VON TORSTEN SCHWANKE
1. KÖNIGE 3
I
Nun geziemt es auch euch, das Alter eures Bischofs nicht zu verachten, sondern ihm nach dem Willen Gottes, des Vaters, alle Ehrfurcht zu erweisen, so wie ich es selbst bei heiligen Presbytern gesehen habe. Sie achteten nicht auf das offenkundig junge Alter [ihres Bischofs], sondern auf seine Erkenntnis in Gott. Denn „nicht die Alten sind notwendig weise, noch verstehen die Greise stets, was klug ist; sondern es gibt einen Geist in den Menschen“ (Hiob 32,8-9).
So empfing Daniel, der Weise, bereits im Alter von zwölf Jahren den göttlichen Geist und überführte die Ältesten, die ihre grauen Haare vergeblich trugen, der Falschanklage und der Begierde nach der Schönheit der Frau eines anderen (Susanna, Apokryphen). Ebenso tadelte Samuel, als er noch ein kleines Kind war, den neunzigjährigen Eli dafür, dass er seinen Söhnen mehr Ehre erwies als Gott (1 Sam 3,1). Ebenso empfing auch Jeremia die göttliche Botschaft: „Sprich nicht: Ich bin zu jung“ (Jer 1,7). Das gleiche Beispiel zeigen Salomo und Josia: Der eine wurde mit zwölf Jahren König und fällte jenes furchtbare und schwierige Urteil über die beiden Frauen und ihre Kinder (1 Kön 3,16). Der andere bestieg den Thron mit acht Jahren (2 Kön 22–23), zerstörte die Altäre und Tempel der Götzen und verbrannte die Haine, denn sie waren Dämonen geweiht und nicht Gott. Er tötete die falschen Priester, die Verderber und Betrüger der Menschen, und nicht die wahren Anbeter Gottes.
Daher darf die Jugend nicht verachtet werden, wenn sie Gott geweiht ist. Verachtet aber werden muss derjenige, der einen gottlosen Sinn hat, auch wenn er alt und voller böser Tage ist (Susanna 52, Apokryphen). Auch Timotheus, der Christus-Träger, war jung. Doch hört, was sein Lehrer ihm schreibt: „Niemand verachte deine Jugend, sondern sei ein Vorbild für die Gläubigen im Wort und im Wandel“ (1 Tim 4,12).
Es ziemt sich daher, dass auch ihr eurem Bischof gehorcht und ihm in nichts widersprecht; denn es ist eine furchtbare Sache, einem solchen zu widersprechen. Denn wer so handelt, täuscht nicht den, der sichtbar ist, sondern sucht vielmehr den zu verspotten, der unsichtbar ist – den jedoch kann niemand verspotten. Jede solche Tat richtet sich nicht gegen Menschen, sondern gegen Gott. Denn Gott sprach zu Samuel: „Nicht dich haben sie verworfen, sondern mich“ (1 Sam 8,7). Und Mose erklärt: „Euer Murren ist nicht gegen uns, sondern gegen den Herrn“ (Ex 16,8).
Keiner von denen blieb ungestraft, die sich gegen ihre Vorgesetzten erhoben. Dathan und Abiram sprachen nicht gegen das Gesetz, sondern gegen Mose (Num 16,1) und wurden lebendig in die Unterwelt hinabgestoßen. Auch Korach (Num 16,31) und die 250 Männer, die mit ihm gegen Aaron verschworen waren, wurden durch Feuer vernichtet. Ebenso wurde Absalom (2 Sam 18,14), der seinen Bruder getötet hatte, an einem Baum aufgehängt und sein böser, hinterlistiger Sinn mit Pfeilen durchbohrt. Ebenso wurde Abeddadan (2 Sam 20,22) enthauptet aus demselben Grund. Uzzia (2 Chr 26,20) wurde mit Aussatz geschlagen, weil er sich anmaßte, sich den Priestern und ihrem Amt zu widersetzen. Auch Saul wurde entehrt (1 Sam 13,11), weil er nicht auf Samuel, den Hohepriester, wartete.
Deshalb obliegt es auch euch, eure Vorgesetzten in Ehren zu halten.
II
In diesem vierten Buch führt Tertullian seine Argumentation weiter. Er zeigt, dass Jesus der Christus des Schöpfers ist und stützt sich dabei auf das Lukasevangelium – die einzige historische Schrift des Neuen Testaments, die Marcion teilweise akzeptierte. Daher kann dieses Werk auch als ein Kommentar zum Lukasevangelium betrachtet werden. Es liefert bemerkenswerte Belege für Tertullians tiefes Verständnis der Heiligen Schrift und beweist, dass das Alte Testament nicht im Widerspruch zum Neuen steht. Das Buch enthält zudem eindrucksvolle Auslegungen biblischer Passagen und offenbart tiefgründige Einsichten in die Offenbarung im Zusammenhang mit der menschlichen Natur.
