HERKULES DER WAHNSINNIGE


NACH SENECA DEM JÜNGEREN


VON TORSTEN SCHWANKE



DRAMATIS PERSONAE


HERKULES, Sohn von Jupiter und Alkmene, aber angeblicher Sohn von Amphitryon.

JUNO, Schwester und Gattin von Jupiter und Königin des Himmels.

AMPHITRYON, Ehemann von Alkmene.

THESEUS, König von Athen und Freund von Herkules.

LYCUS, der usurpierende König von Theben, der vor Beginn des Stücks König Kreon in der Schlacht getötet hat.

MEGARA, Gattin von Herkules und Tochter von Kreon.

CHOR von Thebanern.


ARGUMENT

Junos eifersüchtiger Zorn, der durch Eurystheus wirkt, hat Herkules, ihrem verhassten Stiefsohn, zwölf gewaltige und zerstörerische Aufgaben auferlegt. Doch diese, selbst die letzte und schlimmste, die Hinführung des Zerberus in die Oberwelt, hat er triumphierend bewältigt. Sie gibt ihren Plan auf, ihn durch solche Mühen zu vernichten, und wird seine Hand gegen ihn selbst wenden und so seine Vernichtung herbeiführen. Am Tag seiner Rückkehr aus der Hölle versetzt sie ihn in den Wahnsinn und löst so die Tragödie aus, die die Handlung des Stücks bildet.


JUNO

Die Schwester des, der einst den Donner schleudert –

So nennt man mich, doch ist mir mehr nicht blieben.

Ich habe Jupiter verlassen, ihn,

Der stets die Buhle war von fremdem Leib.

Verwitwet schritt ich aus des Himmels Weiten,

Verbannt vom Glanz, verjagt von meinem Sitz –

Dort wohnen nun die Huren, nicht die Götter.

Der Himmel trägt nun fremde Namen stolz.


Dort oben, wo im Nord das Eis regiert,

Lenkt Arktos Argos' Schiffe durch die Nacht.

Und dort, wo Frühling seine Tage dehnt,

Dort glänzt das Bild, das einst Europa raubt.

Die Töchter Atlas sandten ihre Schar

Weit aus – gefürchtet war sie Meer und Land.

Orion schreckt mit seinem Schwert die Welt,

Und Perseus funkelt goldgeschmückt empor.

Die leuchtenden Tyndariden zieren

Den Himmel, dem sie einst entstiegen sind.

Nicht Bacchus nur, nicht dessen Mutter bloß,

Erreichte dort den Thron der Ewigkeit –

Nein, auch der Krone Kretas ward ein Stern.


Doch ach! Ich klage altes Unrecht an.

Wie oft war ich in Theben Stiefmutter,

In jener Stadt, die Zucht und Scham verwarf.

Alkmene möge steigen, triumphieren,

Und ihres Sohnes Stern den Himmel zieren –

Den Sohn, für den die Welt ein’n Tag verlor,

Als Phoebus spät aus dunklem Meere stieg.

Doch endet mein Groll nicht mit dieser Gunst:

Ich trage Hass wie Stahl in meinem Leib.

Ein ewiger, ein tiefer Zorn entbrennt –

Ein Frieden, der nur Krieg in sich gebiert.


Was Krieg? Was auch die Erde furchtbar zeugt,

Was Luft und Meer an Grauen je gebar,

All das bezwang ich, ließ es unterliegen.

Doch stets erhebt sich Neues aus dem Leid,

Es nährt sich von der Glut, die ich entfach’.

Mein Hass wird ihm zum Ruhm, mein Zorn zur Krone.

So bin ich Vater seines Ruhmes selbst.

Wohin die Sonne kommt und wo sie geht,

Wo Äthiopiens Fackeln ewig brennen –

Dort lebt sein Ruhm, dort nennt man ihn nun Gott.


Ich habe keine Monster mehr zu schicken;

Er trägt, was er bekämpft – in stolzer Hand.

Er wandelt mit dem Löwen als Panzer,

Mit Hydra an der Seite, die er schlug.

Nicht reicht ihm mehr die Erde – sie ist klein;

Er sprengte selbst des Hades dunkles Tor

Und schleppte Beute aus dem Schattenreich.

Ich sah, ich sah ihn – Dis vom Thron gestürzt,

Die Dämmerung der Toten aufgescheucht,

Und stolz die Frucht dem Vater dargebracht.


Warum nicht Pluto selbst in Eisen schleppen?

Warum nicht Styx in Tageslicht entblößen?

Er bricht die Regeln, hebt das Totenrecht,

Und öffnet einen Weg aus dunklem Nichts.

Triumphierend, führt er durch die Städte

Den dreihäupt’gen Hund der Unterwelt.

Die Sonne selbst erblaßte vor dem Blick,

Und selbst ich – ich, die Himmlische – erbebt’

Vor jenem Haupt des zähmbaren Ungeheu’rs.


Zu sehr beklag ich kleines Unrecht nun –

Wir fürchten um den Himmel, fürchten ernst,

Dass jener, der die Tiefe überwand,

Nun auch das höchste Reich in Frage stellt.

Nicht friedlich, wie der trinkende Bacchus,

Wird er hinauf zu Göttern selig steigen.

Er stürmt herauf – mit Wucht, mit Feuerblick,

Und will in leerem All ein Reich errichten.

Er lernte durch das Tragen großer Last,

Dass selbst der Himmel ihm gehorchen kann.

Er trug den Himmel auf gebeugtem Haupt

Und seine Schultern sanken nicht hinab –

Ein Bollwerk gegen Sterne war sein Leib.


Er strebt empor, er will die Götter stürzen.

So geh, mein Zorn! Zerreiß ihn, treuer Knecht!

Weshalb solch Hass an andre übergeben?

Lass Tiere ruh’n, lass Eurystheus ermüden –

Selbst er erliegt der Wucht der vielen Prüfungen.

Befrei die Titanen, die einst wagten,

Sich Jupiters Gewalt entgegenzustellen!

Spreng Ätnas Höhle, lass den Riesen los,

Erwecke aus dem Stein das alte Grauen.

Lass Luna neue Missgeburten zeugen –

Doch auch sie, auch diese schlug er nieder.


Wen sendet man gegen Alkides nun?

Keiner bleibt, nur er – nur er selbst bleibt.

Dann möge er mit sich selbst Kriege führen!

Erweck die Eumeniden aus dem Tartarus,

Lass ihre Locken lodernd Flammen spei’n

Und in den Händen Peitschen, schlangengleich.


Geh nun, du Stolzer – such die Götter auf,

Veracht das Menschendasein, wie du willst.

Du meinst, du seist dem Styx entronnen schon?

Dann zeig ich dir Gestalten, schlimmer noch.

Discordia soll steigen aus dem Grab,

Die Göttin der Zerrüttung, des Verrats.

Ich rufe sie aus dunkler Schlucht herauf,

Die tief im Schattenreich verborgen liegt.

Verbrechen bring ich dir und Gottlosigkeit,

Blutdurst, Verblendung, Irrsinn, Schwesterhass –

Dies sei die Geißel meines wütend’n Zorns!


JUNO

Beginnt, o Mägde von der dunklen Dis,

eilt her, die brennende Kiefer zu entfesseln!

Lasst Megaera ihre Schlangenmeute

entfesselt führen, wild und schreiend wüten,

und reißt mit böser Hand vom Scheiterhaufen

ein Bündel Reisig, feurig, lohend, groß.

An die Arbeit! Die Rache fordert euch,

für Styx, der tief geschändet worden ist!

Zerschmettert ihm das Herz! Entfacht in ihm

ein Feuer, wilder als Ätnas Glut entfacht.

Alcides soll sich selbst nicht wiederkennen,

von mächt’ger Wut geschlagen, blind und toll –

doch eh er fällt, muss ich dem Wahn verfallen.

Warum, o Juno, zürnt dein Zorn nicht mehr?

Mich selbst beraube ich der kalten Ruhe,

wenn ich die Tat der Stiefmutter vollbringen will.

Nicht länger will ich Rache – nein, ich flehe:

Er möge heimkehren, seine Söhne

unversehrt erblicken, stark zurück –

Doch dieser Wunsch sei Fluch: denn wenn er kommt,

so soll er rasen, wie es nie geschah,

den Tod herbeiwünschen, den Tod, den er

zuletzt noch überwand. Und dass er Zeus’

Sohn ist, das soll nun endlich mir von Nutzen sein!

Ich will ihm beisteh’n, seine Pfeile führen,

wenn sie vom Bogen schnellt mein rasend Arm.

Dann kämpf ich endlich an Herkules’ Seite –

doch gegen ihn! Und hat er’s vollbracht,

dies Werk, dann möge Zeus die Hände heben,

die er befleckt hat, und sie in den Himmel führen!


CHOR

Nun zieht die Nacht sich leise, schattenhaft,

vom Himmel fort. Die letzten Sterne glimmen

in bleichem Licht. Die Dämmerung erwacht.

Phosphor beschließt die Schar der Himmelslichter.

Der Bär am Nordgestirn beginnt zu kreisen

und ruft die neue Sonne in den Tag.

Schon lugt Titan mit seinen blauen Rossen

vom Berg Oeta herab. Errötend glänzt

der Morgen über thebanischem Gefild,

und Selene entflieht dem jungen Glanz

des Bruders, um erneut zurückzukehren.

Der neue Tag erwacht mit harter Arbeit;

er reißt die Türen auf, die Sorgen kehren

in alle Häuser, Herzen, Felder ein.


Der Hirt treibt seine Schafe in das Gras,

das silbern glänzt vom Reif der frühen Stunde.

Der junge Stier springt unbeschwert umher,

noch unversehrt von Hörnern, frei im Spiel.

Die Kühe füllen schweigend ihre Euter,

das Zicklein springt verwirrt von Ort zu Ort.

Oben im Ast hockt Philomelas Klage,

die thrakische Geliebte, und erhebt

ihr schrilles Lied, als zög sie ihre Jungen

der warmen Sonne hoffend schon entgegen.

Ein tausendfältig Durcheinander tönt

vom Land, das Leben meldet sich zurück.

Der Seemann schickt das Segel in den Wind,

der Fischer hockt am Felsen, wirft die Leine,

fühlt leichten Zug vom zitternden Gewässer.


So lebt, wer friedlich sein bescheiden Leben

in Glück verbringt. Doch in den großen Städten

herrschen Begierde, Angst, Besitz und Schrecken.

