SONJA


DRAMATISCHES GEDICHT 

VON TORSTEN SCHWANKE


FÜR KARINE



ERSTE SZENE


Szene: Eine armselige Kammer bei den Kapernaumows. SONJA sitzt allein am Tisch. RASKOLNIKOW tritt ein.


SONJA

(steht hastig auf, tritt ihm entgegen)

Was wäre ohne Sie aus mir geworden!


RASKOLNIKOW

(setzt sich, sieht sie an, mit bebender Stimme)

Nicht wahr, SONJA, die ganze Anschuldigung

war nur aus Ihrer Lebensart geboren –

den Sitten, die der Stand mit sich gebracht?

Haben Sie das vorhin recht gut verstanden?


SONJA

(bittevoll)

Ach, sprechen Sie doch nicht so wie am Tag

zuvor! Beginnen Sie nicht neu damit –

die Qual ist doch schon groß genug, mein Herr.

(schnelles Lächeln, verlegen)

Es war wohl töricht, daß ich fortgegangen.

Wie mag es jetzt wohl dort gewesen sein?

Ich wollte wieder hin – doch dacht' zugleich,

daß Sie wohl bald, vielleicht schon jetzt, erscheinen.


RASKOLNIKOW

(distanziert)

Die Wirtin wirft die Ihre aus dem Haus.

Katerina ist davon – sie sucht nun Recht.


SONJA

(entsetzt, greift nach ihrem Mantel)

Ach Gott! Wir müssen eiligst zu ihr hin!


RASKOLNIKOW

(erregt)

Schon wieder – stets nur für die Andern denken!

Nun bleiben Sie doch einmal ganz bei mir!


SONJA

Doch was wird aus Katerina Iwanowna?


RASKOLNIKOW

Sie kommt zurück. Die läuft nicht ewig fort.

Wenn Sie dann fort sind – selbst sind Sie schuld dran.


SONJA

(setzt sich, unschlüssig, innerlich zerrissen)


RASKOLNIKOW

(nachdenklich, ohne sie anzusehen)

Gewiß, er wollt’s nicht. Doch wenn Lushin wollt’,

so hätte er Sie sicher eingesperrt –

nur weil ich da war – rein zufällig da –

und jener Lebesjatnikow auch noch.

Erinnern Sie sich, was ich gestern sagte?


SONJA

(schweigt, nervös)


RASKOLNIKOW

Ich dachte schon, Sie schreien wieder auf:

Ach bitte, hören Sie mit solchem auf!“

Sie schweigen wieder? Müssen doch wohl reden.

Ich fänd’s nur reizvoll, wie Sie jetzt wohl selbst

so eine „Frage“, wie er’s nennt, entscheiden.

Ganz ernsthaft – stellen Sie sich das nur vor:

Sie wüßten Lushins Absicht ganz genau,

und sicher wär’s, daß durch sein Tun all das

Katerina samt Kindern unterginge –

auch Sie, doch Sie sind ja sich selbst nichts wert.

Auch Polenjka, denn sie würde folgen.

Nun denn: wenn Sie nun wählten, wer soll sterben –

er, Lushin, oder diese arme Frau?

Wen träfe Ihr Urteil? Sagen Sie mir das!


SONJA

(ängstlich, spürt dunklen Unterton)

Ich ahnte, daß Sie so was fragen würden.


RASKOLNIKOW

Schön. Wie würden Sie denn entscheiden nun?


SONJA

Warum nur fragen Sie nach Unmöglichem?


RASKOLNIKOW

Also soll Lushin leben, sündigen?

Auch hier kein klares Wort, kein off’ner Blick?


SONJA

Ich kenne Gottes Willen doch noch nicht!

Wozu dies alles? Solche Fragen – leer!

Wie käme es, daß solch Entschluss bei mir?

Wer machte mich zum Richter über Leben?


RASKOLNIKOW

(schweigend, finster)

Wenn Sie schon Gottes Ratschluß mit heranziehn,

dann kann man freilich nichts mehr weiter sagen . . .


SONJA

(schmerzlich, verzweifelt)

Dann sprechen Sie doch offen, was Sie wollen!

Sie zielen wieder auf etwas – ganz sicher.

Sind Sie nur hergekommen, mich zu quälen?


(sie bricht in Tränen aus)


RASKOLNIKOW

(schweigt, sieht sie gramvoll an – lange Pause)


RASKOLNIKOW

(leise, verändert, gebrochen)

Du hast wohl recht, SONJA.


(paust, der Trotz ist verschwunden, seine Stimme weicher)

Ich sagte dir – ich käme nicht zu dir,

um dich um eine Gnade zu ersuchen . . .

Doch eben das begann ich, kaum dass ich

den Mund auftat. Mein Reden über Lushin,

von Gottes Willen – das war ja nur ich.

Ich sprach für mich. Ich bat dich um Verzeihung.

(versucht zu lächeln – erfolglos)

Siehst du – ich kann es nicht mehr richtig tun . . .


(verbirgt sein Gesicht in den Händen, dann – plötzlich – hebt er es schnell, mit einem dunklen Ausdruck, starrt sie an)


RASKOLNIKOW

(in sich)

Was ist das? Haß? Auf SONJA? Nein – das nicht . . .

Ihr Blick – so liebend, bange, voller Sorge.

Es war kein Haß. Ich hab’s verwechselt nur.

Die Zeit ist da. Ich kann ihr nicht entfliehen.


(er bedeckt wieder sein Gesicht, dann: Blässe überzieht ihn, er erhebt sich mechanisch, setzt sich stumm auf ihr Bett)


(RASKOLNIKOW sitzt auf dem Bett, SONJA steht besorgt vor ihm.)


SONJA

Was ist mit Ihnen? Sagen Sie mir doch!

Sie zittern ja. Was quält Sie denn so sehr?


RASKOLNIKOW

(Ermattet, mit matter Stimme)

Ich weiß es nicht... Vernunft ist das doch nicht.

Ich kam zu dir, doch weiß nicht, warumher.

Ich wollte reden, doch nun kann ich’s nicht.

Warum bin ich gekommen, sag mir das?


SONJA

(Leise, sich zu ihm setzend)

Sie wollten reden... und nun schweigen Sie.

Sie sind so bleich! Ihr Blick ist ganz verstört.


RASKOLNIKOW

(Er lächelt schwach)

Was ist’s? Ein Unsinn! Unsinn, wenn man’s denkt.

Ich sagte doch: Wenn ich zurück noch käme,

So wüßtest du, wer Lisaweta schlug.


SONJA

(Erbleichend, zitternd)

Das sagten Sie... und darum sind Sie hier?


RASKOLNIKOW

Ja, SONJA... Ich bin hergekommen – darum.

Ich will dir sagen, wer die Schuld an ihr...


SONJA

(Flüsternd)

Wie wissen Sie das? Wer hat’s Ihnen gesagt?


RASKOLNIKOW

Ich weiß es.


SONJA

Hat man ihn denn etwa schon gefaßt?


RASKOLNIKOW

Nein, niemand fand ihn. Doch ich weiß es – ja.


SONJA

(Leise)

Wie können Sie das wissen, wenn er frei?


RASKOLNIKOW

(Er sieht sie an, mit stillem, fremdem Lächeln)

Rate.


SONJA

(Verstört)

Warum erschrecken Sie mich so, mein Gott?


RASKOLNIKOW

Ich bin ihm nah... Ich kenne ihn sehr gut.

Er wollte Lisaweta nicht – verstehst?

Nur die Alte. Die war allein zu Haus.

Er kam, zu töten – ja, aus kühlem Plan.

Doch plötzlich trat Lisaweta herein –

Und da erschlug er sie auch noch dazu.


(Eine Pause. Beide blicken sich an.)


RASKOLNIKOW

Du weißt es nicht? Du kannst’s dir nicht verstehn?


SONJA

(Leise, kaum hörbar)

Nein...


RASKOLNIKOW

(Scharf)

Sieh mich doch an! Ganz deutlich, SONJA!


