O URUGUAI


von Basílio da Gama


Deutsch von Torsten Schwanke


für Sabine, Missionarin der Nächstenliebe



CANTO I


Noch rauchen auf den öden, wüsten Stränden

Die lauen, blutbefleckten, trüben Seen,

Darin die nackten Leichname sich wiegen,

Ein Fraß für Raben. Noch in tiefen Tälern

Erschüttert dumpf der Donner der Geschütze.

O Muse, preisen wir den kühnen Helden,

Der Uruguays wildes Volk bezwungen

Und mit dem Strom des Bluts die Schmach des Reichs,

Die freche Schmach des Königsworts, gewaschen.

Ach, welchen Preis erheischt des Reiches Streben!

Und Ihr, durch die Maranão die Ketten,

Die schweren Ketten, von den Gliedern riß,

O Held und Bruder Helden, traurig denkend

Von fern an Euer liebes Amerika,

O schützt mein Lied! Vielleicht, daß meine Schwingen

Im neuen Flug sich an die Lüfte tasten

Und einst Euch tragen dürfen! So verlässt

Vorsichtig erst das Nest zum ersten Male

Der Adler, der bald mutig sich erhebt

Und aus der Luft die weite blaue Tiefe

Betrachtet, wo der Blitz nicht niederfährt.


Schon hatte sich der Wahn gelöst, der lange

Madrid betört; da sandte sie Boten,

Die Königswillens strenge Kunde brachten.

Catáneo trat auf, der große Andrade

Ward unterrichtet, daß der Hilfstrupp nahte

Und bald gerüstet sei zum Waffengange.

Doch durfte durch die öden Wüsteneien

Der Feldherr nicht, wenn nicht die Konvois kamen,

Auf die er lang vergeblich schon gewartet.

Weit, weit entfernt ließ er aus fernen Landen

Die Kriegsgerätschaften zum Heere schaffen.

Indessen war er trüben Muts, erwog

Mit ruhelosem Sinn in finsterm Grübeln

Viel auf einmal. Da führten seine Wächter

Zum Lager einen Boten aus der Fremde,

Der Zeichen eines Eilboten getragen.

Er brachte ihm mit fremder Zeremonie

Die Botschaft dar, die er, bevor er sprach,

Vorsichtig an die Stirn und Lippen führte.

Der Feldherr sah die Zeichen, kannte gleich

Des Freundes treue Hand, gewann Vertrauen

Und brach das Siegel, in das rot geprägt

Der Königsadler Almeidas sich fand.


Er las, daß dieser nahe sei mit Rossen,

Mit feurigen und kräftigen, und mit Ochsen,

Die schwer und träg zum Dienst der Fracht bestimmt.

Nicht länger galt’s zu warten. Schnell befahl er

Dem Spanier, daß er sich bereithielt,

Den Ort und auch die Zeit der Reihung nannte,

Zum Kampfe sie vereint zusammenführend.


Vereint am Ziel, in nächster Nähe stehend,

Ließ er das Heer vorüberziehn im Felde,

Damit der Spanier in der weiten Ebene

Die edlen Männer sah und ihre Waffen.

Die Scharen zogen hin. Und er, der Feldherr,

Stand angelehnt am Stab und musterte,

Mit scharfem Blick gemessen, jede Truppe.

Zuerst erschien die schnelle Avantgarde,

Die erste stets im Kampfe und berufen,

Das Lager zu erkunden und zu sichern.

Dann folgte, was die Ordnung gab dem Zuge,

Und jenes Heer, das leichten Schutz erbaut

Und in Minuten Häuser und Paläste,

Straßen und Plätze einer Stadt errichtet.

Hinter den Pferden, die gewaltig schnaubten,

Erdröhnten schwere, klagende Geschütze,

Die auf den Achsen bebend, stöhnend rollten.


Umschlossen von der Wache kam heran

Des Krieges Schatz, des Übels tiefer Quell,

Deswegen der Bauer Pflug und Egge läßt,

Der Bauer, dem der Ruhm des Siegs verborgen,

Und für ein Almosen sein Blut verkauft,

Die Schlacht beginnt, doch nicht den Grund versteht.


Standhaft und kühn, mit hohen festen Schritten,

Mit festem Blick und unbewegter Stirn

Zog das geübte Heer der Grenadiere,

Die rasch, mit leichten Rädern vor sich her,

Die neuen Waffen aus gehärtetem Erz

Geschleudert, todbringend im Felde streuend.


Catáneo fragte: "Wer ist jener Mann,

Der, weiß und blau gekleidet, reich geschmückt,

Mit goldnen Borten und mit Kreuz behangen,

Vorüberschreitet?" – Da erwidert ihm

Geraldo, der ihn kannte: "Das ist Meneses,

Ein Held an Kraft und klugem Rat zugleich.

Und jene junge Schar, die ihm folgt,

Die Blüte und der Stolz des Landes, trägt

Die gleiche stolze Farbenpracht zur Schau."


Doch weiter fragt der Spanier: "Siehst du jenen?

Den alten, doch noch kraftvoll festen Mann,

Der in der Pracht des Gelb und Weiß erstrahlt,

Mit Gold geziert, die Artillerie befehligt?"


"Erkennst du Alpoim nicht? Er ist der Erste..."


Er lehrte uns, auf welchen Weg sich hebt

Zum Himmel auf die krumme, schwere Bombe,

Die Feuer trägt; und mit welch mächt'ger Kraft

Sie Dächer einer Stadt hinab zerstört

Und Tod verhüllt in wirbelnd rauch'ger Nacht.

Gemeinsam folgten sie dem Vater nach,

Wohl würdig seinem großen, edlen Geist.


O Himmel, Recht und Gnade! Muss es sein,

Dass dich, erhab'ner Vasco, Wellen weit

Von mir entrückt in Tod und Grab versenken?

Ihr Nymphen der Begierde, wenn ihr mochtet,

Wenn ihr ihn schautet, bleich und starre Glieder,

So löst die grünen Flechten eurer Haare

Und breitet sie auf seine trüben Augen.

O Bild des Schmerzes, voll von Sehnsucht Glut,

So lebst du stets in meinem Herz und Lied.


Mit deinen roten, flammenden Soldaten

Sah dich das Feld an jenem großen Tage,

Berühmter Mascarenhas, du, der jetzt

In süßem Frieden, in den jungen Jahren,

Dem König und dem Vaterland noch dienend,

Dem öffentlichen Frieden Ordnung gibst

Und Ruhm dem Senate und der Toga schenkst.


Nicht wähltest du, o Castro, starke Seele,

Den Frieden deiner Heimat: Waffen, Schlacht,

Sie weckten in der Brust erneut das Feuer,

Den alten Heldenmut der Ahnen auf.

Zuletzt erschienen auf dem Feld die Starken,

Die tapferen Dragoner, harte Brust,

Bereit für doppelart'gen Krieg, zu Fuß,

Wenn es das Land gebietet, kämpfend fest,

Und auf den Rossen, Staub emporzuschlagen,

Wenn ihre stolzen Hufe Felder füllen.


Der General, der Schau des Heers erfreut,

Lädt Gäste ein, die Seinen und die Spanier,

Und bald empfängt im Purpurzelt er jene,

Die Hauptleut' an der frohen, reichen Tafel.

Da fließt der Sorgen Fluch in Wein dahin,

Europens edle Tropfen in die Becher

Von glänzend Gold gegossen, um zu löschen,

Was Kampf und Schlacht dem Geist bescherten.


Zum Klang der Leier, tönend elfenbeinern,

Entzückt vom göttlichen und wilden Feuer,

Besang Matusio die Heldentaten

Des großen Mannes, würdig ew'ger Ehre.

Er künde Ruhm ihm an und malte ihm

Auf seinem starken Schild die hohen Zeichen,

Die Perlen seines Glanzes und den Titel,

Den hohen Namen, der ihn groß erheben soll.


Nach aufgehob'ner Tafel nun begann

Gespräch und Reden unter Heldenkreisen.

Da fragt Cataneo den General,

Er möge ihm den Grund der neuen Kriege,

Des Unheils und der Aufruhr offenbaren.

Sind's Völker, die den Vätern sich verweigern?

Wer führt sie an in Frieden oder Schlacht?

Was ist es mit dem Reich, von dem man hört,

Das heimlich wächst im fernen europäischen Raum?


Nun lauscht ein jeder still auf seine Worte,

Und ringsum harren alle auf den Anfang,

Da hebt mit ernster Miene Andrade an:


Der letzte König und der Herr von Spanien

Entschieden, mit einem Schlag zu beenden,

Wie ihr wohl wisst, in diesem Land der Grenz'n,

Die Unruh' und die Zwist' der Nachbarnvölker,

Und deutlichere Zeichen festzulegen.

