VON TORSTEN SCHWANKE
FÜR SABINE
ERSTER GESANG
Von der Juffer Vey, der Alten,
wusste man einst viel zu sagen.
Doch heut’ schweigen selbst die Alten,
wissen nichts mehr von den Sagen.
In dem Veytal tief verborgen,
wo der Bach die Wälder streift,
hörte man in frühen Morgen
Stimmen, wo der Nebel reift.
Manche sagten, sie sei eine,
Fee, die an der Quelle lebt,
wo der Strom in klarer Reine
aus dem Wiesengrunde schwebt.
Andere, die Kunde geben,
sagten: „Oben war ihr Ort,
bei Urfey hat sie geleben,
an der Quelle, still und fort.“
Manchmal bei dem Tau der Frühe,
wandelt sie in weißem Kleid,
schwebt durch Wälder, wie durch Mühe,
scheint aus einer andern Zeit.
„Hüterin des Tals“ genannt, sie,
oder gar der Burgen Bau,
wird von jenen, die sie kannten,
noch erwähnt bei Veynau.
Früher saß man beieinander,
sprach bei Spinn- und Abendzeit,
hörte Sagen, Mär’ und Wunder,
gab der Seele still Geleit.
An den Feuerplätzen, lauschend,
wurden Träume Wirklichkeit,
was man heut’ verlacht, verrauschend,
war einst Tor zur Anderszeit.
Doch mit Wandel, Welt in Eile,
schwand der Ort, wo Stimme lebt,
wo im langen Dämmerweile
nur ein Flüstern übrig schwebt.
Was nicht aufgeschrieben worden,
wurde Wind, verweht, verweht.
Nur in alten, stummen Worten
steht, was einst in Herzen geht.
Wer sind sie, die weißen Damen,
von den alten Sagen schwer?
Juffern, die mit leichten Namen
weben aus der Luft ihr Heer.
Nicht nur hier im Tal der Veyen,
auch im Land von Jülich weit,
kennt man diese lichten Reihen,
Wesen aus der Anderszeit.
Manche meinen: Götterbilder,
Schutzgestalten aus dem Traum,
Mütter einst, auf alten Schildern,
unter Eichen, Stein und Baum.
Altäre, in Stein geschrieben,
sagten Dank für heil’ge Macht.
Roter Sand blieb ewig lieben
jene, die einst Glück gebracht.
Matroninnen – Mutterkräfte –,
aus der Römer Zeit bekannt,
leben fort in Wald und Schächte,
in des Volkes Seelenland.
In den Fluren an dem Rheine,
wo die Ubier einstens saßen,
standen Göttinnen in Reihen,
die den Ackersegen maßen.
Gütig waren sie den Wesen,
Pflanzen, Tieren, Menschengeschlecht,
schenkten Heilung, Trost und Spesen,
und ihr Wirken galt als echt.
Drei in Zahl, in Tracht gekleidet,
sah man sie an Stein und Wand,
doch was uns ihr Wirken bedeutet,
bleibt im Dunkel unerkannt.
Ihre Schrift ist uns verloren,
nur die Steine geben Kunde,
doch in Sagen neu geboren
lebt ihr Bild aus alter Stunde.
Drei Gestalten durch die Nacht zieh’n,
wenn der Nebel leise fällt,
weißgewandet, Seide fliehend,
wandeln sie durch Wald und Feld.
Rauschend naht ihr flinker Schreiten,
doch sie tun dem Wandrer nichts –
Wesen, die das Heil verbreiten,
Fabelbild in Mitternichts.
Hüte groß mit breitem Rande,
Kopftuch gleich dem Turbanstil,
spiegelt sich in Sagenlande
eine Wahrheit oder Spiel?
Doch in manchen alten Zeiten
wurde aus dem Segen Spott,
Juffern neckten, taten schreiten
durch das Moor in Spuk und Trott.
Nicht mehr gut, nur noch gespenstig,
spielten sie mit Angst und List,
doch ihr Wesen blieb erkenntlich,
auch wenn’s nun veränderlich ist.
Wo das Wasser stets versickerte,
lag das Land in ewigem Dunst,
wo der Bach den Grund durchzitterte,
fand die Sage ihren Gunst.
„Juffer Vey“ – der Flurname kündet
noch von alter Zeiten Lauf,
wo das Moor im Dunkel mündet
und die Juffer steigt herauf.
