,

wurde ihm klargemacht, dass er nicht mehr unter dem Schutz stand,

den das europäische Siegel gewährte in früherer Zeit.

Plötzlich erkannten die Weisen, die tiefer die Dinge durchschauten,

Täuschung umfing sie, ein Trugbild von eigenem Sein in der Fremde.

Eilig erklang eine Frage, die jeden Afrikaner bewegte:

Wer bist du?“ – Doch aus Europas verzerrtem Blick klang die Antwort:

Wilder, Primitiver, fast weniger noch als der Mensch.“

Drängend und eilig begann nun das große Erwachen des Denkens,

suchte die Seele des Landes nach Eigenheit, Wurzeln und Kraft,

um sich zu lösen vom Fremden, Geschichte und Wege zu finden,

die es aus eigener Quelle auf neue Fundamente stellt.

So begann mit Cesaire, mit Nkrumah, mit Damas die Suche,

Negritude ward geboren, die Stimme des schwarzen Bewusstseins.


Danquah erforschte mit Geist, Akesson ergründete tief

Recht und Politik des Landes in reiflicher Prüfung.

George James schrieb Geschichte des Denkens und schuf eine Brücke,

Meinrad Hebga vernahm die Logik der Völker Afrikas.

Tempels, der Europäer, ein Missionar aus dem Westen,

suchte dem Lande zu helfen mit Bantu-Philosophie,

wollte beweisen, dass Afrikas Geist ein System für sich trage.

Doch es war James, der weiter und kühnere Thesen verkündete,

sprach von geraubtem Erbe, von Weisheit, entwendet dem Süden.

Stolze Europäer beschämend, behauptete James:

Griechische Lehren entstammen Ägypten, sind gar nicht europäisch!“

Doch was er sagte, erklang im Gehör des Westens vergebens,

denn es bewies nicht das Eine: Wer wirklich dies Wissen erschuf.

Afrika bleibt in der Fassung von James nur südlich der Wüste,

hoch-melaninreiche Menschen aus dunklerer Herkunft gemeint.


Viele Denker des Landes betraten die philosophischen Pfade:

Cesaire, Mbiti, Oruka, mit ihnen Nyerere,

Senghor, Azikiwe, Awolowo und Kegame,

Nwala, Edeh, Onyewuenyi und Olela,

öffneten Tore des Geistes mit kraftvollen Worten und Werken.

Einige suchten die Wurzeln des Denkens in Afrikas Erde,

andere strebten nach Wegen der Politik und der Macht.

Doch all dies Streben, es fällt in die frühere Epoche,

die mit den ersten Gedanken den Grund für das Kommende legte.


Dann kam das große Gefecht der Gedanken, die Zeit der Debatten.

Jene, die früher Gedanken gefasst, verteidigten heftig,

doch eine kritische Stimme erhob sich mit schneidendem Zweifel.

Momoh, Horton und Maurier, Keita, Bodunrin, Wiredu,

Gyekye, Wright, Omoregbe und Okolo,

Hountondji, Hunnings, Oruka und Sophie Oluwole,

all diese Denker verflochten die Worte in glühender Prüfung.


Die mittlere Zeit wich langsam der späteren Epoche,

deren Bestreben es war, ein afrikanisches Wissen

neu zu erbauen, das rein von Ethnophilosophie bliebe.

Zwei Lager stritten sich heftig: Die einen, die Alten,

die sich Rekonstruktivisten nun nannten und forderten, alles

müsse gereinigt von fremden Spuren und frei von

afrikanischen Prägungen sein, um als echt zu erscheinen.

Jene dagegen, die eklektisch verfuhren, verbanden

weise das Neue mit Altem, um Wahrheit zu finden.

Doch bald stieß jene Rekonstruktion an Mauern und Wände,

denn was sie schufen, erschien als bloß westliche Lehre,

ohne die Zeichen, die eine Philosophie aus Afrika brauchte.

Nur weil ein Denker aus Afrika stammte, genügte

dies nicht, um sein System als afrikanisch zu werten –

fiel es doch jeglicher Prüfung zum Opfer, die kam.

So ward der Einfluss der kritischen Schule geschmälert,

bis sie zuletzt vom eklektischen Lager verschlungen.


Jene, die weise verbanden, die Alten mit Neuem,

ebneten Wege, um eine Epoche zu künden,

welche das philosophische Gespräch in den Mittelpunkt stellte.

Nicht bloße Mischung, vielmehr ein systemischer Aufbau

führte das Denken der neusten Epoche nach vorn.


Rückblickend teilen Historiker Zeiten der Lehre

in zwei große Bereiche: Die Vorsystemzeit und die späte,

wo das systemische Denken erblühte. Die erste

fasst die Kultur und das Denken der alten Weisen zusammen,

deren Gedanken verborgen im mündlichen Wort überlebten.

Manche von ihnen, die lehrten, in Ägypten und auch in

Äthiopiens Reich, sind kaum dokumentiert worden.

Erst mit der Rückkehr der ersten Philosophen des Westens,

die in den Zwanzigern kamen, begann eine neue Periode:


Frühzeit von zwanzig bis sechzig, darauf die mittlere Phase,

die bis zur achtziger Zeit uns führte, gefolgt

von der späteren Zeit bis hin zu den neuen Gedanken,

welche seit neunziger Jahren das Feld dominierten.


Doch soll dies nicht bedeuten, dass Denker des Alten

schwiegen und nie über tiefste Probleme nachsannen.

Vieles verloren in Schriften, vernichtet und nicht mehr vorhanden,

bleibt uns verborgen, sodass wir nicht prüfen die Tiefe.

Doch als System erst spät erhoben, erstrahlte

Afrikas Denken in neuem Gewand der Moderne.

Ob nun Augustinus, der einst in Numidien lebte,

oder Amo, der aus Ghana zur westlichen Lehre gelangte,

ihre Gedanken, durch fremde Systeme geprägt, sind

schwerlich als wahre afrikanische Schule zu werten.

Doch dies bleibt stets eine hitzige Frage des Streites:

Gehören jene nun beiden zugleich, oder keinem?

Denn was bedeutet es wirklich, ein Denker Afrikas zu sein?

Nicht nur Geburt kann dies Maß sein, auch Denken entscheidet!


Doch um zu lösen den Streit, schlug man neue Wege

durch das Gespräch, das die klügsten Geister begannen.

Nicht zu verwerfen die alten Gedanken, noch blind sie

einfach als rein afrikanische Lehren zu preisen,

sondern im Lichte der Vorsystemzeit zu erforschen,

wie sich Gedanken durch Zeiten und Räume ergaben.

Jene, die einst durch Orale Kultur ihre Weisheit

weitergegeben, verbleiben verborgen im Dunkeln,

doch ihr Vermächtnis zu heben, bleibt Ziel der Epoche.


Weil es gewichtige Zweifel bei weisen Denkern Afrikas

Gibt, ob man dieses Kapitel wohl in der Chronik verzeichne,

Bleibt die ägyptische Frage ein Streitfall alter Epoche:

Ob denn die Schöpfer der großen Kultur am Strome des Nils wohl

Schwarze gewesen, vom Süden her aus Sahara gezogen.

Denn ob die Denker, die einst die gestohlene Weisheit beklagten,

Zeigten, dass Griechen von Ägyptern viel übernahmen,

Blieb doch die Wurzel der Lehre in dunklen Schatten verborgen:

Wer waren jene, die jene Gedanken geschaffen und prägten?

War es das Volk mit der schwärzesten Haut, das südlich der Wüste

Lebte und blühte? Es blieb ein Behaupten, doch keine Gewissheit.

Sicher, die Zeiten der Schmach und die Bürde kolonialer

Macht ließ solch kühne Ideen entstehen, um Stärke zu zeigen.

Aber der Lauf der Geschichte enthüllt nach Jahrzehnten der Prüfung,

Dass es vergeblich erscheint, an der alten Behauptung zu kleben.

Doch wenn ein Denker dies dennoch behalten will als Vermächtnis,

Soll es behutsam ins vage Gebiet der Frühzeit versetzt sein.


Hier in dem Werke nun soll von Afrikas Weisheit gesprochen,

Von ihrer Ordnung, den Schulen, Bewegungen, Zeiten und Fragen.

Streit mag bestehen in jeder Epoche, doch einen verbindet

Immer die Last ihrer Zeit, das Problem, das jene bestimmt hat.

Denn es ist Regel, dass jede Epoche sich selbst definiere

Durch ihr Problem und den Fokus, der Denker zusammenschließt.

Daher mag einer den Weg der Geschichte durch Menschen verfolgen,

Einer durch Zeiten – doch treffen am Ende sie beide zusammen.

Dies zeigt, dass Denkende immer gemeinsam ein Zielfeld umkreisen,

Lösungen suchend für das, was die Zeit ihnen auferlegt hat.

Also wird dieses Kapitel sich stützen auf feste Kriterien,

Epochen, Schulen und Strömungen, stets mit Blick auf Personen.


Drei ganze Dekaden und mehr schon währte das Ringen,

Ob man von Afrikas Weisheit als echter Philosophie spreche.

Schließlich ward anerkannt, dass sie sei – doch was macht sie zur solchen?

Hier nun entzweien sich Schulen, geteilt in zwei große Parteien.

Traditionellen gilt alles als weise, was tief in den Bräuchen

Alter Gemeinschaften liegt, im Gedankengut alter Geschichten.

Jene jedoch, die den Geist der Analyse und Prüfung verehren,

Sagen, Philosophie müsse stets von einzelnen stammen,

Deren Reflexion kritisch und frei, vom System ungebunden.


Tiefer ergründet ward dies in der langen und hitzigen Debatte,

Zwei klare Wege entstanden, sich scharf voneinander zu scheiden:

Erstens ein Rasse-Kriterium – Weisheit sei afrikanisch,

Wenn sie von Menschen des Erdteils verfasst und gelehrt worden sei.