Tertullian beginnt mit einem Zitat aus dem Lukasevangelium: „Ebenso haben ihre Väter die Propheten behandelt“ (Lk 6,26). Hier zeigt sich für ihn die Widersprüchlichkeit des Christus, den Marcion verkündete. Dieser Christus sei ein wahrer Wendehals: Einerseits habe er die Propheten verurteilt, indem er ihre Jünger für sich gewann, andererseits verteidige er sie, indem er ihre Verfolger anprangere. Doch wie könne der Christus Marcions die Propheten verteidigen, wenn er doch selbst gekommen sei, um sie zu zerstören? Vielmehr passe es zum Christus des Schöpfers, dass er diejenigen rügt, die die Propheten verfolgt haben, denn er erfüllte in allem ihre Vorhersagen.
Es sei zudem typisch für den Schöpfergott, den Söhnen die Sünden ihrer Väter vorzuwerfen, während Marcions Gott niemanden für seine Vergehen bestrafe. Doch selbst wenn man einwenden wolle, Christus verteidige die Propheten nicht direkt, sondern klage nur die Ungerechtigkeit der Juden an, bliebe dennoch die Frage: Warum sollte dann überhaupt eine Schuld den Juden angelastet werden? Wenn Marcions Gott wirklich der absolut gütige Gott sei, warum habe er sich erst so spät entschlossen, das jüdische Volk für ihre Taten zu bestrafen? Wäre er dann nicht selbst ebenso ein strafender Gott geworden?
Tertullian argumentiert weiter, dass Christus hier nicht nur ermahne, sondern tatsächlich verfluche, da er ein „Wehe!“ ausspricht. Auch wenn manche behaupten, dieses „Wehe!“ sei lediglich eine Warnung und keine eigentliche Verfluchung, so gebe es doch keinen großen Unterschied. Jede Ermahnung enthalte auch eine Drohung, besonders wenn sie mit einem „Wehe!“ verstärkt werde. Eine Warnung oder eine Drohung komme aber nur von jemandem, der auch bestrafen könne – und Strafe setze Zorn voraus.
Andere mögen einwenden, dass Christus das „Wehe!“ nicht aus eigenem Antrieb ausgesprochen habe, sondern nur, um die Strenge des Schöpfers zu verdeutlichen und so seine eigene Langmut hervorzuheben. Doch das sei ein sinnloses Argument, denn der Schöpfer sei sowohl ein guter als auch ein gerechter Gott. Es sei daher völlig folgerichtig, dass er – so wie er zuvor den Segen verkündete – nun auch die Strafe ankündige. Schon im Alten Testament heißt es: „Siehe, ich habe euch Segen und Fluch vorgelegt“ (Dtn 30,19). Diese Worte seien ein Vorbote des Evangeliums.
Doch was für ein Gott wäre es, der seine eigene Güte hervorheben will, indem er die Strenge eines anderen herabsetzt? Eine Empfehlung, die sich nur durch die Herabwürdigung eines anderen behaupten könne, sei von geringem Wert. Mehr noch: Indem Christus die Strenge des Schöpfers betont, macht er ihn sogar zu einer zu fürchtenden Gottheit – und ein Gott, den man fürchtet, ist auch einer, dem man gehorchen muss. So beginnt Marcions Christus letztlich selbst, zugunsten des Schöpfers zu lehren.
Weiter führt Tertullian aus, dass das „Wehe den Reichen“ (Lk 6,24) nicht von Christus selbst stammen könne, wenn der Segen für die Armen auch nicht von ihm stamme. Denn wer eine Sache lobt, der verurteilt auch deren Gegenteil. Wenn also das Wehe gegen die Reichen dem Schöpfergott zuzurechnen ist, dann gehört auch die Seligpreisung der Armen ihm. Damit sei das gesamte Werk des Schöpfers in Christus enthalten.
Marcions Gott könne also nicht nur für die Armen da sein, sondern müsse dann auch die Reichen verfluchen – was ihn wiederum dem Schöpfer gleichsetze. Dadurch würde die Unterscheidung zwischen zwei Göttern hinfällig, und übrig bliebe nur die Wahrheit, dass der Schöpfer der einzige wahre Gott ist.