Feucht das Tal mit Nebelschatten,
grün das Land, doch ungezähmt,
dort, wo einst mit dunklen Watten
sie als Menschenkind gefleht.
Wißkirchen und Satzvey wissen
von dem Moor und seinem Ruf –
dort, wo Nebel Schleier hissen,
tritt die Juffer aus dem Schluft.
Wo einst Sümpfe, weitgedehnet,
grün und feucht das Tal durchdrang,
liegt ein Moor, nun müd und sehnet
sich nach jenem alten Klang.
Hundert siebzig Meter Länge,
schmal sich durch die Senke zieht,
vierzig breit – in stiller Enge –
wie ein Rest, der kaum noch glüht.
„Torfbenden“, so nannte Schreiben
jener Zeit das Heuwiesland,
ließ das Moor einst weiter treiben
seinen Leib durch weites Land.
Sieh: Im Jahr, als Gräben schnitten
westlich jenes Feuchtgebiets,
tat der Boden, tief inmitten,
Kunde von der Zeit des Miets.
Nie jedoch war’s riesengroß,
nicht wie Kalkar’s altes Moor,
denn sein Wuchs blieb stets im Schoß
einer klein'ren Landschaftsflor.
Wo das Moor einst still verborgen
seine Wasser heilig hielt,
quoll in frühern fernen Morgen
eine Quelle, scheu und mild.
Ehrfürchtig in alten Tagen
nannte man sie Juffer Vey –
wie ein Hauch aus alten Sagen,
sanft wie Nebel, tief und scheu.
Einst wohl mitten im Gelände
lag sie in des Moores Herz,
doch als man das Feuchtland wendete,
wich sie still dem Menschen Schmerz.
Südlich an des Restmoors Rande
tritt sie heute noch ans Licht,
aus der Sötenicher Wand –
führt das Wasser, das da bricht.
Tief aus Kalk und Erdenschichten,
aus dem tertiären Raum,
dringt es durch des Grabens Fichten
in das Tal – wie einst im Traum.
Neunzehnhundertneun gefasst,
wurde sie dem Volk gegeben,
und seit Zehn floss ihre Last
hin zu Dörfern, hin zum Leben.
Veynau, Elsig, Satzvey tranken
von der Juffer Veys Geschenk,
und in dunklen Mauerwanken
stand das Werk am Hennes-Henk.
Noch bestehend, längst verlassen,
ragt das Bauwerk in die Zeit,
denn man ließ es einst erblassen,
als die Technik eilte weit.
Heute sprudelt sie in Tiefen,
zwei mal fünfzig Meter tief,
und die Mengen, die da liefen,
reichen weit wie guter Brief.
Nicht nur Dörfer, die sie speiset –
auch das weite Land umher
nimmt, was sie in Liebe leistet,
aus der Tiefe, süß und klar.
In den Blättern alter Zeiten,
fern verklungen, kaum noch wach,
steht ein Wort von alten Saiten –
„Juffer Vey“ in Flur und Bach.
Adam Langen, Schulmann, Lehrer,
schrieb im Jahr, da alles schwieg,
einen Eintrag, schlicht und hehrer,
wie er einst im Schulbuch wiegt:
„Einst ein Fräulein auf dem Esel
ritt zur Quelle tief im Tal,
dort, so heißt’s, mit Tier und Segel
versank sie still im Wasserstrahl.“
So ward also ihr gegeben
dieser Name – Juffer Vey –
und die Menschen, die dort leben,
scheuten lang das Quellgestein.
Doch als Neunzehnhundertneune
man das Quellreich fassen tat,
fand man dort nicht See noch Scheune,
sondern Quellgrund, schlicht und satt.
Was das Volk sich einst erfunden,
klang noch nach im Zeitenwind,
wo in alten Sagensunden
Wasser, Moor und Mythen sind.
Und ein andrer, tief bewegt,
sammelte, was man vergaß,
was in Bauernherzen schlägt,
wenn der Abend senkt sein Maß:
Heinrich Hoffmann war sein Name,
Lehrer, Sammler, stiller Mann,
hielt die flücht’ge Mär in Rahmen,
die man leicht verlieren kann.
Wißkirchen, Vussem, Breitenbenden –
überall, wo Sage sprach,
ließ er Worte leise wenden,
wie sie einst die Alten wach.
Doch die Bände, die er meinte
fortzuführen, blieben stumm.