Solches vertraten Hountondji, Oruka zu Teilen und Bodunrin,

Doch es erschien vielen eng und zudem exklusiv und beschränkt.

Andererseits gibt es das Traditions-Kriterium, das Weisheit

Nicht an die Herkunft der Denker, doch an das Umfeld gebunden.

Afrikanisch sei Denken, wenn es inspiriert sei von Kulturen,

Nicht ob der Denker nun schwarz sei oder aus Afrika stamme.

Hierher gehören Oruka erneut, auch Hebga, Momoh,

Etuk, Omoregbe, Chimakonam und Bodunrin später.

Doch auch dies wurde bestritten, da unkritische Züge verbleiben,

Wo man zu eifrig vergangene Denkformen lobpreisen wollte.


Neu ist die Frage der Sprache – in welcher solle man denken?

Macht es die Weisheit afrikanisch, wenn sie in den Sprachen

Afrikas wurzelt, anstatt in den fremden der Kolonialzeit?

Jene, die Sprache zum Prüfstein erheben, berufen sich häufig

Auf Ngugi, Kezilahabi, Bello, Ogunmodede.

Zeitgenossen wie Tangwa, Uduagwu und Maduka fragen,

Ob denn Philosophie im Fremden noch ihre Kraft wohl bewahre.

Und gar Rettova als Fremde beteiligt sich an der Debatte.

Aber das letzte Wort bleibt noch offen – was macht Philosophie aus?

Afrikanische Weisheit ist Denken, ist kritisches Forschen,

Doch ihr genauer Bereich bleibt in Fragen und stets umstritten.


Die Methode des Gemeinschaftsgeists spricht von der Einheit,

Von der Verbundenheit, Harmonie und Gemeinsamkeit.

So wie Ubuntu es lehrt, dass der Mensch durch Menschen besteht,

Und wie Mbiti betonte: "Ich bin, weil wir sind" – so es geschieht.

Forscher, die diese Methode oft wählen und sie gestalten,

Arbeiten an Personsein, Gemeinschaft in vielen Entfaltungen.

Menkiti, Ramose, Gyekye, Metz und Matolino,

Eze und Akiode, Oelofsen und Praeg ebenso.


Die Methode der Ergänzung, von Asouzu klug erdacht,

Sieht in jedem Element ein Glied, das die Ordnung bewacht.

Nichts ist je nutzlos, vielmehr ist die Welt ein Geflecht,

Wo sich eins an das andere fügt, keines ist für sich echt.

Jede Variable verknüpft sich mit anderen Gliedern,

Ein "fehlendes Bindeglied", das sich nicht darf verlieren.

Edet, Agada und Chimakonam, sie gehen den Pfad,

Den die Ergänzungsmethode als Brücke erbaut hat.


Die Methode des Gesprächs – ein Wandel des Denkens,

Wo Gegensätze sich regen, statt einfach zu lenken.

Relationalität wird hier tief begriffen,

Denn alle Variablen sind eng verstricken.

Kontext bestimmt, wie Gedanken sich formen,

Ergänzung verbindet, lässt Gegensätze nicht verdorren.

In Gesprächen von Schulen und Strömungen breit,

Steht Nwa-nsa dem Nwa-nju zur intellektuellen Streit.

Chimakonam war es, der diesen Weg eröffnete,

Viele Denker folgten, die Diskurse verknüpften.


Die ethnophilosophische Schule begann als die erste,

Wo Denken und Kultur als Einheit man bewertete.

Doch Kritiker rügten, sie sei zu eng gefasst,

Placid Tempels und Kagame gehörten zu dieser Last.


Die nationale Schule, ideologisch geprägt,

Bekämpfte Kolonialismus, hat Tradition bewegt.

Nkrumah, Nyerere und Senghor, sie führten das Wort,

Für Afrikas Zukunft als freier Ort.


Die Schule der Weisen betonte den tiefen Gedanken,

Die in alten Kulturen schon fest verankern.

Oruka der Kenianer erforschte die Alten,

Doch Kritiker fragten, ob Weisen so sprachen.

Gruaile verglich er, hielt ihn für minder,

Doch die Methode bleibt – mit Vorbehalten dahinter.


Weithin bekannt ist die Schule, die Hermeneutik sich nennet.

Sie betrachtet als Kern der Philosophie das Werk der Deutung:

Afrikas Weisheit in Liedern, in Mär und Legenden verborgen,

und die Texte, die neu sich erheben im philosophischen Diskurs.

Okere Theophilus lehrt es, Okolo wie auch Serequeberhan,

Kazeem Fayemi Ademola gesellt sich zur Gruppe dazu.

Aber verworren erscheint ihr Pfad, da sie doch Ethnophilosophie

strikt verwerfen, obwohl das Material, das sie lesen und deuten,

braucht die Methoden genau dieser alten, verschrienen Gedanken.

Okere, Okolo, sie zogen die Weisheit der Ahnen zu Rate,

selbst wenn sie abseits zu stehn behaupteten von ihrem Bestand.

Diese Schule vertritt das Bauen des Mittleren Zeitalters,

Afro-Konstruktion genannt in den Schriften der Weisen.


Jene Schule hingegen, die sich der Literatur verpflichtet,

will die Kultur der Völker in dichterischer Weise verkünden.

Achebe, P’Bitek, Thiong’o und Soyinka, große Gelehrte,

stehen für diesen Gedanken, mit Wort und Geschichte sie lehren.

Doch von Kritikern gescholten als nur eine neue Verkleidung

alter Ideen, die ethnophilosophischen Denkens entstammen,

trägt ihr Werk die Bewegung des mittleren Baus der Ideen,

Afro-Konstruktion zugleich wie das vorhergenannte System.


Groß ist die Zwietracht um jene, die als die Modernen benannt sind,

oder als Universalisten, die Logik der Weisen befolgend.

Sie behaupten, es sei nicht Philosophie, was andere treiben,

fordern die reine Kritik, das Denken des Einzelnen fordert

klaren Verstand und Methoden, wie sie die Wissenschaft leitet.

Wiredu Kwasi steht fest, Hountondji, Bodunrin, Maurier,

auch Richard Wright, die als Streiter des Denkens sich heben.

Was sie zerstörten, ersetzten sie nicht durch ein besseres Wissen.

Afro-Dekonstruktion genannt ist ihr Streben, verbunden

mit dem Versuch einer späteren kritischen Rekonstruktion.


Doch Momoh, der Weise, verlachte ihr Tun als leer und vergebens,

als logischen Neopositivismus der Väter beschrieben.

Denn sie sagen: In Afrika gab es bisher keine echte

Philosophie, die würdig sei, ernstlich bedacht zu erscheinen.

Doch wenn sie die Logik der Weisen Europas kopieren,

bedenken sie nicht, dass Kritik eine spätere Gabe der Zeit war,

nach Jahrtausenden erst in Europa zur Reife gelangte.

Sollten sie meinen, zuvor sei Europa nicht weise gewesen?


Eine Bewegung, geboren aus Zwist zwischen alt und den Neuen,

will sich versöhnen und beide Gedanken verbinden in Einssein:

Philosophie sei kritisch und doch aus dem Eigenen schöpfend,

Methode und System im Geiste der Ahnen verwurzelt.

Relational denken sie, Kontext bestimmt ihre Lehren,

Gegensätze verbinden, im Komplement sind sie verwoben.

Ihre Struktur basiert auf vier starken ideellen Pfeilern:

Grundlegend gilt das Verhältnis, das Denken im Beziehungsgeflechte,

Grenzen der Logik erfassen sie scharf als binäre Gegensätze,

fragen nach Ursachen, suchen den Kern der geteilten Begriffe:

Ob Differenz denn bedeute, dass eines dem andern nicht gleich sei,

und ob das Gegensatzpaar in sich denn versöhnbar nicht sei?

Iroegbu, Asouzu, Janz und Chimakonam,

Ozumba, Uduigwomen und viele weitere Denker,

bauen am Werk der Gespräche, gestalten die neue Bewegung,

die sich die Kunst der Versöhnung auf ihre Fahnen geschrieben.


Vier sind die Strömungen, die man erkennt in der Weisheit Afrikas:

Erst das Graben der Tiefe, dann Bauen und auch das Zerlegen,

später das Neugestalten durch kluge Gespräche der Weisen.


Jene, die suchten, zu bauen, das Denken der Ahnen zu ordnen,

kamen und schufen das Bild der Kultur in kohärenter Ordnung.

Manche von ihnen ersannen Identitäten der Völker,

andere dachten politisch, entwarfen neue Systeme.

Sieht man auf jene, die dieses Bestreben zur Blüte getrieben,

zählt man sie zu den Schulen, die Ethno und Nation verbinden.

Früh war die Zeit, da sie wirkten, die Vordenker Afrikas,

Zeigten die Eigenheit auf, die tief in den Völkern verborgen.

Danquah, Akesson, Tempels, Nyerere und Mbiti,

Kagame, Senghor und Nkrumah, Cesaire und die andern,

schufen das Bild des Denkens, das nun in der Welt fortbestehet.


Die Afro-Dekonstruktivisten, oft als Moderne bekannt,

Universalisten genannt, die strebend das Bauwerk zerstörten,

Das von den Grabern erschaffen aus minderwertigem Stoff ward.

Eigenes Denken verneinen sie, eine Kultur als getrenntes

Wesen zu wahren, missfiel; sie suchten die Einheit der Völker.

Doch sie errichteten nichts. Sie wollten ein Denken gestalten,

Das, von den Rassen befreit, die Grenzen der Welten durchdringe.

Hountondji war ihr Gefährte, Wiredu folgte daneben,

Bodunrin zählte dazu, Towa, Boulaga ebenso,

Wright mit Maurier auch, in Maßen noch Appiah später.