Die Grenze, wo die karge Küste schwindet,

Wo Castilhos Felsen sich ans Meer verliert,

Zum nahen Berg, so sei sie festgelegt,

Und was den Fluss hinab ins Tiefe strömt,

Soll unser Reich von eurem nunmehr trennen.


Die Kolonie bleibt euer, unser bleiben

Sieben Völker, wild und ungezähmt,

Die jene östlich weite Flur bewohnen,

Die fruchtbar sich der Uruguay durchwindet.

Wer hätte je gedacht, dass rohe Stämme,

Ohne Gesetz, entblößt von Krieg und Waffen,

Es wagten, unsern Weg sich zu versperren

Und um das Land mit uns zu streiten wagen?


Doch sandt' ich keine Kriegsbefehle aus.

Die Expedition, sie ward vereitelt

Und unvollendet kehrten sie zurück.

Nun will ich mit dem Hauptmann Spaniens zieh'n,

Sobald des Frühlings milde Lust erwacht.

Doch dulden nicht so lang die frechen Wilden:

Ein Fort von uns vereint sie und erstürmen’s.

Die Priester rufen sie und gehn mit ihnen,

Denn sie allein gebieten über Krieg

Und Frieden nach Belieben in dem Land.


Die wilden Krieger, die wir fangen konnten,

Sie sind noch heute hier in meinem Lager.

Vom festen Stützpunkt zogen wir hinaus

In vielen Wegen, um das Volk zu fassen.

Durch öde Pfade, Seen, dunkle Wälder,

Durch Täler, Höhen trieb uns unser Marsch.

Dann aber hemmt ein reißender, gewalt'ger Fluss

Den Weg, den wir verfolgten unerschrocken.


Am jenseitigen Ufer zeigt sich schon

Ein Heer von Barbaren, unzählbar viel,

Die uns von fern mit wildem Hohn empfangen

Und kampfbereit, im Schatten lauernd, warten.

Ich rüste Kähne, Balsen und Geschosse

Und winke an dem einen Ort zum Zug,

Am andern aber birg ich meine Truppen.

Schon fast vollendet schien das große Werk,

Als mir ein Bote eures Heerführers

Die Nachricht bringt, dass er sich ganz zurückzog:

Die strenge Zucht der wilden Kriegerschar

Hat dieses Land verödet und vernichtet.

Er rät auch mir, dass ich den Rückzug nehme,

Bis Zeit und Fügung neuen Pfad mir weisen.

Erzürnt, vernein ich solches mit den Worten:

"Ich kenne keinen Schritt zurück im Kampf!

Mag kommen, wer da will—ich steh' hier fest."

Doch Fluss und Form des wilden Erdengrundes

Gebieten uns noch nie geseh'nen Krieg.


Da stürzt mit Zorn sich aus dem Bett die Flut

Und überflutet mit gewalt'ger Wucht

Die weite Fläche dieser tiefen Ebene.

Ich baute Zelte, erst auf starke Stämme,

Dann auf die hohen Äste: nach und nach

Gewöhnten wir uns an die luft'ge Heimat,

Wie Vögel, schwebend über Wildnisgrund.

Ein dichtes, wirres Netz aus dunklem Laub

Erzeugt verknüpfte Gassen und Alleen,

Durchzogen ganz von schwankenden Kanus.

So schauen wir in fließendem Geflecht

Aus Licht und Schatten in ein Glas gespiegelt

Die stolzen Bauten Adrias empor

Und Gärten, die ein fremdes Element

Umhegt, durch Wasserkunst geformt und mild.

So, von den Ruderschlägen sanft bewegt,

Belebt die Wellenstraßen Venedigs.


Zweimal schon bog der Mond in silbern Glanz

Die Hörner durch den stillen Himmelsraum,

Doch immer schwoll die wilde Flut heran.

Es fehlte uns an allem, ringsum Ödnis.

Und fern noch lag der Spanier mit dem Heer.

Der Strom, die Zeit—sie trieben uns hinweg.

Ich gab mich hin und zog mich endlich heim.


So schloss den stolzen Bericht der Held Andrade.

Doch eh' sich löste das versammelte Heer,

Entschleiert er mit königlicher Macht

Den Plan, der tief in seinem Geist geruht.

Und Freude strahlt auf allen Kriegerscharen,

Indem er neu die Stellungen besetzt.

Dem Almeida vertraut er Drachenreiter,

Und jenes Feld heißt fortan „Mercês' Lager“.



CANTO II


Nachdem sie viele Tage fortgeschritten,

Gelangen sie an einen stillen Bach,

Der sanft und ruhig durch ein frisches Tal

Sein klares Wasser wellenlos verbreitet.

Die Kundschaft meldet bald, dass sie gefunden

Ein Ross, das keuchend, schweißbedeckt und schaumbespritzt,

Die Flanken bebend, in der Nähe stand.


Der kluge General sprach zu den Seinen:

"Der Feind ist nah; wohl weiß ich, dass die Wilden

Mit einem flinken Lasso sich der Rosse

Auf freiem Felde oft zu bemeistern wissen.

Erschöpft vom Galopp, die voran entweichen,

Geben sie auf, sobald die Jäger kommen,

Und lassen ihre Freunde sich erholen."


Er täuschte sich nicht. Am dritten Tage schon

Sah er geordnet sie auf weitem Hügel,

Der sich von einer Seite waldumkränzt,

Von der anderen zum Fluss hin schroff hinabfällt.

Der General betrachtete den Platz,

Als Meneses, der nahe ihm zur Seite,

Sprach: "Diese wilden Lande bergen mehr,

Als wir geglaubt. Ich denke, nur durch Waffen

Vermögen wir, dies Volk zu unterwerfen."


Der General erwidert ihm gelassen:

"Versuchen wir zuerst mit Milde sie

Zu binden an die Freundschaft. Doch wenn dies

Nicht ausreicht, bleibt der letzte harte Schritt."

Und also ließ er alle seine Knechte,

Die man gefangen hatte, schön bekleiden

Mit bunten Farben, die das Volk so liebt.

Er umarmte sie mit väterlichem Herzen,

Gab jedem seine Freiheit wieder, sprach

Zu ihnen, wie ein Freund zu seinen Söhnen.

Sie liefen froh zu ihren nahen Dörfern,

Um allen zu berichten von der Gnade

Des edlen, großen, sieghaften Andrade.


Nicht lange, und es nahten sich zwei Häuptlinge,

Von ihres Volkes Rat gesandt, zu ihm.

Ohne Bogen und ohne Pfeile kamen

Sie herbei, doch hoch mit bunten Federn

Geschmückt die Stirn, die Arme, Brust und Füße.

Sepé trat ohne Gruß ins Zelt; allein

Cacambo neigte sich auf seine Weise

Und sprach sodann: "O großer Feldherr, höre!

Sieh all die Völker, die am stolzen Strom

Des breiten Uruguai in Frieden leben.


Zwar wurden unsere Ahnen einst beraubt

Durch jene, die von überm Meer gekommen,

Und von den bleichen Knochen unsrer Väter

Schimmern die Täler noch in fernem Glanz,

Doch komm ich ohne Waffen zu dir her.

So viel vertrau ich dir! Und da die Waffen

Noch ruhen, Herr, so wollen wir erproben,

Ob sich nicht retten lässt das Blut von vielen,

Den hilflosen Geschlagenen, die flehen.

Zu lange dauert uns das Urteil schon,

Das über uns der weite Ozean

Verzögert, wo der Schwachen Seufzer sterben.


Die Übergabe liegt in unsrer Hand,

Bis Könige, die alles dies entscheiden,

Die alte süße Friedlichkeit gewähren.

Wenn Spaniens König freigebig verschenkt,

So gebe er Corrientes, Buenos Aires,

Und alles Land, das unter seinem Joch

Noch liegt. Doch kann er unser Volk nicht geben.

Und wäre dies sogar in seiner Macht,

So weiß ich nicht, ob dein Herr wirklich ahnt,

Was er empfängt – doch fürcht ich, dass er irrt.


Ich sah schon früh die Kolonie entstehen,

Als in der Jugend meiner alten Väter

Die unsren mit den Bögen gegen Spanien

Das Werk der Portugaler einst verteidigt.

Und will das mächt’ge Reich dies Land nun aufgeben,

Die Küste, die dem großen Strom gebietet?

Die Straßen, die den Handel hier beherrschen,

Der Fluss, der eure Grenze sein soll, Herr?

Vielleicht. Doch glaube ich es nicht.


Und sage, was gewinnt dein Herr daran?

Was nutzt ihm unser Land, wenn uns’re Hände

Nicht säen auf den Äckern dieser Fluren?

Hier gibt es keine reichen Minen, keine

Ströme, die goldnen Sand ins Meer versenden.

Die Priester sagen uns, ihr glaubt an Gold

Und seid gesetzlos, weil ihr es verehrt.