(SONJA erstarrt. Ihre Hand tastet an seine Brust, weicht zurück. Ihr Blick wird starr. RASKOLNIKOW beginnt ebenfalls zu zittern.)


RASKOLNIKOW

Jetzt weißt du’s, ja?


SONJA

(O Gott!)

O Gott! O Gott!


(Sie sinkt auf das Bett, dann springt sie auf, tritt hastig vor, fällt auf die Knie.)


SONJA

Wie konnten Sie das tun? Wie nur – wie nur?

(Plötzlich umarmt sie ihn.)

Doch nein! O nein! Ich halte dich, ich bleib!

Ich weiche nicht von dir! Ich bleib bei dir!


RASKOLNIKOW

(Er macht sich los, sieht sie seltsam an.)

Wie seltsam du bist, SONJA. Nach all dem?

Du weißt, was ich dir eben offenbarte?


SONJA

(Nicht auf seine Worte hörend, fast rasend)

Es gibt kein größeres Elend auf der Welt!

O du Unglücklicher! Und ich – ich auch!

Warum nicht eher? Warum kamst du spät?


RASKOLNIKOW

Ich bin ja jetzt da.


SONJA

Jetzt... O mein Gott! Was nun?

Ich bleib bei dir! Und wenn du gehst – ich folg!

Nach Sibirien, wohin du willst – ich folg!


RASKOLNIKOW

(Von einem Spottlächeln überzogen)

Und wenn ich gar nicht in die Arbeit will?


SONJA

(Sieht ihn erschrocken an, schweigt – dann leise)

Ein Mörder... Du? Wie konntest du nur das?

Wie war das möglich? Du – du, ein solcher Mensch?


RASKOLNIKOW

Zum Raub! Zum Raub, SONJA! Frag nicht mehr!


SONJA

(Schweigt, dann mit jähem Aufschrei)

Du hattest Hunger? War’s für deine Mutter?


RASKOLNIKOW

Nein, SONJA, nein, – er senkt das Haupt und murmelt –

ich war nicht hungrig… nein, das war ich nicht.

Gewiss, ich wollte meiner Mutter helfen,

doch selbst das war nicht Grund für meine Tat…

Quäl mich nicht länger, SONJA, hör jetzt auf.


SONJA

(entsetzt, schlägt die Hände aneinander)

Ist das denn wahr? O Gott! Ist das denn wahr?

Wie kann das sein? Wer könnte so was glauben?

Du gibst dein Letztes fort – und hast gemordet?

Du stahlst aus Habgier? – Nein!… O Gott! – das Geld,

das du der armen Katerina geschenkt…

O Himmel… war es das… war es auch das?


RASKOLNIKOW

(schnell)

Nein, SONJA, nein, beruhige dich schnell.

Das war nicht dieses Geld. Das kam von dort,

von meiner Mutter, über einen Kaufmann

gesandt, als ich erkrankt war. Jenen Tag,

da gab ich’s weiter, gleich nachdem ich’s bekam.

Rasumichin hat’s selbst entgegengenommen.

Das war mein Geld, mein rechtlich Eigentum.


DICHTER

SONJA versteht ihn kaum, sie ringt mit sich,

ihr Denken müht sich, Klarheit zu gewinnen.


RASKOLNIKOW

(leise, wie träumend)

Das andere… ich weiß nicht einmal mehr,

ob es denn Geld war, was ich an mich nahm.

Ich stahl den Beutel, den sie um den Hals

getragen hat – aus Leder war er, voll,

geprallt mit Dingen… ich sah nicht hinein,

ich hatte keine Zeit… Die Wertsachen,

die Ketten, Knöpfchen – all das Zeugs, versteckt

am Wosnessenskij-Hof, dort unter Stein…

dort liegt es noch, auch jetzt… noch immer dort.


SONJA

(spannungsvoll)

Doch sag: Wie kannst du sagen, du hätt’st

aus Habgier, aus Gewinnsucht das getan,

wenn du doch nichts davon für dich behieltst?


RASKOLNIKOW

(nachdenklich)

Ich weiß es nicht… ich hab’s nicht entschieden,

ob ich’s behalten soll – das hab ich nicht.

(Er hält inne, lacht kurz auf, bitter.)

Ach, was für Dummheit hab ich eben gesagt!


DICHTER

Da fährt es SONJA durch den Kopf: »Ist er

am Ende gar nicht mehr bei klarem Sinn?«

Doch gleich verbannt sie diesen schlimmen Zweifel:

»Nein, das ist etwas andres, ganz gewiss.«

Was es jedoch genau war – das verstand

sie nicht, begreift es einfach nicht, und schweigt.


RASKOLNIKOW

(plötzlich, eindringlich)

Weißt du, SONJA – ich will dir etwas sagen:

Wenn ich gemordet hätt’ aus Hunger nur…

(Er blickt sie an, mit seltsam tiefem Blick.)

Dann wär ich jetzt ein glücklicher Mensch,

das kannst du mir glauben!

Und was hättest du,

wenn ich dir jetzt gesteh, ich sei ein Schuft?

Was hättest du davon? Triumphruf? Recht?

Kam ich zu dir, damit du triumphierst?


DICHTER

SONJA will sprechen – doch sie schweigt erneut.


RASKOLNIKOW

Deshalb hab ich dich gestern auch gebeten,

mit mir zu gehn – du bist mir nur geblieben.


SONJA

Und wohin soll ich gehen? Sag mir das!


RASKOLNIKOW

Nicht zum Verbrechen – nein, sei unbesorgt!

Wir sind zu unterschiedlich, du und ich…

Doch weißt du, SONJA, gestern wusst’ ich nicht,

wohin ich ging, als ich dich bat zu kommen.

Jetzt erst versteh ich’s – gestern war’s nur dies:

Verlass mich nicht! Bleib bei mir, SONJA – bleib!


DICHTER

Sie drückt ihm ihre Hand, ganz still, ganz fest.


RASKOLNIKOW

(verzweifelt)

Warum nur hab ich dir’s gesagt? Warum?

Jetzt wartest du auf Worte, auf Erklärung…

Was soll ich sagen? Was begreifst du je?

Du wirst dich nur zermartern deinetwegen…

Jetzt weinst du schon… du umarmst mich – warum?

Weil ich die Last nicht länger selbst ertrug

und kam, um sie auf deine Schultern zu

verlegen? – Leid auch du! Dann wird mir leichter!

Wie kannst du einen solchen Schurken lieben?


SONJA

(leise, doch heftig)

Doch leidest du denn nicht? Hast du kein Herz?


DICHTER

Ein warmer Strom durchflutet sein Gemüt,

macht es für einen Moment weich und sanft.


RASKOLNIKOW

Ich hab ein böses Herz, das merke dir.

Daraus erklärt sich vieles. Ich kam nur

aus Feigheit. Ein Verbrecher, ja – und schwach.

Doch lassen wir das – darauf kommt’s nicht an…

Ich muss nun sprechen… weiß nur nicht, wie sehr…


(Er hält inne. Dann ringt er sich zum Weiterreden durch.)


RASKOLNIKOW

Wir zwei – wir sind verschieden, ganz verschieden.

Warum nur kam ich her? Ich war so dumm!


SONJA

(entgegnet mit Kraft)

Nein, nein! Es ist gut, dass du gekommen bist!

Ich bin dir dankbar – ja, ich bin dir dankbar!


RASKOLNIKOW

(schaut sie traurig an)

Und was war nun der Grund? Nun, hör mich an:

Ich wollte ein Napoleon einst sein.

Drum hab ich diesen Mord begangen… Ja.


SONJA

(flüstert)

Ich… ich versteh das nicht… Doch sprich nur weiter!

Ich werd das Nötige schon noch begreifen!


RASKOLNIKOW

So gut – wir wollen sehen!

(Er überlegt lange.)

Ich stellte mir die Frage, ob, zum Beispiel,

wenn Bonaparte – Napoleon –

in meiner Lage, meiner kleinen Welt

gestanden hätt’, – wenn ihm als erster Schritt

zum Aufstieg nichts blieb als ein altes Weib,

das man ermorden müsste – nicht aus Hass,

nur wegen eines Beutels mit dem Geld…

hätte er’s wohl getan?