Der eine schleicht um Höfe, fremd und arm,

der andre häuft Besitz und bleibt doch leer.

Ein Dritter suhlt sich im Beifall der Menge

und stirbt an Ruhm, der flüchtig ist wie Rauch.

Ein andrer streitet sich an Fürstenhöfen,

verkauft die Stimme und verrät das Herz.

Wenige kennen Ruhe, kennen Frieden;

sie halten fest die Tage, die vergeh’n.

O lebe froh, solang das Glück erlaubt,

denn mit geflügeltem Fuß entweicht das Jahr,

und keine Schwester spinnt das Garn zurück.

Die Menschen eilen in ihr eig’nes Schicksal,

dem Styx entgegen, der sie bald verschlingt.

Auch du, Alcides, eilst dem Schattenreich

mit zu viel Mut, zu wenig Furcht entgegen.

Zur rechten Zeit erscheinen die Parzen,

kein Mensch verzögert, wenn sie rufen – nein,

der Tod kommt, und die Urne ruft die Völker.


Möge der Ruhm den Einen preisen, laut

in Stadt und Land, sein Lob gen Himmel singen,

möge der andere im Triumph sich wiegen –

mich schützt mein Heim, mein Herd, mein Vaterland.

Ein sichres Alter ruht im kleinen Glück,

die Größe stürzt, der Stolz kommt schnell zu Fall.


(Einzug von Megara mit den Kindern und Amphitryon. Sie treten zum Altar.)


AMPHITRYON

O mächt’ger Herrscher hoch im Sternenhaus,

Du Richter, der die Welt in Waage hält,

nimm endlich uns’re Sorgenlast hinweg,

dies Elend, das kein Ende kennen will!

Kein Tag, der ohne Kummer mir erwacht,

kein Lohn für alle Mühen meines Sohns,

kein Ende, das nicht neuen Schmerz gebiert.

Kaum ist er heimgekehrt, da ruft der Krieg;

noch eh’ sein Fuß das heimatliche Land

berührt, zieht er zum nächsten Kampf hinaus.

Kein Augenblick, der Ruh’ gewährt, kein Trost –

nur kurze Pausen, bis der Ruf erschallt.

Seit seiner ersten Stunde, gnadenlos,

verfolgt ihn Juno – selbst als Kind verschont

sie nicht den Sohn, den Göttersohn, mein Kind!

Noch wusste er nicht, was ein Ungeheuer,

da rang er schon mit zweiköpfigen Schlangen.

Mit spielend mildem Blick, mit Kinderhänden

zermalmte er die gift’gen, heißen Kehlen –

ein Vorspiel nur für Lernas grässlich’ Brut.


Die Hirschkuh aus Maenalus’ heil’gem Forst,

ihr Haupt geschmückt mit goldner Götterzier,

bezwingt’ er durch beharrlich' Jagen einst.

Der Löwe, Nemeas grauenvolles Bild,

fiel brüllend seinen Armen untertan.

Und soll ich sprechen von den wilden Ställen,

dem Wahnsinn der biston’schen Königstochter,

vom Eber, der Arkadiens Wälder wühlt’,

vom Stier, der hundert Städte niedertrat?

Den Hirten mit den dreifach wilden Augen,

den Herrscher der tartess’schen Küste weit,

erschlug er in des fernen Westens Flur

und trieb die Herden heim durch wildes Land.

Er teilte Felsen, sprengte Bergmassive,

um Ozeans Gebrüll die Bahn zu räumen,

als ihn das Reich der Mittagssonne rief.

Den Drachen schlug er, Hüter goldner Äpfel,

beraubte ihn der Frucht des Lebens selbst.

Er brannte Lerna leer, den Vielgestalt,

und lehrte sie, was Sterblichkeit bedeutet.

Die Vögel, die in dunklem Schwarm das Licht

verhüllten, stürzte er herab zur Erd’.

Thermodons stolze, jungfräuliche Königin

erkannte seine Hand, die nie gezögert,

auch wenn der Kampf nicht Ruhm, nur Mühsal bot.


Doch was hat’s ihm gebracht? Verbannt ist er –

verstoßen von der Welt, die er gerettet.

Das Erdreich selbst vermisst den Friedensbringer.

Schon wieder wird Verbrechen hoch geehrt;

die Tugend ist gehorsam dem Verfall,

die Macht gebiert das Recht, die Furcht regiert.

Ich sah sie fallen, Kadmos’ letzte Söhne,

die Helden, die ihr Reich bewahrten, starben

durch Mörderhand – und selbst der König fiel.

Ich sah die Krone, die sein Haupt geziert,

mit seinem Haupt in blutigem Triumph

vom Hals gerissen – welch entsetzlicher Blick!


Wer könnte Theben je genug betrauern?

Du Land, gesegnet einst von Götterhand,

vor welchem Herrn erschauerst du denn jetzt?

Die Stadt, aus deren Flur in früher Zeit

die Jünglinge mit blanken Schwertern stiegen,

wo Amphion, mit seiner Leier mild,

die Mauer setzte Stein um Stein mit Klang –

kein Gott verschmähte einst dein gastlich Haus,

du schufst sogar aus Staub ein Götterbild –

doch nun liegst du in Schmach und schändlich‘ Joch.

O Stamm von Kadmos, Glanz der Vorzeit, ach –

wie tief, wie tief bist du gesunken, Theben!

Du bebst vor einem feigen, fremden Mann,

ein Flüchtling nur, beraubt des eignen Reichs,

doch uns zur Last und selber ohne Wurzel.

Der aber, der das Unrecht stets bezwingt,

der Könige mit ihrer eignen Macht

gerichtet hat – er duldet jetzt Tyrannen

und beugt sich einem Herrn in fremder Ferne.

Lykos, der Feind, regiert das Reich des Helden!

Doch nicht mehr lange – nein, ich spür’s: er kommt!

Er wird uns rächen, plötzlich, wie ein Sturm,

und alle Sterne werden ihn erkennen.

Wenn er kein Mittel findet – schafft er eines.

O kehr zurück, o kehr in Sieg zurück!

Ich fleh’ zu dir, du Retter deiner Stadt.


MEGARA (in Vision oder Aufruf)

Tritt vor, mein Gatte, spreng das Dunkel auf,

das deine Faust in Stücke einst geschlagen!

Wenn es kein Tor gibt, reiß die Erde auf!

Was immer haust in tiefer Finsternis –

bring es mit dir ins Licht, zum Tag zurück!

Wie einst dein Schritt die Hügel teilte weit

und Wasser tosend in die Tiefe stürzte,

wie Berg um Berg erbebt’ vor deinem Stoß,

so reiß die Grenzen dieser Welt entzwei.

Such deine Kinder, suche mich, dein Weib,

und führ uns heim in deine starke Hand.

Die Zeit war gierig, nahm, was ihr gefiel –

hol alles heim, was sie verschlang im Lauf.

Und scheuche fort, was tot sich nennt, doch lebt;

die blassen Schatten, die das Licht vergaßen.


Deiner unwürdig ist ein kleiner Sieg,

wenn du nur das zurückholst, was man forderte.

Ich rede töricht – ich weiß nichts vom Plan

der Götter, nichts vom Weg, der uns bestimmt.

Doch ach, wann kommt der Tag, an dem ich dich

umarmen darf, dich, lang entbehrter Mann,

dich und die Rechte, die so viel bewegt?

Ich will dann Opfer bringen – hundert Stiere,

die nie ein Joch gespürt, gehören dir.

Du, Fruchtgöttin, empfängst mein heimlich Werk,

und Eleusis, stumm, doch leuchtend hell,

soll seine Fackeln deiner Spur entgegen

in nächtlich frommem Zug erhoben tragen.

Dann leb’ mein Vater, dann ersteh’n die Brüder!

Dann blüht das Reich – wenn du zurückgekehrt.

Doch hält dich eine größere Gewalt,

dann folg’ ich dir! Wir folgen dir, o Held!

Wenn du uns retten kannst – dann rette alle!

Wenn nicht – so nimm uns mit! Dein Fall ist unser.

Und keinen Gott wird finden unser Haus,

der je noch fähig wär, es aufzurichten.


AMPHITRYON

O du, mit meinem Blute mir verwandt,

der du mit keuschem Sinn das Lager schützt

und Herkules’ erhabne Kinder hütest,

fass dich und denke besser über’s Herz:

Er kehrt gewiss zurück, wie er’s gewohnt,

von jeder großen Tat bringt er sich heim.


MEGARA

Was Elende in Gier zu sehr begehren,

das glauben sie auch rasch, sich selbst zum Trost.


AMPHITRYON

Nein – was sie fürchten, dass es nimmer schwindet,

das halten sie für ewig – solche Angst

vertraut dem Schlimmsten mehr als dem, was hilft.


MEGARA

Versunken, tief begraben, fast zerdrückt

vom ganzen Weltengewicht – wie soll er steigen

zu jenem Licht, das freie Lüfte atmet?


AMPHITRYON

Dasselbe fragte man, als er sich Bahn

durch flirrend heiße Wüsten, trocknen Sand

schlug wie ein Schiff durchs wilde Wellenspiel,

die Meerenge durchmaß mit ihrem Wechsel

von zweimal weichen, zweimal rollenden Fluten.

Als er, verlassend seine Barke, strandete

gefangen auf den Untiefen der Syrte –

doch überquerte, trotz gefesseltem Schiff,

zu Fuß das Meer, als wär’s ein Ackerfeld.


MEGARA

Des Schicksals Härte schont den Besten kaum;

wer sicher lebt, vermag dem Leid nicht standzuhalten.

Der oft verschont wird, den trifft es zuletzt.


(Lycus tritt auf)


Doch sieh – wild kommt er, Drohgebärden stolz,

die Stirn voll Zorn, der Gang von Macht erfüllt,

das fremde Zepter in der herrscherischen Hand.


LYCUS

Ich herrsche nun in Thebens reichem Land,

und über Phokis’ fruchtbar wilde Höhn,

was Ismenos durchzieht, Kithairon sieht,

und jenen Isthmus, der zwei Meere teilt.

Ich bin kein Erbe alter Königsstämme,

kein Sohn von Ahnen, reich an Ehrentiteln –

doch mutig war ich. Wer sich rühmt der Väter,

der lobt nur das, was andren einst gehört.