Doch jene Pracht, die ihre Tempel schmückt,

Ist nur das Werk des Fleißes und des Handels.

Sie leiten über Körper und die Seelen.

Der Himmel gab es ihnen. Uns bleibt nur

Die Saat, der Acker und der dürre Lohn,

Den spärlich unsre Hände erst verteilen.

Vergangene Hütten, Bogen, Pfeil und Federn –

Das ist der ganze Reichtum, den wir kennen.

Viel Schweiß, doch wenig Glanz. Und was verlangst du?

Kehr um! Geh nicht voran! Was willst du mehr?

Zwing uns nicht, offen gegen dich zu kämpfen.

Zu teuer könnte dir ein Schritt nur werden."

Nicht wünsche du, ob unsre Pfeile brechen.

Sieh, dass der Name von den Königen

Uns nicht erschreckt. Dein König ist zu fern,

Und wir, die Indianer, kennen keinen

Als nur die Priester über unser Volk.


Er sprach – und also gab der Feldherr Antwort:

„O große Seele, würdig eines Kampfs

Für eine bessre Sache! Sieh, man täuscht dich,

Tilg aus dem Geist die trügerischen Bilder,

Die alte, sinnlos aufgestaute Wut.


Nicht ich allein, der König spricht durch mich:

Drum höre mich und sieh – zum ersten Mal

Die Wahrheit nackt, wie sie sich selbst erweist.

Die Freiheit gab euch Himmel, doch wenn Freiheit

Bedeutet, stets vereinzelt umherzuirren,

Ohne Gefährten, ohne Freunde, stets

Mit Waffen in der Hand in wilder Fehde,

Die Stärke für das Recht zu halten, und

Von Zufall, Wald und Jagd allein zu leben –

Dann, glaub ich, wäre selbst die Sklaverei

Besser als solche rohe Freiheit noch.


Doch will der König weder eure Not

Noch eure Sklaverei als seine Frucht.

Die Priester, die wie Könige euch regieren

Und euch zu Knechten machten – sind Tyrannen!

Sie sind nicht Herren, ihr nicht ihre Sklaven.

Der König ist euer Vater, will euch Glück.

Ihr seid so frei wie ich – und bleibt es auch,

Wenn nicht hier, dann an irgendeinem Ort.


Doch diese Länder müsst ihr uns übergeben.

Dem Wohl des Ganzen weicht das eigne Wohl.

Der Frieden unsrer Welt verlangt es so.

Der König fordert es. Und seid ihr’s nicht,

Die sich verweigern – dann sind’s jene Priester,

Die euch von Freiheit sprechen, während sie

Euch wie Besitz in Ketten niederhalten.


Mit heil’gen Sprüchen rüsten sie euch aus

Und senden euch ins Feld mit Pfeil und Bogen

Gegen den Donner unsrer Artillerie,

Die Mauern niederschmettert. Sie verharren

In sicherer Entfernung und vergeuden,

Geizig mit eigenem Blut, das eure Blut.


Ich will vor euren Augen sie entthronen,

Ihr Herrschaftsrecht, das eure Schuld begründete.

Sie sagen, ihr habt keinen König? Cacique,

Und was geschieht mit eurem Treueschwur?

Glaubst du, weil er fern ist, sei er schwach?

Glaubst du, sein Arm erreicht euch nicht, erreicht sie?


O edler Feind, du irrst! Die Könige

Sind fern in Europa – aber sieh,

Diese meine Arme sind die ihren.

Und bald, in kürzester Zeit, auf mein Geheiß,

Wird dieses Feld, wird dieser Berg bedeckt

Von zuckenden, noch lebenden Leibern sein,

Von Sterblichen, die nicht einmal begreifen,

Warum ihr Blut den Boden tränkt in Strömen.


Mich nenne nicht grausam! Noch ist es Zeit –

Denk nach, entscheide dich!“ – Und sprechend reicht

Er seine Hand dem edlen Botschafter,

Dem großen Andrade, sucht, ihn zu gewinnen.


Der Indianer zaudert, zieht zurück

Die Hand und spricht, von einem Seufzer tief

Sein Wort begleitet: „Fremde aus Europa,

Ihr wäret nie zu uns gedrungen, hätte

Nicht Meer und Wind euch gnädig hierhergetragen!

Ach, nicht umsonst spannte Natur das Meer,

Jenen gewalt’gen Raum, zwischen uns auf.“


Vielleicht spräch er noch fort, doch unterbricht

Ihn Sepé, der hinzutritt und dazwischen

Sich stellt: „Cacambo sprach zu viel! Doch wisst,

Dass dieses Land, das ihr betretet, frei

Den Ahnen ward gegeben durch den Himmel.

Frei nahmen wir es aus der Väter Hand,

Und frei soll es dereinst die Nachwelt erben.


Wir dulden keinen Herrscher über uns,

Als den, den Gott uns gab, in unsren Priestern.

Die Pfeile werden bald entscheiden, was

Hier Recht und Unrecht ist. Und eure Welt,

Wenn noch ein Rest von Menschlichkeit in ihr

Gefunden wird, soll unsre Richter sein.

Ob du das Unrecht stützt – und wir die Heimat

Und Gott verteidigen. Ihr wollt den Krieg?

Dann sollt ihr Krieg erhalten!“


Der General erwidert: „Geht nun fort!

Ihr seid frei zu gehen!“ – und mit diesen Worten

Lässt er Cacambo eine Klinge reichen,

Geziert mit Silber, Gold in edlen Schnörkeln,

Ihr Wert erhöht von feiner Kunst des Schmieds.


Ein reicher Hut, bestickt, ein Gürtel breit,

Von grünem Stoff, geziert mit roten Bändern,

Dazu ein Mantel aus demselben Stoff –

Und Sepé überreicht man einen Bogen,

Geschnitzt aus Elfenbein, mit neuen Pfeilen

Gefüllt die alte, ruhmgekrönte Köcher,

Der einst verloren ging in wilder Schlacht,

Als, blutüberströmt und fast dem Tod geweiht,

Ohne sein Ross, gefangen ihn die Feinde

Hervorbrachten ins Lager ihrer Reihen.


Da fiel dem Indianer die Schmach noch ein,

Er griff den alten Köcher, hob ihn hoch,

Und sprach: „O General, ich danke dir

Für diese Pfeile! Bald schon wirst du sehn,

Wie eine jede fliegt – dir selbst entgegen,

Als Staubsturm wirbelt sie im Kampf zu dir!“

An Wunden wirst du sie erkennen oder

Am Schrei, der schärfer durch die Lüfte bricht.

Die Indianer nahmen Abschied, und

Die Flotten ordneten sich zum Gefecht,

Wie es der General geboten hatte.

Zu beiden Seiten deckt die Reiterei,

Im Zentrum stehen fest die Infanterie.

Gleich einer wütenden Hyäne, die

Mit weißen, glatten Zähnen drohend fletscht,

So zeigt die Front der Feindesschar die Spitzen

Von scharfen Bajonetten rings umstellt.

Die Kriegstrompete gab ihr wildes Zeichen,

Zum ersten Mal erklang in diesen Bergen

Der Klang der portugiesischen Trommeln,

Zum ersten Mal erblickten diese Himmel

Die aufgerollten königlichen Fahnen.

Aus Höhlen steigen sie, die tief gegraben,

Darin sie sich mit Fleiß verborgen hielten,

In Wolken schwärmen auf die wilden Krieger,

So zahlreich, dass das Auge zweifeln mochte,

Ob nicht der Boden selbst sie ausgespieen,

Wie einst in alter Zeit Kadmus erblickte

Die grausame, bewaffnete Saat ersteh’n.

Ein wilder Aufschrei gellt empor, und jeder

Krümmt tausendfach und tausendfach den Bogen

Und schießt ein Pfeilgetös in dichten Schauern.

Ein eitler Jüngling, töricht und verwegen,

Verführt durch lügende Gemeindehuld,

Ritt prahlend über’s Feld in bunten Federn.

Von dunkler Herkunft, doch durch Priesterfleiß

Begünstigt, wie man sagt, ward er geboren

Als Frucht der steten Bitten des Balda,

Und zu der Mutter Trost Baldetta geheißen.

Ein Ross von bunter, schimmernder Gestalt,

Mehr schön als stark, besaß er, das die Hand

Der Natur mit blühenden Mustern schmückte,

Und "Garten" ward’s genannt. Der Priester gab’s

Zum Abschied ihm, aus liebender Erinnerung,

Und jetzt durchstreift er auf dem Tier das Feld,

Lässt Schüsse hallen und erregt Verwirrung.

Doch war es seine Schande, ew’ge Schmach,

Die deinen Ruhm begründete, Gerardo!