Ich quälte mich

mit dieser Frage, wochenlang, vielleicht

noch länger – und zuletzt, da sah ich’s klar:

Er hätte nicht gezögert – nicht einmal

verstanden, was an dieser Tat verwerflich.

Und ich – ich tat es nach. Wie ein Soldat

dem Feldherrn folgt. So tat ich’s. Ganz genau.

Ist das nun lächerlich? Für mich war’s ernst.


DICHTER

Doch SONJA fand daran nichts Lächerliches.


SONJA

(leise, bittend)

Sprich lieber einfach – ohne Bilder, bitte…


RASKOLNIKOW

(sanft, ergreift ihre Hände)

Du hast recht, SONJA – all das ist nur Gerede.

Schau, meine Mutter hat fast gar nichts mehr.

Meine Schwester – wohl gebildet, doch verurteilt

zur Gouvernante, stets auf Gunst bedacht.

Und ich war ihre Hoffnung, beide sah’n

in mir das Licht. Doch ich versagte – stürzt’

im Studium, fiel aus. Und selbst wenn ich’s

geschafft hätt’ noch, dann wär’s ein Leben

in Mangel, Armut, stets in Sklaverei.

Zehn Jahre Mühsal – tausend Rubel Lohn.

Und meine Mutter stirbt daran… gewiss.

Und meine Schwester wär’ noch schlechter dran.

Was bliebe mir? Ein Leben ohne Zweck.

Drum stahl ich – um ein andres Dasein mir

zu schaffen, frei von Not und fremder Last…

Darum… darum… das ist die ganze Wahrheit.

Daß ich sie tötete – das war… verkehrt.

Genug davon!



RASKOLNIKOW hat geendet, den Kopf gesenkt.


SONJA

Ach nein, das ist nicht wahr! Das kann nicht sein!

So war es nicht – nein, anders muss es sein!


RASKOLNIKOW

Doch hab ich dir die Wahrheit offenbart.

Ich sprach aufrichtig, hab nichts ausgelassen.


SONJA

Wie soll das wahr sein können? O mein Gott!


RASKOLNIKOW

Ich tötete – doch war’s nur eine Laus,

garstig, gemein, für niemand von Belang.


SONJA

Ein Mensch ist keine Laus, das weißt du wohl!


RASKOLNIKOW

Das weiß ich, ja. Und dennoch – SONJA – ach,

was red ich nur? Es ist doch sinnlos all das.

Schon lange rede ich so wirr, so leer . . .

Du hast recht – ja, du hast ganz recht in allem.

Ich hatte andre Gründe, ganz andre!

Ich sprach mit niemand lange Zeit, verstehst du?

Mein Kopf – er brennt, er schmerzt, als wollt er platzen.


(Er fasst sich an die Stirn. Seine Augen glühen fiebrig. Er lächelt unruhig.)


SONJA (leise, erschrocken)

O Gott! Was leidet er! Was ist mit ihm?


RASKOLNIKOW (mit neuem Feuer)

Nein, SONJA, nein! Es war nicht recht! Du hast’s gesagt,

und nun begreif ich’s selbst, in ganzer Tiefe.

Doch stell dir vor – es ist wohl besser so –

daß ich ein niederträcht’ger Mensch nur sei,

voll Neid, voll Bosheit, schändlich, voller Hass,

ein Irrer gar, verrückt, vom Wahn befallen!

(Man sagte es schon öfter, und ich weiß es!)

Ich blieb nicht auf der Uni – doch ich hätt’s gekonnt!

Die Mutter hätt’ mir Geld geschickt, gewiß,

und durch ein wenig Arbeit hätt’ ich Brot

und Schuhe, Kleider, Licht mir selbst verdient.

Ich konnt’ ja unterrichten – für die Stunde

gab man mir einen halben Rubel gar.

RASUMICHIN lebt ja von eigner Arbeit!

Doch ich – ich wollte nicht! Ich wurd’ verbissen.

Ich zog mich ein wie eine Spinn ins Dunkel.

Du kennst mein Loch, du warst ja selbst darin.

Wie eng die Decke, wie bedrängt der Raum!

O wie ich dieses Grab gehasst, verflucht!

Und dennoch wollt’ ich nicht hinaus – aus Trotz!


(Er erhebt sich halb, dann sackt er wieder zusammen.)


SONJA (zitternd)

Du armes Herz! Was quälst du dich so sehr?


RASKOLNIKOW

Ich lag da stumm, im Dunkel, wie ein Stein.

Ich bat um nichts – aus Trotz! Kein Licht, kein Wort.

Die Bücher hab ich verkauft, den Staub

ließ ich auf meinen Heften schicht um Schicht.

Ich lag und grübelte – und hatte Träume,

so seltsam, SONJA – du vermagst sie nicht

zu fassen. Und inmitten all der Nacht

kam mir ein Blitz, ein flüchtig klarer Blitz:

Warum, so fragte ich mich, bin ich so dumm,

da ich doch seh, wie dumm die anderen sind?

Warum sollt ich nicht klüger sein als sie?


(Er richtet sich auf, fast ekstatisch.)


Möchtest du, dass ich die Szene komplett so fortsetze? Ich kann sie Abschnitt für Abschnitt in Blankversen gestalten – gerne auch für die Bühne formatiert, mit Regieanweisungen. Sag einfach Bescheid!


Du:

WEITER

ChatGPT:

Natürlich – ich fahre direkt fort, im gleichen Stil. Dramatische Szene, Blankverse, Dialog zwischen Raskolnikow und Sonja, Übergang in seine Wahnidee vom „außergewöhnlichen Menschen“.


RASKOLNIKOW

Warum denn zögern? Warum nicht einmal

die Schranken sprengen, die das Leben hemmen?

Ein Mensch – was ist das? Ist er mehr als Dreck,

wenn er nur lebt, aus Furcht vor fremder Meinung?

Warum nicht handeln, wenn das Ziel so groß,

so glänzend ist, so heilig, so erhaben?

Wenn Newton hundert Menschen opfern müsst’,

damit sein Werk der Welt ersprießlich sei –

was wär daran? Die hundert – nichts, ein Schatten.

Was zählt das Leben eines Einzelnen,

wenn’s auf der Waage gegen Glücke steht?


SONJA (entsetzt)

Du sprichst wie einer, der den Sinn verlor!

Du kannst das nicht – du bist doch nicht wie sie!


RASKOLNIKOW

Wie sie? Wie wer? Die Großen? Alexander?

Cäsar? Napoleon? – Sind sie nicht Mörder?

Hat einer von den Großen je gefragt,

ob Blut erlaubt sei, wenn’s zur Macht geführt?

Sie haben es vergossen, Tonnen voll –

doch niemand hat sie je darum gerichtet!

Sie hatten Kraft – sie nahmen sich das Recht.


(Er steht nun, seine Stimme bebt von innerer Glut.)


SONJA (leise, fassungslos)

Du meinst, du seist wie sie? So groß, so stark?


RASKOLNIKOW

Ich – weiß es nicht. Ich wollte es nur wissen.

Ich habe – SONJA – nur das ausprobiert.

Verstehst du? Ob ich’s kann – ob ich es darf!

Nicht aus Gewinn, nicht Ruhm, nicht Eitelkeit.

Ich wollte wissen: Bin ich einer von ihnen?

Ein „außerordentlicher“, der darf, was andre

nur scheu verurteilen, weil sie schwach sind.


SONJA

Und dafür hast du Blut vergossen, Leid

gebracht und Tod, Entsetzen, Qual, Verdammnis?


RASKOLNIKOW (mit gepresster Stimme)

Ich tötete! – Doch nein, ich konnt’s nicht mal!

Ich bin gescheitert – nicht weil's falsch war, SONJA,

nein, weil ich schwach bin, wie die andern auch.

Ich wagte nicht, das Opfer ganz zu tragen.

Ich habe nicht einmal gestohlen, SONJA –

das Geld hab ich vergraben, nie gebraucht.