Tertullian zeigt anschließend, dass der Schöpfer tatsächlich gegen die Reichen eingestellt ist, genau wie Christus es in der Bergpredigt verkündet. Denn selbst als Gott den König Salomo mit Reichtum beschenkte, geschah dies nicht, weil dieser nach Reichtum verlangte, sondern weil er um Weisheit bat und damit das wohlgefälligste Geschenk Gottes erhielt. Gott lehne Reichtum nicht grundsätzlich ab, doch er warne vor dessen Gefahren. Reichtum könne zu Hochmut führen, zu Vergessenheit Gottes und zur Eitelkeit. Deshalb stehe im Buch Deuteronomium: „Wenn du isst und satt wirst, wenn du schöne Häuser baust und dein Silber und Gold sich mehren, dann wird dein Herz hochmütig werden, und du wirst den Herrn, deinen Gott, vergessen“ (Dtn 8,12-14).
Auch im Buch Jesaja verurteilt Gott den Stolz der Reichen: „Die Hölle hat ihren Schlund geöffnet und ihre Pforten aufgetan, hinab fährt der Ruhmreiche, der Edle und der Reiche“ (Jes 5,14). Dasselbe Thema findet sich in den Psalmen: „Fürchte dich nicht, wenn einer reich wird und sein Haus an Herrlichkeit zunimmt. Denn wenn er stirbt, nimmt er nichts mit sich“ (Ps 49,17).
Tertullian zieht daraus den Schluss, dass Christus nichts Neues gelehrt habe, sondern lediglich die Lehren des Schöpfers erneuert und hervorgehoben habe.
Schließlich betrachtet er das „Wehe euch, wenn euch alle Menschen loben!“ (Lk 6,26). Schon der Prophet Jesaja habe die Menschen getadelt, die nach menschlichem Lob suchen: „Mein Volk, die euch glücklich preisen, führen euch in die Irre“ (Jes 3,12). Und Jeremia sagt: „Verflucht ist der Mensch, der auf Menschen vertraut“ (Jer 17,5). Selbst in den Psalmen heißt es: „Besser ist es, beim Herrn Schutz zu suchen, als auf Menschen zu vertrauen“ (Ps 118,8).
Damit zeigt Tertullian, dass all das, was die Menschen begehren – Reichtum, Ruhm, Anerkennung – vom Schöpfer verurteilt wird. Christus habe diese Lehren nicht geändert, sondern lediglich erneut bekräftigt. In diesem Sinne verteidigt Tertullian die Einheit des Alten und Neuen Testaments und widerlegt Marcions Lehre von zwei Göttern.
III
Dann traten zwei Frauen, die Huren waren, vor den König und standen vor ihm. Und die eine Frau sprach: „Mein Herr, ich und diese Frau wohnen in einem Haus, und wir gebaren in diesem Haus. Drei Tage nach meiner Entbindung gebar auch diese Frau, und wir waren zusammen; es war niemand sonst im Haus, nur wir beide. Doch in der Nacht starb der Sohn dieser Frau, weil sie ihn im Schlaf erdrückte. Da stand sie mitten in der Nacht auf, nahm meinen Sohn aus meinen Armen – deine Magd schlief –, legte ihn an ihre Brust und legte ihr totes Kind in meinen Schoß. Als ich am Morgen aufstand, um mein Kind zu stillen, war es tot. Doch als ich es genauer betrachtete, erkannte ich, dass es nicht mein Sohn war, den ich geboren hatte.“
Die andere Frau aber sagte: „Nein, dein Sohn ist der Tote, meiner ist der Lebende.“ Doch die erste entgegnete: „Nein, dein Sohn ist der Tote, meiner der Lebende.“ So stritten sie vor dem König.
Da sprach der König: „Du sagst: ‚Mein Sohn ist der Lebende, und dein Sohn ist der Tote‘, und du sagst: ‚Nein, dein Sohn ist der Tote, und mein Sohn ist der Lebende.‘“ Dann befahl der König: „Bringt mir ein Schwert.“ Man brachte ihm ein Schwert. Und der König sprach: „Zerteilt das lebende Kind in zwei Teile und gebt jeder eine Hälfte.“
Da rief die Frau, der das Kind gehörte, voller Mitgefühl zum König: „Mein Herr, gebt ihr das lebende Kind, aber tötet es nicht!“ Die andere aber sagte: „Es soll weder mir noch dir gehören – zerteilt es!“
Darauf sprach der König: „Gebt das Kind der Frau, die sagte: ‚Gebt ihr das lebende Kind und tötet es nicht!‘ Denn sie ist seine Mutter.“ Ganz Israel hörte von diesem Urteil und fürchtete den König, denn sie erkannten, dass die Weisheit Gottes in ihm war, um Recht zu sprechen.