Baldetta prahlte fort, da sprang ihm kühn

Gerardo in den Weg, die Pistole

Entlud sich, und zugleich erglänzte blitzend

Die scharfe Klinge in des Sonnenlichts.

Der Wilde starrt entsetzt, erstarrt im Schrecken,

Gleich einem, der den Donner hört und zittert,

Den Blitz erwartend, der herab ihn trifft.

Er bebt, sein Pferd wankt, und er scheint zu fallen,

Zurück zur eignen Reih' kehrt er geschwunden,

Sein Pfeilköcher entleert, die Federn flattern,

Die Zügel schlaff und tanzend im Entweichen.

Gerardo drängt sich nach, sein Schwert ihm nah,

Als Tatu-Guaçu, kühnster aller Krieger,

Die Brust geschützt mit einem Schuppenpanzer

Des Ungetüms, das einst er selbst erlegt,

Gerardo stellt sich, furchtlos vor ihn tritt.

Mit einem Schuss versucht er Bahn zu brechen,

Doch scheitert’s an dem undurchdringlich’ Schild,

Dem schwarzen, grünen Panzer, der dem Feind

Die weite Brust umhüllt und ihn beschirmt.

Gerardo schlägt mit Kraft auf Haupt und Schulter,

Zerschneidet Federn, dass sie wirbelnd fliegen.

Doch drängt die Flut der Krieger zwischen beide,

Die unsren preschen vor und stürzen wild

Die flieh’nden Feinde, die das Feld bedecken

Mit Blut und Leichen, und der Sieg ist unser.

Die Waffen stürzen sie zur Erde nieder,

Nicht trotzen sie der Muskete noch lang.

Ihr schneller Fuß allein bewahrt ihr Leben,

Denn gleich der Erde selbst entweichen sie,

Der Angst geschuldet, die die Füße beflügelt,

Und schreien auf zum Himmel um ihr Heil,

Den frommen Vätern betend anvertraut.

Gleich wie in fremden Landen, wenn die Sonne

Den ew'gen Schnee der Alpen niederreißt,

Die reißend’ Flut die Hütten mit sich reißt

Und das verängstigte Hirtenvolk sich rettet,

Auf hohe Äste kletternd, angstvoll schaut,

Wie Strom und Schicksal all ihr Gut verschlingt.

Nur wenige, die kühnsten unter ihnen,

Erstehen wie ein Bollwerk für die Flucht.

Tatu-Guaçu, gestählt durch großes Leid,

Wagt selbst, das Schlachtfeld mit der Hand zu leeren.

Und Caitutu, trotzig, unbezwungen,

Stemmt seine Brust der tobend’ Feindeswelle,

Ein lebend’ Mauerwerk für seine Leute.

Doch Sepé, der an diesem Tag voll Ruhm

Im Kampf erkannt, sich ohne Furcht bewies,

Mit freiem Haupt und freigeöffnet’ Brust

Mit Wort und Tat die seinen an sich riss.

Schon hatte er den Köcher leer geschossen,

Ein trefflich Schütze, zornig, stark und kühn.

So viele Pfeile flogen aus der Hand,

So viele tränkten unser Blut die Erde.

Nun nahm er neue, wollte neu beginnen,

Als plötzlich, heiter, stolz und voller Mut,

Der edle Spanier, Herr von Montevideo,

Sein Ross gewendet und sich vorgewagt,

Hin über Tote, Sterbende und Kampf,

Dem wilden Krieger mutig ins Gesicht.


Sepé erblickt ihn, greift zum Speer, wirft rückwärts

Den Arm zugleich und schleudert ihn mit Macht.

Durch Arm und Leib des schnellen Spaniers fährt

Das blanke Eisen, ohne Fleisch zu ritzen,

Dringt tief in harte Erde ein und zittert.

Doch trifft ein Hieb von seiner Feindes Hand

Mit voller Wucht ihm Stirn und Brust, zerschlägt

Des wilden Rosses Zügel. Es entflieht

Und trägt, von Zorn entbrannt und ungezügelt,

Den Reiter quer durchs weite Schlachtgefilde.

Ob es im Blute rutscht, ob falscher Tritt

Den Sturz bewirkt, wer weiß – es bäumt sich auf,

Und wirft Sepé mit Macht zur Erde nieder.


„Ergib dich oder stirb!“ so ruft sein Feind.

Doch hoch und unbeugsam, das Wort verachtend,

Spannt er den Bogen, sendet rasch den Pfeil,

Der tödlich treffen soll. Doch diesmal irrt

Die Spitze leicht, es streift die Feder nur

Des Feindes Wange – mehr nicht, nichts erreicht sie.

Nun will der Spanier den Sieg nicht länger

Dem Zufall überlassen. Wutentbrannt

Reißt er die Pistole, zielt und feuert.

Die Nähe ist gering, der Körper bloß,

Und furchtbar trifft das Blei sein offnes Fleisch.

Durch Brust und Rücken dringt die wilde Kugel,

Und offen liegt, was drinnen Leben barg.

Dreimal versucht er, aufzustehen – fällt.

Dreimal erhebt er sich – fällt doch zurück.

Und seine Augen, voller Todesschatten,

Versinken starr im kalten, eisernen Schlaf.


Nun, da Sepé gefallen, bricht der Mut

Der letzten Scharen. Furcht kennt kein Gesetz.

Umsonst steht Cacambo noch vor den Seinen,

Erhebt die Stimme, mahnt und kämpft mit Blicken.

Doch Caitutu, verwundet, floh vom Feld,

Und Tatu-Guaçu hinterlässt auf Wegen

Nur Ströme Blut. Die stärksten Krieger liegen,

Getötet oder wehrlos hingestreckt.

Das Schwert des Sieges sinkt auf die Besiegten.

Cacambo beugt sich Zahl und Übermacht,

Rettet, wen er kann, und zieht sich endlich fort.



CANTO III


Schon hatte nun des Erdenrunds Gebiet

Den blut'gen Scheitel seinem Lichte zu

Gekehrt, da sah das Schlachtfeld ausgestreckt

Sich überstreut mit Leichen, unbegraben;

Und bald zerfiel das irrende Gefüge

Des Lagers in den Takt der Trommeln hallend.

Bekümmert zog der Feldherr seine Bahn:

Denn niemals duldet seines Herzens Güte

Den Anblick jener Leiber, kalt und blutig,

Die niedersanken unter stolzer Macht.

Sie zogen weiter, sahen unerschrocken

Das Feindesland sich dehnen, treulos, fern.


Bis eines Tages hielten sie an Ort,

Wo unbebaut, verlassen, öd' und leer,

Sich weite, wüste Fluren ausgebreitet

Und einen tiefen Strom umrahmten still.

Die Flächen, die von uferloser Weite

Geleert dalagen, deckten Schilf und Rohre,

Die trock'ne Glut des Mittags hart versengt.

Ein leichter Hauch genügte, und es loderte

In raschem Brand der dürren Halme Fracht.

Der Wilden Sitte, fremder Art geweiht,

Gab oft dem Feuer weite Landstrich' hin;

Und was verbrannte, bis der Wind erlag,

Ward bald erneut durch frisches Grün belebt.

Dann weidete des Berges großes Vieh

An neuer Saat, und Flammen, stets genährt,

Versöhnten Kunst mit freier Mutter Erde,

Dass Feld und Vieh im Einklang Nahrung fänden.


Doch jene Feinde kannten unsre Wege,

Und ließen unberührt die dürren Saaten,

Erlaubten nicht, dass linder Aschenschoß

Das tote Land befruchte und belebe.

Das edle Pferd, gewohnt an karge Kost

Und an die grüne Flur der weiten Ebenen,

Ermattete, es sank, ließ sich nicht füttern,

Stampfte nicht mehr die Erde auf mit Kraft,

Noch warf es wiehern seinen Ruf hinaus.


Es war die Nacht, hoch stand sie, dunkel, tief,

Der Himmel hüllte sich in kargen Mantel

Und schickte keine Strahlen auf die Welt.

Der Strom allein vernahm sein leises Rauschen,

Ein sanfter Wind zog klagend durch das Land,

Und Ruhe atmete die stumme Erde.


Doch auf der andern Seite suchte sinnend,

Gefangen im Gewirr gestörter Träume,

Der kühne Cacambo keinen Frieden.

Vor ihm erhob sich in gespenst'ger Schau

Das Bild von Sepé, nackt und voller Wunden,

Das Antlitz bleich vom nahen Todesgrauen.

Sein Blut rann schwarz aus seiner offnen Brust,

Die Arme wund, die Spuren harter Qual.

Die Stirn entblößt, zerzaust der Feder Schmuck,

Sein Köcher lag zermalmt zu seinen Füßen.

Nicht mehr der Held, der einst, von Staub umhüllt,

Von Blut und Schweiß befleckt, die Feinde schreckte!