Gegen sie standen die Afro-Konstruktivisten, die Treuen,

Traditionisten genannt, die fördernd das Bauwerk erhoben,

Welches die Graber gelegt und als wahres Gedankengebäude

Afrikas selbst proklamiert. Sie suchten, mit strengerer Formung,

Neues zu fördern und Altes zu wahren mit geistiger Kraft.

Menkiti schloss sich ihnen an, Onyewuenyi daneben,

Olela ebenso hier, Keita, Momoh und auch Jahn,

Oluwole sodann, Gyekye in Teilen verbunden.

Zwillingsbewegungen waren sie, oft als Ethnophilosophen,

Hermeneutiker auch, mit dichterischer Schule verbunden.

Mittlere Zeiten sahn sie gedeihen, um dann zu vergehen.

Groß war die Debatte, die während der Periode entflammte.


Kritischer Aufbau erschien, aus der Mitte sich hebend,

Skeptischer Sinn suchte neu, den Bau einer wahren Philosophie.

Reine Kritik ward gefordert, mit Klarheit und Einzeldurchdringung,

Weltlich und dennoch vereint im Streben nach tieferem Denken.

Doch was die Alten zerstörten, war doch nicht durchdacht genug.

Wiredu trug es hervor, Oladipo zählte daneben,

Mudimbe, Masolo, Oruka, auch Appiah später,

Hallen und Sodipo trugen Gedanken von Wert.

Doch sie begegneten jenen, die Afro-Eklektik benannten:

Von der Konstruktion entstiegen, doch nicht auf den Sturz sich besonnen,

Fanden sie mittleren Weg: Die Tradition bleibt als Quelle,

Doch mit der Schärfe des Denkens vereint zum neuen Gefüge.

Gyekye war hier mit dabei, Uduigwomen mit Sogolo,

Menkiti trug es, Appiah auch, und Jay van Hook ebenso.

Wichtige Wege eröffneten sie, zur Versöhnung bewegend,

Um einen Ausgang zu finden, der hin zum Gespräch sich entwickelt.


Also erschienen die Weisen, die Dialoge bevorzugten,

Kritische Prüfung verbanden mit Geist der Erneuerung stetig.

Philosophieren, so sagten sie, heißt in Gesprächen zu ringen,

Nicht nur die Analyse zu pflegen, doch Neues zu schaffen.

Arumaristik erschien, ein Wandel von These zu These,

Um so Begriffe zu prägen, die tiefere Einsicht gewähren.

Iroegbu war unter ihnen, Asouzu mit Ijomah,

Ozumba, Chimakonam, Mangena und Vest,

Ogbonnaya sodann, Enyimba, Attoe und Haidarian,

Viele mehr reihte sich ein, zu den Gesprächenden zählend.


Epochen der Philosophie, in Afrika selbst diskutiert,

Wurden verschieden geformt von den Denkern vergangener Zeiten.

Westliche Formen zu folgen, erschien als ein Fehl in der Sicht,

Denn wo die Moderne begann, war Afrika anders geordnet.

Kein Mittelalter durchlief es, kein Renaissance-Strom ergriff es,

Daher bedarf es Modellen, die sich der Wahrheit annähern.

So sprach Asouzu davon: Das Kopieren der Fremden muss enden!

Besser erschien ein Modell, das die Wirklichkeit näher beschreibt:

Unsystematisch begann das Denken, ein freieres Wandern,

Bis eine Ordnung entstand, die dann in vier Zeiten sich teilte:

Früh war die Kindheit des Denkens, die Mitte brachte Konflikte,

Spätere Zeiten versöhnten, das Jetzt ist Gespräch und Bewegung.


Dies ist die Zeit von dem ersten Homo bis hin zum Neunzehnhundertsten,

Afrikas Denker, von Asouzu benannt als die "Anonymen",

jene, der Namen verloren im Strom der Geschichte versanken.

Ägypter mag es betreffen, die alten, und auch die Äthiopen,

solche, die einst in Europa gelebt und gewirkt und gedacht einst.

Streit gibt es auch um Augustinus, Anton Amo, die Frage,

ob die Philosophie dieser Männer dem Lande Ägypten entspringe.


Seit den Zwanzigerjahren, nun ordnet sich alles in Formen,

Denken in Schrift und in Lehre, geprägt von Afrikas Leiden,

Schärfung des Geists und der Feder, um Not und Elend zu wenden.

Diese Epoche zerfällt wiederum in vier verschiedene Zeiten:

Frühe, mittlere, späte und die der Moderne.


Jene war Zeiten der Suche nach Wurzeln, nach eigenem Wesen,

drängend zu retten, was einst im Strome der Zeiten verloren.

Ethnophilosophie entstand hier, auch nationale Gedanken.

Hegel, der schrieb: "Sie besitzen nichts Höheres, bilden Geschichte

nicht mit, noch tragen sie bei zur Kultur der zivilisierten."

Levy-Bruhl war nicht minder verächtlich in seinen Behauptung’,

sprach von den Völkern des Südens als „präl logisch denkend“ und roh gar.

Solche Gedanken durchdrangen den Geist kolonialer Bestrebung,

Englands System wie der Franzosen politischer Wille:

Denen zu rauben, was eigen, und Fremdes darüber zu breiten.


Frankreich wollte, dass Afrikaner sich selber vergessen,

ihre Kultur und ihr Denken ersetzen mit französischer Weise.

Nur wer bereit war, sein Eigenes ganz zu verleugnen,

sollte Franzose sein – jedoch stets ein zweiter, ein kleiner.


Auch die Briten, sie lehrten den Völkern des Südens ihr Eigen,

ihre Kultur und ihr Wort – doch nicht, um sie gleich zu erheben.

So war die Täuschung perfekt: Der König sei auch ihr König,

ihr sei das Reich – doch im Wandel der Zeit kam die Wahrheit ans Licht bald.

Kolonialismus verging, und mit ihm das falsche Bewusstsein,

plötzlich war alles zerstört, die Vergangenheit raubte das Alte,

Neues jedoch war verwehrt; sie blieben entwurzelt und leer nun.


So begann eine Suche, getrieben vom Ringen der Fragen:

Was ist Afrika? Wo ist das Selbst, das man uns entrissen?“

Dreifach der Schlag, der das Volk in die Tiefe der Ohnmacht versetzte:

Rassismus, Knechtschaft und Kolonialgewalt wüteten grausam.

Doch war es Letzteres, das am tiefsten die Seele verletzte,

denn es verhieß eine Freiheit, die sich als Trugbild erwies nur.


James, der schrieb von dem Raub, dem Erbe, das Ägypten genommen,

sprach von den Griechen als Dieben der Weisheit des schwarzen Kontinents,

sagte: „Sie nahmen das Denken, die Kunst, Religion und die Lehre,

raubten das Wissen der Völker, verneinten die Quelle des Ursprungs.“

So sei es Zeit, dass das wahre Gesicht nun ans Licht werde gehoben,

Afrikas Stimme erhebt sich und fordert ihr Erbe zurück nun.


Kräftige Lehren, gestützt auf Beweise, durchdachte Gedanken,

kündeten eilends den Wandel der geistigen Weltkultur an.

Doch es bestand ein Problem, das James nicht lösen vermochte:

Niemals bewies er, dass hochmelaninreiche Völker des Nordens,

die man Ägypter benannt, die Schöpfer von Kunst und von Wissen,

Religion und Philosophie der Antike gewesen.

Hoffend behauptet er dies, doch schlussfolgert unstet und schwankend:


Dies wird bedeuten: Die Meinung der Welt und ihr ganzes Verhalten

ändert sich gänzlich für Völker und Rassen, die willig erkennen,

dass nicht die Griechen die Urheber griechischer Weisheit gewesen,

sondern die Völker des Nordens Afrikas waren die Schöpfer.

Einstige Missachtung schlägt in Achtung und Würde hinüber,

und man behandelt von nun an die Schwarzen mit würdigem Maße.“


Doch ist es fraglich, wie Ruhm der Ägypter den Schwarzafrikanern

Ehre verleihe und wie dies zur Rettung des Erdteils gereichte.

Gleiches Problem fand sich auch in Olela’s tiefgründigem Werke,

welches den Ursprung der Weisheit der Griechen in Afrika suchte.


Doch in Onyewuenyi’s Werk „Afrikanischer Beginn der

griechischen Philosophie“ erscheint ein Versuch, dies zu füllen.

Zunächst verwandelt er Griechenlands Lehren in ägyptische Weisheit,

danach versucht er, Ägyptens Bewohner als Schwarze zu deuten.

Doch zwei Lücken vermochte er dennoch nicht gänzlich zu schließen:

Erstens besteht dieses Land als Nation seit uralten Zeiten,

und in den Schriften der Ahnen bezeichnen sie sich nicht als Schwarze.

Zweitens: War einst Ägypten mit Schwarzmelanin überhäuft,

warum besteht es dann heute aus Menschen mit hellem Pigmente?

Ohne Beweise versagt dieser These der Halt und die Stärke,

sodass Ägyptens Vermächtnis nur noch als Brücke verbleibet,

die zum systemischen Denken der afrikanischen Weisheit

führte, bis künftig Beweise die Wahrheit der Dinge enthüllen.


Frühe Gelehrte erdachten weitaus verlässlichere Wege,

um die Identität Afrikas geistig zu funden.

Danquah zum Beispiel verfasste die Schriften vom Akan-Gott,

Hebga entfaltete Logik im Denken der Völker des Erdteils,

Akesson schrieb über Seelenkonzepte der Akan-Völker,

Tempels bewies, dass Vernunft in der schwarzen Kultur war beheimatet.

Denn indem Tempels das Denken der Bantu zu Lehren erhob,

kämpfte er gegen die westliche Meinung von minderem Wesen.

Ja, er bewies, dass sich Geist und Religion nicht nur Afrikas

Völkern gehört, denn die Menschheit ist stets zu dem Höheren strebend.