Ich konnt’s nicht anfassen – mein Fleisch hat’s abgelehnt!

Ich bin nicht Napoleon – ich bin ein Wurm.


(Er sinkt nieder auf die Knie, das Gesicht in den Händen.)


SONJA (schreit auf und stürzt zu ihm)

Rodiōn! Nein! Du bist kein Wurm – du lebst!

Du hast erkannt, dass es ein Irrweg war –

das ist der Anfang! – Der Weg führt von hier!


RASKOLNIKOW (leise, bitter)

Von hier? – Nach Sibirien. Zum Strafgericht.

Und ich? Ich weiß noch nicht, ob ich gesteh.


SONJA (entschlossen, mit leuchtendem Blick)

Du wirst gestehen. Und ich geh mit dir.

Ich folg dir nach – wohin du auch nur gehst.

Durch alle Qual, durch Nacht und Leid und Frost –

ich trag dein Kreuz mit dir, ich halt dich fest.


RASKOLNIKOW

Du sprichst von Zwangsarbeit, von Buße gar?

Du meinst, ich soll mich selbst den Richtern stellen?


SONJA

Du sollst das Leid auf dich, die Schuld auf dich,

und so dein Unrecht sühnen – das ist’s, Rodja!


RASKOLNIKOW

Nein, Sonja, nein – ich geh nicht zu den Richtern.


SONJA

Doch wie willst du mit solcher Last nur leben?

Wie willst du weitergehen, so tief beschwert?

Das hält kein Mensch auf Dauer, Rodja, aus!

Wie willst du deiner Mutter noch begegnen?

Ach Gott, was wird aus ihnen nun wohl werden?

Doch was red’ ich! Du hast sie längst verstoßen,

von ihr und auch von Dunja dich gewandt!

O Gott! Und das weißt du doch alles selbst!

Wie kann man leben, ohne einen Menschen?

Was wird denn nur aus dir, wenn du so bleibst?


RASKOLNIKOW

Sei kein Kind, Sonja, bitte, sei kein Kind.

Was hab ich denn getan, dass sie mich richten?

Weshalb soll ich zu ihnen denn nun gehen?

Was sollte ich gestehen? – Hirngespinst!

Sie selbst verderben doch mit Stolz Millionen,

und halten’s gar für Tugend, was sie tun.

Es sind nur Gauner, Heuchler, Schurken, Sonja!

Ich geh nicht hin. Was soll ich ihnen sagen?

Dass ich gemordet, doch die Beute ließ

und sie in Stein verborgen hab, aus Angst?

Sie würden lachen! Spotten über mich:

»Ein Feigling bist du und ein Dummkopf auch!«

Sie würden’s nicht versteh’n – sind’s nicht auch wert.

Warum soll ich zu solchen Menschen gehn?

Ich geh nicht hin. Sei du kein Kind, mein Herz …


SONJA

Du marterst dich! Du marterst dich zu Tod!

(ringend, mit ausgestreckten Armen)

Du reißt dich auf in deiner dunklen Schuld!


RASKOLNIKOW

Vielleicht war ich zu schnell in meinem Urteil.

Vielleicht – vielleicht bin ich doch auch ein Mensch

und nicht nur eine Laus, wie ich gesagt.

Ich will noch kämpfen. Ich bin nicht vernichtet.


(ein Schatten von Stolz in seinem Blick)


RASKOLNIKOW

Solch eine Qual – und das ein ganzes Leben!

Ein ganzes Leben voller Qual und Stille!


SONJA

Du wirst dich nie an solche Qual gewöhnen …


RASKOLNIKOW

Ich werd’s. Ich lerne es. Ich muß es lernen.

(Er schweigt, dann nach einer Pause mit ruhiger Stimme)

Doch jetzt – genug der Tränen, hör, mein Herz.

Ich kam, um dir zu sagen, dass man weiß.

Sie suchen mich. Sie kommen auf die Spur.


SONJA

(aufgeschreckt)

Ach Gott!


RASKOLNIKOW

Was rufst du auf? War’s nicht dein Wunsch?

Willst du nicht, dass ich meine Schuld bekenne?

Jetzt schreist du auf? Ich sag dir aber, Sonja:

Ich will mich nicht ergeben – nein, noch nicht.

Sie können mir nichts tun. Noch hab ich Zeit.

Die Beweise taugen nichts – ich dreh sie um,

und nutz sie gegen sie, verstehst du das?

Das habe ich gelernt. Ich bin bereit.

Gefangen nehmen – ja, das könnten sie.

Ein Zufall hat mich gestern fast verraten,

doch heut wendet sich’s mir zum Bessern zu.

Ich sag dir: sie sind schwach, die wissen nichts.

Ich werd’s beweisen. Sieht man’s nüchtern an,

so fehlt der eigentliche Beweis. Mein Wort!

Und was man hat, das reicht nicht zur Verurteilung.

Ich wollte nur, dass du dies alles weißt.


RASKOLNIKOW

Was meine Mutter, Dunja anbetrifft –

Ich werde’s so einrichten, dass sie

den Glauben nicht verlieren – nicht an mich.

Und Dunja scheint versorgt zu sein – wohl auch

die Mutter. Das ist alles. Lebe wohl.

Doch sag, wirst du mich besuchen im Gefängnis?


SONJA

Gewiß! O Rodja, ganz gewiss komm ich!


(Sie sitzen stumm, traurig nebeneinander.)


RASKOLNIKOW

(Er blickt sie an und spürt ihr tiefstes Lieben.

Es lastet auf ihm, schmerzlich, unerklärlich.

Er hatte Trost gesucht – und nun zerdrückt

ihn ihre Liebe mehr als jede Schuld.)


RASKOLNIKOW

Komm lieber nicht, wenn ich gefangen bin.


(SONJA schweigt, Tränen fallen.)


(Einige Zeit vergeht.)


SONJA

(tritt aus der Stille, ganz plötzlich)

Sag – trägst du ein Kreuz?


RASKOLNIKOW

(verständnislos)

Ein Kreuz? Was meinst du?


SONJA

Du trägst kein Kreuz? – Dann nimm dies hier von mir.

Es ist aus Zypress’ geschnitzt. Ich habe noch

ein andres – das von Lisaweta kam.

Wir tauschten einst: ich gab ihr ein Bildchen,

sie gab mir dies. Dies träg ich nun für sie.

Doch dieses hier, das sollst du tragen, Rodja.

Nimm es – es ist mein Kreuz – ich bitt dich, nimm’s!

Wir wollen beide gehn den Leidensweg,

so soll’n wir auch das Kreuz gemeinsam tragen.


RASKOLNIKOW

Dann gib es her.


(Er streckt die Hand, zieht sie dann zurück.)


RASKOLNIKOW

Nicht jetzt, Sonja. Vielleicht ein andermal.


SONJA

(spontan, mit neuer Wärme)

Ja, ja, ein andermal – das ist wohl besser!

Wenn du dich opferst, wenn du dich ergibst,

dann leg es an. Dann komm zu mir – ich selbst

werd’s dir umhängen, und dann beten wir,

und gehn gemeinsam weiter unseren Weg.


(Da klopft es dreimal laut an die Tür.)


STIMME VON DRAUSSEN

Sofja Semjonowna, darf ich wohl eintreten?


(Der blonde Kopf Lebesjatnikows schaut zur Tür herein.)




ZWEITE SZENE


Szene: In Sonjas Zimmer. Lebesjatnikow tritt hastig ein.


LEBESJATNIKOW

Verzeiht, Sofja Semjonowna, ich... ich kam...

Ich wusste fast, dass ich euch hier wohl treffe.

Nicht dass ich... also nein, ich dachte nichts...

Doch etwas dacht’ ich schon, jedoch... ach, seht:

Bei uns... bei uns ist’s schrecklich, ganz entsetzlich!

Katerina Iwanowna – sie ist...

Ich glaube, sie ist gänzlich toll geworden!


SONJA

(aufschreiend)

Mein Gott – was sagt Ihr?


LEBESJATNIKOW

Ja, es scheint zumindest.

