ODE AN ARIANRHOD


VON TORSTEN SCHWANKE


FÜR ARIANE K.



I


Arianrhod, du herrlich in silbernem Leuchten,

Webst in Nächten sternklare Mysterienfäden,

Lenkst das Rad des Lebens mit göttlicher Ordnung –

Mächtige Weberin!


Krone des Nordens funkelt als Zeichen des Thrones,

Schloss in Lüften, Spinnrad im Wirbel der Himmel,

Spiegelt dich, o Herrin des Schicksals und Lichtes,

Lenkerin dunkler Zeit.


Schimmernd thront dein Silbergestirn über Meeren,

Wo das Schiff der Seelen durch Dämmerung gleitet.

Du bestimmst die Wege, die keiner begreifet,

Weise Gebieterin.


Fäden ziehst du, silbern und leuchtend wie Sterne,

Spinnst das Netz, das alles im Dasein verbindet.

Eine Erschütterung – und die Welt erbebet

Unter dem Hauch von dir.


Göttin der Gerechtigkeit, schneidende Hände

Trennen Lebensstränge im reifenden Schweigen.

Doch du gibst auch Frucht, bist die Mutter des Morgens,

Spenderin neuen Seins.


Arianrhod, du Tochter der leuchtenden Don,

Mutter zweier Söhne, des Dylan, des Meeres,

Llew, des lichten Bogens, geboren im Zauber,

Sterngezeugt, mondgeweiht.


Dämmergöttin, webst in der kreisenden Halle,

Spinnst im Schloss von Licht deine schimmernden Netze,

Wo der Tod verweilt, bis er neu sich verkörpert,

Seelen zurück ins Licht.


Achtfach ist dein Netz, wie das Jahr sich gestaltet,

Wie der Zeiten Kreis in den Himmeln sich ordnet,

Wie das Rad des Lebens im Tanz der Gestirne

Alles durchdringt und hält.


Spinne, heiliges Tier dir, o weiseste Lenkerin,

Zeigt in zartem Netz, wie das Leben sich füget,

Wie ein einziger Hauch durch das All sich beweget,

Zitternd von Sinn erfüllt.


Wenn du richtest, schweigt selbst das rauschende Weltlied,

Denn dein Urteil folgt nur dem leuchtenden Innern.

Wer den Faden reißt, wird von dir nicht getragen,

Weise, gerecht und stark.


Mondin, du, im Wandel der Nächte erscheinst du

Jungfrau, Mutter, Greisin – in allem dieselbe.

Dreifach offenbarst du das Weibliche Wesen,

Wandelnd in stiller Macht.


Nebelweiß dein Hund mit den glühenden Ohren,

Cŵn Annwn“ genannt, ist dein nächtlicher Jäger,

Treuer Geistgefährte auf stürmischen Bahnen,

Rächend den Weltenlauf.


Jagt mit dir im Sturm durch die nächtlichen Himmel,

Stürzt sich auf die Seelen der Frevler und Falschen,

Reißt sie aus der Zeit, dass das Netz nicht zerreiße,

Reinige, was vergeht.


Wilde Jagd, der Schleier des Zwielichts zerteilet,

Wenn dein Schritt erklingt auf den Wegen des Dunkels,

Wird der Schleier dünn, und die Grenzen verfließen –

Offen das Tor zum Traum.


Du, von Gwydyon tief geliebt und umwoben,

Magier war er, Bruder im Blute und Sehnen,

Hüter deiner Kraft, die in Sternen geschrieben,

Wortlos das Schicksal spricht.


Maths Gebot, so seltsam, durch List ihm erfüllet,

Wurde durch dein Opfer am Hofe besänftigt –

Füße auf dem Schoß einer Jungfrau gerettet,

Doch zu welchem Preis?


Arianrhod, o Göttin, in mondweißen Nächten

Trägst du Licht und Schatten im wechselnden Kleide,

Wandlungsvolle Weberin uralter Rätsel –

Ewig in dir das Rad.