Was er fand, das ging dem Feinde
fast verloren – alles krumm.
Bis in fünfzigfünf der Zeiten
Gottfried Henßen, klug und klar,
wollt' das Werk noch einmal leiten,
brachte es der Welt sogar.
„Sagen, Märchen, Schwank und Worte
aus dem Jülicher Gebiet“ –
doch in unsrer stillen Pforte
wusste kaum, was dort geschieht.
Anton Könen, forscher Geist,
fand die Juffer dort erneut,
und im Jahr sechsundachtzig heißt’s,
dass man sich der Sage freut.
Zwischen Satzvey, Veynau's Mauern,
wo das Moor in Nebel schweigt,
steht der Binsen düstres Trauern,
wo der Geist der Jungfrau steigt.
Einst im Kloster auf dem Hügel,
lebte still die Vey allein,
stieg mit Esel stets im Spiegel
klarer Quelle fromm hinein.
Doch an einem grauen Morgen,
Nebel lastet schwer aufs Tal,
stieg sie nieder, ganz verborgen,
fand im Moor ihr letztes Mal.
Pfadlos irrte sie im Grase,
trat daneben, sank hinab —
mit dem Esel in die Blase
grundlos tief, ein feuchtes Grab.
Seither rauscht es in dem Tale,
flüstert leise: „Juffer Vey...“
Nachtgespenst mit bleicher Schale,
schweift umher am Quell' vorbei.
Manche meinen, einst gestanden
hätt dort eine Burg so stolz.
Andere, in alten Landen,
sprechen leis vom Klostergroll.
Doch der Veybach, der noch rauschet,
trägt der Jungfrau stummen Klang.
Was im dunklen Grund verrauschet,
hallt in Sagen fort so lang.
In dem Tale, wo der Veybach
still durch dunkle Sümpfe zieht,
steht ein Ort, der alt und sagen-
voll im Nebelgraue liegt.
Einstmals stand auf hohem Hügel,
Hennesberg, so wird er genannt,
ein Kloster still, darin verborgen
lebte Vey mit reiner Hand.
Jungfrau war sie, keusch und ehrlich,
pflegte Wasser stets zu hol'n,
mit dem Esel an der Quelle,
die im Moorgrund leise quoll.
Eines Morgens – Nebel dichte
senkten sich auf Weg und Land –
ritt sie aus, wie all die Male,
Zügel fest in ihrer Hand.
Doch der Pfad, so schmal und tückisch,
fiel dem Blick im Dunst zum Raub,
und sie wich vom rechten Wege,
sank hinab im schwarzen Staub.
Mit dem Esel ward sie nieder-
gezogen in des Moores Schoß.
Niemand fand sie je – verschwunden,
und ihr Grab blieb ewig los.
Seit der Zeit geht sie dort wandelnd,
wenn der Nebel leise webt.
Juffer Vey, so ruft man’s flüsternd,
die im Moor nicht länger lebt.
Und der Bach, er trägt nun Namen,
den ihr Geist dem Tale gab –
Veybach heißt er, leise rauschend,
klagt er ewig um ihr Grab.
Spätestens in unsern Tagen
fragt man sich mit stillem Sinn,
ob nicht mehr dahinter liegt –
als nur Kult und Frauengagen.
Denn am Rand des Hennesfelds
hob der Bauer aus dem Grund
einen Altar – rot wie Blut,
Sandstein aus der Römerwelt.
Nicht beweist dies Monument,
daß dort einst ein Tempel stand –
doch ein Wink mit starker Hand,
wenn man alten Spuren kennt.
War es nicht ein heil’ger Ort,
wo man einst die Mütter ehrte,
deren Kraft das Land vermehrte –
nicht mehr sichtbar, doch nicht fort?
Vielleicht stand dort ein Gebäude,
nicht ein Kloster – doch geweiht?
Und die Zeit trug es ins Weite,
wie das Blatt die Winterbeute.
Vielleicht war es ein Altar
für die Mütter dreier Gaben,
und die Menschen, die dort starben,
lebten in der Sage gar.
Ziegelscherben, die man fand,
Zeugen eines röm’schen Traums –
und ein Grab, verbrannt im Raum
nördlich jener Ackerwand.
Viele Tempel sah man stehen
auf Erhöhungen im Land,
nahe Quellen, Brunnenrand,
und wo Römer Hütten säen.