Wahrlich, er zeigt in den Worten, die gleich zu Beginn sich erheben,

dass ein Europäer, der atheistisch sein Dasein gestaltet,

rasch in der Not sich zur Kirche begibt, um Errettung zu suchen.

Gleichwohl kehrt der Bantu-Christ, wenn Leiden und Tod ihm begegnen,

wieder zurück zu den Ahnen, den Wegen, die heilig ihm scheinen.


Seine Erklärung der Seinsauffassung der Bantu jedoch

zeigt nicht dieselbe Struktur, wie es westliche Denker bezeugen.

Tempels bekräftigt, dass diese nicht minder vernünftig erscheine,

sondern auf Gründen beruht, die dem Bantu als schlüssig erscheinen.

Keinesfalls ist ihre Lehre bar jeder Vernunft“, so behauptet er,

mag sie auch anders als jene der Westler im Denken sich zeigen.“


Doch in den Zeilen des Tempels verbarg sich die stillere These,

die er verbarg und zugleich mit der Hand wider Willen entblößte.

Afrika ward nicht beschrieben als Land von Verstand und von Ordnung,

sondern als Opfer des Geistes der Fremden, die kamen zu lehren.

Kritik daran kam von Hountondji, scharf auch von Asouzu,

der in den Spuren des Tempels ein großes Vergehen erkannte:

Tempelscher Schaden“ benannte er das, was die Denker verwirrte.

Denn was als Rettung erschien, war doch nur verzerrtes Verstehen.


Kagame griff diese These erneut auf, sie zu vertiefen,

und in der „Bantu-Rwanda-Philosophie“ bekräftigte er sie.

Doch mit Kritik ward sie bald als Ethnophilosophie gedeutet,

welche mit abwertend klingendem Worte herabgesetzt wurde.

Asouzu aber, der später sich diesem Problem zugewendet,

schuf in „Ibuanyidanda“ das neue ergänzende Denken.

Nicht die Vernunft selbst war strittig, nicht dass Philosophie in Afrika

blühe, doch fehle der klar durchdachte logische Grundsatz.

Asouzu tadelt den Fehler, den Tempels gemacht in den Schriften,

und auch Kagame, der diesen erneut wiederholte, gerügt wird.

So ward erneut ein Beweis für die Stärke des Denkens gefordert,

fernab von westlicher Sicht und der Logik des Aristoteles.


John Mbiti, ein Denker der Zeit, von Bedeutung für viele,

Forschte mit Eifer und Kraft, um die Wahrheit zu heben ans Licht hin.

Sein Werk „African Religions and Philosophy“ lehrt uns,

Wie schon vor Ankunft Europas die Völker Afrikas dachten,

Eigen geprägt von Kultur und von philosophischem Streben.

Zeitlich verstand er das Denken als Kreislauf, nicht lineares,

Blickte zurück auf das Sein und grub nach den Tiefen des Ursprungs.

Obwohl sein Augenmerk lag auf den Stämmen der Kikuyu,

Fand er Gemeinsamkeit auf in den Lehren der Völker.

Religion war für ihn und die Seinen nicht bloß ein Gedanke,

Sondern das Fundament, auf dem sich das Dasein erbaut hat.

Philosophie“, so spricht er, „sei eine, im Singular stehend,

Weil sie das Denken der Menschen umgreift in umfassender Weise.“


Mbiti verband die Philosophie mit der Religion stets,

Glaubte, dass Afrikas Mensch nicht ohne den Glauben bestünde.

William Abraham stimmte ihm zu in „The Mind of Africa“,

Auch wie Tempels zuvor in der „Bantu Philosophy“ lehrte.

Philosophie in Afrika sei gleich der lebendigen Kraft dort,

Wovon Religion die äußere Hülle des Wesens.

Seine Gedanken erstreckten sich hin auf die großen

Fragen des Daseins: Gott, das Jenseits, die Weltsicht, das Denken.

Wollte die wahre, verloren gegangene Art des Afrikaners

Heben aus Tiefen des Glaubens empor zu leuchtender Klarheit.

Doch nicht als Einzelner war er gedacht, sondern stets in der Einheit,

Darum verkündete er: „Ich bin, weil wir es gemeinsam sind!“

Afrika müsse den Weg in die Wurzeln der Ahnen beschreiten,

Dort sich im Glauben erneut und im Volk die Identität finden.


Doch war auch Mbiti, so wie Kagame, befangen

Allzu stark von den Lehren Tempels’ und westlichen Denkens,

Schrieb er dem Gott der Afrikaner die Züge der Christen,

Nahm unbesehen die Theorie von der Lebenskraft auf sich.


William Abraham dachte nicht anders als Mbiti und Tempels,

Sah die Kultur als den Quell, aus dem die Erkenntnis entspringet.

Dort lag verborgen die wahre Gestalt Afrikas, tief in

Altem Bestand, wo Religion und Kultur sich vereinten.


And’re beschritten den Weg der Befreiung auf Pfaden des Handels,

Auf denen Politik und Wirtschaft das Dasein erneuern.

Kwame Nkrumah, Senghor, Julius Nyerere mit ihnen,

Strebten nach einem System, das Afrikas Wesen entspräche.

Nicht kann Afrikaner sein, wer nur wie ein Europäer

Lebt, darum riefen sie laut: „Wir finden zurück unser Eigen!“

Fragen erhoben sich tief: „Welch’ Ordnung geziemt uns als Völkern,

Welches System wird gestalten die wahre Identität uns?“

Nkrumah erkor sich den Weg des afrikanischen Sozialismus,

Wurzeln geschlagen in alten, gemeinschaftlichen Ordnungen.

Wirtschaft, Politik, Philosophie – sie sollten zusammen

Leben in Einklang, getragen vom Geiste der Ahnen.

Werke entstanden von ihm: „Neokolonialismus“, „Freiheit“,

Afrika muss sich vereinen“ und „Consciencism“ folgten.


Senghor beschritt eine Bahn, die ähnlich wie Nkrumahs

Führte zur Wahrheit zurück: die Negritude war sein Leuchten.

Afrika stand ihm als Hort des Gefühls und des Herzens,

Gegen den Westen, der rein durch Vernunft und Kälte regiert sei.

Nicht sollte Frankreich die Menschen zu neuen Franzosen umformen,

Stattdessen galt es, Kultur und Sprache Afrikas hegen.

So schuf er Worte und Werke, die Afrikas Kraft bezeugten,

Wollte in Bruderlichkeit sein Volk und die Welt umgestalten.

Gleich war in vielem sein Denken mit Nkrumah und Tempels,

Gleich mit Mbiti, Abraham – stets war das Ziel nur das eine:

Afrikas wahre Gestalt aus dem Dunkel der Zeiten zu heben,

Sie zu bewahren im Strom der Geschichte, im Wandel der Erde.


Julius Nyerere, der Weise von Tansania, trat

früh in den Vordergrund philosophischen Denkens Afrikas.

Uhuru und Ujamaa, so hießen die Werke des Denkers,

Freiheit und Sozialismus, so auch der Inhalt der Bücher.

Afrikas wahres Gesicht, so suchte der Weise zu finden,

wirtschaftlich wie politisch, in eigenem, ehrlichem Streben.

Freiheit, Uhuru genannt, sei mehr als äußere Unabhängigkeit,

sei eine innere Kraft, die aus dem Volke erwachse.

Kultureller Imperialismus, so lehrt er, müsse bezwungen,

nicht durch Gewalt, sondern durch neue, aus Wurzeln gewachsene Ordnung.

So sei es das Ziel, aus Blüten der eigenen Kultur

Werte zu weben: Gemeinschaft, Geschwisterlichkeit, Miteinander.

Ujamaa nennt er das – das „Familiensein“ –, eine Haltung,

welche das „Wir“ statt des „Ich“ in den Vordergrund rückt.

Barry Hallen beschreibt’s: In vormoderner Kultur Afrikas,

Tansanias insbesondere, lebten noch Werte der Alten,

trotz Kolonialgewalt tief innen bewahrt und erhalten,

fähig, erneut das Gerüst einer neuen Ordnung zu bilden.

Für Nyerere war klar: Die Identität Afrikas gründe

nicht im Einzelnen, nein, in der Gemeinschaft der Völker.

Viele Philosophen jener Ära sind unbesungen:

Césaire, Azikiwe, Awolowo, Cabral –

auch Jahn und Griaule, obwohl aus fremdem Gefilde.


In der mittleren Zeit, die folgte dem ersten Erwachen,

trat eine doppelte Strömung hervor im Geiste des Denkens:

Afro-Konstruktion genannt, und ihr Gegenspiel: Dekonstruktion,

beide vereint in der hitzigen „Great Debate“ genannten Bewegung.

Zwei rivalisierende Schulen begannen nun, sich zu messen,

Tradition gegen Vernunft, das Alte im Streit mit dem Neuen.

Denn die Traditionalisten, sie suchten die Wurzeln zu finden,

bauend auf Bräuchen und Formen der alten Kultur Afrikas.

Doch die Universalisten, sie sprachen: „Das ist nicht Denken,

sondern nur Mythos, ein Sammeln von Stammesgeschichten!“

Was in der frühen Periode noch als Philosophie galt,

wurde nun angezweifelt – war es denn echte Vernunftkunst?


So entstand jene Frage, die alles Denken durchdrang:

Kann es Philosophie in der afrikanischen Weise

geben – geboren aus Geist, Religion und Kultur?“

Ist es gerechtfertigt, zu sprechen von „Philosophie Afrikas“,

wenn doch die Vielfalt der Völker so viele Wege bezeugt?

Oder sei es vermessen, das Denken der Ahnen zu einen?

Solche Gedanken entfachten die Flamme des Streits,

und aus dem Streit kam ein neues Erwachen der Fragen.


Zwei Lager entstanden: Die einen, die Altes bewahrten,

nannten sie „Ethnophilosophen“, Verteidiger alter Identität.