Wenn es erlaubt wäre, auf eine spöttische Weise über die in den Kirchen verwendeten Schriften zu sprechen, dann könnte man die Geschichte der beiden Huren eher mit einem Schauspiel des Philistion vergleichen als mit der Geschichte der keuschen Susanna. So wie das Volk nicht überzeugt gewesen wäre, wenn Salomo einfach gesagt hätte: „Gebt dieser Frau das lebende Kind, denn sie ist die Mutter“, so hätte auch Daniels Anklage gegen die Ältesten nicht ausgereicht, wenn nicht ihr eigenes Geständnis hinzugekommen wäre. Denn sie behaupteten zwar beide, die Susanna unter einem Baum mit dem Jüngling gesehen zu haben, doch sie widersprachen sich in der Art des Baumes.
Da du aber behauptest, als wüsstest du es sicher, dass Daniel durch göttliche Eingebung urteilte (was der Fall sein mag oder auch nicht), möchte ich darauf hinweisen, dass die Geschichte Daniels gewisse Parallelen zum Urteil Salomos aufweist. Denn über Salomo bezeugt die Schrift, dass das Volk erkannte, dass die Weisheit Gottes in ihm war, um Recht zu sprechen. Dies könnte ebenso von Daniel gesagt werden. Denn weil Weisheit in ihm war, konnte er die Ältesten auf die beschriebene Weise richten.
IV
Die Sprüche sind ermahnende Worte, die für den gesamten Lebensweg von Nutzen sind; denn für diejenigen, die nach Gott suchen, dienen sie als Wegweiser und Zeichen, die sie erfrischen, wenn sie von der Länge des Weges ermüdet sind. Es sind die Sprüche Salomos, das heißt des „Friedensstifters“, der in Wahrheit Christus, der Erlöser, ist. Da wir die Worte des Herrn als Worte des Herrn verstehen, ohne daran Anstoß zu nehmen, damit uns niemand durch eine Namensähnlichkeit in die Irre führt, wird uns gesagt, wer diese Dinge geschrieben hat und über welches Volk er König war. Dadurch wird die Glaubwürdigkeit des Sprechers gestärkt, wodurch die Rede annehmbarer und die Zuhörer aufmerksamer werden. Es sind die Worte jenes Salomo, zu dem der Herr sprach: „Ich will dir ein weises und verständiges Herz geben, sodass keiner wie du vor dir gewesen ist und keiner nach dir kommen wird, der dir gleich ist.“ (1. Könige 3,12) Und so geht es weiter mit dem, was über ihn geschrieben steht. Er war der weise Sohn eines weisen Vaters; deshalb wird der Name Davids hinzugefügt, durch den Salomo gezeugt wurde. Schon als Kind wurde er in den Heiligen Schriften unterrichtet und erlangte sein Königtum weder durch das Los noch durch Gewalt, sondern durch das Urteil des Geistes und den Ratschluss Gottes.
V
In dieser Schrift wird das Konzil von Karthago behandelt, das unter der Autorität und dem Vorsitz des Cyprian abgehalten wurde, um die Frage der Taufe von Häretikern zu klären.
Wir dürfen in diesem Urteil nicht leichtfertig übersehen, dass er hier eine Klausel eingefügt hat und sagt: „Darum müssen wir mit allen Kräften, die dem Frieden dienen, danach streben, dass niemand, der infiziert wurde“, usw. Denn er bezog sich auf die Worte des seligen Cyprian in seiner Eröffnungsrede: „Ich urteile über niemanden und entziehe keinem das Recht auf Gemeinschaft, wenn er eine andere Ansicht hat.“ Seht, welche Kraft die Liebe zur Einheit und zum Frieden in den guten Söhnen der Kirche besitzt: Sie ziehen es vor, gegenüber jenen Nachsicht zu zeigen, die sie als frevelhaft und gottlos betrachteten, da sie – wie sie meinten – ohne das Sakrament der Taufe aufgenommen wurden. Falls sie sie nicht so korrigieren konnten, wie sie es für richtig hielten, wollten sie um ihretwillen dennoch nicht jenes heilige Band zerreißen, damit nicht auch der Weizen mit dem Unkraut ausgerissen werde (Matthäus 13,29). Sie erlaubten also – soweit es an ihnen lag –, dass der Säuglingskörper eher von der falschen Mutter genährt werde, als dass er in Stücke geschnitten werde, ganz entsprechend jenem edelsten Urteil Salomos (1. Könige 3,26). Doch dies war die Auffassung sowohl jener, die die wahrere Sicht über das Sakrament der Taufe hatten, als auch jener, denen Gott – aufgrund ihrer großen Liebe – im Begriff war, jeden Punkt zu offenbaren, in dem sie anders dachten.