Usurpierte Kronen hält man bange,

die Sicherheit liegt einzig in dem Schwert.

Was du gewaltsam deinem Volk entrissest,

das schützt nur Stahl – nicht Gottes Gnade mehr.

Ein Fremder steht nicht fest im Königsamt –

doch eine gibt es, die mich gründen kann:

Wenn Megara sich mir vermählt, als Gattin,

dann wird mein neues Blut von Glanz durchdrungen.

Ich denke nicht, dass sie mein Lager meidet;

doch wenn sie trotzt, mich stolzen Sinns verschmäht –

so sei ihr Haus dem Fall geweiht, der Rache.

Soll ich dem Zorn der Menge Furcht erzeigen?

Die erste Kunst der Herrscher: Hass ertragen.

Versuchen wir’s. Die Stunde ist bereit.

Denn seht – Megara, Haupt in Trauer gehüllt,

steht selbst am Heiligtum der Hausgötter,

ihr Vater wacht in alter Würde nah.


MEGARA

Was will der Frevler nun, was schmiedet er?

Was plant er, um mein Volk noch mehr zu schänden?


LYCUS

O du, aus königlichem Blut entsprossen,

gewähr mir Einlass in dein Ohr, Geduld.

Wenn sterblich Herz zu ewigem Groll entbrennt

und Zorn sich nie aus der Seele hebt,

wenn Sieger weiter streiten, Feinde rüsten –

was bleibt vom Krieg? Verödung, Asch und Tod.

Dann liegen Felder öd auf Höfen brach,

die Häuser brennen, und im Grab die Völker.

Der Sieger sollte Friedens Wege suchen,

der Unterlegne muss sie gar beschwörn.

Komm – teile mit mir Thron und Herrschaft, Ruhm.

Empfange meinen Eid, berühr die Hand –

was schweigst du so und blickst mich grimmig an?


MEGARA

Berühr ich jene Hand, von Blut befleckt,

die meines Vaters edles Herz durchbohrte,

die meiner Brüder keuschen Tod verschuldete?

Eher löscht Ost den Tag, bringt West ihn neu,

eher vereint sich Schnee mit lodernd Feuer,

und Scylla, Hund der Meere, schließt die Küste

von Sizilien mit der auson’schen Erde.

Eher wird ruhn Euripus, der nie ruht,

als dass mein Herz dich willig je empfängt.

Du nahmst mir Vater, Brüder, mein Geschlecht,

mein Königreich – was blieb? Nur eines noch:

mein Hass auf dich, wertvoller als mein Blut.

Und dieser Hass gehört nicht mir allein –

das ganze Volk teilt ihn mit meiner Klage.

Wie klein mein Teil an diesem Jammer ist!

So herrsche weiter, du mit stolzem Blick,

ein Gott voll Rache folgt den Hochmüt’gen.

Ich kenne Thebens Reich – wozu erzählen

die Mütter-Schande, die das Volk ertrug?

Die Doppelschmach, der doppelte Betrug

von Vater, Sohn und Gatte in Einem Leib?

Was soll ich sagen von den Brüder-Lagern,

den Scheiterhaufen für das gleiche Blut?

Die Tochter Tantalus, in Stolz versunken,

erstarrt im Schmerz, tropft Tränen auf den Fels.

Kadmos erhob sich, wild, mit Drachenkamm,

und ließ, als er Illyrien durchzog,

die lange Spur des schleppend schweren Leibs.

Solch Omen kündet deinen Untergang.

Herrsche – doch deinem Reich ruft längst das Schicksal.


LYCUS

Komm, töricht Weib, genug von deinem Wahn!

Lern von Alcides, Könige zu dulden.

Ich trage zwar das Zepter in der Hand,

das mir mein Sieg verlieh durch eigne Kraft,

und herrsche ohne Furcht vor einem Recht,

das sich an blanke Waffen nicht mehr bindet –

doch will ich dennoch zu mir selbst ein Wort

in eigner Sache, nicht im Zorn, verlieren.

Du sagst, dein Vater fiel in wildem Krieg,

auch deine Brüder starben in dem Kampf?

Das Schwert kennt keine Grenze, wenn es zieht,

und seine Wut lässt sich nicht leicht zügeln;

der Krieg verlangt nach Blut und freut sich dran.

Er stritt für sein Reich, sagst du – wir aus Gier?

Man fragt den Krieg nur nach dem Ausgang, nie

nach dem, was ihn entfacht hat, Frau, glaub mir.

Vergessen sei die ganze dunkle Zeit!

Hat der Sieger abgelegt sein Schwert,

so ziemt sich’s, dass der Unterlegne schweigt.

Ich will nicht, dass du knieend mich verehrst;

es reicht mir, wenn du stolz dein Leid erträgst.

Bist du es wert, Gemahlin mir zu sein –

dann lass uns eins sein, Megara, im Bund.


MEGARA

Ein kalter Schauder läuft durch Mark und Bein.

Was für ein Frevel hat mein Ohr erreicht?

Ich bebte nicht, als Krieg uns überfiel,

als Speere klirrten an den Mauerrand –

doch vor der Ehe schaudert mir das Herz.

Jetzt erst begreif ich, was Gefangenschaft

in Wahrheit heißt. Mag Kette mich beschwer’n

und langsamer Tod durch Hunger mich verzehr’n –

doch wird kein Wille je mein Herz beugen.

Ich bleib Alcides, was ich immer war.


LYKUS

Gebiert ein Gatte, der im Hades liegt,

so hohen Geist und Trotz in seinem Weib?


MEGARA

Er stieg hinab, um sich emporzuschwingen.


LYKUS

Die Erde selbst erdrückt den Kühnsten dort.


MEGARA

Kein Joch drückt den, der einst den Himmel trug.


LYKUS

Du wirst gezwungen werden, ob du willst!


MEGARA

Wer sterben kann, den zwingt kein Sterblicher.


LYKUS

So sag: Was wünschst du dir zum Brautgeschenk?


MEGARA

Deinen Tod – oder meinen.


LYKUS

Sterben sollst du!


MEGARA

Dann seh ich bald den, der mir alles war.


LYKUS

Ein Sklav' soll mehr dir wert sein als ein König?


MEGARA

Wie viele Könige hat er gestürzt!


LYKUS

Warum dann dient er einem Herrn und trägt das Joch?


MEGARA

Nehmt ihm die Last – was bleibt von seiner Kraft?


LYKUS

Ist’s Mut, sich wilden Tieren nur zu stellen?


MEGARA

Der wahre Mut bezwingt, was jeder fürchtet.


LYKUS

Die Schatten sind sein künftiges Geschick.


MEGARA

Kein Weg führt leicht von Erde hin zu Sternen.


LYKUS

Was gibt ihm Hoffnung auf ein Reich im Himmel?


AMPHITRYON

O unglücksel'ge Frau des Herkules,

sei still! Es steht mir zu, als Vater nun

die wahre Herkunft meines Sohns zu ehren.

Wer Frieden stiftet über Erd und Meer,

wer Ungeheuer stürzt mit bloßer Hand,

wer Götter schützt und selbst wie göttlich wirkt –

wer so viel Tat erfüllt mit heil’ger Kraft,

soll der nicht Jupiters Geschlecht entstammen?

Glaubst du nicht an sein göttlich Recht – dann frag

den Hass der Juno, ob er sterblich sei!


LYKUS

Du lästerst Jupiter! Kein Mensch vermag,

sich mit dem Himmel je zu paaren, Greis.


AMPHITRYON

Und doch entstammen viele Götter so.


LYKUS

Doch war'n sie Sklaven je, eh sie vergöttlicht?


AMPHITRYON

Der Delier hütete in Pherai Herden.


LYKUS

Doch wanderte er nicht als Knecht durchs All.


AMPHITRYON

Was? Der – geboren auf verbannter Insel,

Der Mutter Leiden war sein erstes Heim?


LYCUS

Hat Phoebus nicht sich wilden Bestien

Entgegengestellt mit strahlendem Geschoss?


AMPHITRYON

Ein Drache war’s, der erst sein Blut vergoß

Für Phoebus’ heil’gen Bogen – das war Anfang.


LYCUS

Du weißt nicht, welche Not er einst erlitt,

Wie schwer sein Kindsein unter Göttern wog?


AMPHITRYON

Vom Blitz entrissen aus dem Mutterleib

Stand er, der Sohn, dereinst am Zeus’gem Thron.

Der Wolken Schüttler, Herr der Sternenbahn –

Er lag als Kind in Idas dunkler Höhle.

So hoher Ursprung fordert hohen Preis.

Ein Gott zu sein, das kostet Blut und Schmerz.


LYCUS

Wer elend ist, der ist kein Gott – ein Mensch!


AMPHITRYON

Und wer sich tapfer zeigt – der ist kein Elender.


LYCUS

Nennt ihr den tapfer, dessen Keule fiel,

Das Löwenfell, als Liebesgabe fort?

Der sich in Purpur hüllte, weich und fremd,

Mit Narde tropfend, Weiberschmuck im Haar?

Der Tamburin mit zarten Händen schlug,

Den Turban trug auf kriegerischer Stirn?


AMPHITRYON

Und dennoch schämt sich Bacchus seiner Locken

Nicht, wenn sie duften, glänzen im Gewand.

Er schwingt den Thyrsos sanft in weicher Hand

Und schreitet zierlich, golden ist sein Kleid.

Auch Tapferkeit bedarf der Linderung.


LYCUS

Nicht Juno noch Eurystheus war’s, der sprach,

Dass Eurytus’ Geschlecht sollt untergehn

Und Mägde wie ein Viehtross gejagt.

Dies war sein Werk – aus eignem Trieb vollbracht.


AMPHITRYON

Du weißt nicht alles. Eryx ward gestürzt

Von seiner eignen Faust. Antaios fiel,

Der Libyer, vom gleichen Todesstoß.

Busiris' Altar trank sein eignes Blut,

Dem viele starben. Kyknus, der nicht fiel

Durch Wund' und Waffe, starb – durch Götterschick.

Und Geryon, der Dreigestalt’ge, fiel

Durch eine Hand. Du sollst ihr Los nun teilen –

Doch nie entweihten sie ein Ehebett.


LYCUS

Was Jupiter sich nimmt, darf auch ein König.

Du gabst dein Weib dem Gott – gib’s nun dem König.

Lass deine Tochter lernen, was sich ziemt:

Den Bessren soll man nehmen – mit dem Willen

Des Ehemanns, so der Vernunft geweiht.