Auch beim Hennesberg – wer weiß –
könnte sich ein Bau erhoben,
schlicht vielleicht, doch auserkoren
für den Dienst in röm’schem Kreis.
Noch erzählt kein sichres Wort,
was genau dort einst geschehen,
doch die Steine, die dort stehen,
deuten leise auf den Ort.
Wo in dunkler Erde ruhn
Ziegel, Mauerwerk und Platten,
findet man auf alten Schatten
neue Träume, altes Tun.
So entstehen – nicht zum Spott –
Märchen von versunknen Hallen,
wo der Glanz vergangner Zeiten
in die Nacht des Volkes tropft.
Burg und Kloster, tief verschlossen
unter Flur und Wiesenland,
schimmert durch der Sagen Band,
die der Wind den Hügeln flossen.
Auch von ihr, der Juffer Vey,
singt man Lieder, spricht in Nächten,
wenn durch dunkle Waldgefächte
nebelhaft ihr Bild sich dreh.
Urfey nennt man einen Ort,
wo der Bach sich niederbeugt,
Hausenströme sich vertragen,
bis der Veybach zieht hinfort.
Auch beim Hornbusch, tief im Tal,
meint man, sie sei oft gesehen –
zwischen Buchen, auf den Wegen,
dort, wo einst das Bergwerk war.
Wanderer mit schwerem Schuh
zogen aus von Weiler’s Hütten,
durch das Hombuschdickicht mitten –
in den Tag und in die Ruh.
Bergleut, die zur Arbeit eilten,
trafen manchmal ihren Blick,
und so mancher trat zurück,
wenn die Nebel sich verteilten.
Nicht nur Furcht war’s, die sie trieb –
auch ein Ahnen, tief im Herzen,
daß die Juffer, die mit Schmerzen,
doch aus andrer Wirklichkeit blieb.
Hoffmann schrieb mit feinem Ohre
auf, was einst die Alten sah’n,
sprach, wie’s klang in Dorf und Spore,
ließ den Klang der Zeit nicht fahr’n.
Doch was heute man vernimmt,
klingt nicht stets wie’s einst geschwungen.
Mancher Laut, der nicht mehr stimmt,
hat sich fremd hineingezwungen.
Aus dem Dürer Land wohl stammend,
floß manch Wort in Schrift und Sinn.
Hoffmann, lang daselbst verharrend,
trug es in die Zeilen hin.
Auch die Hochsprach mischt sich drein,
was die Reinheit trüb erscheinen ließ –
drum sollt' im neuen Druck es sein
überarbeitet und ganz präzis.
Alte Leute hör’n darin
noch das Reden ihrer Ahnen,
wie sie einst im trauten Sinn
sich in Mundart gern erahnen.
Darum soll sie weiterklingen,
diese Sprache, rauh und echt –
möge sie den Schalk bezwingen
und erheitern durch ihr Recht.
Im Urfeyer Sack da wohnte
einst die Juffer, seltsam Weib.
Niemand, der sich je mit ihr
gern in tief're Reden treibt.
Schabernack und Spuk getrieben
hat sie mit verweg’nem Sinn,
jagte Angst in alle Glieder,
wenn sie durch die Wälder ging.
Oft im Hombusch konnt’ man’s sehen,
wie sie dort ihr Wesen trieb.
Wer ihr aus dem Weg wollt’ gehen,
dem sie direkt entgegenlief.
Am Sophientag, so heißt es,
war sie böser noch als sonst.
Drum sagt man: "Heut besser aufpass’ –
lach nicht, wenn du leben woll’st!"
Einer sah sie als die Alte,
dann als Maid von schönem Leib.
Andre sagten, sie erscheine
als ein Has’ in wilder Weib.
Einer gar, der vor dem Hasen
Bangheit tief im Herzen trug,
wagte nimmer zu verweilen
im Gebüsch – der Furcht genug.
Rehe gleich erschien sie vielen,
doch die Wahrheit blieb verhüllt.
Denn sie hatt' mit sieben Töchtern
schon die halbe Welt erfüllt:
Urfey, Eis’rfey, Feyer Mühle,
Burgfey, Katzvey, Satzvey dann –
und Veynau – aus diesen Namen
zeigt sich, wo’s begann.
Kau aus Kirchheim, Bäckerbursche,
kam von Mechernich einst spät.