Doch wer vermag das klar zu sagen? Seht,

Sie kam zurück – verscheucht wohl aus dem Haus,

Vielleicht geschlagen gar – man weiß es nicht.

Sie war beim Chef von Sacharowitsch, ja,

Doch fand ihn nicht, er speiste bei Excellenz.

Und stellt euch vor: Sie stürmte dorthin auch,

Zum Diner, ungefragt, mit wildem Mut –

Und ließ sich rufen jenen Herrn herbei,

Den Vorgesetzten ihres toten Manns,

Und wie es scheint, man holte ihn vom Tisch!

Stellt euch nur vor, was dann wohl dort geschah!

Sie hat geschrien, geworfen gar nach ihm,

Und wurde fortgejagt – das ist gewiss.

Wie man sie nicht verhaftet, weiß ich nicht.

Nun schreit sie ihre wirre Mär hinaus,

Erzählt sie allen, auch der Wirtin hier,

Doch keiner wird daraus so recht noch klug.

Sie ruft: »Ich bin von allen nun verstoßen!

Ich nehme jetzt die Kinder, geh auf’s Pflaster,

Wir zieh’n mit Drehorgel von Tür zu Tür.

Die Kinder singen, tanzen, ich auch selbst,

Wir sammeln Geld!« – So ruft sie unaufhörlich.

»Wir zieh’n vor jenes Fenster jeden Tag,

Des Herrn, der unser Elend sehen soll –

Soll sehen, wie Beamtenkinder betteln!«

Sie schlägt die Kinder, die in Jammer weinen.

Die kleine Lida lernt das Lied »Das Dorf«,

Und Polenjka und der Knabe tanzen,

Die Kleider reißt sie ihnen von den Leibern,

Macht Narrenkappen draus und Gauklertracht,

Und selbst will sie mit Blechtopf musizieren.

Auf gutes Zureden hört sie schon nicht mehr –

Was soll das werden? Ist das noch zu fassen?


(SONJA greift in größter Hast nach Mantel und Hut, zieht sich beim Hinauslaufen an.)


LEBESJATNIKOW

(verblüfft, dann zu Raskolnikow)

Sie ist, jawohl, vollends verrückt geworden.

Ich sagte nur »es scheint«, aus Rücksicht bloß.

Man sagt, bei Schwindsucht bilden sich im Hirn

Tuberkeln aus – doch kenn’ ich mich nicht aus.

Ich sprach mit ihr, ich sprach so deutlich wie

Man sprechen kann – sie hört auf keines Wort.


RASKOLNIKOW

(spöttisch)

Habt Ihr von Tuberkeln ihr erzählt?


LEBESJATNIKOW

Nein, nein! Was hätt’ sie denn davon begriffen?

Ich meinte nur: Wenn man ganz logisch zeigt,

Dass einer gar kein Grund zum Weinen hat,

So hört er auf – das scheint doch nur gerecht?

Seht Ihr das anders, guter Herr vielleicht?


RASKOLNIKOW

Das würd’ das Leben leichter freilich machen.


LEBESJATNIKOW

Erlaubt! In Paris, hab ich jüngst gelesen,

Versuchte man, durch reine Logik gar

Die Kranken aus dem Wahnsinn zu befreien.

Ein kluger Mann, Professor – längst verstorben –

Hat so gedacht: Verrückt ist, wer nicht denkt.

Die Krankheit sei kein Fehler des Körpers,

Nicht eine Wunde oder faules Fleisch,

Nein – nur ein falsches Denken, eine Sicht,

Ein Trug der Urteilskraft – ein Denkfehler.

Drum sprach er mit den Kranken, Schritt für Schritt,

Und widerlegte all ihr wüstes Denken.

Und – glaubt man’s kaum – es soll gewirkt haben!

Doch freilich, auch mit Duschen hat er’s wohl

Versucht – und darum zweifeln viele dran...

Doch immerhin – es scheint zu wirken, nicht?


(RASKOLNIKOW bleibt stumm, ist längst in Gedanken. Am Hause angekommen.)


RASKOLNIKOW

(nickt kurz und tritt in den Torweg)


LEBESJATNIKOW

(sieht ihm nach, bleibt einen Moment stehen, dann geht er eilig weiter)


Szenewechsel: Raskolnikows Kammer


(RASKOLNIKOW tritt ein, bleibt stehen.)


RASKOLNIKOW

Warum... warum kehrt ich hierher zurück?

Was such ich hier in dieser öden Zelle?

Dies Sofa... Staub... die schlaffe, gelbe Wand...

Vom Hof her tönt ein dumpfes, scharfes Hämmern –

Wer schlägt da einen Nagel in das Holz?

Ich seh hinaus – doch leer ist dieser Hof.

Ein Blumentopf, ein Hemd auf schmaler Leine...

Ich kenne dieses Bild, es sagt mir nichts.

Ich kehr mich ab – und setz mich auf mein Bett.

Noch niemals... nein, noch niemals war ich so

Verloren, so entsetzlich ganz allein.

Ich spüre: ja, ich könnte Sonja hassen –

Gerade jetzt... da ich sie tief verletzt...


Szene: In Raskolnikows Zelle


Raskolnikow allein, auf einer Pritsche sitzend.


RASKOLNIKOW

Wie töricht war's, daß ich zu ihr gegangen!

Ein niederträcht'ger Schwächling bin ich doch,

daß ich ihr Mitgefühl erzwingen wollte.

Mußt' ich ihr Leben noch viel bitter machen?

O Schande! Welch gemeine Feigheit das!


(Er steht auf, wendet sich ab, spricht entschlossen.)

Ich will allein sein, soll sie fern von mir!

Sie darf nicht zu mir in das Kerkerloch!


(Stille. Er setzt sich wieder, senkt den Kopf, dann ein leises, fremdes Lächeln.)

Vielleicht ist Zwangsarbeit ja wirklich besser . . .


(Pause. Er starrt vor sich hin.)

Wie lang ich hier so saß, ich weiß es nicht.

Gedanken wühlten wild in meinem Kopf . . .


(Die Tür öffnet sich. Awdotja Romanowna tritt ein. Sie bleibt in der Tür stehen.)


DUNJA

Verzeih, ich störe nur für einen Augenblick.


(Sie tritt näher, setzt sich ihm gegenüber.)

Sei mir nicht gram, ich konnt’ nicht anders handeln.


RASKOLNIKOW

(Er sieht sie schweigend an, regungslos.)


DUNJA

Ich weiß nun alles, Bruder, jedes Wort.

Dmitrij Prokofjitsch hat es mir erzählt.

Man quält dich wegen eines bösen Wahns.

Doch er versichert mir: Du bist in Sicherheit.

Ich aber denke anders, fühl' dein Leid,

das dir ins Innerste den Sinn erschüttert.

Ich fürchte nur: Es bleibt in dir zurück,

ein Brand, der nie verlischt in deinem Herzen.

Ich tadle nicht, daß du uns fern geblieben –

was hätt' ich selbst getan an deiner Statt?

Verzeih mir, daß ich gestern schroff war, Bruder.

Die Mutter soll nichts wissen, keine Angst –

ich tröste sie in deinem Namen still.

Doch komm noch einmal, Bruder, komm zu ihr.

Sie ist doch deine Mutter – hör auf mich!


(Sie steht auf, bewegt sich zur Tür.)

Und wenn du mich brauchst – mit meinem Leben,

mit allem, was ich bin – dann rufe mich.

Ich komme. Leb wohl!


(Sie will gehen. Raskolnikow hält sie zurück.)


RASKOLNIKOW

Dunja . . .


(Er sieht sie an, gefaßt, fast zärtlich.)

Dmitrij Prokofjitsch – er ist ein guter Mensch.


DUNJA

(Errötet leicht.)

Nun?


RASKOLNIKOW

Ein treuer, tatkräftiger, redlicher Mann.

Und fähig, mit dem ganzen Herz zu lieben.

Leb wohl, Dunja.


DUNJA

(Errötet stärker, dann erschrocken.)

Was meinst du denn damit?