Doch weigert sie sich trotzig meinem Bund,

So nehm ich mir mit Macht den edlen Zweig.


MEGARA

Ihr Schatten Kreons, Götter unseres Hauses,

Ihr Hochzeitsflammen Ödipus' Geschlechts –

Gebt unserm Bunde euer dunkles Mal.

Ihr Töchter des Ägyptos, mordend, blutig –

Kommt her! Ein Name fehlt euch noch im Kreis.

Ich schließe ab, was ihr begonnen habt.


LYCUS

Du trotzt mir, und du drohst dem Königswort?

Dann sieh, was Herrscherwille zu vollbringen

Vermag! Umschlinge du den Götteraltar –

Kein Gott reißt dich mir aus den Händen fort,

Selbst wenn die Erde sich aus Tiefen öffnet

Und Alcides triumphierend kehrt.

(zu den Dienern)

Schichtet das Holz. Der Tempel soll verbrennen,

Mit Frau und Kindern unterm Götterbild.

Legt Feuer an! Vernichtet ihre Spur!


AMPHITRYON

Als Vater des Alcides fleh ich dich –

Gib mir den Tod. Es steht mir wohl, zu bitten,

Dass ich als Erster fall am Scheiterhauf.


LYCUS

Wer alle töten will, versteht nicht Herrschaft.

Der König straft verschieden: Glück zum Tod,

Dem Unglück – Leben. Während Balken brennen,

Will ich den Meeresgott mit Gaben ehren.


AMPHITRYON

O Göttervater, Herr der Unsterblichen,

Vor dessen Blitz die Erde zitternd sinkt –

Halt ein die Hand des frevelhaften Königs!

Warum, o Herz, noch beten zu den Göttern?

O Sohn, wo immer du dich aufhältst – höre!

Doch – was erschüttert nun den Tempelbau?

Die Erde bebt! Ein Donner grollt aus Tiefen!

Erhöret ist das Flehn – er kehrt zurück!

Der Schritt des Herkules durchdröhnt die Welt!


CHOR

O Fortuna, du neidest dem Tapfern!

Wie ungerecht teilst du dein Licht den Guten.

Lass Eurystheus in Ruhe sicher herrschen,

Doch Alkmene's Sohn durchlebe Krieg auf Krieg.

Sein Arm, der einst den Himmel selbst getragen,

Soll Hälse schlagend gegen Ungeheuer

Die schäumende Hydra stürzen, Apfel bringen

Den Schwestern, wenn der Drache schläft im Traum.


(Szene: Vor dem Palast von Theben. Herkules tritt auf, begleitet von Theseus, den dreiköpfigen Hund Cerberus an einer Kette hinter sich schleppend. Rauch und Schatten umwehen ihn noch.)


HERKULES

O Licht der Götter, strahlend rein und hoch,

du Wagenlenker durch den Himmelsraum,

verzeih, Phoebus, wenn dies Auge sah,

was nicht für sterblich Seh’n geschaffen ist.

Ich tat’s auf fremden Befehl, nicht aus mir.

Ich hob das Unterird’sche in das Licht.

Und du, o Donnerherrscher, birg dein Haupt

in deines Donners finstere Gewölke!

Du, Meeresfürst, verkriech dich in die Tiefen!

Wer unbefleckt vom Schmutz der Schatten bleibt,

der blicke auf zum Himmelszelt – nicht her.

Nur zwei, das sei genug: der, der befahl,

und ich, der trug. Dies Ungeheuer hier

sei unser Anblick – sonst der Welt verborgen.

Die Erde reicht für Junos Hass nicht aus:

Sie schickt mich weiter, bis der Tod mir weicht.

Ich sah, was kein lebend’ger Blick geseh’n,

die dunklen Höhlen, düstrer noch als Nacht,

den schwarzen Fluss, den Sitz des Totenherrn.

Ich höhnte Tod – und bin zurückgekehrt.

Was bleibt noch? Welt, was gibst du mir noch auf?

Ist Junos Groll nun endlich satt geworden?


(blickt auf den Palast)


Doch was bedeckt das Tor mit Waffenpracht?

Was droht mit Stahl dem Haus, das Frieden sucht?


AMPHITRYON

Ist’s Täuschung, oder kehrt mein Sohn zurück?

Du Stolz der Griechen, Sieger über Nacht,

ist das mein Kind, der Ruhm von Thebens Haus?

O darf ich dich berühren? Bin ich wach,

umarm ich dich – nicht Trugbild, sondern Leib?

Ich kenn’ die Schultern, kenne diese Hand,

die einst mit Keulen Ungeheuer schlug.


HERKULES

Was seh’ ich, Vater? Trauerkleidung, Schmerz?

Was trug euch in solch Jammer, schmutz’ge Lumpen?

Warum sind alle Zeichen Freud’ erloschen?


AMPHITRYON

Lykos, der Schänder, hat den Thron geraubt.

Er tötete die Frauenvaters Hand,

begehrt den Tod für mich, für Weib und Kind.


HERKULES

Und niemand stand dem Hause bei? Kein Schwert

für das Geschlecht, das Ungeheuer schlug?

Ist dies der Dank, o Welt, für meine Kraft?

Genug geklagt – nun soll mein Werk gescheh’n.

Ich will mit Blut die Schmach der Meinen waschen.

Theseus, bleib; du hütest, was mir wert.

Der Feind ruft mich – ich zaudre keinen Schritt.

Vater, kein Zögern. Weib, kein letzter Blick.

Lykos wird wissen, dass ich wieder bin.

[Er geht ab, das Schwert gezogen.]


(Szene: Vor dem Palast von Theben. Amphitryon tritt zurück. Lykos erscheint mit Wachen.)


LYKOS

Was flieht der Greis? Warum entweicht sein Blick?

Ist dies das Haus des Herkules – nicht mehr.

Ich bin der Herr. Die Götter gaben's mir.

Die Schwäche hat gesiegt, nicht Heldenmut.

Er starb im Reich, wo keiner wiederkehrt.

So sterben soll, was seiner Blutspur folgt.

Ihr Knechte, nehmt den Vater, nehmt die Söhne!

Die Frau – sie sei mein Pfand, mein königlich Teil.


(Er nähert sich Megara, die im Hintergrund steht.)


MEGARA

Du wagst es, meine Nähe zu entweih’n?

Mein Gatte lebt! Noch tönt sein Schritt in Luft!

Ich höre seine Keule in der Hand!

Geh, zieh dich zurück, bevor du liegst in Staub!


LYKOS

Ein Weib, das trotzt – welch alte, schlechte Sitte!

Dein Held ist Staub. Und bald bist du mein Weib.


(Er hebt die Hand nach ihr – in diesem Moment tritt Herkules auf, blutverschmiert, die Keule in der Faust.)


HERKULES

Du suchst mein Weib? Du nennst dich König, Wurm?

Ein König? Nur bis ich die Stirn zerschlag.

So weicht von ihm – die Rache sei mein Werk!


LYKOS (erschrocken, aber trotzig)

Du bist nicht echt. Du bist ein Schattenbild.

Der Hades bindet, was hinunterstieg.


HERKULES

Er band mich nicht. Ich brach den Tod in Stücke.

Ich bringe dir, was ich dem Höllenhund

entzog – drei Mäuler heulten gegen mich.

Willst du mit einem stummen Mund mir trotzen?


LYKOS

Ich bin der König!


HERKULES

Nein – du warst es. Stirb.


(Herkules schlägt mit der Keule nieder. Lykos fällt lautlos zu Boden. Die Wachen fliehen.)


HERKULES (zum Himmel aufblickend)

O Zeus, du sahst: Mein Haus war nah dem Fall.

Ich hob es auf. Mein Werk ist nicht vergehn.

Die Erde ist noch nicht von Helden leer.

Ich lebe – doch mein Herz ist müd vom Kampf.


MEGARA (eilt herbei)

O Gatte! Licht! O Mauer meines Hauses!

Du kehrtest heim, wie’s keine Hoffnung gab.


HERKULES

Ich kam zurück – doch kam ich ganz zurück?

Was, wenn der Tod mich nie ganz fahren ließ?

Was, wenn der Hades, der mich ziehen sah,

mir mehr als einen Schatten mitgegeben?


THESEUS

Verbanne deinen tränenreichen Blick,

o Königin, aus deinen dunklen Augen.

Dein Sohn ist wohl; drum halt die Tränen auf.

Wie ich den Herkules aus Taten kenn,

so wird Lycus empfangen, was ihm ziemt –

die Strafe, die er Kreon schuldet, zahlt

er nicht – er hat sie längst bezahlt.


AMPHITRYON

Der Gott, der's kann, erfülle unser Flehn

und wende unser tiefes Elend ab.

Und du, getreuer Freund des großen Sohns,

enthülle uns der Taten Heldenlauf:

Wie weit der Pfad hinab zum Schatten führt,

wie Herkules den Höllenhund bezwang –

berichte, was dein Auge dort gesehn.


THESEUS

Du zwingst mich, zu gedenken jener Taten,

die selbst in Sicherheit mein Herz noch schrecken.

Mir stockt der Atem, matt sind meine Glieder,

mein Blick ist trüb, das Licht ist mir zu fremd.


AMPHITRYON

Doch, Theseus, bezwinge deine Furcht,

die tief im Herzen ruht, und raube dir

nicht selbst der Mühen köstlichsten Gewinn.

Denn was uns schmerzte, wird mit Zeit erträglich,

und süß ist oft, woran wir einst gelitten.

So sprich – erzähle deine düstre Fahrt.


THESEUS

Ihr Götter, die ihr Himmel, Erde teilt,

du Herr der allumfassenden Gefilde,

und du, den Ennas Tochter einst verlor –

erlaubt, dass ich von tiefer Nacht berichte,

von Mächten, die verborgen und vergraben.


Das Land Lakoniens ragt als Fels empor,

wo Tänaros mit dunklem Wald das Meer

durchdringt. Hier öffnet sich das Reich Plutons,

die Erde klafft, ein Abgrund reißt sich auf

und gähnt mit tiefer, bodenloser Schlucht,

ein Tor für alle Völker dieser Welt.

Nicht völlige Finsternis regiert den Pfad –

ein matter Schein, wie bei Verfinsterung,

ein dämmernd Licht, das kaum den Weg verrät,

so wie beim Morgen, kurz vor Sonnenaufgang,

so dämmert’s hier, so trügt das falsche Licht.