Die andern verspotteten dies und erklärten es schroff:

Dies ist kein Denken, dies ist nur Stammesgedanke,

wild und primitiv, von Vernunft und Logik entfernt.“

Doch jene erwiderten kühn: „Was ihr verachtet als simpel,

gründet in Weisheit, gewachsen aus Erde und Blut.“


Der Klarheit halber beginnt die Betrachtung des Streites

nicht mit dem Anfang, vielmehr mit der Mitte des Kampfes:

Im Jahr achtundsiebzig, in Ghanas Hauptstadt Accra,

sprach Odera Oruka, der Weise aus Kenia, zum Volke.

Er legte dar, dass die Denker zu Gruppen sich sammeln:

Vier waren es anfangs – Ethnophilosophie,

Weisheit der Alten, national-ideologische Schule,

und professionelle Denker mit scharfem Instrumente der Logik.

Später, im Jahre Neunzehnhundertneunzig,

fügte er zwei weitere Schulen zur Ordnung der Stimmen:

Hermeneutik, das Deuten, und Kunst, die in Worten die Tiefe

afrikanischen Denkens entfaltet in dichterischem Werk.


Ethnophilosophen, das waren die Hüter des Anfangs:

Momoh und Omoregbe, Keita, Oladipo,

Hunnings, Gyekye, Makinde und Edeh,

Nwala und Anyanwu, Ruch, die Wächter der Seele.

Zur Schule der Weisen gehörten auch Momoh,

Nze und Omoregbe, Okolo und Mason.

Die National-Ideologen – wie Nyerere voran –

Nkrumah, Cabral, Azikiwe und Awolowo.

Die Profis, mit analytischem Blick und vernunftklarem Denken,

waren Hountondji, Maurier, Wright, Bodunrin, Wiredu,

früher auch Ruch, Horton, und später Okolo.

Die Hermeneuten – sie deuteten Zeichen und Sprache –

waren Okere, Okolo, Serequeberhan, Sogolo,

auch Sodipo teils, Hallen zu nennen darunter.

Die Dichter und Denker in einem – in Lied und in Prosa –

waren Achebe, B’Bitek, Ngugi wa Thiong’o,

Soyinka, Amadi, auch Ogbalu zählte man hinzu.


Also im Jahre neunzehnhundert neunundachtzig legte

Momoh, der Weise, in seinem Werk „Substanz der Philosophie Afrikas“

fünf Philosophenschulen mit klarem Verstande dar:

Logisch-positiv die erste, benannt nach dem Denken Europas,

zweitens die Schule der Kolonialen und Missionare,

drittens Ägyptens Geist, der als Ursprung Afrikas galt,

viertens die Schule ideologischer Welterklärung,

fünftens die reine, die „puristische“ Sichtweise Afrikas.

Wiedergebracht ward sein Werk im Buche von Unah sodann,

in dessen „Metaphysik, Phänomen und Philosophie“ klar

jedes Gedankensystem mit kritischem Blick ward beleuchtet.


Vergleicht man Momohs System mit jenem Orukas, so zeigen

sich Parallelen: Die Schule des „Puristen“ umfasst

Ethnophilosophie, dichterisch-künstlerisch Denken

und der Weisen Gedankenkraft, wie Oruka sie nannte.

Logisch-positiv erscheint sodann gleich Orukas Schule

jenes Berufsphilosophen, der deutet, erklärt und versteht.

Ideologie, auch Mission, entsprechen der national

denkenden Richtung bei Oruka. Übrig jedoch bleibt

die ägyptische Schule, die Afrika sieht im Beginn dort,

wo die Pharaonen mit Weisheit das Denken gestalteten.


Bodunrin fasste in seinem Werk die Gedanken zusammen,

Philosophie in Afrika“, wie es im Buche erscheint.

Er teilte alle Systeme in zwei große Richtungen auf:

Traditionell sei die eine, die and're sei modernistisch.

Wiredu stimmte sodann mit ähnlicher Teilung dem bei,

auch er schrieb vom Alten, das mit dem Neuen sich ringt.

Uduigwomen ergänzte dies Bild mit „Universalisten“,

die allgemeine Normen befolgen, und „Partikularen“,

die aus dem eigenen Geiste und Volksgeist Wahrheit erschließen.

Eine dritte, „eklektische“ Schule, entstand aus dem Streit.

Diese erkennt, was aus Afrika stammt, als Philosophie an,

sofern es kritisch, logisch und prüfend gestaltet ist.


So verstand nun der Leser die Streite der mittleren Zeit,

welche geführt wurden, als Wright und Maurier schrieben,

Wright mit der Schrift „Zur Frage nach Afrikas Denken“

und Maurier: „Gibt es dies Denken in Afrika?“ – „Nein!“,

sprach er, „Noch nicht!“. So die Antwort, die viele empörte.

Keita, der Weise, trat auf mit klaren und starken Beweisen:

Afrika“, schrieb er, „hat einen literarischen Strom

denkender Tiefe seit alter Zeit, der verdient wird zu prüfen.“

J. I. Omoregbe kämpfte sodann gegen die Gegner,

griff vor allem Wiredu an, der das Denken verwarf,

das in Gemeinschaft entstand, nicht im Geist des Individuums.

Doch, so betonte er klar: Nicht muss das Denken Afrikas

dem des Westens entsprechen, um philosophisch zu sein.


Nicht ist’s nötig, dass einer, der denkend sich übt, sich bequeme

Aristoteles’ Kunst oder Russells Logik zu folgen.

Nicht ist’s Pflicht, zu verfahren wie Denker des Westens vor Zeiten;

Denken in Ordnung, Vernunft — sie entspringen dem Wesen des Menschen.

Kraft des logischen Sinns ist dasselbe wie Kraft der Vernunft;

Daher ist’s irrig zu sagen, ein Mensch sei der Logik nicht fähig,

Wär er nicht eingeweiht in das westliche Denken und Regeln.


Viele, im Westen geschult, mit der Lehre der Logik erzogen,

Sagen: „Wo westlich gedacht wird allein, da ist Philosophie nur.

Außerhalb solcher Methode sei Denken bloß Mythos und Märchen,**

Nicht sei’s technisch, nicht streng, nicht wissenschaftlich geordnetes Forschen.”**

Doch Omoregbe entgegnet: Dies sei ein Irrtum des Denkens,

Denn auch dort, wo kein Logos nach westlichen Formen sich äußert,

Wo die Begriffe sich nicht in Systemen der Schule entfalten,

Denkt doch der Mensch — und vernünftig! — im Ernst und mit prüfender Haltung.


Ruch und Bodunrin, Okolo, Horton — sie alle erhielten

Schärfste Kritik, denn sie suchten im Alten nur Zeichen von Schwäche.

Horton besonders, in „Science and Thought“, spricht vom Mangel an Logik,

Wolle beweisen: das Denken Afrikas sei nicht vernünftig.

Doch ihm entgegneten Denker — mit Hunnings begann die Erwiderung,

Auch Omoregbe selbst schrieb dagegen mit Klarheit und Schärfe.

Hebga bereitete früher den Boden mit „Logik in Afrika“,

Etuk, Momoh und Okeke bewiesen: da ist eine Logik,

Eigen, nicht minder geordnet, nicht schwächer in kritischem Prüfen.


Wiredu meldet sich dann mit gewichtigen Worten und warnt uns:

Vieles, was stammt aus der alten Kultur, ist Aberglaube –

Glauben, der frei ist von Gründen, gestützt nur auf Geister und Zeichen.

Nicht kann das gelten als wahre, gereifte, vernunftvolle Lehre.“

Scharfer noch urteilt er später, in Philosophie und Kultur,

Nannte das meiste, was gilt als „Gedanken der Ahnen“, als „Volkssinn“,

Nicht als die Frucht des Einzelnen, prüfend und logisch geordnet.

Nur wo Vernunft sich entfaltet in klaren Begriffen und Regeln,

Dort ist Philosophie, nicht wo Brauch oder Mythen noch walten.

Nur durch modernes Verfahren, durch Logik, Analyse,

Wird sich die Weisheit erheben und wirklich zur Wissenschaft reifen.


Oladipo stimmt ein: Wer das Denken nicht weiterentwickelt,

Bleibt in der Ohnmacht gefangen, vermag nicht das Dasein zu bessern.

Willst du die Ordnung der Welt verstehen, Natur dir erschließen,

Brauchst du Verfahren — die Logik, die Zahlen, das Denken in Klarheit,

Volkstum allein, das bewahre nur Sitte, nicht Wahrheit, nicht Wissen.

Wer das Unkritische lobt, versäumt, was der Menschheit gebührt ist.“


Oladipo, so spricht er, im Werk von Afrikas Gedanken,

deutet die Lehren der Ahnen als tiefer entstellte Bedeutung.

Moderne Geister, sie pflegen mit fremdem Verstand zu verurteilen,

was als Philosophie lebt in Mythen, Symbolen und Liedern.

Dies zu bestreiten, das wagten die Treuen des alten Gedankens,

Ruch und Anyanwu, sie gruben im Volkslied nach Weisheit und Sinnbild.

Mythische Tiefe bewahrte der Dogon geheimnisvoll Wissen,

wie es Momoh beschrieb und Anyanwu ehrend erklärte.

So ward der Streit um den Sinn der Philosophie stets vertieft nur.


Doch es war Hountondji, der mit nagelndem Wort in die Tiefe

schlug und verlangte, die Form des Westens zu ehren im Denken:

Logik und Methode, das seien die Bahnen der Weisheit –

alles, was lebt als Gedanke, muss dort sich bewähren in Prüfung.

Anyanwu selbst, er gestand: Ja, schwer ist der westliche Anspruch,

doch nicht zur Tilgung, vielmehr zur Ordnung ruft er uns auf.

So sprach er mahnend von Wegen, von kritischer Prüfung der Mittel,

dass die Philosophie Afrikas nicht zerfalle in Stimmen.