Mitternacht, da trat sie auf,
als der Wald in Stille trat.
Zwischen hohen Tannen rauschte
plötzlich fremder, dunkler Klang.
Juffer Vey kam angeschritten,
riesengleich, mit wildem Drang.
Bäume bogen sich und krachten,
als ob Welten niedergeh’n.
Doch als Kau zurückgegangen –
stand der Wald noch, fest und schön.
Doch er blieb dabei in Treue:
Er hat’s geseh’n – ganz ohne Spott.
Keiner konnt’ ihn je bekehren –
solch ein Glaube stirbt nicht flott.
Im Tal, wo dunkle Wasser ziehn,
da lebten einstens fünf Gestalten,
die Veyen, die im Nebel fliehn,
die stumm durch Dämmerwälder walten.
Satzvey war eine, stolz und kühn,
die zweite war aus Eisenklingen,
die dritte ließ in Urfey blühn
ein Lied, das durch die Luft konnt' dringen.
Dann Katzvey, lautlos wie der Wind,
ihr Lachen hallte durch die Hügel,
und Burgfey, die das jüngste Kind,
erschien im Glanz der Nebelspiegel.
Am Bach entlang, der Vey genannt,
da zogen sie in finst'ren Nächten,
ihr Schattenrund durchquerte Land,
ihr Wirken ließ sich nie verflechten.
Was taten sie? Man weiß es kaum,
nur, dass ihr Hauch die Luft durchbebte,
ihr Schreiten war wie flücht'ger Traum,
ihr Schweigen, das im Nebel lebte.
Man sah sie wandeln, weiß und bleich,
im Nebelglanz der frühen Stunden,
ihr Auge kalt, ihr Antlitz weich,
ihr Lied in keinem Klang gefunden.
Sie kamen nicht bei Sonnenschein,
sie hassten Glocken, Licht und Beten,
und selbst das Kreuz aus Holz und Stein
ließ sie nur schweigend weiter treten.
Ein Hase sprang – man rief: „Es ist
die Juffer selbst in Tiergestalt!“
Ein Reh, das durch die Büsche frisst,
war plötzlich fort – so lautlos, kalt.
Wer sie einst sah, blieb lange stumm,
sein Haar ergraut, die Stimme heiser,
die Nächte wurden müd' und krumm,
sein Blick verlor sich immer leiser.
Ein Grenzstein stand im alten Tal,
dort, wo der Veybach leise fließt,
ein Ort, so sagt man, sonder Zahl,
an dem die Zeit die Spur vermießt.
Dort spürt man’s manchmal in der Luft,
ein Flüstern, das den Wald durchrinnt,
ein Atemzug, ein kalter Duft –
als suchte dort ein Geisterkind.
ZWEITER GESANG
In den Tagen längst vergangen,
wandeln Juffern still durchs Land,
fern der Menschen Lärm und Bangen,
lichtgestalt und hochgewandt.
Einst als Matron’n ward’n sie ehrend
von den Kelten, Römern gar,
doch ihr Glanz, er blieb bekehrend,
selbst wenn längst verklungen war.
Zarte Frauen, hoheitsvolle,
Majestätisch, still und rein,
lebten fort in Sagenrolle,
zwischen Baum und Wiesenschrein.
Nie als Mütter, nie als Weiber,
jungfräulich, doch stark und klar,
trägt ihr Haupt kein Schleier, kein Leiber,
nur ein Myrtenkranz fürwahr.
Selten zeigt sich eine Haube,
keine Ehe schmückt ihr Bild,
doch in Schleiern, weiß wie Taube,
trägt sie Würde, streng und mild.
Feenhaft in seidnen Schleiern
schritten sie durch Flur und Tal,
weiß gewandet, licht wie Feier’n,
wie ein Hauch im Sonnenstrahl.
Rauschen klang aus ihren Tritten,
leise wie ein ferner Ton,
als ob Engelflügel schritten
über Moos und alten Thron.
Mancher sprach von ihrem Schreiten,
wie der Tanz in Großmutts Zeit,
hob das Kleid an beiden Seiten –
Anmut ward zur Wirklichkeit.
Nie berührte Staub die Seide,
niemals ward ein Faltenbruch,
wie aus einer andern Weide,
kam sie sanft und schritt zurück.
Ihre Schönheit war erhaben,
stolz das Haupt, das Haar wie Gold,
reich durchwebt mit edlen Gaben,
Perlen, Glanz und Edelhold.