Er sprach mit schwacher, klagender Stimme:


"Flieh, Cacambo, flieh! Und du, du ruhst,

Da Feinde nahe sind? Zurück, zur Heimat!

Verbirg in dunklen Höhlen dein Verhängnis.

Oder, wenn Ehre noch in dir sich regt,

Dann widersteh, dann handle jetzt! Du kannst!

Du kannst die Hand erheben, räche dich!

Lass Flammen über ihre Zelte gleiten,

Vergelte Blut mit Blut!" Und so verschwand

Sein Bild, emporgerissen von den Winden,

Und über Zelte sprühte Feuerbrand.


Erwacht vom Traum, sprang Cacambo auf,

Zerriß die Nacht, entriss den Bogen, Pfeile,

Und stieß die Ferse in den dunklen Grund.

Er sah die Mahnung noch vor seinen Augen,

Hört' in der Luft die Stimme Sepés nach.


An einen Baum hing er den bunten Schmuck,

Den Bogen, Pfeil und auch den leichten Köcher.

Und wo der Strom in sanftem Bette lag,

Da trat er ein, das Haupt erhob er mutig,

Die Arme streckt' er aus zum fernen Himmel,

Den er nicht sah, und gab sich dann den Wellen.


Der Strom, sein Vater, wusste seine Absicht

Und lenkte sanft, mit leiser, stiller Strömung,

Den jungen Krieger an das andre Ufer,

Dass unbemerkt er seine Bahn gewann.


Dort schlich er leise weiter durch die Nacht,

Den Weg zu suchen, woher der Wind ihn rief.

Dort, wie es Brauch des Landes ist, entfachen

Zwei Hölzer aneinander rasch die Flamme,

Die sich im Nu der leichten Streu bemächtigt

Und unaufhaltsam um sich greift. Dem Winde

Gibt Cacambo den Rest und flieht zur Zeit

Dem lodernden Gefahr; doch an dem Ufer

Des Stroms, als sich die flammende Lohe

Der finstren Nacht entgegenstrahlt, erschrickt er

Nicht vor den Wächtern mehr, und mutig wagt er

Vertrauend seinen Leib den tapfern Armen,

Stürzt von der Felswand in die schwarze Flut,

Erreicht mit kühnem Sprung des Stromes Grund.

Umsonst erklingt der Ruf, umsonst die Menge

Stürzt eilig an das Ufer. Er indes

Belebt die Glieder, rührt mit kräft’gen Zügen

Die Fluten auf und bläst den Schaum hinweg.

Und als er sich, gestützt auf seine Hände,

Hinaushebt aus den Wellen, schaut er lächelnd

Im zuckend Bild das lodernde Verderben...


Nicht anders stand einst kluger Listen kundig,

Odysseus stolz der Flammen Pracht betrachtend,

Wie hoch zu Trojas Himmel Mauern lohten,

Die treulose Stadt in Rauch und Asche sank

Und langsam in sich selbst zusammensank.

Doch wächst der Brand, es facht ihn an der Wind,

Und schürt mit gier’gen Händen neue Flammen,

Die unaufhaltsam durch die Fluren fahren.

Schon greift die Glut nach Lagerplätzen aus,

Umringt die Hütten der erschrocknen Scharen.

Der Heerbefehlshaber, gerüstet schon,

Entflieht dem Zelt und bändigt rasch das Feuer,

Bevor es weiter wütet. Wen’ge Zelte

Verbleiben der Vernichtung, und er ordnet,

Dass schnell ein freier Durchgang aufgetan,

Die Flammen abzuschneiden. Emsig tragen

Die Krieger Wasser her aus nahen Fluten,

Ein andrer schlägt das trockne Gras hinweg.


Doch nicht verweilt der Kühne. Schon enteilt er,

Um eilig Balda Kunde zu verkünden,

Durch dunkle Pfade schreitet er dahin.

So sehr beschleunigt er den schnellen Lauf,

Dass er zur vierten Morgenröte schon

Den lieben Heimatboden wiederblickt,

Die hohen Berge und das Heiligtum,

Das mit den Türmen in die Lüfte ragt.

Doch ahnte nicht sein Herz, dass das Geschick

Ihm jetzt die letzte Prüfung auferlegt.

Wie glücklicher wär’ er gewesen! Welch

Ein würd’ger Tod wär’s, wenn sein tapfres Herz

Auf offner Schlachtstatt oder in den Flammen

Der eignen Tat den Untergang gefunden!


Cacambo hatte eine edle Gattin,

Die hohe Lindóia, von sanftem Wesen

Und reiner Tugend, noch in jungen Jahren.

Durch Liebes Bande innig ihr verbunden,

Doch kaum vereint, als Kriegstrompeten schallten,

Entriss sie ihm die flüchtige Ehre schon.

Ob Balda selbst mit schlauer List bedacht,

Den edlen Krieger aus dem Weg zu schaffen,

Bleibt ungewiss. Doch von dem Tage an,

Da sie ein letzter Kuss verbunden hielt,

Versagte Balda stets die Heimkehr ihm

Und fand stets neue Gründe der Verzögerung.


Nicht ehrenvoll und nicht erwartungsvoll

Kehrt er zurück. Und Balda will es nicht,

Dass Lindóia ihr Gemahl begrüße.

In finstrer Haft verbirgt er ihn dem Licht.

Die Königsblut, der Freunde fromme Tränen,

Das Flehen seiner Gattin rühren nicht

Das kalte Herz des unbeugsamen Richters.

Und schließlich, von Gram und Seelenschmerz besiegt,

Durch einen dunklen Trank, den mitleidsvoll

Ein heil’ger Priester ihm gewährt, erliegt

Der edle Cacambo. Unter Wilden

War er der Einzige, der Heldenmut

Mit Tugend gleichermaßen hat vereint.


Versteckt beweint, der letzten Ehren bar,

Bedeckt ein Schattengrab die hehren Glieder,

Wenn sie nicht nackt der Erde überantwortet.

Doch wehe! Lange schweigt das Unheil nicht.

Schon dringt die Botschaft zu der treuen Braut.

Wer kann sie trösten? Welches Herz kann lindern

Die tiefe Not, die ihren Busen füllt?

Vom Leben angewidert sucht sie eilig

Nach jedem Mittel, das den Tod ihr bringt.

Sie will nicht, dass ihr Gatte lange warte 

Im düstren Reich, wo keine Liebe wohnt. 

Doch Tanajura, alt und runzelhäutig, 

Die klug und prüfend war, mit Weisheit reich, 

Die einst an ihrer Brust, in bessren Zeiten, 

Der Mutter von der Mutter Lindóiens 

Die süße Milch gespendet, sie allein, 

Die las im Buch der dunklen Zukunftsschau, 

Visionärin, abergläubisch gar, 

Die aus geöffneten, verlassenen Gräbern 

Sich bleiche Schädel nahm und morsche Knochen, 

Sie führte Lindóia, die weinend klagte, 

Die sie geliebt wie eine eigne Tochter, 

Hin zu der düstern Höhle, wo beständig 

In grünen Lampen Flammen ewig lodern. 

Dort füllte sie ein rostgesäumtes Becken 

Mit reinem Wasser, frisch aus tiefen Quellen, 

Dann drehte sie sich dreimal um sich selbst 

Und murmelte mit ihren welken Lippen 

Dreimal verborgne Worte, fauchte dann 

Mit leiser Stimme über jene Wellen 

Und hob den Finger auf: ein Zeichen stumm, 

Dass Lindóia nun lauschen sollte.


Wie auf dem blauen Meer die Wellen ruhn, 

Wenn sich der laue Wind zur Rast gelegt, 

Und wie sie spiegeln Felsen an den Küsten, 

Das dichte Laubwerk und die Wolken hoch, 

So malten jene Wasser Lindóia 

Getreu die Küste, Fluss und Berg und Tal, 

Wo einst Lisboa war. Doch was sie sah, 

Versetzte sie in tiefstes, schweres Weh: 

Die Stadt, zerstört, in Schutt und Staub gesunken, 

Mit wirrem Haar, in Trümmern schwankend stehend, 

Verloren und von allem Volk verlassen, 

Die Königin des Tejo, nun allein, 

Und suchend Trost mit ihren müden Augen 

Nur leere Mauern, Türme, halb geneigt.


Und dort erblickte sie den Luso-Atlanten, 

Der kämpfte, schwer gebeugt vom Übermaß 

Der ihm auferlegten Last, doch oben 

Vom Himmel sank ein reines Licht herab, 

In weißer Wolke eine Jungfrau kam, 

Die ihm die Hand gereicht mit festem Geist, 

Ein Genius gleich Alciden, der die Welt 

Von schwarzem Ungetüm zu säubern wusste 

Und jede Träne von dem Volk getrocknet. 