Von hier aus weiten sich die Räume still,

die leeren Orte, wohin alles strebt.

Kein Mühsal treibt den Fuß; der Weg selbst zieht.

Wie Wellen Schiffe stürzen, so verschlingt

der fallende Wind die Seelen, zieht sie nieder.

Kein Rückweg ist erlaubt; die Schatten klammern

an allem, was den Rückschritt noch versucht.


Hier fließt die Lethe – still, doch maßlos weit –

ihr Strom nimmt uns're Sorgen mit sich fort.

Sie windet sich, wie's Meanderstrom gewohnt,

der spielt mit seinem Lauf, bald hier, bald dort,

als wüsst er selbst nicht, wo das Meer ihm liegt.


Dort stinkt der Sumpf des trägen Kokytos,

hier schreit der Geier, dort die Eule klagt,

und unheilvoll die Kreischeule kreischt.

Die Blätter zittern schwarz an dunklem Holz,

wo Schlaf sich an die Eibenäste hängt,

wo dürrer Hunger gierig nagt, und Reue

zu spät ihr schuldbelastet Antlitz birgt.

Dort hockt das Grauen, nagend Leid und Angst,

und Gram, und Krankheit, Krieg in Eisenrüstung;

und schließlich kommt das Alter, langsam, bleich,

gestützt auf einen Stab aus morscherm Holz.


AMPHITRYON

Gedeiht dort nichts – kein Korn, kein edler Wein?


THESEUS

Kein grünes Gras, kein Halm im Winde bebt.

Kein Fruchtbaum blüht, kein Ährenmeer sich wiegt.

Ein ödes, schattenhaftes Endgebiet,

die letzte Ruhstatt aller Welten Dinge.

Die Luft ist schwer und regungslos; die Nacht

liegt brütend über allem, was einst war.

Verwildert, trostlos liegt das Reich des Todes –

schlimmer als Tod: der Ort, an dem er wohnt.


AMPHITRYON

Wo sitzt der Herr, der dieses Reich regiert?

Wo thront der Gott und lenkt der Toten Scharen?


THESEUS

Ein Ort liegt tief in Tartaros’ Gefilden,

vom Nebel dick umhüllt, wie Leichentuch.

Daraus entspringen zwei ungleiche Flüsse:

Der eine still – der Styx, von Göttern heilig.

Der andre wälzt sich wild und tost bergab –

der Acheron, der nimmermehr durchschifft.


Gegenüber steht Dis’ gewaltiger Palast,

von doppeltem Gewässer eingefasst,

im Schatten dunkler Haine wohl verborgen.

Hier öffnet sich des Fürsten dunkle Tür,

ein Höhlenportal für die Geisterwelt.

Ein Platz liegt dort – ein düstres, ödes Feld,

wo er, der Gott, in Schweigen thront und richtet.

Gesenkten Haupts, doch königlich im Blick,

gleich Jupiters – nur ohne dessen Donner.

Er ist, was man im Tode fürchtet, selbst –

und seine Gegenwart ist Furcht geworden.


AMPHITRYON

Gibt’s wirklich Gerechtigkeit im Reich der Toten,

wenn auch verspätet, doch gewiss und streng?

Trifft jene Seelen Strafe für das Werk,

das sie begingen und nun selbst vergessen?

Wer ist der Herr der Wahrheit, der entscheidet?

Wer ist der Richter über Schuld und Lohn?


THESEUS

Nicht einer sitzt allein auf hohem Thron

und straft das Beben schuldgequälter Seelen.

Zu Minos gehen sie, dem kret’schen König,

zu Rhadamanth, dem strengsten Schiedsmann dort.

Auch Äakus, der Vater Thetis’ Gatten,

spricht Recht am dunklen Ufer der Verdammten.

Ein jeder leidet, was er selbst getan –

die Schuld kehrt wieder in des Täters Herz

und nagt an ihm mit unerbittlich’n Zähnen.

Ich sah Tyrannen, blutig, eingemauert,

zerrissen von den Händen der Plebejer.

Doch wer gerecht regiert, mit mildem Sinn,

wer nie sein Reich mit fremdem Blut befleckt,

wer sich bezähmt und andre nicht verzehrt,

der lebt in Glück, sein Weg ist licht und weit,

er steigt empor in sel’ge Himmelslande

und sitzt dort selbst zu Gericht über Schuld.

O Könige – verschont das Blut der Menschen:

Was ihr begeht, fällt doppelt auf euch selbst.


AMPHITRYON

Gibt es den Ort, wo Schuld in Ketten liegt,

wo Sühne endlos quält die frevlen Seelen?


THESEUS

Ixion dreht sich auf dem Feuer-Rad,

das wirbelnd ihn in ewigem Wahn zerreißt.

Der Fels liegt schwer auf Sisyphos' Genick.

Ein Greis steht in der Flut mit dürst’ger Lippe,

das Wasser neckt ihn, fließt ihm um das Kinn,

doch stets, wenn er es schlürfen will, versiegt’s.

Die Frucht verhöhnt den Hunger des Verdammten.

Tityos Leib ist stets Geiermahl;

die Danaiden schleppen ihre Krüge

und füllen sie, doch niemals wird’s vollbracht.

Kadmeische Weiber irren rasend umher,

und Phineus wird am Tisch vom Vogel gequält.


AMPHITRYON

Berichte mir vom Kampf des Herakles.

Bringt er das Geschenk des will’gen Onkels heim,

oder war’s Beute seines eignen Arms?


THESEUS

Ein Grabesfelsen hängt in trübem See,

wo träge Wellen stumm und farblos gleiten.

Dort wohnt ein alter Mann in Lumpen, wild,

sein Bart verfilzt, das Antlitz scharf und hohl.

Er lenkt das Boot, das stöhnend Schatten trägt,

mit einer langen Stange durch die Nacht.

Nachdem er sie entließ am dunklen Strand,

kehrt er zurück zur wartenden Gestalt.

Da naht Alcides – alle Schatten flieh’n.

Doch Charon ruft: „Wohin, du Kühner, wohin?“

Der Held jedoch duldet kein langes Wort,

er entreißt dem Fährmann selbst das Ruder

und zwingt das Boot mit einer Heldenhand.

Das schwere Schiff, gebaut für Völkerlast,

taucht tief bei einem einzigen Gewicht.

Der Lethe schwappt zur Seite, überläuft,

als Herakles das Boot zur Fahrt zwingt.

Da fliehen selbst die Ungeheuer dort:

Die wilden Kentaurn und Lapithen schrecken,

und selbst die Häupter Lernas ducken sich,

vom Schlamm des Styx bis in die Tiefen fliehend.


Dann zeigt sich Dis' Palast, der dunkle Hort.

Der styg’sche Hund bewacht mit dreifach Haupt

die Grenzen des verdammten Schattenthrons.

Um seinen Schädel schwirrt ein Schwarm aus Schlangen,

sein Rücken zuckt, von gift’gem Gezücht bedeckt.

Schon hebt er lauschend einen seiner Köpfe,

gewarnt vom Klang der Schritte, die sich nah’n.

Er fletscht die Zähne, knurrt in dumpfem Groll,

das Bellen fährt durch alle stillen Fluren.

Die Schlangen zischen, Schwärze gellt empor.

Da tritt der Held, mit seinem Löwenhaupt,

hervor und reckt den Arm zum mächt’gen Schlag.

Er schwingt die Keule über seinen Schild

und trifft – mal da, mal dort – mit Donnerschlägen.

Er schlägt, verdoppelt, nie versiegende Kraft,

bis sich das Tier ergibt, die Hälse senkt

und winselnd in die Höhle sich verkriecht.

Da bebt das Reich. Die Herrscher auf dem Thron

verhüllen ihre Blicke und befehlen,

der Hund soll folgen. Auch mir ward Gehör:

Sie ließen Herakles von dannen zieh’n.


(Szene: Am Rand der Oberwelt, nahe dem Ausgang aus dem Hades. Herkules, Theseus und der Chor der Thebaner.)


HERKULES

So sanft ergriff ich seines Nackens Härte,

den störr’schen Hals des Höllenhunds bezwang

mit Ketten, hart und diamantgeschmiedet.

Er duckt’ das Haupt, die Ohren hingen tief,

sein Leib erbebte, willig folgte er –

der dunklen Schatten grimmigster Bewacher,

nun seinem Herrn ergeben bis zum Tod.

Mit schlag’ndem Schlangenschweif auf beiden Seiten

ging er geduckt, den Blick zu Boden senkend.


Doch als wir an den Rand der Taenariden

gelangten, wo ein fremdes Licht ihm flammte,

da schien sein Mut aufs Neu sich zu entfachen.

Er riss die Ketten, tosend, wild und blind,

er wollte mich mit sich zurück zerreißen,

zog rückwärts mich, den Leib nach vorne neigend,

als trieb' er mich zum Rückzug aus dem Licht.

Da trat auch Alcides zur Seite mir

und half, mit doppelter, durch Wut gestärkter

Kraft, diesen Hund der Tiefe zu bezwingen.

Wir zwangen ihn zu Boden, führten ihn

im Kampf vergeblich, doch in Zorn entflammt.


Dann sah er Licht – das erste seit Äonen.

Die Klarheit stach ihm tief ins offne Auge,

die Helle schien ihm wie ein Gift der Götter.

Er wandte sich, sein Haupt dem Boden zu,

schloss fest die Lider, floh das grelle Leben.

Er suchte Schutz im Schatten meines Leibs

und barg das Haupt in Herkules’ Gestalt.


CHOR

Eurystheus, früh geboren ins Verderben,

verlangte dies – die letzte deiner Taten:

Die Grundfesten der Welt zu überschreiten

und Herr zu werden über das, was stirbt.

Du warst es, der den blinden Pfad betrat,

wo Schatten zieh’n in dunkler Schwermut Strom,

wo düstre Wälder stumm den Wanderer

umfangen mit der Wurzel kalter Furcht.


So groß die Menge, die dir folgte, war,

wie Bürger, die ins neue Schauspiel drängen,

wie Pilger, die zum heiligen Spiele zieh’n,

wie Scharen, die in Eleusis die Nacht

der Ceres feiern, heimlich, fackeltragend.

Die Jungen eilten, selig und noch frei,

die Alten schritten langsam, müd vom Dasein,

und Säuglinge, kaum fähig, „Mutter“ zu

vernuscheln, trugen Flammen durch die Nacht.