Sprichst du mit mir, als sei's das letzte Wort?

Trennen wir uns nun wirklich für das Leben?


RASKOLNIKOW

Mag kommen, was da will . . . Leb wohl . . .


(Er wendet sich ab, tritt ans Fenster. Sie sieht ihn an, zögert, dann verlässt sie ihn.)


(Pause. Er steht allein.)


RASKOLNIKOW

Nicht Kälte war’s, die mich von ihr entfernte.

Es war der letzte Augenblick – ich wollt’

sie fest umarmen, ihr mein Herz ausschütten . . .

Doch selbst die Hand hab’ ich ihr nicht gereicht.

Vielleicht erschrickt sie später gar vor mir

und sagt: „Er hat sich einen Kuß gestohlen.“


(Er schweigt. Dann, nachdenklich.)

Wenn sie die Wahrheit kennt – wird sie es tragen?

Ein Mädchen wie sie? Nein . . . sie wird es nicht.

Solch reine Seelen tragen das nicht lange . . .


(Er wendet sich ab, sinkt auf die Pritsche.)

Sonja . . .


SZENE: Am Fenster, dann auf der Straße. Abenddämmerung.


RASKOLNIKOW

Vom Fenster her wehte es kühl herein.

Die Sonne war im Sinken, mild der Glanz.

Er nahm die Mütze, zögerte – und ging.

Er fühlte nicht, was in ihm vorging, nein,

er konnte, wollte’s nicht begreifen jetzt.

Die Angst, die Unruh, diese Seelennot

sie wirkten fort, und blieben nicht wirkungslos.

Kein Fieber war’s, doch krank war sein Gemüt;

die Spannung hielt ihn wach und aufrecht bloß.

Er irrte, ohne Ziel, durch dumpfe Gassen.

Der Sonnenuntergang war ohne Trost.

Da kam die Angst, die neue, stumme Angst,

nicht scharf, nicht brennend, sondern lastend, bleich.

Ein stummes Ahnen einer langen Zeit

von starrem Gram auf einem Felsenband –

ein dumpfes Bild, das Tag für Tag zurückkam,

und abends stach es schlimmer noch als sonst.


(Er bleibt stehen, murmelt für sich.)


RASKOLNIKOW

Und solch ein Wahn, ein körperliches Elend,

abhängig bloß vom Licht, vom Abendrot,

soll mich bewahren, Dummheiten zu tun?

In solchem Zustand schaff ich’s glatt und schlicht,

nicht bloß zu Sonja, nein – auch zu Dunja!


(Eine Stimme ruft ihn. Er dreht sich hastig um.)


LEBESJATNIKOW

Raskolnikow! Ich suchte Sie daheim –

Sie glauben’s kaum! Sie hat’s jetzt wirklich getan!

Die Kinder nahm sie mit und zog davon.

Sofja Semjonowna und ich, wir fanden

sie kaum, mit größter Müh – ein irrer Anblick!

Sie schlägt auf eine Pfanne – tanzen lässt

sie all die Kinder. Die sind voller Tränen!

Sie ziehn von Straß zu Straß, von Eck zu Eck.

Ein Pulk von Leuten folgt dem seltnen Zug.

Kommen Sie mit!


RASKOLNIKOW

Und Sonja? Was ist mit ihr?


LEBESJATNIKOW

Sie ist von Sinnen fast – doch nicht wie die.

Nicht Sofja Semjonowna ist verrückt,

obwohl sie wirkt, als wär’s auch sie geworden –

doch Katerina Iwanowna – mein Gott,

sie ist's ganz und gar! Verrückt, vollkommen!

Man wird sie bald zur Polizei wohl schleifen.

Sie sind beim Kanal, dort bei jener Brücke,

nur zwei, drei Häuser weiter als Sonjas Heim.

Ganz nah von hier!


(Die beiden gehen ab. Wechsel zur Szene auf der Straße am Kanal.)


(Ein aufgeregter Pulk. Kinder. Rufe. Katerina Iwanownas Stimme durchdringt die Luft.)


CHOR DER LEUTE (teils lachend, teils kopfschüttelnd)

Da ist sie wieder, tanzend, schreiend, wirr,

mit all den armen Kindern – seht nur hin!


(Raskolnikow und Lebesjatnikow treten an den Rand des Pulks.)


RASKOLNIKOW

Mein Gott, was tut sie? Welch ein Bild des Jammers!


LEBESJATNIKOW

Sie glaubt, die Kinder seien Sänger nun –

ein Straßenzug, ein Zirkus, keine Not.

Sie schlägt den Takt, sie ruft, sie hustet, klagt,

verflucht sich selbst, verflucht ihr hartes Los.

Sie hat die Kinder aufstaffiert, geschmückt –

ein Turban hier, ein Käppchen dort mit Feder,

noch aus der Zeit der Großmama bewahrt!


RASKOLNIKOW (tief erschüttert)

Und Sonja?


LEBESJATNIKOW

Weint und fleht sie heimzukehren.

Doch diese hört nicht, treibt sie weiter an.


(Katerina Iwanowna tritt auf, hustet, klatscht in die Hände, ruft die Kinder. Die Menge drängt sich.)


KATERINA IWANOWNA

Sing, Polenjka! Du Lida, tanze los!

Ihr seid doch Kinder aus gutem Haus!

Ein Türke sei Kolja – er trägt den Turban!

Und du, Lida, du bist... ach, singt nur, tanzt!

Warum versteht ihr nicht, was ich euch lehre?

So ist das Lied – so muss man sich bewegen!


(Sie hört Gelächter, stürzt auf einen Passanten zu.)


KATERINA IWANOWNA

Sie lachen? Lachen über mich – und sie?

Sehen Sie, was aus edlem Blut wird – sehn Sie!


(Sie beginnt wieder zu husten, bricht in Tränen aus.)


KATERINA IWANOWNA (verzweifelt)

Verdammter Husten! Lasst mich singen doch!

Ich... ich... oh Gott...


(Sie bricht fast zusammen. Sonja eilt zu ihr. Die Kinder weinen. Die Menge raunt.)


CHOR DER LEUTE

Die ist verrückt... Die Frau, die ist nicht mehr.

Doch seht – welch Schmerz, welch tiefer, nackter Schmerz...


KATERINA IWANOWNA

Hör auf, Sonja! Um Himmels willen – schweig!

Du weißt ja selbst nicht, was du von mir willst!

Du bist ein Kind, ein töricht kleines Kind!

Ich hab dir schon gesagt, ich geh nicht mehr

Zu jener trunknen deutschen Dirne hin.

Ganz Petersburg soll sehen, wer wir sind:

Des treuen Mannes Kinder, der im Dienst

Sein ganzes Leben ehrlich zugebracht

Und – man darf sagen – dienstlich auch verstarb!

Jetzt müssen sie betteln gehn, die Kinder!

Mag's jener hohe Lumpenchef doch sehn!


(zu Sonja)

Und du bist dumm, o Sonja, weißt du das?

Wovon, sag selbst, wovon solln wir jetzt leben?

Wir haben dich genug schon ausgesaugt –

Ich will das nicht mehr länger, das ist aus!


(plötzlich, zu Raskolnikow)

Ach, Rodion Romanowitsch, Sie hier?

O sagen Sie dem Närrchen doch einmal,

Dass dies die klügste Lösung war für uns.

Die Drehorgelleute leben doch davon!

Doch wir – wir sind was Bessres, das erkennt

Ein jeder gleich! Man sieht uns an, dass wir

Ein armes, edles, tief gestürztes Haus,

Verlassen, vaterlos, dem Elend nah.

Der Kaiser selbst wird uns Erbarmen zeigen!

Wir geh’n zum Fenster jenes Schurkenchefs,

Und wenn der Zar dann vorbeifährt, werf ich

Mich auf die Knie, stell meine Kinder hin

Und rufe: Schütz sie, Vater deiner Völker!

Er wird sie schützen, er ist ja gerecht!

Doch diese Exzellenz … Lida! Gerade!

Kolja, tanz wieder – warum weinst du so?