Griechischer Maßstab ward gesetzt von Oruka und andern,

Hountondji schrieb von der Weisheit, die fremd ist der Zeit des Modernen.

Doch Keita erhob sich, mit Roy, mit Kinyongo, mit Worten,

die widersprachen dem Maß, das allein nur im Hellenen sich gründet.

Was der Moderne gelang, das entgegneten doppelt die Alten;

lange sie rangen, bis Müdigkeit leise den Eifer verzehrte.

Selbst Kwasi Wiredu, der streitbar das Reden gefordert,

sah, dass das Reden allein die Taten des Denkens nicht schaffe.

Philosophie“, so sprach er, „beginnt erst, wo Denken sich einlöst.“


So kam die Wende, geboren aus längerer Debatte Enttäuschung:

Nicht mehr das „Ob“, sondern „Wie“ galt fortan als die größere Frage.

Igbo’s Spruch ward zum Bild für den Wandel der inneren Haltung:

Musikanten, sie ändern den Rhythmus – und Tänzer die Schritte.“


Also entstand aus dem Nebel der Zweifel ein neuer Beginn nun,

kritisch rekonstruiert ward das Wissen in Formen des Eigenen.

Eklektiker suchten im Mittweg Versöhnung der Pole zu schaffen:

Tradition und Moderne, vereint in der Ordnung des Denkens.

Nicht mehr ethnisch beschränkt, nicht im Westen verloren – so wollten

sie eine eigene Stimme, die zwischen den beiden sich aufstellt.

Kritiker, sie verlangten ein Denken, das gänzlich befreit sei

von der Philosophie, die im Ethno-Gewand sich gefangen.

Eklektiker aber verlangten das Zentrum der Mitte zu finden.


Doch wie beginnt man zu bauen, wenn brüchig das Alte geblieben?

Fragen erhoben sich laut in den Werken von Denkern des Aufbruchs:

Mudimbe, Towa, van Hook, Boulaga und Sogolo riefen:

Afrika muss seine Fundamente neu sich erdenken!“

Nicht zu entfliehen dem Westen, noch gänzlich ihm zu verfallen –

darin bestand die Aufgabe, schwer wie das Erbe der Ahnen.


Was man auch schreibt, so erklärten sie klagend in ihren Papieren,

sei entweder westlich geformt oder doch aus dem westlichen Ursprung.

Ist es dies – was dann macht es zum Werk eines afrikanischen Denkens?

So standen sie still, mit Gedanken verwickelt in eigene Schranken,

kämpfend mit Schatten, die ragten aus Logik der fremden Systeme.


Fast schon ahnt es der Geist: Die Berufung auf westliche Lehren

heißt noch lange nicht, dass damit das Eigene stirbt.

Afrikas Weisheit bleibt, trotz des Echos vergangener Meister,

gilt als gültig, auch wenn Plato und Hegel erkling’n.

Doch wie soll man’s beweis’n? Wo beginnt die gerechte Erklärung?

Hier liegt schwach und verwundbar der Rekonstruktiven Schmerz.

Denn sie forschten und riefen, doch bauten sie selten das Neue,

blieben im Ratschlag stehn, taten den Aufbau nicht.

So verging ihre Kraft, und der Zweig, kaum gewachsen, verdorrte,

nur noch das eklektische Werk überlebt’ seine Zeit.


Schon in späten Jahrzehnten, am Ende des achtz’gen Jahrhunderts,

sprachen Bodunrin laut, Wiredu, Mudimbe sodann,

Outlaw folgte im Werk, Sogolo trat später zum Reigen,

auch Oladipo, Van Hook zählten zum Ruf.

Towa, Crahey davor, einst mit Stimme aus früherer Stunde,

riefen, doch schwieg bald ihr Wort jenseits des eignen Gehörs.

Hountondji stieß das Schiff der Ethnophilosophie nieder,

Wiredu sprach von Begriff – der Entkolonisierung.

Doch allein seine Kraft schritt voran in der großen Debatte,

sprach vom Wort und vom Sinn, trug es in Bücher von Wert.


Jene, die nach ihm kamen, zerlegten, doch bauten nicht weiter,

blieben beim Fragen stehn, gingen den Aufbau nicht.

Bald war’s Afro-Rekonstruktiv nicht mehr als ein Schatten,

wich dem Eklektizismus, der sich leise erhob.

Wenn schon Logik des Westens allein scheint unumgänglich,

misch’ die Methoden geschickt, sagt mancher Gedanke dann.

Ethno, Sagazität, das Ideologische Denken,

Hermeneutik, Literatur – alles zerlegt’ man zuerst.

Zwei nun blieben bestehn: Die Traditionalisten, die Einen,

und als Geg’npart zum Ziel: Universalisten im Geist.


Hier nun tritt das Ekletische auf mit vermittelndem Streben,

schafft aus Altem und Neuem ein lebendig Gesicht.

Afrikanisch im Kern, doch zugleich analytisch geschärfet,

so entsteht eine Form, die in die Zukunft weist.

Uduigwomen, sein Werk im Jahr fünfundneunzig erschienen,

gründet die Schule bewusst, fasst sie im Schriftwort genau.

Zwischen dem Eigenen und dem Universalem vermittelnd,

hebt er das Trennende auf, schafft ein geeintes System.

Denn das Besondere nährt den Begriff mit lebendiger Fülle,

während das Allgemeine ihm die Struktur nun verleiht.


So erkennt man nun klar: In der Einheit von Form und Bedeutung

liegt die Hoffnung auf das, was als Philosophie gilt.

Nicht mehr bloß das Zerlegen, das Fragen in endlosen Schleifen,

sondern das Bilden des Neuen aus dem Gestern heraus.

Nicht die Ablehnung westlicher Denkkunst bringt Frucht für das Eig’ne,

wohl aber sinnvolle Wahl, kluges und prüfendes Maß.

Denn wie könnte das Haus des Gedankens bestehen auf Lehm nur,

wenn nicht der Stein des Systems fest in das Mörtelbett fällt?


Afrikas Weisheit – sie lebt in Spruch, Erzählung und Handlung,

nicht in System allein, sondern im Leben verwahrt.

Doch auch Systeme sind nötig, wenn man den Westen begegnet,

denn das Gespräch erfordert Struktur in dem Wort.

Uduigwomen nun spricht: Die Begegnung der beiden ist fruchtbar,

wenn sie nicht beugt noch bricht, sondern das Eig’ne bewahrt.

Westliches Denken als Form, das die Inhalte trägt aus dem Eigen,

wie ein Gefäß, das den Quell schützt und zugleich ihn erhöht.

So entsteht eine Sicht, die dem Fremden nicht weicht, doch sich wandelt,

hin zu dem Eigenen neu – tief in der Seele gegründet.


Nicht als Mischung aus Schwäche, aus Flucht vor dem harten Prinzipien,

sondern als Kraft aus dem Grund, die sich dem Wandel verleiht.

Solche Synthese verlangt das Erfassen beider Bereiche,

nicht als Verlust, sondern als doppeltes Licht.

Wer nun denkt, dass die Weise des Westens den Sinn ganz bestimme,

verkennt die Wurzel der Welt, die in der Vielfalt sich zeigt.

Denn wie viele Gestirne da leuchten am nächtlichen Himmel,

so auch Gedanken im Geist – keiner allein reicht für sich.


Dies war der Anfang nur – noch bedarf es des Mutes zum Weit’rgeh’n,

dass nicht nur Denker besteh’n, sondern auch Werke entsteh’n.

Nicht genug ist das Fragen, das stete Verharren im Zweifel,

Taten verlangt dieser Pfad, schöpferisch denkender Geist.

So sei dies nun ein Ruf an die kommenden Stimmen Afrikas,

baue das Eigene auf – nicht im Trotz, sondern klug.

Füge zusammen das Wahre, das lebt im Gedächtnis der Ahnen,

mit dem, was heut sich bewährt, kritisch geprüft und durchdacht.

Denn aus dem Ursprung geboren, doch offen für neue Begegnung,

wird Philosophie zu dem, was sie im Tiefsten stets war:

Suche nach Wahrheit im Wandel, ein Pfeiler der menschlichen Ordnung,

eine Brücke der Zeit, tragend durch Völker und Raum.


Doch, auch Eklektizismus in afrozentrierter Gestalt leidet,

Denn er versäumt, zu bestimmen, was Eingang verdient in das Werkstück

Und was, weil es unphilosophisch, entfallen muss aus dem Kanon.

Willkür darf nicht regieren, noch darf alles als Weisheit bestehen.

Hountondji selbst, der die Tradition oft heftig bekämpfte,

Schmähte Tempels' Werk als Trugbild, nicht echt, nicht afrikanisch –

Nein, es sei nur des Belgiers Gedanken, geschmückt mit Symbolen

Afrikas, nichts als Gewand – kein echtes System der Bantu.

Solches kann auch den Versuch des Eklektikers treffen:

Ist es nicht tief verwurzelt, bleibt's bloß eine Maske von außen.

Doch, wenn selbst Hountondji zugäbe, ein Teil sei noch eigen,

Dann, so wär’s doch ein Beginn – ein Anspruch auf "Philosophie".


Andere folgen dem Weg: Abanuka, Ekwealor, Onunwa,

Ijiomah später, doch alle sie hielten an Synthese.

Abanuka verkünd’t: Die Einheit sei Schlüssel zur Wahrheit,

Einheit der Dinge, der Lehren, sei’s Ethik, Erkenntnis, Ontologie.

Denn sie sind alle verbunden, einander bedingend im Denken.

Momoh schon lehrte es früher – Synthese als wahre Methode.

Auch Onunwa stimmt darin: In Afrikas Weltbild sind Dinge

Wechselseitig verknüpft, ja abhängige Teile des Ganzen.

Ekwealor wie auch Ijiomah sehen die Ordnung

Zwischen dem Geist und dem Leib, dem Sichtbaren wie dem Verborg’nen.