Doch alle andern gingen blind im Dunkel,

ein Zug der Toten, stumm und ohne Ziel.


Was denkt ihr nun, ihr Kinder alter Erde?

Was fühlt ihr, wenn das Licht euch nicht mehr will,

wenn Nacht in eure leeren Blicke sinkt?

Ein Schweigen liegt auf allem, schaurig schwarz

ist das Gewand, das um die Welt sich schlingt.

Kein Laut, kein Trost, nur Nebel ohne Sinn.


Spät bringe uns das Alter in dies Reich!

Niemand, der kommt, kehrt je zurück von dort.

Was drängt uns, rascher hinzueilen noch?

Für dich, o Tod, wächst alles Tag um Tag;

für dich reift jedes Leben, jeder Lauf.

Du brauchst nicht eilen – wir sind schon bereit.


CHOR (jubelnd)

Doch heut ist Freude! Thebens Tag ist hell!

Zu den Altären, Bürger, fasst euch froh!

Opfert das Beste eurer Herden heut,

lasst Tanz erschallen, froh in Weib und Mann!

Der Acker ruht, der Arm legt sich zur Rast –

denn Herkules hat Frieden uns gebracht.


Vom Aufgang bis zum Stern des Abends reicht

sein Ruhm; kein Land, das ihm sich nicht ergab.

Die Schatten selbst hat er bezwungen kühn

und ist zurückgekehrt ins klare Licht.

Nichts liegt mehr jenseits, das uns schrecken kann.


HERKULES

Der Tyrann fiel durch meine starke Hand.

Zu Boden sank sein freches Angesicht.

Nun opfre ich den Himmlischen mein Werk,

dem Vater Zeus, der über allem steht.


Du, Pallas, Kriegerin, du Schildbewaffnete,

der Gorgo im Athenerschmuck entweicht,

sei gnädig meinem Dank! Und du, o Bacchus,

der sanft verbirgt die Spitze unter Wein,

du Schwester, Göttin rascher, treuer Pfeile,

und Phoebus, Sänger und Orakelschützer –

ihr alle seid mir Zeugen dieser Tat!


Bringt her die Herden! Häuft das beste Gut

aus fernem Land – aus Indiens Goldfeldern,

aus Arabiens duftendem Gezweig!

Lasst Weihrauch steigen, lasst die Kränze blüh’n,

und Theseus, trage selbst den Ölzweig heut.


Dem Zeus will ich die Flammen opfern nun –

und unsre Ahnen, Zethus’ wilde Höhlen,

Dirke, die nimmermüde Wasserfrau,

die Ahnenstadt der Kadmeischen Gestirne –

sie alle ehre ich mit meinem Dank!


AMPHITRYON

O Sohn, erst reinige dein blut’ges Haupt,

das vom Erschlagenen noch triefend zeugt.


HERKULES

Wär’s mir erlaubt, das Blut des Feindes selbst

dem Vater Zeus zu weihn! Kein edler Strom

befleckt den Altar schöner als dies Opfer.

Was kann ein König, ungerecht, als Gabe

gewalt’ger bieten für den höchsten Gott?


AMPHITRYON

Erfleh, dass dein Vater dir Ruhe schenkt,

dass dir, dem Müden, Rast und Frieden wird.


HERKULES

Ich selbst will Worte wählen, Göttern gleich:

Der Himmel bleib’ an seinem alten Platz,

das Meer verharr’ in Ruh, die Erde fest.

Die Sterne ziehn auf ewig ihre Bahn.

Es herrsche Friede über alle Völker.

Die Pflugschar ford’re all das Eisen auf,

die Schwerter schlaf’n im ew’gen Schlummer fort.

Kein Sturm erschütt’re mehr des Ozeans Leib,

kein Feuer brech’ aus Zorn des Zeus hervor.

Kein Fluss, vom Winterschnee gefüllt, soll mehr

die müden Äcker überschwemmt verheeren.

Gift schwind’ aus aller Welt, das Kraut verdorr’.

Kein Herrscher mehr sei grausam, wild, tyrannisch.

Und soll die Erde noch ein Unheil tragen –

so eile sie! Und trägt sie ein Ungeheuer,

so sei es mir bestimmt!


(Ein Anfall des Wahnsinns naht, von Juno gesandt.)


Was seh ich da? Der Mittag wird zur Nacht.

Kein Schatten ist zu sehn, doch finster ist’s.

Wo ist der Tag? Wer hat ihn mir geraubt

und in die Morgendämmerung gewiesen?

Ein fremdes Dunkel hebt das Haupt empor.

Der Himmel glänzt mit Sternen – doch ist’s Tag!

Sieh dort den Löwen! Meine erste Tat

steht glühend dort und droht mit scharfen Zähnen.

Bald reißt er einen Stern mit seiner Pranke.

Er faucht, die feur’ge Mähne aufgerichtet.

Und was der kalte Winter wiedergibt

an bleichen Sternen, wird er überspringen

und Stier des Frühlings schleudern in den Staub.


AMPHITRYON

Was ist dies Unheil, das dich überfällt?

Was irrt dein Blick so wirr durch leeren Raum?

Du starrst den Himmel an, als wär’ er fremd.


HERKULES

Die Erde beugt sich mir, das Meer ist still.

Die Unterwelt hat meine Kraft gekostet.

Der Himmel fehlt – die letzte große Tat.

Zu Jupiters Bereich muss ich mich heben.

Die Sterne – sie sind meines Vaters Wort.

Und wenn er es nicht hält? Dann kehr ich heim

zurück zum Himmel. Denn die Erde fasst

den Herkules nicht mehr. Die Götter rufen,

sie öffnen selbst das Tor – nur einer nicht.

Was zögerst du, o Himmel, mich zu nehmen?

Dann reiß ich deine Tore selbst hinweg!

Zweifelst du gar an meiner Göttermacht?

Ich breche Saturns Fessel, meinen Ahnherrn

befrei ich aus der Schuld des falschen Zeus.

Die Titanen sollen neu den Krieg entfachen

und ich will führen ihren alten Zorn.

Fels, Wälder, alles schleudr’ ich in den Kampf.

Und trage, was ich find, mit meiner Hand

bis in den Himmel. Chiron wird erblicken,

wie Pelion auf Ossa sich erhebt

und Olymp der dritte Gipfel sein wird –

und ich ihn schleudre bis ans Firmament!


AMPHITRYON

Halt ein mit deinem grimmig wilden Zorn.

Dein stolzes Herz verliert den klaren Sinn.


HERKULES

Was? Tityos erhebt sich gegen Götter.

Entkommen ist er aus den Schattenreichen

und wächst mit seiner Brust bis an den Himmel.

Kithairon zittert, Pellene erbebt,

und Tempes Wonne flieht. Der Pindosgipfel

wird überrannt, Oete ist schon gefallen.

Mimas ist los und wütet ohne Maß.

Erinys knallt die Peitsche, feurig glüht

ihr Zorn. Sie naht mit Brandmal in der Hand.

Und Tisiphone, das Haar aus Schlangengezücht,

versperrt mit Fackel mir den leeren Weg,

seit ich den Hund gestohlen aus der Hölle.


(Er sieht seine Kinder, hält sie für Feinde.)


Doch sieh! Die Brut des Königs, Lycus’ Söhne!

Verruchtes Pack! Ich schick euch zu dem Vater!

Mein Bogen – spannt sich, meine Hand ist sicher!

So fliegen Herkulesens Pfeile – rasch!


AMPHITRYON

Was treibt ihn seine blinde Wut dahin?

Er hat den Bogen auf gespannt, gezielt,

die Pfeile singen schrill, sie fliegen los –

ein Pfeil trifft mittig, trifft den Kinderhals,

und weiter jagt er durch die Wunde fort.


HERKULES

Kein Kind entkommt! Kein Winkel birgt die Brut!

Was zögere ich? In Mykene harrt

ein größrer Kampf. Dort wird mein Arm die Felsen,

die Zyklopen schufen, in Staub zerreißen!


(Er beginnt, an den Türen des Schreins zu reißen, in dem seine verbliebenen Söhne Zuflucht gefunden haben.)


AMPHITRYON

Die Türen brechen, eine hier,

und dort! Die Pfosten splittern, stürzen ein.

Das Dach – zerschmettert – taumelt in die Glut.

Der ganze Bau steht lichterloh in Flammen.

Dort – seht! – der Sohn des Fluchs versteckt sich tief.


(Er tritt zurück. Man hört einen Schrei. Herkules zerrt ein Kind hervor.)


AMPHITRYON

O sieh – o Gott! – er ringt mit kleinen Händen

um Gnade, klammert sich an seines Vaters Knie.

Sein Flehen – ach, ein kläglicher Gesang!

Doch dieser reißt ihn fort mit wilder Faust,

zerschmettert ihn am Stein – o grauser Anblick!

Das Hirn verteilt im Raum, der Körper stumm.

Und Megara – o weh! – mit zartem Griff

noch hält sie ihren Sohn an ihrem Schoß,

verirrt, verstört, entflieht sie ihrem Ort.


HERKULES

Versteck dich, wo du willst – im Schoß des Zeus –

mein Arm wird dich erreichen, dich hervorzerrn!


AMPHITRYON

Wohin, du armes Weib, wohin, wohin?

Wohin, Megara, fliehst du voller Angst?

Kein Ort schützt vor des Rasenden Gewalt.

Umarme ihn – besänftige mit Fleh'n!


MEGARA

Mein Mann! O halt! Erkenne mich – ich bin

Megara – deine Gattin, dieser Sohn

ist dein – sein Blick, dein Antlitz spricht aus ihm!


HERKULES

Ich habe meine Feindin – Juno selbst!

Bezahl mir nun die Schuld, befreie Zeus!

Doch eh die Mutter stirbt, stirbt ihr Geschöpf!


MEGARA

Was willst du, Rasender? Dein eignes Blut?


AMPHITRYON

Er stirbt – noch eh der Schlag ihn je erreicht.

Die Angst tötete schneller als die Keule.

Und jetzt – o Grauen! – trifft der Gattin Leib:

Ihr Haupt zerschellt, der Rumpf ist leblos Staub.


(Er tritt zurück, ringt mit sich.)


Kannst du das sehn, o Herz aus Stein, o Greis?

Nicht müde bist du – stürz dich in den Tod!