Du zitterst, Dummchen! Was soll ich mit dir?


(weinend, doch ohne Halt im Reden)

Ach, Rodion Romanowitsch, glauben Sie –

Wie unvernünftig diese Kinder sind!

O was nur soll ich tun mit solchen Kindern?

Sieh da – schon plärrt er wieder, dieser Kolja!


(zeigt auf einen Zuschauer)

Und der da lacht! Warum lacht dieser Kerl?

Das kommt nur daher, dass Kolja so schwer

Von Begriff ist – man hat nur Müh mit ihm!


(zu Polenjka)

Was willst du, Kind? Sprich französisch mit mir!

Parlez-moi français! Du hast es ja gelernt!

Die Leute sollen sehen, was ihr seid –

Gebildet, edel, aus vornehmem Haus!

Wir sind doch keine Gaukler, keine Clowns!

Wir singen Lieder, edel, rührend, fein –

Nicht dieses "Dörfchen" immerfort! Das kennt

Ein jeder schon – was Neues muss herbei!


(plötzlich)

Nun, was hast du dir ausgedacht, Polenjka?

Du solltest doch der Mutter helfen, Kind!

Ach, ich hab kein Gedächtnis mehr – nichts bleibt!

Wir können doch nicht „Husaren, schwingt die Säbel!“

Wir singen „Cinq sous“, das ist französisch, ja!

Das zeigt: ihr seid vornehm – das rührt das Herz!


(überlegt weiter)

Marlborough s'en va-t-en guerre“, das wär auch was!

Ein Kinderlied! In edlen Häusern singt

Man’s zum Einschlafen! Hört:


(sie singt leise)

Marlborough s'en va-t-en guerre,

Ne sait quand reviendra …


(unterbricht sich)

Nein, lieber „Cinq sous“! Kolja, auf die Hüften!

Dreh dich! Und Lida, du entgegengesetzt!

Und ich mit Polenjka, wir klatschen Takt!


(singend und klatschend)

Cinq sous, cinq sous

Pour monter notre ménage!


Szene: Eine Straße in Petersburg. Menschen stehen. Katerina Iwanowna hustet, umringt von ihren Kindern.


KATERINA (in Hustenstößen)

Kche–kche–kche! – O Hölle, wie das brennt!

Polenjka, Kind, dein Kleid ist ganz verrutscht,

zieh’s wieder hoch, die Schultern sind ja bloß!

Jetzt mehr denn je gilt’s, daß ihr Haltung zeigt,

damit man euch als wohlerzogen sieht,

als Kinder aus vornehmem Hause – ja!

Ich hab’s gesagt: das Mieder war zu kurz,

die Leinwand dünn! Doch Sonja mischte sich

mit klugem Rat: "Mach’s kürzer! Nur nicht lang!"

Nun sieh, was draus geworden ist – ein Fratz!

Ach, nun – was soll das Weinen denn schon wieder?

Was heult ihr denn, ihr dummen Kinder, was?

Kolja, beeil dich! Flink, mein Junge – flink!

Ach, diese Plage, ach, das arme Kind!

(ruft halb singend)

Cinq sous, cinq sous …“


(Ein Schutzmann tritt auf. Die Menge raunt.)


KATERINA (erschrocken, aber trotzig)

Schon wieder so ein Schnüffler, was willst du?


(Ein hoher Beamter tritt aus der Menge, reicht ihr wortlos Geld.)


KATERINA (überrascht, mit feierlicher Geste)

Ich danke, gnäd’ger Herr, ich dank’ von Herzen.

Hier, nimm das Geld, Polenjka – siehst du wohl:

Es gibt noch edle Seelen in der Welt,

die helfen ohne Fragen, groß und rein.

Ein vaterloses Häuflein seht ihr hier,

aus edlem Hause, hohem Adel gar …

Doch dieser Schuft, des Mannes Vorgesetzter,

aß Haselhühner, trampelte mit Füßen,

als ich, in Not, ihn um Erbarmen bat!

Exzellenz“, sprach ich, „erweisen Sie uns Schutz,

Sie kannten doch den edlen Toten gut –

am Tag der Beisetzung wird seine Tochter

von einem niederträcht’gen Wicht verleumdet!“

– Schon wieder dieser Schutzmann? Gnäd’ger Herr,

Sie müssen mich beschützen vor dem Kerl!

Wir flohen eben vor dem andren fort –

Was kümmert’s dich, was wir hier unten tun?


SCHUTZMANN (ruhig, aber bestimmt)

Das ist verboten, Frau, hier auf der Straße.

Macht keinen Auflauf. Bleiben Sie nicht hier.


KATERINA (schreit ihn an)

Du bist’s, der Auflauf macht! Ich tu nur das,

was jeder Leierkastenmann hier tut!


SCHUTZMANN

Doch die haben Erlaubnis. Sie hingegen

verursachen durch Ihr Benehmen Lärm.

Wo wohnen Sie?


KATERINA (rasend)

Was? Eine Erlaubnis?

Ich hab’ heut meinen Mann zu Grabe bracht –

Was braucht’s denn mehr? Was soll ich noch erbitten?


BEAMTER (sanft, mitfühlend)

Beruhigen Sie sich, mein gutes Fräulein.

Kommen Sie, ich begleit’ Sie jetzt nach Haus.

Hier vor der Menge – das geziemt sich nicht.

Sie sind sehr krank.


KATERINA (in Aufregung, beinahe flehend)

Mein Herr, Sie wissen nichts!

Wir wollen ja zum Newskij–Prospekt ziehn …

SONJA! Wo bist du? Ach, du weinst auch mit?

Was habt ihr nur, ihr dummen, weichen Kinder?

Kolja, Lida – wo lauft ihr denn jetzt hin?

Halt – haltet ein! Wo rennt ihr? Bleibt doch steh’n!


(Kolja und Lida rennen davon. Katerina schreit, rennt ihnen nach.)


KATERINA

SONJA, halt sie! Hol sie zurück – sofort!

Polenjka – lauf! Greif nach den Flüchtigen!

Und all das nur – nur euch zulieb! – Nur euch …!


(Sie stürzt.)


SONJA (schreiend, beugt sich nieder)

O Gott – sie blutet! Katerina! O Gott!


(Menschenmenge drängt heran. RASKOLNIKOW, LEBESJATNIKOW und der Beamte treten hinzu. Der Schutzmann winkt entnervt ab.)


SCHUTZMANN (murrend)

Ach, herrjeh! Das bringt mir heut noch Schererei …


(Er treibt die Gaffer auseinander.)


SCHUTZMANN

Hinaus! Hinaus! Verschwindet alle fort!


EINE STIMME AUS DER MENGE

Sie stirbt!


(Auf der Straße. Eine Menschenmenge steht zusammen. Stimmen durcheinander.)


FRAU (erschüttert, bekreuzigt sich)

Gott helfe ihr! – Sie ist wohl irrsinnig.

Habt ihr das Mädchen und den Jungen wieder?

Ah, seht nur da – man bringt sie her. Die Große

hat sie gefangen… Nein, die dummen Bälge!


(Man beugt sich über Katerina Iwanowna.)


SONJA (zitternd)

Sie hat sich blutig an dem Stein gestoßen –

O Gott, was tu ich nur? Sie stirbt mir weg!


BEAMTER (leise zu Raskolnikow und Lebesjatnikow)

Nicht durch den Stein. Ich kenn das Bild genau.

Das ist der Tod bei Schwindsucht, Blut hervor,

es stürzt herauf aus Brust und Kehle, schnell.

So starb vor kurzem meine Kusine auch.

Ein Glas voll Blut – dann war es plötzlich aus.

Was soll man tun? Sie stirbt. Gleich. Jetzt. Sogleich.


SONJA (flehend, an die Umstehenden gewandt)

Bringt sie zu mir! Ich wohne gleich hier drüben,

das zweite Haus. Bringt sie in meine Kammer!

O holt doch einen Arzt! O Gott, eilt euch!