VI
Frage auch du daher nichts Weltliches, sondern alles Geistliche, und du wirst es gewiss empfangen. Denn so erging es Salomo (1. Könige 3,10–14; 2. Chronik 1,11–12): Weil er das erbat, was er sollte, sieh, wie schnell er es erhielt. Zwei Dinge sollten also in dem sein, der betet: dass er ernsthaft bittet und dass er um das bittet, was sich gehört. „Denn auch ihr“, sagt er, „obwohl ihr Väter seid, wartet darauf, dass eure Söhne bitten: Und wenn sie euch etwas Unvernünftiges erbitten, verweigert ihr die Gabe; ebenso, wenn es vernünftig ist, stimmt ihr zu und gewährt es ihnen.“ Tue auch du dasselbe, indem du dies bedenkst: Ziehe dich nicht zurück, bis du empfangen hast; höre nicht auf, zu suchen, bis du gefunden hast; lasse nicht nach in deinem Eifer, bis dir die Tür geöffnet wird. Denn wenn du mit dieser Haltung herantrittst und sprichst: „Ich gehe nicht, bis ich empfangen habe“, wirst du es gewiss empfangen – vorausgesetzt, du bittest um Dinge, die sowohl für den, von dem du erbittest, angemessen sind zu geben, als auch für dich als Bittsteller nützlich sind. Und was sind diese Dinge? Alles Geistliche zu suchen, alles; denen zu vergeben, die sich gegen dich vergangen haben, und so um Vergebung zu bitten; „heilige Hände zu erheben ohne Zorn und Zweifel“ (1. Timotheus 2,8). Wenn wir so bitten, werden wir empfangen. Doch wie es jetzt ist, gleicht unser Bitten einer Täuschung, und es ist eher das Verhalten Betrunkener als Nüchterner.
VII
Rufinus, ein römischer Presbyter (der sorgfältig von Rufinus von Aquileia und Rufinus dem Syrer zu unterscheiden ist), hatte Hieronymus um eine Erklärung des Urteils Salomos (1. Könige 3,16–28) gebeten. Hieronymus gibt diese ausführlich und behandelt die Erzählung als Gleichnis, wobei er die wahre und die falsche Mutter als Sinnbilder für die Kirche und die Synagoge deutet. Der Brief stammt aus dem Jahr 398 n. Chr.
Salvina, du hast nun jene zu umsorgen, die für dich die Stelle deines abwesenden Ehemannes einnehmen: „Siehe, Kinder sind eine Gabe des Herrn, und die Frucht des Leibes ist sein Geschenk“ (Psalm 127,3). Anstelle eines Gatten hast du zwei Kinder empfangen, und so ist deine Liebe nun noch mehr gefordert als zuvor. Alles, was du ihm schuldest, kannst du ihnen geben. Mässige deine Trauer durch die Liebe zu ihnen, denn wenn er auch gegangen ist, so sind sie doch noch bei dir. Es ist kein geringes Verdienst in Gottes Augen, Kinder gut zu erziehen. Höre auf den Rat des Apostels:
„Eine Witwe soll nur dann in die Liste aufgenommen werden, wenn sie nicht jünger als sechzig Jahre alt ist, die Frau eines einzigen Mannes war und sich durch gute Werke auszeichnet; wenn sie Kinder aufgezogen, Fremde beherbergt, den Heiligen die Füße gewaschen, Bedrängte unterstützt und sich jedem guten Werk eifrig gewidmet hat“ (1 Timotheus 5,9–10).
Hier lernst du, welche Tugenden Gott von dir verlangt, was der Name Witwe, den du trägst, bedeutet und durch welche guten Werke du jene zweite Stufe der Keuschheit erreichen kannst, die dir noch offensteht. Sei nicht beunruhigt, weil der Apostel verlangt, dass keine Witwe unter sechzig Jahren aufgenommen werde, und glaube nicht, dass er damit die jüngeren verwirft. Vielmehr wisse, dass er gerade dich erwählt hat, der er zu seinem Jünger sprach: „Niemand verachte deine Jugend“ (1 Timotheus 4,12) – gemeint ist nicht dein Mangel an Enthaltsamkeit, sondern nur dein junges Alter. Wäre das nicht seine Absicht, müssten alle Witwen unter sechzig Jahren wieder heiraten. Doch er unterweist eine Kirche, die Christus noch nicht kennt, und trifft Vorkehrungen für Menschen aller Stände, insbesondere aber für die Armen, für deren Sorge er und Barnabas verantwortlich gemacht wurden (Galater 2,9–10). So will er, dass nur jene durch die Unterstützung der Kirche erhalten werden, die nicht mit eigenen Händen arbeiten können und die wahrhaft Witwen sind (vgl. 1 Timotheus 5,3), ausgezeichnet durch ihr Alter und ihr tugendhaftes Leben.