In Fellen blutgetränkter Wölfe gehüllt, 

Mit kluger List und unbeugsamer Macht, 

Gebot er über Feuer, das ihm folgte, 

Und mit nur einem Wink, mit festen Schritten 

Hieß er die Trümmer wanken, und daraus 

Erstanden Bauten herrlich neu geformt.


Und neu erstrahlte nun Lisboa, schöner 

Als je zuvor, aus Asche auferstanden, 

Die Ehre jenes Grafen, dessen Hand 

Die schwanken Burgen fest und sicher setzte. 

Dort ruhten Schiffe mächtig an den Ketten, 

Bereit zu fahren, drohend auf das Meer. 

Die Fahnen flatterten in dunklen Seilen, 

Der Wind erbebte an den Schiffsschnäbeln, 

Und aus den Wolken tauchten sie herab, 

Die stolzen Banner kühner Kriegerkunst.


Am Horizont erschien die bunte Schlange, 

Ein Werk der neuen Welt, das aus der Ferne 

Gesellen suchte in den weiten Fluten, 

Und von den fernen Bergen Sintras grüßte, 

Die sie noch nicht gekannt, doch schon ersehnt.


Doch während Handelsschiffe sich erhoben, 

Um fremde Lüfte weit hinweg zu suchen, 

Trug man an Bord auch Unrat dieser Welt: 

Die matte Ignoranz, den Neid so dürr, 

Die Zwietracht, eingehüllt in dunkle Tücher, 

Den Wahn, der zornentbrannt die Erde peitscht, 

Und Heuchelei, die alt und träg verweilte, 

Und langsam nur in ihrer Flucht verzagte, 

Nicht glaubend, dass man sie verbannen wollte.


Das Volk jedoch, es zeigte mit den Fingern, 

Und jene Heuchlerin, mit tief gesenktem Blick, 

Sie floh das Licht des Tages und versuchte, 

Den Rest des zerrissenen Mantels 

Noch über ihr bleiches Gesicht zu ziehen.


Geh, Tochter eitlen Strebens, wo der Sturm 

Dich hinträgt mit den Wellen! Möge dir 

Europa keinen Hafen, keinen Schutz gewähren! 

Ich wäre froh, des Tages Licht zu lassen, 

Wenn ich noch seh, dass Adria dich wirft 

Aus ihrem Schoß, dass Gallien, Iberien 

Und das von Alpen und vom Meer umschlungne 

Schöne Land dich stoßen aus dem Herzen!


Lindóia sah, wie all die Ungeheuer 

Verschwanden, und die Lüfte klarer wurden. 

Lisboa trat nun deutlicher hervor, 

Und doch – ach, welch ein schmerzlicher Anblick! 

Sie sah, die Treue Portugals geschändet, 

Ihr weißes Kleid mit Purpurflecken starr. 

Und weiter fort, die Augen blind verhüllt, 

Den Dolch im Mantel, rot von frischem Blut, 

Der Fanatismus, der mit starrer Hand 

Einen gebückten Greis zum Feuer führte.


Es klagt beleidigt die Natur; es klagt

Ach! Viel zu spät die leichtgläubige Stadt.

Die Kirche senkt den zornentbrannten Blick,

Verkennt, missbilligt, straft mit harter Hand

Das frevelhafte Werk, die Bastelstirn.


Versunken in die magische Gestalt,

Genießt sie Bilder leer und wagt es nicht,

Lindóia, nachzufragen. Sieht zerstört

Die ruchlose Republik, gesühnt den Mord

An Cacambo. Und reglos, ganz versunken,

Ernährt sie mit den Blicken das Verlangen,

Doch nicht versteht sie alles. Als die Alte

Die Hand erhob, da bebten auf die Wasser.


Es schwanden Türme, Täler, grüne Fluren,

Kein flüchtig Zeichen blieb zurück von ihnen.

Vergebens schweift der suchende Blick umher:

Nicht Schiffe sind es mehr, nicht Meer, nicht Berge,

Nicht jener Ort, der sie umfangen hielt.

Da kehrt zum Wehgeschrei Lindóia wieder,

Und seufzt von neuem, ächzt und klagt erneut.


Bis mit Erbarmen, horchend auf die Klagen,

Die mitgefühlte Nacht ihr sanftes Heil

Gewährt beim Aufbruch: Leicht von dunklen Schwingen

Fällt kühler Tau und wiegt sie still in Schlaf,

Ein milder Trost für all ihr tiefes Leid.



CANTO IV


Gerettet sind die Heere vor der Glut,

Die nächtlich wild das Lager überfiel.

Nun naht den Völkern groß der Held Andrade,

Der, nach der Flucht der starken wilden Horden,

Die steilen Berge tapfer sich erstritt

Und oft die Tapes, jene Reiter, schlug,

Die mit der Lanze doppelt Tod verhießen

Und kreisend ihre Zeichen in das Feld

Mit kühnen Schwüngen weit und tief einschrieben.


Nun leugne frech die tückische Verleumdung,

Daß man den freien Völkern jenes Lands

Die Kriegskunst lehrte, leugne, daß Verräter

Durch Ödniswüsten führten fernes Volk

Mit schwef'gem Staube, klirrenden Geschossen,

Mit dröhnend Erz, das an den Mauern heulte.

Doch Blasco, du, der du das Land durchzogst,

Du sahst es selbst, du tratst auf jenen Grund.

Dein Arm, der kühn den Angriff leitete

Und Siegespfade mutig ebnete,

Erzählt’ dem König Stätte, Waffen, Haß,

Die Wut, den Kampf und das entsetz'ge Ringen.


Sie stiegen auf zu hoher Berge Gipfeln,

Die wie von Höllenlast erdrückt dort ragten,

Die Stirn verbergend in den stillen Höhn,

Die kein bewegter Windhauch je berührt.

Wie einer, der der Erde langsam weicht

Und sieht den Horizont sich weitend dehnen,

Bis Meer und Himmel einsam sich berühren

Und nur noch Luft und Wellen sich ihm zeigen –

So schaut der Blick vom steilen Bergeshang

Nur grauen Himmel, denn die dichten Nebel

Verhüllen träg und kalt das Land darunter.


Doch wenn der Sonne ew'ger Purpurwagen

Die grauen Schleier hebt mit goldner Hand,

Dann offenbart sich herrlich jene Weite.

Dann sieht man Flüsse silbern sich verzweigen,

Die klaren Brunnen, spiegelblanke Seen,

Darin sich sanft der leichte Westwind taucht.

Die grünen Täler, waldgekrönte Hügel,

Ein Schauspiel, das die Götter selbst entzückt,

Ein Überfluß, den reiche Erde spendet.

Da breiten Äcker ihre Spalten auf,

Und wuchernd schmiegen Pflanzen sich an Pflanzen,

Die endlos lange Pfade scheidend weben.


Fern schimmert still das langsam zieh'nde Vieh,

Und zwischen Blättern, zwischen Schatten schau'n

Die weißen Häuser, hohe Tempel empor.

Doch während all dies Bild der Ruh’ sich breitet,

Versammeln sich die wilden Scharen schon.

Dort, wo der fromme Priester still gebot,

Soll Lindóia mit Baldetta sich vermählen

Und Cacambos erhabne Macht bewahren.


Die goldnen Tore prangen offen weit

Des großen Tempels, und die Plätze füllen

In stolzer Ordnung kriegerische Reihen.

Mit urucut gefärbt die breite Stirn,

Tritt dort der wilde Cobé ein, entstellt,

In Händen hält er seine schwere Keule,

Die Feinde niederschlägt wie Sturm das Feld.

Mit ihm die Bergesöhne, rohe Krieger,

Die ihre Toten essen, nie sie bergen,

Nicht dulden, daß die Erde gierig schlinge

Den starren Leib des teuren Vaters ein.


Darauf erschien Pindó, ein Jüngling stolz,

Der Sepés Platz nach seinem Fall nun nahm,

Und stets in Trauer um den ungerächten,

Den Bruder, den er innig liebt', noch trug

Er schwarze Federn in dem dunklen Haar.

Die andern, alle, schmückten sich mit Rot,

Die Farbe, die Sepé in Schlachten trug.


Und mit ihm gingen seine Tapes vor,

Die sich nur sterbend in der Schlacht verehren

Und fürchten, altersschwach dahinzugeh'n.

Es folgt Caitutu, Lindóias Bruder,

Von königlichem Blut. Sein Volk ist klein,

Doch zielen seine Schützen sicher treffend

Dem grünen Papagei den Schnabel ab

Im Flug, im vollen Schwung durch luft’ge Weiten.

Kein Fisch im tiefen Fluß ist je geschützt

Vor ihren Pfeilen, silberhell und schnell.


Es kamen bald, in fröhlicher Gestalt,

Die jungen Guaraní, die einst gehorchten

Dem edlen Cacambo. Himmelblaue Federn

Trug ihre Tracht, mit goldnen Gürteln reich.