Leg deine Brust dem Schaft der Keule vor

oder den Pfeilen, nass vom Kinderblut.

Ruf ihn – vernichte diesen Vater! Schlag

den Fluch, der seinen Namen Lügen straft.


CHOR

Was wagst du, Alter? Wünschst du selbst den Tod?

Wohin, du Tor? Verbirg dich schnell im Schatten,

damit kein Rest von Schuld an dir noch hafte!

Bewahr des Herkules’ Hand vor neuem Blut!


(Herkules erscheint, wie im Wahn, schwer atmend.)


HERKULES

Es ist vollbracht! Das Haus ist Asche nun.

Dir, Gattin Jupiters, hab ich geopfert

dies Volk, das du verabscheut hast im Zorn.

Und Argos wird noch mehr dir weihen, Herrin!


AMPHITRYON

Nicht ganz vollendet ist dein Werk, mein Sohn –

vollende das Gelübde! Sieh: Ich stehe

vor dir – das Opfer – Hals gebeugt zum Schlag.

Ich opfre mich! – Doch halt – was seh ich da?

Sein Blick – verwirrt – er taumelt, seine Glieder

sind schwach. Die Lider sinken, und der Kopf

fällt schwer auf seine Brust. Der ganze Leib

zersinkt wie eine Esche, frisch gefällt,

wie Fels, der donnernd in das Meer sich wälzt.


(Er tritt näher, beugt sich über ihn.)


Lebt er? Hat jener Wahn, der Kinder schlug,

nun auch den Vater selbst in Tod gestürzt?


(Er legt die Hand auf seine Brust.)


Er atmet – gleich, wie in geordneter

und sanfter Harmonie die Welle zieht.

Lasst ihn nun ruhn – die Seele sei geheilt

vom Schlaf, dem Tröster tiefster Raserei.

Nehmt ihm die Waffen, Knechte – fort damit!

Eh seine Wut erneut sie fordern kann.


CHOR

Lass trauern nun den Himmel und den Vater

des hohen Lichts, die Erde, fruchtumsäumt,

das wandernde, nicht ruhende Gewoge

des großen Meers. Und du, o Sonnenglanz,

der über Land und Meer die Strahlen streust,

der du mit hellem Antlitz Nacht vertreibst –

auch du hast ihn, den Helden, einst gesehen,

wie er durch Auf- und Untergang dich kannte,

durchzog das Reich des Abends wie des Morgens.


O Götter, löst die Seele aus dem Bann

des grausamen, gewaltigen Verhängnisses!

Wendet den Geist, getrübt von dunkler Macht,

dem Besseren, dem Hellen wieder zu.

Und du, o Schlaf, Bezwinger jedes Jammers,

du Ruh der Seele, bester Teil des Daseins,

geflügelter Sohn der stillen Astraea,

du träger Bruder grimmen Todes, der

die Wahrheit mischt mit Lüge, dunkler Führer

zu dem, was kommt – o sicher doch nicht heiter –

du Hafen unsres Tags, Gefährte Nacht,

du kommst zu König wie zu Knechtsgestalt,

du zwingst das Menschengeschlecht, sich vor

dem Tod, dem dunklen, scheuend zu beugen –

beruhige mit süßem Schlummer ihn,

umschlinge fest mit tiefer Dumpfheit ihn,

lass seine Glieder schlafen, wild und schwer,

bis seiner Seele Lauf zurückgefunden.


Sieh, wie am Boden er die Stirn gesenkt,

das wilde Herz in wilden Träumen irrt;

noch ist das Leid nicht ganz von ihm gewichen,

noch sucht er seine Keule, schwer und stumm,

ertastet ihren Stamm mit leerer Hand,

schlägt fruchtlos seine Arme durch die Luft.

Noch wogt der Wahnsinn in ihm auf und nieder,

wie wenn das Meer, vom Wind entfacht, sich bäumt

und lange rollt, auch wenn der Sturm versiegt.

O wende ab, du Seele, dein Verlangen

vom Wahnsinn – kehre heim zum frommen Mut!

Doch nein – der Wahnsinn mag dich weiter führen:

Nur er bewahrt dich vor der eignen Schuld.

Denn wo kein Wissen ist, dort naht die Schuld

dem Unschuldshand so fern wie möglich noch.


Nun schlage Herkules sich selbst die Brust,

die einst das Weltgebäude hat getragen;

der Himmel höre seines Schmerzes Stöhnen,

die Königin der Schattenwelt vernehme,

der Cerberus in seiner Kette lausche!

Es widerhalle das chaot’sche Reich,

die Tiefe und die Lüfte, die von ihm

gepeitscht durch Pfeile selbst gezittert haben.

So großes Leid verdient nicht leichten Trost –

der Dreiklang aller Welten soll da klagen!

Und du, du tapfrer Schilfrohrstab, der einst

ihn zierte wie auch schützte, du, o Köcher,

zerschlage seinen Rücken, wild und hart!

Die Eichenkeule möge seine Schultern

durchknoten, möge seine Brust verletzen –

die Waffen selbst, sie klagen um den Herrn!


Geht, ihr unglückseligen Kinder, fort,

den Pfad hinab, den euer Vater schuf;

nicht ward euch Ruhm, nicht Rache ward euch zuteil.

Ihr lerntet nie das argivische Ringen,

habt nie mit Handschuh tapfer euch gemessen,

habt nie den Speer auf Löwenherz geworfen –

doch konntet ihr, mit fester Hand und still,

den pfeilschnellen Skythenbogen halten

und Hirsche hetzen, die in Furcht entflohn.

Geht hin zum Styx, ihr Schatten, mild und rein,

vom Vaterwahn bezwungen vor dem Leben –

geht, zeigt euch jenen Königen, die toben.


HERKULES

Erwacht, bei klarem Verstand

Was ist das hier? Wo bin ich? Welche Welt?

Welch Erdenteil empfängt mich? Welche Luft

durchströmt mich? Ist dies Osten, ist es West?

Bin ich am Rand des Meeresstroms, dort, wo

das fernste Land vom Abendsonnenglanz

berührt wird? Welcher Boden trägt mich hier?

Ich bin gewiss – ich bin zur Erd’ zurück.


(Sein Blick fällt auf seine ermordeten Kinder.)


Wie kommt es, dass vor meinem Hause Leichen

In ihrem Blute liegen? Ist mein Geist

Noch nicht befreit von höllischen Gespenstern?

Drängen sich selbst nach meiner Heimkehr noch

Die Scharen grauenvoller Trugbilder

Vor meine Augen? Scham erfüllt mein Herz –

Ich fürchte mich. Es kündet sich ein Unheil,

Ein großes, an, das drängt in meine Brust.

Wo bist du, Vater? Wo ist meine Frau,

So stolz auf unsre Söhne, auf ihr Haus?

Warum ist meine linke Schulter frei

Von Beute, die der Löwe einst mir ließ?

Wo ist mein Schild, mein Lager und mein Schutz

In Nächten, da ich ruhete vom Kampf?

Wo sind die Pfeile, wo der Bogen hin?

Wer nahm mir meine Waffen, während ich

Noch lebte? Wer, beim Schlaf des Herkules,

Hat nicht gezittert, obgleich ich schutzlos lag?

O wie mich freute, wenn mein Feind mir nahte!

Zeig dich, du Held, gezeugt von meinem Vater,

Der einst den Himmel selbst verließ zur Lust.

Ein später Sohn bist du, bei dessen Zeugung

Die Nacht stillstand – noch länger als bei meiner –


(Er erkennt die Leichen seiner Frau und Kinder.)


Was seh ich? Schreckensbild! – Die Söhne tot,

Durch blut’gen Mord vernichtet, hier – und dort

Zerschmettert liegt die Mutter meiner Kinder!

Wer herrscht in Theben jetzt? Welcher Lykos

Hat solch ein Greuelwerk gewagt, da doch

Der Herkules zurückgekehrt ist?

Wer lebt am Fluss des Ismenos, wer

Auf attischer Gefilde weitem Grund,

Im Land des Pelops, das zwei Meere waschen –

Kommt, helft mir, nennt mir, wer dies Blut vergoss!

Mein Zorn wird alle treffen; jeder Feind

Ist der, der nicht den Feind mir offenbart.

Du Bezwinger des Alkides – wo bist du?

Tritt vor, ob du Geryons Herde rächen,

Die wilden Rosse oder Libyens Helden

Beklagen willst – ich stehe kampfbereit.

Ich bin entwaffnet. Selbst mit meinem Bogen

Und ohne Rüstung kannst du mich bezwingen.


Was weicht mein Vater meinem Blick so aus?

Warum verbirgt sich Theseus vor mir?

Was flieht ihr? Haltet ein, verbergt euch nicht!

Wer warf die Meinen alle in den Tod?

O Vater, sprich – warum, warum dein Schweigen?

Dann du, o Theseus, sag’s mir bei der Treue!

– Sie wenden sich beschämt und weinen still.

Welch Grund zu solcher Scham in solchem Leid?

War’s Argos’ grausamer Tyrann? War’s Lykos,

Der im Sterben noch so verderblich ward?

O Vater, bei dem Ruhm, den ich errang,

Und bei dem heiligen, dir heil’gen Namen –

Sprich! Wer zerstörte mein geliebtes Haus?

Wem fiel ich selbst zum Opfer?


AMPHITRYON

Lass, mein Sohn,

Die Sorgen schweigend an dir vorüberziehn.


HERKULES

Und ich – ich bleibe ungerächt zurück?


AMPHITRYON

Nicht selten bringt die Rache neues Leid.


HERKULES

Wer konnte solches Leid je still ertragen?


AMPHITRYON

Der, der ein noch größeres Übel fürchtet.


HERKULES

Doch was kann größer sein als dieses Leid?


AMPHITRYON

Wie klein ist das, was du bis jetzt erkannt!


HERKULES

Erbarmen, Vater! Sieh, ich flehe dich an.

– Was? Du weichst aus, ziehst deine Hand zurück –

Hier liegt die Schuld. Woher stammt all dies Blut?

Der Pfeil, der triefend noch vom Blute tropft –

Er ist getränkt mit Hydras schwarzem Gift –

Ich kenne ihn. Ich brauche keinen Zeugen:

Der Bogen ist der meine, schwer zu spannen,

Und doch gespannt – das tat allein mein Arm.

Ich frage nicht mehr weiter: Ist’s mein Werk?