Daher sei’s irrig zu meinen, dass Analyse genügt hier –

Wahrer Ansatz sei Einheit: Methodisch vereinte Verfahren.


Selbst in den neueren Zeiten bleibt Eklektik lebendig:

Ozumba und Chimakonam, die Njikoka-Philosophen,

Ekwuru und Egwutuorah mit Afrizealotischem Denken,

Auch Asouzu, der spricht von der Ibuanyidanda-Lehre –

Alle vertreten Gedanken, die Vielfalt vereinen im Rahmen.

Diese jedoch, in der neuen Ära erschienen,

Unterscheiden sich klar durch den Zeitpunkt und Form des Gesprächs.


Reinster Ausdruck des späten Eklektizismus erscheint uns

In Pantaleon Iroegbus Werk über Uwa, die Welten.

Fünfzehn Begriffe entfaltet er dort, sechs Zonen der Ordnung.

Alles ist uwa, durch uwa, in uwa begreifbar und seiend.

Erdlich und geistig, so teilt er die Räume der Wesen,

Dynamisch und wechselbezüglich – nichts ist im Stillstand.

So soll Philosophie sich entfalten aus dieser Verflechtung –

Aus der Verbindung des Weltalls, dem Konzept der Verwandlung.


Doch dies Denken hat Grenzen: Denn wenn man sich ganz ihm verschreibt,

Fällt es schwer, noch abstrakt und frei sich im Geiste zu regen.

Zweite Leser, so scheint’s, sind gebunden an Inn’res des Systems,

Dürfen nicht frei mehr gestalten, was neu ist und originell.

Kreativität blüht vielleicht, doch Neues wird bald erstickt sein.

So kam’s, dass neue Bewegungen sich formten im Denken.

Oruka in Kenia sprach von dem Ich als dem Ursprung des Denkens,

Nicht nur vom Wir – Individualität ward erhoben.

Auch Bodunrin, Wiredu, Hountondji selbst mahnten:

Nicht mehr nur reden – jetzt handeln, nun wirklich philosophieren!

Mudimbe, im „Africa“-Werk, forderte Umkehr des Bildes,

Das der Kolonialist einst vom Erdteil erschuf ohne Wahrheit.

Er sprach von Gespräch und von Neuerfindung der Welten.


Auch Gordon, Sogolo, und Outlaw forderten Neues:

Kritisch, engagiert, universal und zugleich doch afrikanisch.

Dies ward die Wurzel des neuen, gesprächsreichen Denkens,

Das ab den Neunzigern wuchs, und zur Wende den Wandel entfachte.

Konversatives Denken begann, sich zum Stil zu erheben –

Und mit dem neuen Jahrhundert kam eine Ära des Fragens.

New Era“ wird sie genannt – geprägt durch das Denken im Dialog.


Späte Jahr’ der Neunziger brachten die Wende herbei;

Wandel kam mit der Zeit, als die Jahre das Zweitausend trafen.

Nicht im Schweigen, im Sprechen erhebt sich die neue Bewegung,

Konversational sei nun der Name des wachsenden Stromes.

Ort des Anfangs, der Quelle, wo Denkströmung Wurzel geschlagen,

Calabars Universität – das Hauptquartier ward sie genannt.

Dort in Hallen des Austauschs, Kolloquien, Foren und Tagen

Bildet sich neu die Gestalt einer Philosophie, die uns wandelt.

Revolutionär, so darf man sie nennen mit Fug und mit Recht,

Denn sie wendet das Schicksal des Denkens im afrikanischen Raum.


Während andernorts Zweifel und dunkle Verwirrung noch herrschen,

Schuf die Schule des Neuen ein Denken, das wurzelt im Eigen.

Drei Prinzipien tragen den Bau: Relation, Kontext und Ergänzung –

Denn was getrennt scheint, mag sich im Andern ergänzen und spiegeln.

So entstand ein Verfahren, das Denkwege neu zu verbinden

Und im Gespräch die Gedanken zur Reifung zu bringen vermag.


Calabar's Schule beginnt mit dem Grund, dass Beziehung das Wesen

Der Realität sei – nie sei ein Ding ganz für sich nur zu denken.

Doch in Kontexten sei sie zu sehen, verwoben in Räume

Und in der Zeit, denn nie steht ein Begriff ohne Fläche und Stunde.

Grenzen – so sprechen sie – seien der Übel des Jahrhunderts die Wurzel,

Jene Trennlinien, die wir ziehen, um Gegensätze zu formen:

Weiß und Schwarz, Frau und Mann, Glaube und Zweifel, Arm und Besitzlos –

Solche Dichotomien gebären die Geißel der Spaltung.

Daher fragen sie kühn: Ist der Unterschied mindernd in Wahrheit?

Ist, was entgegengesetzt scheint, auf ewig getrennt und verfeindet?


Antworten suchten sie dann, und Theorien erwuchsen wie Bäume:

Uwa-Ontologie ward’s bei Iroegbu, dem Forscher des Seins;

Ibuanyidanda – das Denken in Ergänzung – bei Asouzu;

Harmonischer Monismus entstand durch den Ijiomah;

Njikoka-Philosophie bringt Ozumba dem Denken zur Seite;

Mandelanisches Denken formt Edet, der Weise des Nordens.

Agada tröstet mit Lehre vom Trost, und Attoe mit Schicksalsidee;

Amara Chimakonam spricht von Personsein als ethischer Richtschnur.

Alle zusammen in Dialog und Gespräch – dies ist das Merkmal.

Philosophie als Gespräch, als sich öffnende Form des Verstehens –

Dies sei der Weg, die Begriffe zu klären, das Denken zu weiten.


Auch im Westen erhebt sich die Stimme der neuen Bewegung:

Vest in Amerika zählt man dazu, wie auch Bruce Janz.

Sie bezeugen, dass Höchstes des Denkens sei: das Gespräch,

Nicht als Streit, sondern als pflegende Form der Gemeinsamkeit.

Asouzu überragt alle, erhebt das Gespräch über Scheitern

Früherer Zeiten, von Senghor und and'ren Versuch' übersteigend,

Gründet ein neues Modell, das in Calabar Wurzeln geschlagen.


Iroegbu, der Weise, beginnt mit Metaphysik und dem Kpim,

Forscht nach dem Sein in der Tiefe der Zonen des Uwa begriffen.

Er konversiert mit den Alten, verwandelt die Weisheit in Neue –

Aus Tradition ersteht eine Denkform, die eigens und anders.

Fanon selbst rief uns auf, in der Wurzel der eigenen Kultur

Weisheit zu suchen, nicht in den Spiegeln des fremden Verstandes.

Lucius Outlaw sagt gleich: Afrika neu zu entwerfen,

Nicht aus dem Westen, doch aus der eigenen Stimme geboren.

So kam’s, dass Wiredu dekonstruierte das Bild aus Europa –

Doch die Neue Ära baut auf durch das Gespräch und das Denken.




NEUNTER TEIL

TIMBUKTU


Stein war Mangel im Lande, und Lehm ward daher zum Gebäude.

Rund wie ein Bienenkorb ragten die Hütten der ärmeren Leute,

Solche beschreibt man in Schriften, die früh das Antlitz verkünd'n

Jener uralten Stadt, die im Sande des Südens sich birget.

Caillié sah noch die Formen im Jahre achtzehnhundert

Acht und zwanzig, er zeichnet’ die Hütten der Ärmsten im Bilde.


Spätestens als das fünfzehnte Jahrhundert gekommen,

Änderte vieles sich: Häuser der Reichen, der Händler, Gelehrten

Wurden aus Lehm gebaut in aufwändiger, kunstvoller Weise.

Türme, die sich verjüngten, bezeugten den sudanesischen Baustil.

Holz ward das Gerüst, das der Lehm dann schützend umhüllte.

So konnte man sogar Stockwerke zwei emporheben sicher,

Unten die Schule des Koran, daneben der Handel, das Lager,

Oben die Räume zum Wohnen, mit Luft und Licht durch die Fenster,

Oft auch die Stätte der Bücher, der Weisheit verborgene Kammer.


Doch war das Bauen mit Lehm nicht frei von des Himmels Gewalten,

Stürzten bei Regen doch oft ganze Mauern in sich zusammen.

Jede der Regenzeiten forderte neue Arbeiten, Mühen,

Wände zu glätten, zu stärken — oder das Haus aufzugeben.


Neben dem Lehm, der dem Winde gehorchte und Regen versank oft,

Standen bald Häuser aus Stein, aus neogenem Kalkstein gehauen,

Mehrere Stockwerke hoch, von Söldnern einst eingeführt,

Djuder Paschas Gefolgsleut’, aus Marokko und Mauretanien kommend.

Säulen an Fassaden, gegliedert durch aufragende Pilaster,

Fenster, andalusisch im Stil, mit Gittern aus zierlichem Holze,

Türen aus mächtigem Holz, mit Nägeln aus Eisen geschmückt sind,

Kunstvoll geordnet in Mustern, wie einst in al-Andalus blühte.

Eisene Bleche verzierten die Fläche in sorgsamer Arbeit,

Zeugen der alten Verbindung vom Westen des Reiches zum Morgen.


Timbuktu ward – so berichten Chroniken späterer Zeiten –

Vor dem Jahr Elfhundert gegründet von Massufa-Tuareg,

Nomadisierend, am Bogen des Niger, bei Wasser gelegen.

Doch, so sagen Gelehrte, wohl früher schon stand eine Siedlung,

Tombouze genannt, südlich der Stadt, schon fünfhundert Jahre

Vor unserer Zeit einst gegründet, wie Forscher entdeckten.


Rasch wurde Timbuktu zur Stätte des Handels, des Wandels,

Waren gelangten aus Gao, aus Ägypten und Koumbi Saleh,

Kamele trugen den Reichtum durch Hitze und Sand über Stunden.