Arianrhod, o Tochter des alten Himmels,

Silberwebend am nächtlichen Firmament du,

Mondgeborene, schimmernd in blauer Flut und

Sternen-Corona.


Feucht und fröhlich war einst dein freies Leben,

Nackt im Schaum, umtanzt von den Wassergeistern,

Paarend, lachend – und dennoch in jedem Zyklus

Jungfrau von Neuem.


Denn was stirbt, ersteht mächtig in dir wieder,

Wie der Mond sich erneuert aus seinem Dunkel,

Kreisend wandelt, in ewigem Silberreigen

Rein und geheimnisvoll.


Dylan, Kind der verspielten, geheimen Nächte,

Stürzt aus dir in das Meer, das ihn aufnimmt, glitzernd,

Meeresflüchtling, ein Gott in den Wellen: Töchter

Geben den Göttern Leib.


Doch du, Herrin der Schicksalsentschlüsse, weigerst

Lleu den Namen, die Waffen, das Weib der Erde –

Denn allein warst du Schöpferin aller Ordnung,

Hüterin alten Rechts.


Gwydion, Zauberweber und Listenkenner,

Führte dich in die Netze des neuen Willens,

Trickste dich, dass du selbst deinem eigenen Sohn nun

Namen und Waffen gabst.


Und aus Blumen erschuf er dem Kind die Gattin,

Blodeuwedd – aus lichter und kühler Schönheit,

Nicht von Menschen geboren: Das neue Männlich

Zwang dir die Krone ab.


Doch du bist nicht gefallen, o hohe Mondin,

Nur entzogen dem sichtbaren Kreis der Völker –

Denn dein Schloss liegt im Nebel, verborgen, leuchtend

Cear Arianrhod.


Manche sagen: Ein Axtstreich beendete dich.

Andere: Deine Magie ward zu stark für Männer,

Die das alte Gesetz deiner Macht nicht mehr

Dulden in ihrer Furcht.


Doch du wandelst im Nordlicht, in Silberrädern,

Drehst das Schicksal, die Fäden der Frauensorgen,

Bist im Himmel zu schauen als helle Krone,

Wächterin aller Nacht.


Wenn der „Blaue Mond“ doppelt in einem Monde

Glänzt am Himmel, dann öffnen sich deine Tore,

Und du hörst, wenn die Frauen in alter Weise

Schwüre dir anvertraun.


O Arianrhod! Ewig in deinem Reiche

Steht dein Rad, und dein Glanz durch die Zeit verstrahlet –

Und noch spinnt deine Hand durch die dunklen Zeiten

Fäden der Weiblichkeit.



II


Silberstrahlend im Kreis der ewigen Sterne,

Himmelsmutter mit leuchtend schimmerndem Antlitz,

stehst du strahlend in heiliger Jungfrauengöttin

Hoheit der Himmel.


Don gebar dich, das hellste Kind ihrer Wehen,

schneeweiß leuchtend in Glanz und sinnlicher Freiheit,

frei in dir selbst und nie gebunden an Männer,

mächtig im Weben.


Sternenlenkerin, Göttin himmlischer Künste,

Spinnst du Leben in silberfunkelnden Fäden,

Zauber webst du mit deinem kreisenden Rade

still in das Weltbild.


Dylan, Sohn deiner Sehnsucht, kam aus den Wogen,

Llew, der leuchtet im Glanz des goldenen Tages –

zwei aus Täuschung geboren, doch von dir dennoch

tief in dir wohnend.


Caer Sidi, dein drehendes Schloss in den Lüften,

liegt verborgen im Nordlicht, fern allem Sterben;

dort umtanzen die Sterne dich in der Krone

stiller Aurora.


Wenn die Krieger im Todeskampf sich verströmen,

rufst du Seelen an Bord des silbernen Rades,

bringst sie heimwärts nach Emania, dem milden

Mondland der Schatten.


Wölfe heulen im Dunkel, heilig die Birke,

heilig Eule, des Nachts geheimnisvoll fliegend;

du begleitest den Wandel – Tod, Wiederkehr und

neues Beginnen.


Wie viele Jahre misst Göttinnenzeit wohl?