Die Fehler seiner Kinder machten den Priester Eli zum Ärgernis für Gott. Andererseits wird Gott durch die Tugenden derer besänftigt, die „im Glauben, in der Liebe, in der Heiligkeit und in der Keuschheit verharren“ (1 Timotheus 2,15). Der Apostel ruft aus: „O Timotheus, bewahre dich selbst in Reinheit!“ (1 Timotheus 5,22). Fern sei es von mir, dir etwas Unrechtes zuzutrauen; dennoch ist es gut, jemanden zu ermahnen, dessen Jugend und Reichtum ihn in Versuchung führen könnten. Nimm das, was ich sage, nicht als eine Warnung an dich, sondern an dein jugendliches Alter. Eine Witwe, „die im Genuss lebt, ist lebendig tot“ (1 Timotheus 5,6). So spricht das „auserwählte Gefäß“ (Apostelgeschichte 9,15), und seine Worte entstammen jenem Schatz, aus dem er mit Freimut sagen konnte: „Sucht ihr einen Beweis dafür, dass Christus durch mich spricht?“ (2 Korinther 13,3). Und doch ist dies derselbe, der in eigener Person die Schwäche des menschlichen Leibes eingestand und sagte: „Das Gute, das ich will, tue ich nicht; aber das Böse, das ich nicht will, das tue ich“ (Römer 7,19). Und weiter: „Ich züchtige meinen Leib und mache ihn dienstbar, damit ich nicht, nachdem ich anderen gepredigt habe, selbst verworfen werde“ (1 Korinther 9,27).
Wenn Paulus Furcht hatte, wer kann dann von sich behaupten, sicher zu sein? Wenn David, der Freund Gottes, und Salomo, der Gott liebte (1 Könige 3,3), wie andere Menschen fielen – wenn ihr Fall uns warnen und ihre Reue uns zur Erlösung führen soll –, wer kann dann in diesem unsteten Leben gewiss sein, nicht zu fallen?
Lass niemals Fasane auf deinem Tisch erscheinen, auch keine wohlgenährten Turteltauben oder schwarze Hähne aus Ionien oder sonstige jener teuren Vögel, die mit ihrem Preis ganze Besitztümer davontragen. Und bilde dir nicht ein, dass du auf Fleisch verzichtest, wenn du Schwein, Hase, Wild oder das schmackhafte Fleisch anderer Vierfüßler ablehnst. Es ist nicht die Anzahl der Beine, die den Unterschied ausmacht, sondern die Raffinesse des Geschmacks.
Ich weiß, dass der Apostel sagt: „Jede Kreatur Gottes ist gut und nichts ist verwerflich, wenn es mit Danksagung empfangen wird“ (1 Timotheus 4,4). Doch derselbe Apostel sagt auch: „Es ist gut, weder Fleisch zu essen noch Wein zu trinken“ (Römer 14,21), und an anderer Stelle: „Berauscht euch nicht mit Wein, worin Ausschweifung ist“ (Epheser 5,18).
„Jede Kreatur Gottes ist gut“ – dieses Gebot gilt für jene, die darauf bedacht sind, wie sie ihren Männern gefallen können (1 Korinther 7,34). Mögen jene sich vom Fleisch nähren, die dem Fleisch dienen, deren Körper vor Verlangen brennen, die an Ehemänner gebunden sind und die ihre Herzen darauf richten, Kinder zu bekommen. Mögen jene, deren Leiber schwer von der Last des Mutterseins sind, ihre Mägen mit Fleisch füllen. Doch du hast alle Genüsse mit deinem Gatten begraben: Über seiner Bahre hast du mit Tränen das Gesicht gereinigt, das einst mit Rouge und Bleiglimmer verziert war; du hast die weiße Robe und die goldenen Sandalen gegen ein schlichtes Gewand und schwarze Schuhe eingetauscht – und nur eines fehlt noch: Beharrlichkeit im Fasten.
Lass Blässe und Schlichtheit fortan deine Juwelen sein. Verwöhne deine jungen Glieder nicht mit weichen Betten oder entflamme dein jugendliches Blut nicht mit heißen Bädern. Höre, welche Worte ein heidnischer Dichter einer keuschen Witwe in den Mund legt:
VIII
Das Thema Gott zu erfassen ist umso schwieriger, je vollkommener es ist, und es ist anfälliger für Einwände, deren Widerlegung oft große Mühe bereitet. Jeder noch so kleine Einwand kann den Gedankengang abrupt stoppen und dessen Fortgang behindern, so wie ein Zügel ein in vollem Lauf befindliches Pferd plötzlich aufhält und zum Stillstand bringt.