Händler aus Südalgerien brachten den Glauben des Islam,

Langsam erst wuchs die Bedeutung der Stadt für die Gläubigen,

Später jedoch blühte sie auf — in Jahrhunderten vierzehn, fünfzehn.

Ţirraqqā, östlich gelegen, war einst ein Konkurrent nah,

Doch mit dem Fall Ghanas wandten sich viele dem Westen, dem Niger.

Besser war hier das Geschäft, der Umschlag des Salzes und Goldes.


Timbuktu wurde sodann ein Teil des mächtigen Mali,

Ob durch das Schwert oder Schutzersuchen – das weiß man nicht sicher.

Möglich, die Stadt suchte Hilfe, dem Norden, dem Süden entzogen:

Tuareg und Mossi bedrohten sie beide mit Raub und mit Feuer.

Doch selbst die Stärke Malis verhinderte nicht ihre Wunden:

1328 brach ein Überfall los, von den Mossi verübt.

Dies lässt ahnen: Schon damals war Timbuktu reich an Gewinnen,

Ort des Geschäfts mit dem Salz und dem Glanze des Goldes zugleich.

Zehntausend, vielleicht fünfzehntausend Seelen bewohnten

Jene so heiß und doch wissensdurstige Stadt in der Wüste.


Weit über Afrika hinaus war die Stadt schon bekannt:

Karten aus Mallorca zeigten die "Ciutat de Melli",

Mitte des vierzehnten Jahrhunderts erschien sie mit Gold in den Händen.

Abraham Cresques, berühmter Kartograf jener Zeiten,

Zeigte den König mit Gold, wie er herrschte im Lande des Südens.

Dieser war Musa, Mansa von Mali, der schwarze Herrscher,

Der einst zu Mekka zog – begleitet von Sechzigtausend.

Zwei Tonnen Gold, so berichtet man, trug er mit sich

Und verteilte es freigiebig, ehrend die Wege des Glaubens.

Von seiner Reise zurück, nahm er Baukunst aus Andalusien mit sich,

Lehmmoscheen ließ er bauen – Djingereber war eine davon,

Wohnsitze ebenso, Zeugen der Größe, des Glaubens, des Reichtums.

So ward Timbuktu nicht nur ein Markt – auch ein Hort der Gelehrten.


Nicht nur Gold, auch Gedanken und Worte begannen zu leuchten.

Mit dem Handel kam Schrift, mit der Schrift kam der Sinn, kam das Lernen.

Lehm war der Träger des Wissens, in Häusern der Weisen bewahrt.

Oben, im luftigen Stockwerk, wo Lehrer und Schüler sich fanden,

Ruhten die Bücher auf Regalen aus Holz – voller Suren,

Rechtsgut, Medizin, Geschichte, Gedichte und Träume.


Schreiber mit Tinte aus Ruß und aus Gummi des Baumes des Südens

Füllten in mühsamer Arbeit die Seiten mit kunstvollen Zeichen,

Manche in Gold, mit Ornamenten geschmückt wie die Moscheen.

Gelehrte kamen von weit, von Sokoto, Agadez, Djenné,

Um zu lernen und lehren, in Klassen auf Bastmatten sitzend,

Lauschend dem Meister, der auswendig sprach, was der Koran fordert.


Timbuktu ward nun berühmt als Stätte des Glaubens und Denkens,

Ein Ort des Islam, des Handels, des Wortes, des wahren Gedächtnis.

Doch blieb das Bauen aus Lehm stets ein Zeichen der Endlichkeit:

Regen zerstörte die Werke, die Menschen erneuerten wieder.

Jedes Jahr war ein Ringen mit Wasser, mit Wind, mit Vergessen.

Doch in den Mauern, den Büchern, lebte der Geist dieser Stadt fort,

Festgehalten in Lehm, in der Schrift, in dem Glauben an Wissen.


Kunde war oft schon gekommen von Händlern aus Nordafrika,

Karawanen berichteten viel von den Ländern des Südens.

Schriftlich bezeugten auch Reisende seltsame Dinge,

reizten mit Bildern das träumende Herz des Europäers.

Battūta, geboren in Tanger, der Weise Marokkaner,

wanderte weit in der Welt, durch Länder des Islam,

kam einst auch nach Timbuktu, im Jahre des Herrn dreizehn-zweiundfünfzig,

sah die Religion dort fest im Glauben gegründet,

staunte doch sehr, dass Frauen mit unverschleiertem Antlitz

offen sich zeigten, im Licht auf den Straßen der Stadt.

Wenig berichtet er sonst, denn größer erschien ihm Walāta,

mächtiger Gao, mit Reichtum, mit Bildung gesegnet.


Später, nach Walātas Fall, da blühte Timbuktu auf,

größte Stadt am Niger, vom Handel der Wüste lebendig.

Fünfzehntausend und mehr, vielleicht fünfundzwanzig an Zahl

wohnten in ihr – doch nur zeitweise wuchs sie gewaltig,

wenn aus dem Norden das Salz, aus Süden das Gold heranströmte.

Hunderttausend? Zu viel – das war nur der Traum der Geschichtsschreiber.

Niemals ernährte das dürre Umland so viele Menschen.


Damals gehörte die Stadt zum herrschenden Reich der Songhai,

Sonni Ali nahm sie ein, mit Schwert und erbarmlosem Urteil,

ließ viele Gelehrte hinrichten, treue zu Mali,

zu den Massufa, den Tuareg, mit denen verwandt sie gewesen.

Statthalter herrschten fortan – oft wurden sie selbst, von Fremden,

für Könige gar gehalten, so prunkvoll war ihre Erscheinung.


Handel war Quell ihres Glanzes: Salz, das weiße des Nordens,

Sklaven in Mengen, versandt nach Marokko, Ägypten,

Gold aus dem Süden – doch das begann schon zu schwinden,

als die Karavelle erschien und das Meer nun den Weg bot.

Metalle, Pferde und Waffen, Seide, Datteln und Bücher

brachten die Händler von fern, und tauschten dafür Elfenbein,

Moschus, Kolanüsse, Pfeffer, Hirse und Gummi.


Timbuktu blühte daneben im Geiste – die Sankoré-Moschee

war wie ein Hort der Gelehrsamkeit, gleich einer Schule des Westens.

Astrologie lehrte man dort, auch Sprache und Koranrecht,

hundert und mehr Koranschulen standen in dunklen Gassen.

Meist war es ein einziger Lehrer, der dort die Gesetze erklärte.

Moscheen entstanden zur Zeit der Songhai in großer Zahl;

Sankoré wurde zuletzt, im Jahre fünfzehn-einundachtzig,

neu restauriert und erhielt ihre heutige Größe.


Leo, der Afrikaner, vertrieben aus spanischem Granada,

kam – wie er sagt – um die Zeit von fünfzehnhundert und zehn

selbst in die Stadt. Doch Zweifel bestehen: Er irrte beim Flusse.

Später gefangen, gelangt nach Italien, schrieb er vom Sudan,

pries Timbuktu, die Stadt, mit schimmerndem Gold überzogen.

Venedig druckte sein Werk – doch Ramusio schmückte es reichlich,

machte aus Märchen Bericht, aus Wunsch eine goldene Wahrheit.


Strebte der Sultan nach Ruhm, nach Gold und der Ehre des Scherifs,

sah er im Osmanenreich einen gefährlichen Feind schon.

Denn der Kalif in Istanbul herrschte bis weit nach Algier,

nannte sich Führer der Gläubigen, nahm sich den Glauben zum Zepter.

Doch der marokkische Herrscher, aus Saadier-Blute geboren,

sandte gen Süden ein Heer, vier tausend in Zahl, die mit Feuer

gegen das Reich der Songhai marschierten durch Wüsten und Weiten.

Spanischer Renegat, Djuder Pascha, war ihr Gebieter,

kam als ein Sklave ins Land und stieg auf am Hofe des Sultans.

Waffen trug das Geschwader, modern in der Kunst des Vernichtens,

kompaßgeleitet und klug durch die Sahara geführt, doch

opferte vieles der Marsch, nicht jeder kam lebend in Gao an.


Letzter Dezembertag war’s, als Songhai gebrochen zusammen-

sank, am ersten Tag des neuen muslimischen Jahres.

Timbuktu fiel danach, doch nie hielt es lange in Händen,

was man mit Mühe gewann – denn Tuareg und Bambara stürmten

immer von Neuem herbei aus dem Land jenseits des Niger.

Städte hielt man noch fest, die Dörfer verlor man im Umland.

Später, im achtzehnten Jahrhundert, die Arma – die Waffen –

herrschten allein über Stadt, denn der Sultan regierte von ferne.

Paschas bestätigte man, doch sie zahlten nur kleinen Tribut mehr.

Wehrlos war Timbuktu, ohne Mauern und Tore aus Steinwerk.

Zelte aus Stroh fielen Feinden zum Raub, die die Ränder verheerten.


Toya sah ihren Fall – dort siegte das Heer der Nomaden.

Selbst in Sankoré, dem heil’gen Bezirk, fand der Gegner

Einlass; das Volk suchte Schutz in der Moschee vor den Feinden.

Später, im neunzehnten Jahrhundert, da kam ein Gelehrter,

Sidi Ahmad al-Baqqai, mächtig durch Wissen und Ansehen.

Er, der mit Worten die Waffen besiegte, verhandelte kluglich,

wies dem Kalifen von Massina mutig die Schranken des Glaubens.

Doch als Hadsch Umar erschien mit dem Banner des Dschihad,

suchte er Hilfe im Westen, fand sie jedoch nicht in Frankreich.

Schloss sich erneut dem Kalifen, verlor ihn bald an den Feind schon.

Timbuktu fiel – und ward bald durch Baqqais Arme befreiet.

Doch mit des Weisen Tod kam das Ende der alten Bedeutung.

Tuareg fielen erneut – und führten die Stadt ins Vergessen.

Erst mit der Ankunft der Franzosen, da kehrte der Friede.