Äonen singen dein Lied in Seelen und Herzen.

Du, die ewig wie Sternenzirkel sich wandelnd,

lebst in den Menschen.


Gwydion, der mit listigen Worten sprachlos

sie verwickelte, suchte Lust zu bezwingen;

doch ihr Wesen entwich dem Zugriff der Männer,

flüchtig wie Nebel.


Math, der König, an seltsames Brauchtum gebunden,

lag in Ruhe, sobald er nicht in den Kämpfen –

doch sein Schoßlager war der Ort einer Prüfung

weiblicher Ehre.


Zaubertrug war’s, der Arianrhods Schleier

rasch zerriss – doch die Täuschung rührte nur Hülle;

denn ihr Innerstes blieb sich treu in der Weite

göttlicher Klarheit.


Wo der Nordstern in ewig kreisender Stille

über Zeiten und Völker waltet im Norden,

dort erhebt sich dein Schloss, von Liedern der Weisen

ewig umrungen.


Denn in Caer Arianrhod, auf lichter Insel,

fanden Dichter und Sternendeuter das Wissen,

das im Schweigen der Nacht zu leuchten begann –

fern allen Zeiten.


Dort ist Annwn, das Reich der Schatten und Seelen,

dort beginnt die Verwandlung, dort endet nichts je;

du, o Lenkerin, drehst das Rad durch die Welten,

Hüterin alles.


Birken wachsen, wo neue Leben sich regen,

und die Eule, sie ruft aus nächtlichem Dunkel –

du begleitest den Geist durch Tod und Geburt,

lehrst ihn das Wandeln.


Silber leuchtet dein Rad am Rand des Ozeans,

wo die Tiefe dich ruft in stiller Vereinigung;

du – die Freundin der Männer unter dem Spiegel –

weißt um die Strömung.


Nicht in Scham, nicht im keuschen Rückzug der Mode

liegt die Größe – dein freies Wesen bezeugt es.

Jungfrau heißt: in sich ganz zu sein – nicht gebunden,

leuchtend und eigen.


Arianrhod, du Sternenrad in den Nächten,

Herrin fern, auf flutendem Schloss geboren,

wandertest du jenseits des Menschenwissens,

Tochter des Hauses.


Gwydion kam, mit Worten voll süßem Zauber,

bot dir Bund und Samen im Namen Dons an.

Doch du wähltest Freiheit, der eignen Wege

einsame Hoheit.


Reiste mit ihm dennoch zum Hofe Maths nieder,

stieg auf jenen Stab, und der Stab zerschloss dich.

Zwei entglitten Leibern, in fremder Ordnung,

fremder Bestimmung.


Dylan, Meereskind, in die Flut enteilte,

wo dein Herz schon längst in den Wellen schlug, und

still der zweite – namenlos, ungeboren –

Gwydions Opfer.


Zaubernd zog er jenen im Wald der Mythen,

fern dem Hof, doch stets in den Kreis der Mutter.

Arianrhod, du sahst durch den Schleier Täuschung,

sprachst die drei Flüche:


Keinen Namen soll er erhalten, nimmer

trag er Waffen, niemals ein Weib begehren

dieser Welt. Doch List überwand der Ordnung

uralte Strenge.


Blodeuwedd, aus Blütengewirk erschaffen,

ward zur Braut ihm – seltsam ist Menschen Wille.

Töricht war der Vater, und stolz die Mutter –

doch du, Verratne.


Stiegst hinab in Tiefe der eignen Wasser,

Caer versank, als Land in das Meer zurückfiel.

Mit dir endete, was einst war: ein Äon

weiblicher Stärke.


Doch du sprichst: O Töchter der Nacht, erwachet!

Schaut euch selbst im Spiegel der alten Kräfte!

Lasst Vergangnes sterben – und neu erstehe

Seele im Wandel.


Horcht dem Mond, den fließenden weißen Wegen.

Sucht im Sternenzelt eure eignen Fragen.

Öffnet euch dem Geist, der in dunklem Wissen

leuchtet wie Morgen.