So erging es auch Salomo, dem weisesten aller Menschen seiner Zeit, dem Gott ein weites Herz und eine Fülle an Erkenntnis verlieh, umfassender als der Sand am Meer. Doch je tiefer er in die Weisheit eindrang, desto mehr wurde ihm seine eigene Begrenztheit bewusst. So erkannte er, dass die wahre Weisheit gerade darin lag, zu sehen, wie unerreichbar sie letztlich war.
Auch der Apostel Paulus bemühte sich nicht um ein Verständnis des Wesens Gottes, da er wusste, dass dies unmöglich sei, sondern vielmehr um ein Verständnis der Wege und Urteile Gottes. Doch auch er fand keine abschließende Erkenntnis, da stets neue, unerreichbare Aspekte offenbar wurden. In seiner Verwunderung schloss er seine Betrachtung mit dem Bekenntnis, dass die Urteile Gottes unerschöpflich seien. Dabei berief er sich auf Worte Davids, der Gottes Urteile als einen Abgrund beschreibt, dessen Grund kein menschliches Maß zu fassen vermag. An anderer Stelle bekennt David, dass Gottes Wissen um den Menschen und dessen Wesen wunderbar sei und dessen Kraft und Fassungskraft übersteige.
Ein herausragendes Beispiel für Weisheit und Gerechtigkeit ist das berühmte Urteil Salomos. Zwei Frauen traten vor ihn und stritten um ein lebendes Kind. Beide behaupteten, dessen Mutter zu sein, während die jeweils andere der Tod eines Kindes angelastet wurde. Salomo forderte ein Schwert und befahl, das Kind in zwei Hälften zu teilen, sodass jede Frau eine Hälfte erhielte.
Da sprach die wahre Mutter, bewegt von mütterlicher Liebe: "Tötet das Kind nicht! Gebt es ihr, doch lasst es leben." Die andere aber erwiderte: "Es soll weder dein noch mein sein; teilt es!"
Daraufhin befahl der König, das Kind der Frau zu geben, die dessen Leben bewahren wollte, denn ihre Barmherzigkeit offenbarte ihre wahre Mutterschaft. Die Weisheit Salomos bestand darin, die verborgenen Gedanken der Herzen zu erkennen und die Wahrheit ans Licht zu bringen. So wurde Gerechtigkeit geübt, indem die wahre Mutter ihr Kind zurückerhielt, während die andere nicht unrechtmäßig belohnt wurde.
Ganz Israel hörte von diesem Urteil und empfand Ehrfurcht vor dem König, denn sie erkannten, dass die Weisheit Gottes in ihm war, um Recht zu sprechen. Salomo selbst hatte zuvor um ein verständiges Herz gebeten, um mit Klugheit zu hören und gerecht zu richten.
IX
Es ist uns unmöglich, alles in Kürze darzulegen. Denn wer könnte fast alle Patriarchen und zahllose Heilige aufzählen, von denen einige zur Erhaltung des Lebens, andere aus dem Wunsch nach einem Segen, andere aus Mitleid, wieder andere, um ein Geheimnis zu verbergen, einige aus Eifer für Gott und andere auf der Suche nach der Wahrheit sich, sozusagen, zu Befürwortern der Lüge gemacht haben? Und so wie nicht alle aufgezählt werden können, so sollten sie auch nicht alle vollständig übergangen werden. Denn die Frömmigkeit zwang den gesegneten Joseph, seinen Brüdern eine falsche Anklage zu machen, sogar mit einem Eid bei dem Leben des Königs, indem er sprach: "Ihr seid Spione: um die Blöße des Landes zu sehen, seid ihr gekommen." Und weiter unten: "Sendet," sagt er, "einen von euch und bringt euren Bruder hierher; ihr aber sollt hierbehalten werden, bis eure Worte sich als wahr erweisen. Wenn nicht, so wahr der Pharao lebt, ihr seid Spione." Denn wenn er sie nicht aus Mitleid durch diese Lüge erschreckt hätte, hätte er seinen Vater und seinen Bruder nicht wiedersehen, sie nicht vor der großen Hungersnot bewahren und nicht das Gewissen seiner Brüder von der Schuld des Verkaufs an ihm befreien können. Die Tat, seine Brüder durch eine Lüge mit Angst zu erfüllen, war also nicht so verwerflich, sondern vielmehr ein heiliges und lobenswertes Handeln, um seine Feinde und Verfolger zur heilsamen Reue zu bewegen.