(Der Beamte organisiert Hilfe. Katerina wird in Sonjas Zimmer getragen. Die Kinder kommen mit Polenjka. Die Familie Kapernaumow erscheint. Swidrigailow tritt ein.)


RASKOLNIKOW (erschrocken)

Was…? Swidrigailow? Wo kommt der nur her?


(Einige reden vom Arzt und vom Priester.)


BEAMTER (leise zu Raskolnikow)

Ein Arzt… bringt jetzt auch nichts mehr. Dennoch,

man hole einen. Geht. Ich will es so.


(Kapernaumow eilt los. Katerina wird im Bett aufgerichtet. Sonja wischt ihr die Stirn.)


KATERINA IWANOWNA (schwach)

Wo sind die Kinder? Polenjka, hast du…

Oh ihr dummen Kinder! Warum seid ihr…

Ach…


(Sie schaut sich im Raum um, blutige Lippen, erschöpft.)


Also hier wohnst du, Sonja. Niemals

war ich bei dir… Jetzt also kam ich her.

Es fügt sich so. Nun gut… wir haben dich

gesogen, Sonja, leer… verzeih, verzeih.

Polenjka, Lida, Kolja – kommt herbei.

Da sind sie, Sonja – nimm sie, deine sind sie.

Mit mir ist’s aus. Der Ball… ist nun vorbei.

Legt mich nur nieder, laßt mich ruhig sterben…


(Man legt sie auf das Kissen zurück.)


Habt ihr den Priester? Nein? – Ach, was soll’s…

Das kostet einen Rubel. Den habt ihr

doch nicht… und Sünden – hab ich keine mehr.

Und wenn doch – Gott vergibt. Er kennt mein Leid.

Und wenn nicht – so auch gut. Dann sei’s so!


(Sie beginnt zu fantasieren, das Fieber spricht aus ihr.)


Ich sprach zu ihm: ›Euer Exzellenz…‹

(Pause zum Atemholen)

Diese… Amalia Ludwigowna…

Ach, Lida, Kolja! Auf die Hüften – schnell!

Glissez, glissez, pas de Basque – stampft auf!

Seid graziös!


(Sie beginnt zu singen, abgehackt.)


Du hast… Diamanten und auch Perlen…

Wie geht es weiter? – Singt, singt doch das Lied!

Du hast die schönsten Augen… Mädchen…

Was willst du mehr? Ja, das wird er begreifen…

Ein anderes Lied… Moment…


In einem Tale Daghestans, zur Mittagszeit…


(Sie bricht ab. Röcheln. Stille. Die Umstehenden stehen erschüttert.)


Szene: In einem ärmlichen Zimmer, um das Sterbebett von Katerina Iwanowna.


KATERINA IWANOWNA

Ach, dieses Lied! Ich hab’s so sehr geliebt,

so schwärmerisch, so zärtlich – Polenjka,

du weißt, dein Vater sang es oft, sehr oft,

als er noch Bräutigam gewesen ist . . .

O schöne Tage, ach, wie schön sie waren!

Das, das sollt’ man singen . . . Wie ging es doch?

Wie fing es an? Ich kann mich nicht besinnen . . .

Weiß keiner, wie das Lied zu Ende ging?


(Sie versucht sich aufzurichten, in fiebriger Erregung.)


KATERINA IWANOWNA (singend, atemlos)

In einem Tale . . . Daghestans . . . zur Mittagszeit . . .

Das Todesblei . . . in wunder Brust . . .“


(Sie bricht ab, ringt nach Luft, dann stürzt ihr Aufschrei hervor.)


KATERINA IWANOWNA

Euer Exzellenz! O hören Sie mein Fleh’n!

Beschützen Sie die vaterlosen Kinder,

gedenken Sie des Semjon Sacharowitsch,

bei dem Sie einst als Gast verkehrt, verehrt!

Ein edles Haus – ja, man kann sagen: edel . . .

(Sie schnappt nach Luft, hält inne, starrt umher, erkennt SONJA.)

Sonja . . . mein Kind . . . bist du auch hier, mein Schatz?

Wie wundervoll . . . wie gut du bist . . . mein Herz . . .


(Man stützt sie sanft zurück auf das Kissen.)


KATERINA IWANOWNA

Es geht zu Ende, ach – es ist soweit . . .

Leb wohl, du arme, arme Unglücksfrau!

Nun hat man mich gehetzt, zu Tod gehetzt,

die elende Mähre, die man trieb

bis an die Grenze – über ihre Kraft!


(Sie sinkt zurück. Ein letzter Seufzer. Stille. Der Tod tritt ein.)


REGIEANWEISUNG

Ihr Kopf fällt schwer nach hinten, und der Mund

steht offen, bleich das ausgezehrte Antlitz.

Die Beine strecken sich in letzter Kraft,

ein tiefer Seufzer – dann ist alles still.


SONJA

(über die Leiche sinkend)

O Mutter! . . . Mutter! . . . Weiche mir nicht fort . . .


POLENJKA

(am Fußende, unter Tränen)

O Mutter! Deine Füße küss ich, heiß . . .


KOLJA & LIDA

(blicken einander starr an, dann gleichzeitig:)

Ah!


(Sie schreien schrill auf, fassen sich an den Schultern. Die bunten Hüte sitzen noch.)


DICHTER

Auf einmal liegt ein Zeugnis auf dem Bett,

nah beim Kissen, neben der Verstorbenen.

Raskolnikow erblickt es, tritt zum Fenster.


LEBESJATNIKOW

(tritt zu ihm)

Sie ist gestorben.


(SWIDRIGAILOW nähert sich, spricht leise.)


SWIDRIGAILOW

Rodion Romanowitsch – ein Moment,

ich habe mit euch einiges zu reden.


(Lebesjatnikow tritt diskret zur Seite.)


SWIDRIGAILOW

Ich kümm’re mich um alles – Sarg, Begräbnis,

die Trauerkleidung, Sitte, Priesteramt –

das alles nehm ich auf mich, was soll's schon?

Es ist ja nur ein wenig Geld – das hab ich.

Die Kinder, die zwei Krabben, Polenjka –

sie kommen in ein gutes Waisenhaus.

Für jedes Kind will ich ein Kapital

von tausendfünfhundert Rubeln sichern,

bis sie erwachsen sind – so kann Sonja

mit ruh’gem Herzen schlafen. Auch für sie

will ich das Beste tun – denn sie ist gut.

Und sagt auch eurer Schwester meinerseits:

Die zehntausend, die ich ihr einst versprach,

hab ich nun so verwendet, für die Armen.


RASKOLNIKOW

(scharf)

Was bezweckt Ihr mit solch großzügigem Werk?


SWIDRIGAILOW

(lachend)

Wie misstrauisch Ihr seid, mein Bester! Ach!

Ich sagte ja bereits – ich hab das Geld.

Warum nicht Gutes tun, aus Nächstenliebe?

Glaubt Ihr, das gibt es nicht mehr in der Welt?

Doch seht: die dort, die Tote – keine Laus,

nicht wie die alte Wucherin von einst!

Wenn Ihr zu richten hättet: sie – oder

der Schuft Lushin – wer hätt’ den Tod verdient?

Und helft ihr nicht – dann müsst die Tochter bald

denselben Pfad beschreiten wie die Mutter . . .


(Er sieht ihn mit listigem Lächeln an.)


RASKOLNIKOW

(zurückweichend, bleich)

Woher . . . woher wisst Ihr das alles . . .?


SWIDRIGAILOW

(lässig)

Ich wohn gleich hier, bei Frau Rößlich, nebenan.

Bin Nachbar, treuer Freund der Hausbewohner.

So kam mir manches Wort zu Ohren, nun . . .


RASKOLNIKOW

(fassungslos)

Ihr? Ihr habt das . . . gehört?


SWIDRIGAILOW

(vergnügt)

Ja, lieber Freund –

und glaubet mir: Ihr habt mein Herz erregt.

Ich sagte ja, wir kommen noch zusammen –

und seht: nun ist es wahr geworden, ja!

Ihr werdet sehen, wie man mit mir lebt –

ich bin ein Mann, mit dem man’s aushält, wirklich.