Baldetta schritt mit Stolz in ihren Reihen,

Sein Speer bis zur Mitte rot gefärbt,

Die Stirn bedeckt mit goldnen Vögelsschwingen,

Die Brust umgürtet von dem grünen Band,

Daran das Erbe Cacambos, das Schwert,

Und von der Schulter überkreuz gelegt

Die Köcherbinde, die zum Pfeile führt.


Zuletzt trat ein, hoch zu des Rosses Rücken,

Schwarz wie die Nacht, ein düstrer Reitersmann:

Tatu-Guaçu, ein wilder Kriegerfürst,

Der seine Scharen ungeordnet lenkt

Und in Verwirrung tobend Angriff führt.

Sie tragen Lanzen in den starken Händen

Und Felle wilder Tiere schützen sie.

Dort stand Baldetta, und der heil'ge Vater

Empfing mit tiefer, feierlicher Neigung

Vor der gewalt'gen Pforte nun den Gast,

Den raschen Tedeu, der bereits erwartet,

Mit dem gemess'nen Schritt und schwerem Gürtel

Der Bruder Patusca einherging,

Mit seiner massig ungeheuren Leibesfülle.

Nie raubte ihm der Kampfeslärm den Schlaf,

Ein gütig Herz, von milder Sitte sanft,

Das, durch der Menschen Schwäche tief bewegt,

In Frieden dieses Leben sich genießt,

Wie es gegeben ward. Ihm ist genug

Die Lust der Dinge selbst, nicht ihre Gründe,

Nicht forscht er nach dem dunklen Sinn der Welt.

Und doch, wenn keine bessre Stimme mahnt,

So predigt er mit groben, rauen Worten,

Mit Rufen stets und ewig sich erneu'rend:

Des frommen Vaters Adams armes Erbe

Verfällt in Stufen, und die Zeiten gleiten

Hinab ins Alter und in dunklen Gram.


Doch fehlte nun zur seltsamen Feier

Nur Lindóia, ihr ward lang bereitet

Von zarten Mädchen weiße Blumengewinde.

Doch müd vom Warten, eilen viele fort,

Zu ihrem stillen Rückzug sie zu suchen.

Von krauser Tanajura wird vernommen,

Sie sei betrübt in jenen Garten eingegangen,

Allein, und keiner durfte sie begleiten.

Ein kaltes Grauen schüttelte die Glieder

Der Caitutu, die ihre Freunde ließ

Und bang umher im dunklen Walde suchte.

So drangen sie in tief verborgne Schatten,

Den finst'ren Grund des alten Waldes ein,

Wo vor der Höhle dunkler Felsumkränzung

Ein rauer Quell in leisem Murmeln floß,

Gekrümmtes Laubdach aus Jasmin und Rosen.

Dort, müde nun des Lebens, wählte Lindóia

Den stillen Ort zum Sterben. Schlummernd lag sie

Auf weichem Rasen und auf zarten Blumen,

Die Wange ruhte sanft in ihrer Hand,

Die Hand gelehnt an einen Zypressenstamm,

Der seine Trauer über sie verbreitete.


Doch schau! Um ihren Leib ringelt sich grün

Die schlanke Schlange, schmiegt sich, kriecht und windet

Sich um den Hals, die Arme, leckt die Brust.

Sie weichen schaudernd und entsetzt zurück,

Nicht wagend, sie zu rufen, fürchtend, dass

Sie aufgeschreckt den Unhold noch ergrimme

Und fliehend jäh das Leben selbst verlöre.

Doch Caitutu, ihr Bruder, zitternd ob

Der droh'nden Furcht, ergriff den Bogen schnell,

Dreimal erhob er ihn zum sichren Schuss,

Dreimal schwankte er zwischen Zorn und Angst,

Bis endlich er das tödliche Geschoß

Vom Bogen schleuderte. Die spitze Pfeilspitz'

Durchbohrt Lindóias Brust, die Schlange fällt,

Ihr Haupt zerschmettert, ihre scharfen Zähne

Im nahen Holz verhakt. Der zorn'ge Leib

Schlägt peitschend auf den Boden, ringelt, windet

Sich um den Stamm, verströmt in dunklem Blute

Den fahlen Giftstrom aus entstelltem Leibe.


Mit zitternden Armen hebt der Bruder

Die Sterbende; er sieht ihr Antlitz bleich,

Die Spuren des Giftes in den matten Zügen,

Den sanften Busen von dem Biss gezeichnet.

Die Augen, die einst Liebe glänzen ließen,

Nun leer und dunkel, stumm die Lippen,

Die einst der Wind und Echos trugen,

Die klagend oft ihr Leid erzählt.

Die Brust von Caitutu erschüttert tief,

Und schwere Seufzer brechen aus ihm.

Er liest mit zitternd schoner Hand geschrieben

Die fremde Schuld und jenen freien Tod.

Und überall wird laut beklagt

Der Name Cacambo in leisem Weh.

Noch hält das blasse Antlitz einen Hauch

Von jenem Schmerz, der selbst die Härtesten rührt.

So schön war ihr Gesicht im sanften Tod!


Gleichgültig schaut der harte Balda hin,

Die Menge flieht mit angstverzerrten Blicken.

Die Furcht gebietet! Tränen trocknen schnell,

Und manche Brust verschluckt die tiefen Seufzer.

Verlassen blieb sie in der finstren Wildnis,

Den wilden Tieren und den Vögeln preisgegeben.

Und keiner wagte es, mit frommer Hand

Noch Blüten auf ihr liebes Grab zu streuen.

Hochmüt'ge Königin, die einst verachtet,

Die Ehr' des Siegers zu verehren,

Du sankst noch stolz in dunkle Schatten nieder,

Vielleicht entzückt vom prunkenden Gedanken

Des königlichen Grabes deiner Ahnen.

Doch, holde Indierin, ich schwöre dir,

Bald wird dein ungerechtes Volk in Flammen

Versinken und als Asche, wild verweht,

Sich mit der deinen mischen auf dem Winde.

Verwirrt und leise murmelte das Volk

Von jenem grauenvollen, wilden Fall.

Sie sagten, Tanajura hätt' gezeigt

Den sanften Weg, in solchem Tod zu ruhn,

Vielleicht auch Ort und Mittel kundgetan.

Doch Balda, die seit langem sinnt auf Rache

Und tief im Herzen ihren Schmerz verbirgt,

Sie reizt die Menge, für ein strenges Urteil

Die alte Frau zum Opfer zu erwählen.

In Lust vereint sich rasch die freche Jugend

Mit Waffen, die der Zufall ihnen bot.


Doch jäh, da läuft ein Krieger durch die Gassen,

In Angst verzerrt, mit wildem, wirrem Blick,

Die Haare lose, aufgeregt und zornig:

"Flieht, flieht hinweg aus diesem unsicheren Ort,

Denn schon sind Feinde über uns gekommen!

Ich sah sie selbst vom hohen Berg herab,

Sie füllen weit das Feld! Und dass ich noch

Lebendig euch die Nachricht bringen kann,

Das dank ich nur der Schnelligkeit der Füße!"


Da ruft Tedeu, der kluge Feldherr aus:

"Vergebens halten wir an diesem Ort!

Lasst uns zusammentun im nächsten Dorf!

Geht alles sonst verloren, sei's darum,

Doch retten wir das Haupt!"


Da Balda spricht:

"So sei es denn! Doch dass die Feinde wissen,

Dass nicht an uns ihr Reichtum sich vermehrt!

Ihr Sieg sei nur ein Schatten, denn wir selbst

Entziehen ihnen ihre beste Beute!"


Sogleich gebietet sie den raschen Abzug,

Doch dass zuvor die Häuser brennen sollen,

Der Tempel auch und alle heil'gen Stätten.

Dann geht sie fort, doch bindet jene Alte

Fest in der Hütte, um mit Rachedurst

Gerade sie dem ersten Brand zu weihn.


Schon aus der Ferne drangen laute Schreie

Der armen Tanajura in die Luft.

Die schweren Rauchsäulen erstickten bald

Das Licht des Tages in blutrotem Dunst.


Der Bruder Patusca, reuig, voller Angst,

Erwartet sie am Tore, wo er stand,

Die großen Rosenkränze in der Hand.

Denn als der erste Lärm die Stadt ergriff,

Da war er einer von den ersten, die

Das Heil in schnellem Fliehen suchten.


Doch als der General herbeigeeilt,

Da fand er nichts als heiße Asche vor,

Ein leeres Feld, wo kurz zuvor die Stadt.

Die elenden Behausungen verbrannt,

Die armen Hütten lagen nun in Schutt,

Die prächtigen Gebäude rauchten noch,

Die einst des Priesters süße Heimat waren.