Schließlich, als sie von der Schwere der Anschuldigung getroffen wurden, fühlten sie sich nicht durch die falsche Anklage, sondern durch die Erinnerung an ihre frühere Schuld betroffen und sprachen zueinander: "Wir leiden dies zu Recht, weil wir gegen unseren Bruder gesündigt haben, indem wir die Angst seiner Seele sahen, als er uns anflehte, und wir nicht auf ihn hörten; darum ist all dieses Unglück über uns gekommen." Und wir glauben, dass dieses Bekenntnis durch die heilsamste Demut ihre schreckliche Sünde nicht nur gegen ihren Bruder, gegen den sie mit bösartiger Grausamkeit gesündigt hatten, sondern auch gegen Gott gesühnt hat.
Was ist mit Salomo, der in seinem ersten Urteil die Gabe der Weisheit offenbarte, die er von Gott empfangen hatte, indem er sich einer Lüge bediente? Denn um die Wahrheit herauszufinden, die durch die Lüge einer Frau verborgen wurde, griff er auf eine sehr geschickt erfundene Lüge zurück und sagte: "Bringt mir ein Schwert und teilt das lebende Kind in zwei Hälften und gebt die eine Hälfte der einen und die andere der anderen." Und als diese vorgetäuschte Grausamkeit das Herz der wahren Mutter bewegte, während sie von der falschen Mutter gutgeheißen wurde, da erst sprach er sein Urteil aus, das jeder als von Gott inspiriert empfunden hat: "Gebt ihr das lebende Kind und tötet es nicht: Sie ist seine Mutter."
Darüber hinaus lehrt uns die Schrift an verschiedenen Stellen, dass wir nicht alles, was wir entschlossen haben, starr befolgen können oder sollen, sei es in Ruhe oder in Unruhe des Geistes. Wir hören oft, dass heilige Männer, Engel und sogar der allmächtige Gott selbst das geändert haben, was sie beschlossen hatten. Der gesegnete David entschied und bestätigte es mit einem Eid: "Gott tue mir dies und füge noch mehr hinzu, wenn ich von allem, was Nabal gehört, bis zum Morgen auch nur einen einzigen Mann übrig lasse." Doch als Abigail, Nabals Frau, für ihn bat und flehte, verzichtete er auf seine Drohung, milderte das Urteil und zog es vor, als wortbrüchig zu gelten, statt sein gegebenes Versprechen durch grausame Rache zu halten.
Auch der Apostel Paulus versprach den Korinthern unumwunden, zu ihnen zurückzukommen, doch als sich eine bessere Möglichkeit ergab, nahm er seine Worte zurück und erklärte offen, dass er nicht tun werde, was er versprochen hatte: "Als ich dies also beschloss, handelte ich da leichtfertig? Oder plane ich nach dem Fleisch, sodass bei mir Ja, Ja und Nein, Nein sein sollte?" Und er bestätigt mit einem Eid, dass er lieber sein Versprechen aufschob, als durch seine Anwesenheit die Gläubigen zu belasten.
Schließlich zeigt uns auch das Beispiel Gottes, dass Barmherzigkeit über Starrheit siegt. So wurde dem König Hiskia durch den Propheten Jesaja gesagt: "So spricht der Herr: Bestelle dein Haus, denn du wirst sterben und nicht leben." Doch Hiskia betete zum Herrn und weinte bitterlich. Da sprach der Herr erneut durch Jesaja: "Ich habe dein Gebet gehört, deine Tränen gesehen: Siehe, ich werde deine Tage um fünfzehn Jahre verlängern." Und ebenso wurde Ninive der Untergang innerhalb von drei Tagen verkündet, doch durch ihre Buße wurde das Urteil gemildert.
Dies zeigt uns, dass wir nicht starr an unseren Entschlüssen festhalten dürfen, sondern sie mit Vernunft und Urteilsvermögen anpassen sollten, damit wir stets den besseren Weg einschlagen und dem Ruf des guten Rates folgen. So hat Gott selbst Saul zum König gesalbt, obwohl er dessen späteren Fall kannte, und später erklärte: "Es reut mich, dass ich Saul zum König gemacht habe, denn er hat mich verlassen." Dies lehrt uns, dass Gott den Menschen nach seinen gegenwärtigen Taten richtet und nicht nach seiner vorherbestimmten Zukunft. So werden sowohl Gerechte als auch Böse nach ihren aktuellen Taten beurteilt und entsprechend belohnt oder bestraft.