Doch nicht stets in hellen Kleidern
kam die Juffer uns so nah,
manche trug in dunklen Zeiten
Schleier schwarz wie Schatten da.
Trauernd war ihr Gang, bedecket
von der Stirn bis tief hinab,
und ihr Antlitz still verstecket
wie ein Grab in dunklem Grab.
Manche war in Zwillingsfarben,
weiß und schwarz, wie Tag und Nacht,
Sinnbild jener alten Narben,
die der Mensch der Göttin macht.
Eine kam in Schwarz gekleidet,
weiß verschleiert wie ein Traum;
eine, weiß mit Schwarz begleitet,
stieg empor aus Eiche und Baum.
Vielleicht war dies tiefes Zeichen,
dass die Göttin abgetan,
doch im Geist nicht ganz entweichen,
wo einst Tempelsteine stan’.
Stumm und bleich, mit starrem Blicke,
stieg die Juffer aus dem Licht,
kam aus dunkler Geisterbrücke,
sprach kein Wort, verneigte sich.
Niemand soll sie je befragen,
wer es tut, ist bald dahin.
Denn in urvergangnen Tagen
lag im Göttlichen der Sinn.
Wer sie ansprach, ward umfangen,
an die Brust gedrückt – so bang.
Ohne Klage, ohne Bangen
schwand sie, und sein Herz war krank.
Tage nur, dann kam das Ende,
kam der Tod, so still, so sacht.
Wortlos bleibt in ihrer Hände,
was sie liebt – und zugemacht.
Doch wer schweigt, bleibt unversehret,
sieht sie seufzen, still und klar.
Tischlein, das sie niederleget,
klatscht, und fort ist sie, nicht wahr?
Angst vor ihr war tief gegründet,
ob sie keinem Schaden tat.
„Die ist gefährlich!“, ward gemunkelt,
doch niemand wusste ihren Pfad.
Nächtens saßen sie im Tale,
weißgewandet, stumm und klar,
spiegelten in dunkler Schale
sich im Bach, so wunderbar.
Hast'ger Schritt und laute Stimmen
stören jäh den Feenzauber.
Wer sie sieht, muss bald entrinnen –
oder sterben, still im Schauer.
Doch sie waren Schutz und Segen,
achteten des Obstes Pracht.
Keine Diebe durften pflegen
Raub zur finstern Mitternacht.
Rüttelnd an den Bäumen standen
sie und jagten Diebe fort,
klatschend laut mit flinken Händen,
bis zum Ringwall, Ort für Ort.
In den Bäumen wohnten Seelen,
Götterkraft in Eichen groß.
Juffer stieg aus alten Höhlen,
wenn der Tag zur Tiefe floß.
Mitternacht war ihre Stunde,
Mittag war ihr andres Reich.
Feiernd in der Feyenrunde
wurde ihre Burg ganz weich.
Buchen wölben Kronenbögen,
Moosteppich, von Licht durchflammt.
Kalkgestein mit sanftem Regen,
feenhaft der Wald verbrannt.
Wer zur Sonnenwende schreitet,
liest am Tor ein altes Wort:
„Lach nicht, Mensch, sei vorbereitet,
heut ist Feyentag am Ort!“
Oder, wenn die Blätter fallen,
feiern sie das Fest im Wind.
Wenn im Herbst die Nebel wallen –
wo die Feen heimisch sind.
Zwischen Satzvey, Veynau Flur,
liegt ein Tal voll Sumpf und Weiden,
wo die Juffer, kühl und nur
leise, durch das Rohr kann schreiten.
Binsen wiegen sich im Wind,
Schilf und Strauch umsäumen Wege.
Wer dort nachts allein drin find’t,
spürt den Hauch von alten Sagen.
Die Juffern am Weiher bei Nörvenich
Unweit von dem Jöschemer
Berge, tief beim alten Weiher,
sah man sie, wie einst und mehr,
wandeln durch das Nebelheuer.
Die weiße Frau in der Wahner Heide
Durch die Heide fegt im Traum
eine Frau mit feur’gem Wagen,
weiß wie Schnee und ohne Saum –
niemand wagt es, sie zu fragen.
Die Juffern in Nettersheim
Wenn der Mond die Fluten ruft,
wo die Urft mit Bächen fließt,
sitzen Juffern, still und luftig,
wo das Gras im Winde sprießt.