Dann traten sie in jenen großen Tempel,

Die heil'gen Bilder lagen rings am Boden,

Der goldne Thron, auf dem ein Gott verehrt,

Zerschlagen und in Stücke dort verstreut,

Und jener Gott, der duldet, nicht bestraft.


Der General, er wendet sich zur Seite,

In Wut und Trauer schwankt sein Angesicht,

Sein Herz erfüllt mit glühendem Zorn,

Sein Auge feucht von innrer, tiefer Qual.


Um ihn die Krieger, stark und ehrfurchtsvoll,

Sie staunen an der Tempel Herrlichkeit,

Die hohen Bögen und die Marmorsäulen,

Die Kunst, die sich in Bildern offenbart.

Hoch über ihnen an des Daches Wölbung

Erstrahlen Werke eines Meisters Hand.

Doch, ach! Welch Wagnis, mit der rauen Stimme

Den hohen Schwung des Pinsels nachzuahmen!


O Geist der freien, wilden neuen Welt,

Der mich mit heil'ger Raserei erfüllt,

Erheb mich auf den sicheren Fittichen,

Dass einst mein Lied dir würdig widerhallt!

Ich schwör es dir: An deinem heil'gen Altar

Soll meine Leier schimmernd niedersinken!"




CANTO V


In hoher Wölbung, weit und kunstvoll rund,

von Meisterhand mit Farben reich geschmückt,

da sah man Länder, Städte, Reiche, Throne

auf engem Raum gemalt, mit Macht umwoben.

Und über allem saß in stolzer Höhe

die mächt'ge Schar, die Weltgesetze gab.

Die Kronen, Zepter, Purpur, Tiaren

zerstreut am Boden, stummes Sinnbild nieder.

Zur Rechten lagen schändlich reiche Gaben,

zur Linken drohten blutige Altäre,

von scharfen Dolchen träufelnd rote Tropfen.


Hier fiel ein Heinrich, Reich und Leben hin,

von dunkler Hand gestürzt vor hohen Mauern.

Dort brach der andre, ach, umsonst umringt

von seinen Treuen, lieb dem Volk, den Menschen.

Ihr Fürsten, euer Blut sei seine Schuld!

Ein neues Werk von Gräueln wird bereitet,

drum rüstet euch zur Rache, hebt das Schwert!

Die scharfe Pflugschar grabe tiefe Furchen

durch seinen Thron, auf dass die Späteren

nicht mehr den Ort, wo er gestanden, wissen.


Und fernhin sah man seine Kinder irren,

die Fundamente bauend eines Reiches,

zu zweien stets, ob auf des Tejo Höhn

oder am fernen Strom der Amazonen,

wo sich der Wasserkönig schäumend stürzt

vom engen Land hinab, das Meer verhöhnend.

Am Ganges oder dunklen Felsenflüssen,

wo Nils verborgne Quelle sich verliert,

wenn sie denn ist. Und eine sah man stehen

am Thron, mit unschuldvoller Miene stumm:

die Freiheit selbst, von Ketten schwer umwunden,

sie seufzte, wagte nicht, ihr Haupt zu heben,

vor Furcht gebeugt, in Demut tief versenkt.


Zu Füßen lag der Reichtum, blankes Gold,

und Edelsteine glühten, Silber strahlte –

doch war es nichts als teurer Preis der Fesseln.

Am weiten Meere weiße Segel schwebten

und fremde Wappen prangten auf den Fahnen,

sie deuteten den Willen der Beherrscher,

der Fahrt, des Handels weite Bahn zu lenken.

Ein andrer Ort, ein andres Land, ein Wandel,

und in des Ostens Glanz, in weiter Tracht,

mit Zeichen fremder Kunst geziert, verharrte

die Pracht des weichen Chinas in der Luft.

In asiatischem Gefolg verhüllt

erlaubte sie, was Rom verboten hatte,

der Priester Lehren und den fremden Dienst.


Dort in Japan, wo Zwietracht heiß erblühte,

schürte die dunkle Hand den Bürgerkrieg.

Hier zog sie durch die Schlacht, in blut'gen Tüchern

die Tropfen frisch getränkt aus tiefen Wunden.

Dort endlich, aus den reichen Häfen fliehend,

zurückgewandt auf das verlorne Land,

wagt sie, vermessen, doch erneut zu schreiten –

o Himmel! Welch ein Grauen! Dunkel war

die Szene noch, in Schatten blieb verhüllt

das Bild, das einst der Maler schuf, doch bebend

versagten ihm die Farben in der Hand.


Und auf der andern Seite, stolze Strände

der reichen London, finster, grausenvoll,

da bebte still die Themse, blutig fahl,

als eine schwarze Tat sich anbahnte:

ein schrecklich Bündnis, wütend, arglistvoll,

das Hochgestellte tilgen wollte, Schmach

und Glut auf ihre Häupter sendend, Flammen

empor zur Wolke jagend, ungestüm.

Durch dunkle Stämme, Schatten ferner Saaten,

vom eignen Tun verdammt, da schleppte man

die Ruhmgestalt Portugals in den Sand

der heißen, öden Wüsten Afrikas.


O schlecht beraten, doch so kühn und stark,

so edel, junger Held, welch Schmerz du bringst

dem weinend armen Land, dem trauernden Lusitanien!

Geliebt von deinen Brüdern, irrst du fort

zu fernen Küsten, suchst das Grab in Fremde.

Und endlich, da das dunkle Werk vollbracht,

vom König Filipps Hand ins Meer geworfen,

verstummten alle klagenden Gesänge,

die Stimmen jener, die noch einst verkündeten

die Kraft des Vaterlands. Doch seine Macht

wuchs in verborgnem Zorn. Und aus der Tiefe

schleudert der Tejo voller Groll die Toten.


Und lässt das Boot und flieht ans Ufer eilig

Der Fischer, der erstaunt emporzieht aus

Dem langen Netz den bleichen Leichnam, der

Begraben nimmer wird. Indessen weiden

Die Unsern ihre Blicke an dem Bild,

Beschließt der große Feldherr neue Taten,

Ein andres Werk, ein andres Kriegsgeschick.

Er wartet nur, bis ganz der matte Schatten

Des dunklen Landes schwindet vor der Sonne,

Dann stürmt er los und fällt mit Macht heran

Auf jene Völker. Dort, das Kreuz des Südens,

Europas Aug' nicht sehend, misst die Zeit.


Die Morgenröte, heiter, frisch und rein,

Bestickt mit weißen Wolken das Gefilde,

Da, aufgetan die Tore, sichtbar werden

In Wanderkleidern beide fromme Väter,

Die sanft den Ort verlassen, um der Armen,

Den wehrlos Preisgegebenen, zu fliehn.

Ein Wolf, der in der dunklen Nacht sich schleicht,

Nach trugvollem Verrat an sanften Herden

Gedanken hegt, gehetzt von Hunden wird,

Ist minder wild im Zorne als die beiden,

Als Balda, Tedeus. Um sie froh versammelt

Die muntre Schar, umkreist den trägen Patusk,

Der sie von fern geleitet, langsam reitend

Auf seinem störrischen Maultier. An den Sätteln

Hängen, von beiden Seiten, saftig Schinken,

Die rote Farbe leuchtet auf der Haut,

Dazu geräuchert Fleisch aus fremden Landen,

Und an der Seite schwingt in treuer Fügung

Der alte Schlauch, Begleiter aller Wege.


Nun tritt ins Dorf der siegreiche Andrade

Und schreitet hin zum Tempel. Groß und edel

Gebietet er den Kriegern, zügelt milde

Die ungezügelte Gewalt, gewährt

Mit hohem Schatten Schutz den Hilflosen,

Ein Herrscher, freundlich mitten im Triumph.

Die Menschen, zagend, stürzen sich zu Füßen:

Weinende Mütter, scheue Jungfraun, Greise,

Verlorne Kinder. Als der Lärm sich senkt

Und offenkundig wird, wie Balda, Tedeus

Mit Trug die Seinen führten, fällt das Reich

Der Schmach, der Schande, und es beugt sich tief

Der wilde Sohn Amerikas, die Waffen

Zu Boden legend vor des Feldherrn Füßen,

Der nun befiehlt, der niederkniet und ehrt

Das Bildnis seines Königs voller Demut.


Gelesen wirst du sein, Uraguai.

Und mag mein Aug‘ auch einst in Nacht versinken,

Du lebe fort, du reines, klares Licht.

Geh hin nach Arkadiens Hain und scheue nicht,

Unkenntlich dort am fremden Ufer stehend.

Dort unter dunklen Myrten ruht Mireo

Noch nicht gänzlich verschlossen in der Urne.

Trag Blumen fremder Flur auf seinem Grab,

Gestreut mit ungewandter Pilgerhand.

Und suche jenen, der dich führen kann

Dorthin zurück, wo längst dein Platz dir wartet.