Schweigt, schweigt – ich weiß es. Ja, ich tat es selbst.


AMPHITRYON

Wahr ist dein Leid, doch schuldlos ist dein Herz –

Das Werk ist deiner Stiefmutter entsprungen.


HERKULES

So soll mein Vater nun vom Himmel fahren,

Mit Zorn bewaffnet, wie in alten Tagen,

Und auch, wenn er den Sohn nun nicht mehr liebt,

So räche doch zumindest seine Enkel.

Lass Blitze fahren von Pol bis zu Pol,

Lass dröhnen den Äther, donnernd hin und her.

Die Felsen Kaspiens sollen mich empfangen,

Der Raubvogel mich nagen, Tag für Tag.

Warum sind Prometheus’ Ketten leer?

Warum der kahle, tierbevölkerte

Gipfel des Kaukasus noch unberührt?

Lass mich dort liegen, zwischen klirrendem Gestein,

Das, wenn es stürzt, das Meer zum Himmel peitscht –

Dort sei mein Ort, gepeitscht von Erde und Flut!

Nein – nein! Ich will mir selbst den Scheiterhaufen

Errichten, will mich selbst mit Feuer reinigen,

Bespritzt mit Blut, das meine Schuld bezeugt.

So, ja so sei’s getan – den Untergöttern

Geb ich Herkules zurück – mich selbst.


AMPHITRYON

Sein Herz, noch nicht vom Wahnsinn ganz befreit,

Hat nun sein Ziel im Zorn sich selbst gemacht –

Ein sichres Zeichen seines rasenden Geistes.


HERKULES

Ihr schrecklichen Gefilde finst'rer Geister,

Gefängnis toter Seelen, dumpfer Ort,

Der sich verbirgt dem Blick des Cerberus –

Verhüllt mich, Erde, in den tiefsten Grund!

Wo Tartarus sein fernstes Ende findet,

Dort will ich bleiben, ewig, ohne Licht.

O Herz, wie wild du schlägst! Wer darf euch klagen,

Ihr Kinder, über Trümmer ausgestreut?

Mein Angesicht, versteinert durch den Schmerz,

Hat längst verlernt, wie Tränen sich vergießen.

Gib mir den Bogen her, gib mir die Pfeile,

Und meine Keule – schwer und riesengroß!


(Er beugt sich über die Leichen, spricht sie an)


Für dich zerbrech ich meine letzten Pfeile,

Für dich, o armer Knabe, meinen Bogen;

Doch in den Flammen deiner Schatten brennt

Die Keule, einst durch Lernas Kraft getränkt.

Mein Köcher, voller tödlicher Geschosse,

Sei deine Bahre auf dem Scheiterhaufen.

So soll mein Arm die Strafe selbst empfangen.

Auch dich, verfluchte Waffe, dich verzehr

Im Feuer – wie die Hände der Stiefmutter!


AMPHITRYON

Welch Mensch hat je den Irrtum Schuld genannt?


HERKULES

Oft ward die Schuld ersetzt durch großen Irrtum.


AMPHITRYON

Du musst nun Herkules sein – trag diese Last.


HERKULES

Die Scham, vom Wahnsinn genährt, lebt noch in mir.

Ich will mit meiner Gegenwart die Welt

Nicht in Entsetzen stürzen. Theseus – Waffen!

Gib mir zurück, was du gestohlen hast.

Ist mein Verstand gesund, gib mir die Waffen;

Wenn nicht – dann flieh, o Vater, flieh vor mir.

Ich finde einen Weg hinab zum Tod.


AMPHITRYON

Bei heil'gen Banden meiner Vaterschaft,

Ob Ziehvater du nennst mich oder recht,

Bei diesem Haar, das fromme Söhne ehren –

Hab Mitleid! Schone deines alten Vaters!

Du bist mein Halt, mein Licht, mein letzter Trost.

Nie hatt’ ich Teil an deinem Glück und Tun;

Ich bangte stets vor Stürmen und vor Bestien,

Vor Königen, die Schuld auf Händen tragen,

Vor deiner Abkehr, deinem fernen Pfad.

Nie warst du mir, mein Sohn, ganz zugewandt.


HERKULES

Warum sollt ich im Licht des Tags verweilen?

Ich habe alles, was mir teuer war,

Verloren: Frau, Vernunft, mein Ruhm, die Kraft,

Die Kinder, selbst den Wahnsinn! Nichts blieb mir.

Ein krankes Herz wird nicht durch Worte rein –

Nur durch den Tod heilt sich die tiefste Schuld.


AMPHITRYON

Du willst den Vater töten?


HERKULES

Tu ich’s nicht –

So sterb ich selbst.


AMPHITRYON

Und das vor meinen Augen?


HERKULES

Ich lehrt’ ihn einst, das Böse zu verachten.


AMPHITRYON

Denk an dein Werk, das alle Welt gepriesen,

Und bitte dich um deine eigne Gnade!


HERKULES

Wer nie verzieh, soll sich Verzeihung geben?

Die Heldentaten tat ich fremdem Ruf,

Dies Werk allein gehört allein mir selbst.

So hilf mir, Vater – aus Erbarmen hilf!

Bring mir die Waffen. Lass mich, dass mein Arm

Dem Schicksal trotzt – ich ford’re es heraus!


THESEUS

Genug! Du hörst das Flehen deines Vaters –

Nun hör auch mich. Mein Weinen soll dich rühren.

Steh auf, zerbrich die Not mit eig’ner Kraft!

Hol dir den Mut zurück, der stets dich trug.

Nun zeig dich stark – verbiete Herkules,

Dass Herkules sich selbst zu Feind geworden!


HERKULES

Bleib ich am Leben, tat ich großes Unrecht;

Doch sterb ich, hab ich großes Leid getragen.

Ich eile nur, die Erde zu erlösen.

Schon lange sah ich eine dunkle Gestalt,

Ein wilder, fluchbeladner Dämon nah’n.

Komm, meine Hand, erfüll dein letztes Werk!

Was zögerst du, du Feigling, der so kühn

War gegen Knaben und erschrockne Mütter?

Meine Waffen! Ich will sie – oder brenn’

Den thrak’schen Pindos nieder, Bacchus’ Haine,

Den Kithairon mit all den Götterhügeln!

Mit meinem Leib zusammen brenn ich sie.

Und wenn dies Feuer nicht genüge, will ich

Die Mauern Thebens samt den Göttern stürzen.

Und wenn der Fall mich nicht erschlägt, dann heb

Ich selbst das Zentrum dieser Welt empor –

Und schleud’re es auf meinen eignen Kopf!


AMPHITRYON

Ich geb dir deine Waffen wieder, Sohn.


HERKULES

Das spricht der Vater, wie es ihm gebührt.

Sieh her – durch diesen Pfeil fiel mein geliebter Sohn.


AMPHITRYON

Nicht du, es war die Juno durch dein Werk!


HERKULES

Doch ich bin's nun, der diesen Pfeil gebraucht.


AMPHITRYON

O weh! Mein Herz, es zittert angstvoll schwer,

und klopfend schlägt es gegen meine Brust!


HERKULES

Der Schaft ist kerbig. Er hat Blut gekostet.


AMPHITRYON

Und willst du nun mit Willen Schuld begeh’n?


HERKULES

Was forderst du? Was soll ich deiner Meinung tun?


AMPHITRYON

Ich bete nicht – mein Leid ist mir gewiss.

Du kannst allein mir meinen Sohn bewahren,

doch rauben könntest selbst du ihn mir nicht.

Ich habe meine größte Furcht bezwungen.

Du kannst mich nicht mehr unglücklich nun machen –

gesegnet könntest du mich aber wohl.

Drum wähle nun, nach deinem eignen Recht.

Doch wisse, auch dein Ruhm steht auf dem Spiel;

der Ausgang schwankt: ob du noch lebst – oder

du tötest mich.

Die Seele, müd vom Alter,

vom Leid zerrissen, schwebt schon auf den Lippen.

Soll solch Geschenk der Sohn dem Vater weigern?

[Er zieht ein Schwert und setzt es sich an die Brust.]

Genug! Ich dulde keinen Aufschub mehr!

Mit diesem Stoß will ich mein Herz durchbohren –

hier soll der Frevel eines Herkules ruh’n!


HERKULES

Halt ein, mein Vater! Weiche, deine Hand!

Ergib dich, meine Seele, seinem Wunsch.

Auch diese Tat soll eine Mühe sein,

die Herkules erfüllt – und lebt zugleich.

Theseus, heb die matt gewordnen Glieder

des Vaters auf vom kalten, nackten Stein.

Ich scheue mich, mit blutbefleckter Hand

die reine Stirn des Greises zu berühren.


AMPHITRYON

Und doch umklammer ich sie voller Glück.

Mit deiner Hilfe will ich weitergehn

und halt sie an mein kummervolles Herz –

dann weicht der Schmerz.


HERKULES

Wohin nur soll ich fliehn?

Wo find ich Schatten, Höhle, Grab, Versteck?

Welcher Tanais, Nil, welcher Tigrisstrom,

der persisch tobt, welcher german’sche Rhein,

welcher getrübte Tajo Spaniens wohl

kann mir die Hände reinwaschen vom Blut?

Wenn auch Maeotis‘ kaltes Nordmeer flösse,

wenn Ozean selbst mich umspülte ganz –

die Schuld, sie haftet wie ein Fluch daran.

In welches Land, verfluchter Mensch, fliehst du?

Die Sonne geht, doch keine nimmt dich auf.

Für mich gibt’s keinen Ort im weiten Land.

Die Welt entzieht sich meinem finstern Blick,

der Sternenkreis verrückt sich vor mir selbst.

Titan hat freundlicher auf Cerberus

geschaut als auf mein blutbesudeltes Gesicht.

O Theseus, mein Freund, such mir ein Grab,

versteckt, ganz dunkel, fern von aller Welt.

Du, der du sündge Seelen noch geliebt,

vergilt mir meine Freundschaft mit Versteck.

Bring mich zurück hinab in Hades' Reich!

Leg deine Ketten mir um meinen Leib –

der Ort birgt mich – und kennt mich doch zu gut!


THESEUS

Mein Land erwartet dich, du starker Held.

Dort hat Gradivus einst sein Blut gereinigt

und kehrte neu zum Schlachtfeld wieder heim.

Dies Land ruft auch nach dir, o Alcides –

denn es vermag, selbst Götter zu entsühnen.