Unterhalb des Heiligtums,
wo der Tempel steht den Müttern,
tönt ein Wispern durch den Hain –
heilige Geschichten zittern.
Auch an andern Wassern sah
man sie schreiten, tanzen, schweben,
Bäche, Flüsse, klar und nah,
sind ihr Reich, ihr heimlich Leben.
Die Juffern auf Burgen
Wo der Turm aus Trümmern ragt,
Heimbach, Eschweil’, Juntersdorf,
wo der Falke drüber jagt,
sind sie Wind und sind sie Wort.
Totgeglaubt und doch im Stein,
wohnen sie in alten Mauern,
Burgjungfern, doch nicht allein –
ihre Kraft beginnt zu dauern.
Die Juffern im Siebengebirge
Auf dem Heidchen, weit und klar,
zwischen Drachenfels und Rosen,
standen sie – ein Wunderjahr
wird in Nebeln hier beschlossen.
Löwenburg, so sagt man’s leise,
war ihr Ort mit Zauberschatz,
Rosenau – der Tanz im Kreise,
glühte dort in Mondesglanz.
Die Juffern in Derichsweiler
Einst bei Derichsweiler Grund
lief ein Pfad, den Juffern heilig,
„Jufferpättche“ nennt ihn Kund,
still und fern von allem eilig.
Hier soll ein Götzentempel stehn,
aus der Zeit, die alt verklungen,
von der Alten oft gesehn,
noch in Mär und Lied besungen.
Die Juffern auf alten Straßen
Juffern liebten Römerwege,
zogen gern an Kreuzung fort,
wo des Feldes stille Stege
kreuzten Dürens alte Ort.
In Gürzenich, wo still und weit
sich die Straßen kreuzen leise,
kam bei Dämmerung die Zeit,
wo sie wallten durch die Reise.
Die tanzenden Juffern
Tanz im Kreis bei vollem Licht,
nicht im Wald, doch auf den Wiesen,
wenn der Mai das Dunkel bricht,
ließen sie den Sommer fließen.
Mitsommer war Fest und Klang,
Jauchzer hallten über Felder,
wie ein Wind, der Sturm empfing,
zogen sie durch grüne Wälder.
Obwohl scheu bei großem Lärm,
liebten sie das Händeklatschen,
wenn sie jauchzend, froh und fern,
sich vom Land der Menschen verabschieden.
Die tanzenden Juffern bei Merzenich
In Merzenich, bei heißem Mitt,
sah der Bauer, wie sie tanzten,
Juffern, die im Haver glitt,
ihr fröhlich Lachen sprühten, glänzten.
„Jot do wäg!“ – so rief der Mann,
doch sie tanzten, ohne Rast,
während der Hafer still gewann,
keine Spur blieb, wie ein Hast.
Die Juffern bei der Ahekapelle
Unter Mondes sanftem Schein,
zog es sie zur alten Kapelle,
wo die Glocken hörten rein
ihren Ruf und klangen helle.
In der Ahekapelle alt,
wo die heiligen Steine ruhen,
konnte man, so sagt der Wald,
selbst der Glocke Klang verflogen.
Die selbstläutenden Glocken
Wo der Glockenklang von selbst
die Kapellen hallend rief,
waren es die Juffern, die,
mit der Macht, die Zeit durchlief.
Thum und Brenig, voller Klang,
heilige Töne, klingen leise,
bis das letzte Echo sang
auf der Juffern sanften Reise.
Die Matronen und das Bonner Münster
Hoch erhebt sich das Münster dort,
wo der alte Tempel stand,
Ubier Götter, in den Ort,
sanken nieder, Sand um Sand.
Helena kam, der Tempel fiel,
und der Altar zerbrach in Glut,
doch das Münster stand im Ziel,
nun schützt es Land und schützt das Gut.
Die Geister der Götzendiener
Wenn ein Donnerschlag ertönt,
die Glocken heulen wie der Sturm,
spürt man, wie der Geist sich krönt,
aus der Tiefe, aus dem Turm.
Die alten Götter, still und fern,
verblassten durch den heiligen Klang,
doch die Geister ziehen gern
durch das Land, das schon vergang’.
In dem Namen von dem Vater
Und dem Sohne und dem Geist,
Also betet fromm der Pater,
Wenn es „Große Mutter“ heißt.